Entscheidungsstichwort (Thema)
Verspätete Urteilsabsetzung
Normenkette
ZPO § 551 Nr. 7
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 8. Juni 1995 – 4 Sa 1719/94 – aufgehoben.
2. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die tarifgerechte Eingruppierung des Klägers, insbesondere darüber, ob der Kläger ab 1. Oktober 1992 nach VergGr. IV a BAT zu vergüten ist.
Der am 27. Juli 1940 geborene Kläger hat am 8. Juli 1968 vor der Handwerkskammer Münster erfolgreich die Meisterprüfung im Elektroinstallateur-Handwerk abgelegt. Er ist am 20. April 1965 in die Dienste der Rechtsvorgängerin der Beklagten eingetreten. Gemäß § 1 des zuletzt geschlossenen Arbeitsvertrages vom 3. Dezember 1984 ist er ab 1. Januar 1984 „auf unbestimmte Zeit als technischer Angestellter unter Eingruppierung in die VergGr. IV b BAT, Fallgruppe 1 a weiterbeschäftigt” worden. Der Kläger, der seit dem 29. Mai 1987 anerkannter Schwerbehinderter mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 50 % ist, war seit dem 8. Juli 1992 durchgehend arbeitsunfähig krank und ist am 5. Januar 1994 mit Erhalt der Erwerbsunfähigkeitsrente aus den Diensten der Beklagten ausgeschieden, nachdem diese mit Schreiben vom 14. Dezember 1993 nach § 105 a Abs. 1 AFG auf die Verfügungsgewalt über den Kläger verzichtet hatte.
Der Kläger ist Mitglied der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV). Die Beklagte ist Mitglied im Kommunalen Arbeitgeberverband Nordrhein-Westfalen (KAV NW). Nach § 2 des Arbeitsvertrages vom 3. Dezember 1984 bestimmt sich das Arbeitsverhältnis nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) vom 23. Februar 1961 und den diesen ergänzenden oder ändernden Tarifverträgen.
Der Kläger erhielt zuletzt Vergütung nach VergGr. IV b BAT/VKA.
Der Kläger will wiederholt Vergütung nach VergGr. IV a BAT geltend gemacht haben. Mit seiner Klage hat er sein Ziel weiterverfolgt, ab 1. Oktober 1992 nach VergGr. IV a BAT/VKA vergütet zu werden.
Die Parteien streiten im wesentlichen darüber, ob die Tätigkeit des Klägers als Sachbearbeiter für Straßenbeleuchtung die Voraussetzungen der Fallgruppe 5 der VergGr. IV a der Vergütungsgruppen für Angestellte im Versorgungsbetrieben des 7. Tarifvertrages zur Änderung der Anlage 1 a zum BAT vom 25. April 1991 erfüllt: Er sei im Wege des Bewährungsaufstiegs aus der … VergGr. IV b Fallgruppe 2 in die VergGr. IV a Fallgruppe 5 aufgestiegen.
Der Kläger hat zuletzt beantragt
festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger ab dem 1. Oktober 1992 aus VergGr. IV a BAT zu vergüten.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, der Klage fehle bereits das Rechtsschutzinteresse. Der Kläger sei seit dem 8. Juli 1992 erkrankt gewesen und habe Gehaltsfortzahlung bis zum 5. Januar 1993 erhalten. Anschließend habe der Kläger Leistungen der gesetzlichen Krankenkasse bezogen. Selbst im Obsiegensfalle werde der Kläger von der Beklagten keine Gehaltsnachzahlungen erhalten, da seine Gehaltsfortzahlung am 5. Januar 1993 geendet habe. Auch die Leistungen der Krankenkasse würden sich nicht erhöhen, da dies voraussetzen würde, daß das erhöhte Gehalt vor Eintritt des Zahlungsfalles bereits ein Jahr lang gewährt worden sei. Auch dieses Ziel könne der Kläger nicht erreichen. Da das Klagebegehren keinerlei materielle Auswirkungen habe, stelle es sich als Ersuchen um Erstellung eines Rechtsgutachtens dar, was unzulässig sei.
Im übrigen sei die Klage auch nicht begründet. Der Kläger übe eine technische Tätigkeit aus. Es seien daher die Merkmale für Techniker heranzuziehen. Der Kläger würde an dem Bewährungsaufstieg nur dann teilnehmen, wenn er tarifgerecht in die VergGr. IV b Fallgruppe 2 eingestuft sei. Das sei indes nicht der Fall. In VergGr. IV b Fallgruppe 2 seien technische Angestellte mit technischer Ausbildung nach Nr. 2 der Bemerkung zu allen Vergütungsgruppen – das sei der Dipl.-Ing. FH – mit Tätigkeiten der VergGr. V b Fallgruppe 2 nach sechsmonatiger Berufsausübung eingruppiert. Die entsprechenden Tätigkeiten seien in der Protokollerklärung Nr. 11 genannt. Es handele sich hierbei um die Regeltätigkeit von Ingenieuren. Der Kläger habe aber nur Technikertätigkeiten ausgeübt, die allenfalls nach VergGr. V b BAT zu bewerten seien. Der Kläger habe nicht schlüssig dargelegt, daß die in der Arbeitsplatzbeschreibung aufgeführten Aufgaben ingenieurmäßigen Zuschnitt hätten. Es fehle auch an den subjektiven Voraussetzungen. Der Kläger sei Elektromeister, nicht Ingenieur. Er verfüge auch nicht über gleichwertige Fähigkeiten und Erfahrungen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers mit seinem am 8. Juni 1995 verkündeten, am 12./13. Dezember 1995 zugestellten Urteil zurückgewiesen. Nach dem vom Regierungssekretär z.A. R. als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle unter „Beglaubigt” unterschriebenen Vermerk ist die Entscheidung mit Tatbestand und Entscheidungsgründen sowie Unterschrift des Vorsitzenden und der Beisitzer am 8. Dezember 1995 zur Geschäftsstelle gelangt. Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 551 Nr. 7 ZPO. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht.
Der Rechtsstreit ist ohne Prüfung der Sachentscheidung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen, da er nach den Rechtsgrundsätzen der Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 27. April 1993 (– GmS-OGB 1/92 – AP Nr. 21 zu § 551 ZPO) an einem erheblichen Verfahrensmangel leidet.
1. Die Revision ist nach §§ 550, 551 Nr. 7 ZPO begründet, weil das angefochtene Urteil wegen verspäteter Absetzung als nicht mit Gründen versehen zu betrachten ist. Das Urteil ist am 8. Juni 1995 verkündet worden, erst am 8. Dezember 1995 mit allen Unterschriften versehen zur Geschäftsstelle gelangt und den Parteien am 12./13. Dezember 1995 zugestellt worden. Daraus folgt, daß das angefochtene Urteil nicht innerhalb von fünf Monaten nach seiner Verkündung mit Tatbestand und Entscheidungsgründen von allen Richtern unterschrieben zur Geschäftsstelle des Landesarbeitsgerichts gelangt ist. Ein solches Urteil gilt nach dem Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 27. April 1993 als nicht mit Gründen versehen. Es ist, wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden sind, deswegen entsprechend den einschlägigen Prozeßordnungen – hier: §§ 550, 551 Nr. 7 ZPO – auf eine Rüge der unterlegenen Partei ohne weiteres aufzuheben. Dieser Rechtsprechung hat sich nicht nur der Vierte Senat