Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung nach Einigungsvertrag. mangelnde Eignung

 

Normenkette

Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Urteil vom 05.05.1993; Aktenzeichen 2 Sa 39/93)

ArbG Bautzen (Urteil vom 03.12.1992; Aktenzeichen 8 Ca 74/92)

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgericht Chemnitz vom 5. Mai 1993 – 2 Sa 39/93 – wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der 1941 geborene Kläger war seit 1967 im Schuldienst der ehemaligen DDR als Unterstufen- und Mathematiklehrer tätig, 1973 wurde der Kläger zum stellvertretenden Direktor und 1976 zum Direktor an der polytechnischen Oberschule in B. ernannt. Das Amt des Schulleiters übte der Kläger bis 1992 aus.

Nach Besuch der Kreisparteischule war der Kläger von 1968 bis 1972 ehrenamtlicher Parteisekretär an seiner Schule. Von 1975 bis 1989 organisierte der Kläger als „Propagandist das SED-Parteilehrjahr.

Mit Schreiben des Oberschulamtes vom 15. Juni 1992 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 30. September 1992 wegen fehlender persönlicher Eignung unter Hinweis auf die Tätigkeit des Klägers als stellvertretender Direktor, Direktor, Parteisekretär und Propagandist.

Der Kläger hat geltend gemacht, die Kündigung sei unwirksam.

Die von ihm ausgeübten Funktionen seien kein Grund, ihn als ungeeigneten Pädagogen einzustufen. Er habe nicht derart herausragende Funktionen gehabt, aus denen man eine besondere Identifizierung mit dem SED-Staat herleiten könne. Als Parteisekretär sei er Vorsitzender der Betriebsparteiorganisation mit lediglich fünf Mitgliedern gewesen. Er habe weder den Direktor kontrolliert noch auf Einhaltung der Parteilinie überwacht. Er sei auch nicht für die politische Bildung der Lehrer und Schüler verantwortlich gewesen. Überdies liege die Tätigkeit als Parteisekretär schon lange zurück. Als Propagandist habe es ihm nur oblegen, die Parteilehrjahre zu organisieren. Die Veranstaltungen seien recht locker durchgeführt worden. Es seien Kurzreferate nach vorgegebenem Text gehalten worden. Nach ca. einer Stunde seien die Veranstaltungen ohne weitere Diskussion beendet worden. Verhinderte Teilnehmer habe er von der Teilnahme entbunden. Bei den Berichten an die Parteileitung habe es sich um „Alibiberichte” gehandelt, daß das Parteilehrjahr überhaupt stattgefunden habe. Als Direktor seiner Schule habe er sich nur für die schulischen Belange eingesetzt. Nach der Wende sei er weiterhin mit der Schulleitung betraut worden. Selbst nach der Kündigungserklärung sei er vom Beklagten um weitere Wahrnehmung der Amtsführung ersucht und entsprechend beauftragt worden.

Der Kläger hat, soweit in der Revision noch von Bedeutung, beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 15. Juni 1992 nicht aufgelöst worden sei, sondern über den 30. September 1992 hinaus fortbestehe.

Der Beklagte hat beantragt.

die Klage abzuweisen.

Er hat vorgetragen, Aufgabe des Parteisekretärs an einer Schule sei es gewesen, ein Bindeglied zwischen der SED und der jeweiligen Schule zu bilden. Die Zielvorstellungen der SED hätten durch den Parteisekretär im schulischen Bereich umgesetzt werden sollen. Er habe zu diesem Zweck darauf hinzuwirken gehabt, die parteipolitischen Ideen und Vorstellungen in den Schulalltag hineinzutragen. Schon als stellvertretender Direktor habe der Kläger der Schulleitung angehört und sei in dieser Funktion verpflichtet gewesen, seine Leitungstätigkeit auf der Grundlage der Beschlüsse des Zentralkomitees der SED auszuführen. Als Direktor sei es unter anderem Aufgabe des Klägers gewesen, die Kinder zur Liebe zur sozialistischen DDR zu erziehen, sowie die Lehrer politisch-ideologisch anzuleiten. Als Propagandist sei der Kläger für die systematische Verbreitung und gründliche Erläuterung politischer, philosophischer, ökonomischer, naturwissenschaftlicher und anderer Lehren, Ideen und Meinungen verantwortlich gewesen.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist nicht begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung vom 15. Juni 1992 nicht aufgelöst worden.

A. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:

Aus den vom Kläger ausgeübten Funktionen lasse sich nicht folgern, daß der Kläger für den Beruf des Lehrers persönlich ungeeignet sei. Die Tätigkeit als Parteisekretär liege so lange zurück, daß aus ihr keine besondere Identifikation mit dem SED-Staat im Zeitpunkt der Wende geschlossen werden könne. Die Betätigung als Propagandist an der Schule sei so unbedeutend, daß sie nicht ins Gewicht falle. Als Propagandist sei der Kläger nur für die Organisation des Parteilehrjahres, nicht aber für die inhaltliche Gestaltung verantwortlich gewesen. Die Aufgaben des Direktors seien auf Verwaltungsaufgaben und Dienstaufsicht beschränkt gewesen. Die Tätigkeiten als stellvertretender Direktor und Direktor hätten keine besondere Identifikation mit dem SED-Staat erfordert. Da der Kläger über 25 Jahre an derselben kleinen Schule geblieben sei, sei der berufliche Aufstieg des Klägers zum Direktor nicht außergewöhnlich und deute nicht auf eine Parteikarriere hin.

B. Diese Ausführungen halten jedenfalls im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

1. Nach Abs. 4 Ziff. 1 EV ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder persönlicher Eignung den Anforderungen nicht entspricht. Die mangelnde persönliche Eignung im Sinne dieser Bestimmung ist eine der Person des Arbeitnehmers anhaftende Eigenschaft, die sich auch aus der bisherigen Lebensführung herausgebildet haben kann. Die persönliche Eignung eines Angestellten des öffentlichen Dienstes erfordert, daß er sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen muß. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition (vgl. BVerfGE 2, 1 – Leitsatz 2 –).

Die hiernach zu stellenden Anforderungen haben sich an den Aufgaben des Angestellten auszurichten. Ein Lehrer muß den ihm anvertrauten Schülern glaubwürdig die Grundwerte des Grundgesetzes vermitteln. Er muß insbesondere die Gewähr dafür bieten, daß er in Krisenzeiten und ernsthaften Konfliktsituationen zu den Grundwerten der Verfassung steht (BVerfG Beschluß vom 22. Mai 1975 – 2 BvL 13/73 – BVerfGE 39, 334 = AP Nr. 2 zu Art. 33 Abs. 5 GG; BAG Urteil vom 18. März 1993 – 8 AZR 356/92BAGE 72, 361, 364 f. = AP Nr. 12 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, zu B III 1, 2 der Gründe).

Der Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV liegt zugrunde, daß Arbeitnehmer von einem früheren Arbeitgeber eingestellt worden sind, mit denen der jetzige Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag nicht geschlossen hätte, wenn er an ihrer persönlichen Eignung berechtigte Zweifel gehabt hätte. Abs. 4 Ziff. 1 EV erlaubt daher – auch – eine Prüfung, ob der früher eingestellte Arbeitnehmer für die jetzige Tätigkeit persönlich geeignet ist, ohne daß bereits Vertragsverletzungen und damit konkrete Störungen des Arbeitsverhältnisses eingetreten sein müßten. Die Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV zwingt den öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber im übergeordneten staatlichen Interesse nicht, gleichsam die rechtsstaatliche Einstellung eines Arbeitnehmers in jedem Falle zunächst zu erproben (BAG Urteil vom 18. März 1993, a.a.O.). Ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum hinsichtlich der gesetzlichen Voraussetzungen des Abs. 4 EV ist damit nicht verbunden. Es gelten nicht die Grundsätze für Einstellungen in den öffentlichen Dienst, sondern die für Kündigungen (vgl. zum Beurteilungsspielraum BAG Urteil vom 6. Juni 1984 – 7 AZR 456/82 – AP Nr. 11 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu II 2 a aa der Gründe; BAG Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 169/92BAGE 72, 176, 182 = AP Nr. 3 zu Art. 13 Einigungsvertrag, zu III der Gründe; BVerwG Urteil vom 27. November 1980 – 2 C 38.79 – AP Nr. 10 zu Art. 33 Abs. 2 GG, betr. die Zulassung zum Vorbereitungsdienst für das Lehramt an Volksschulen; BVerwG Urteil vom 28. November 1980 – 2 C 24.78 – AP Nr. 12 zu Art. 33 Abs. 2 GG. betr. die Entlassung eines Beamten auf Probe), denn durch eine auf Abs. 4 Ziff. 1 EV gestützte Kündigung wird in besonderer Weise in das Grundrecht der Berufsfreiheit des einzelnen Beschäftigten eingegriffen. Ein Beurteilungsspielraum kann sich, nur im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallprüfung auf eine Abwägung besonders belastender Umstände bei der Identifikation mit den Staats- und Parteizielen in der ehemaligen DDR gegenüber spezifisch entlastenden Tatsachen zur persönlichen Eignung des Arbeitnehmers beziehen. Darum geht es im Streitfalle jedoch nicht.

Ein Lehrer ist nicht schon deshalb ungeeignet, weil er nach den früheren gesetzlichen Bestimmungen bei der Verwirklichung der Staatsziele der DDR mitzuwirken hatte. Eine mangelnde persönliche Eignung ist aber indiziert, wenn er sich in der Vergangenheit in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifiziert hat. Dies ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer nicht nur kurzfristig Funktionen wahrgenommen hat, aufgrund derer er in hervorgehobener Position oder überwiegend an der ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitzuwirken hatte. Der kündigende Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes hat die vom Arbeitnehmer wahrgenommene Funktion einschließlich ihrer Grundlagen und ihrer Bedeutung in der Verfassungswirklichkeit der DDR darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Der Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, die Annahme der besonderen Identifikation durch substantiierten Sachvortrag zu entkräften. Dabei können neben den Umständen der früheren Tätigkeit auch sonstige die Eignung des Arbeitnehmers begründende Tatsachen berücksichtigt werden. Liegt ein dahingehender schlüssiger und nachprüfbarer substantiierter Vortrag vor, hat der Arbeitgeber darzutun, daß die behaupteten erheblichen, nachprüfbaren Tatsachen nicht vorliegen oder daß trotz dieser Umstände aus weiteren Tatsachen auf eine Ungeeignetheit zu schließen ist.

2. Bei Anwendung dieser Grundsätze ist eine mangelnde persönliche Eignung des Klägers nach Abs. 4 Ziff. 1 EV nicht anzunehmen.

a) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht aus der Tätigkeit des Klägers als ehrenamtlicher Parteisekretär in den Jahren 1968 bis 1972 keine Zweifel an der persönlichen Eignung des Klägers als Lehrer angenommen. Zwar hat der Senat in ständiger Rechtsprechung eine besondere Identifikation mit dem SED-Staat als indiziert angesehen, wenn ein Lehrer wiederholt in dieses Parteiamt gewählt wurde (vgl. Urteil des Senats vom 28. April 1994 – 8 AZR 57/93 –, NJ 1994, 483, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt, zu B II 2 e der Gründe, m.w.N.; ebenso Urteil des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 13. Oktober 1994 – 2 AZR 201/93 –, zur Veröffentlichung bestimmt). Eine solche Indizwirkung kann aber nicht mehr angenommen werden, wenn die ausgeübte Funktion schon 20 Jahre zurückliegt.

b) Auch die Tätigkeit des Klägers als stellvertretender Direktor (1973 bis 1976) und als Direktor (1976 bis 1992) begründet keine Zweifel an der Eignung des Klägers für den Lehrerberuf. Wie der Senat im Urteil vom 20. Januar 1994 (– 8 AZR 24/93 –, n.v., zu B III 2 c bb der Gründe) ausgeführt hat, war das staatliche Amt des Schuldirektors in der ehemaligen DDR zwar nicht nur für den organisatorischen Ablauf des Schulgeschehens zuständig, sondern parteinah ausgerichtet. Der Schulleiter hatte aber nicht – wie der Parteisekretär – überwiegend an der ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitzuwirken. Deshalb indiziert die bloße langjährige Ausübung des Direktorenamtes oder des Amtes als stellvertretender Direktor nicht eine besondere Identifikation mit dem SED-Staat.

Die Annahme, ein Schuldirektor oder stellvertretender Direktor habe sich in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifiziert, bedarf zusätzlicher Umstände. Es ist Sache des öffentlichen Arbeitgebers, solche Umstände, etwa zum Werdegang oder zur Tätigkeit im Einzelfall vorzutragen. Der bloße Hinweis auf die Funktion des Schulleiters genügt nicht (vgl. Urteil des Senats vom 28. April 1994 – 8 AZR 710/92 – n.v., zu B II 2 b der Gründe).

c) Auch an der Tätigkeit des Klägers als Propagandist in der Zeit von 1975 bis 1989 ist der Kündigungsgrund mangelnder persönlicher Eignung des Klägers für den Lehrerberuf nicht herzuleiten. Ob die langjährige Ausübung des Amtes eines Propagandisten eine besondere Identifikation mit dem SED-Staat indiziert, kann der Senat im Streitfalle dahingestellt bleiben lassen.

Das Landesarbeitsgericht hat eine Indizwirkung im vorgenannten Sinne deshalb verneint, weil der Propagandist lediglich für die Organisation des SED-Parteilehrjahres zuständig gewesen sei, nicht aber für dessen inhaltliche Gestaltung. Dabei ist das Landesarbeitsgericht der vom Kläger vorgetragenen Beschreibung dieses Amtes gefolgt. Den entgegenstehenden Vortrag des Beklagten über die ideologischen Aufgaben des Propagandisten mit einem Zitat aus einem politischen Wörterbuch der SED hat das Landesarbeitsgericht als zu allgemein angesehen und die fehlende Beschreibung der konkreten Betätigungen des Propagandisten gerügt.

Allerdings ist zwischen den Parteien unstreitig, daß der Propagandist nicht nur das Parteilehrjahr zu organisieren, sondern auch über dessen Verlauf an die Kreisleitung der SED zu berichten hatte.

Letztlich kann der Senat es offen lassen, ob der Beklagte seiner Verpflichtung, die Grundlagen und die Bedeutung der Funktion des Propagandisten darzulegen, ausreichend nachgekommen ist und ob die langjährige Ausübung dieses Amtes eine besondere Identifikation mit dem SED-Staat indiziert. Der Kläger hat jedenfalls eine mögliche Indizwirkung durch substantiierten Entlastungsvortrag entkräftet. So ist es beachtlich, daß der Kläger sich als Propagandist im wesentlichen auf die Organisation beschränkte, keinen Einfluß auf die Inhalte der Kurzreferate ausübte, die Kurzreferate nicht zur Diskussion stellte und schließlich „nichtssagende Alibiberichte” für die SED-Kreisleitung verfaßte. Neben dieser liberalen Amtsführung als Propagandist entlastet den Kläger vor allem aber auch, daß er mit Billigung des Beklagten das Amt des Schulleiters bis 31. Juli 1992 ausübte und nach dem „Dankschreiben” des Oberschulamtes vom 15. Juni 1992 offenbar aktiv am Demokratisierungsvorgang an der Schule mitwirkte.

C. Der Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

 

Unterschriften

Ascheid, Dr. Wittek, Müller-Glöge, Schömburg, Hannig

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1083560

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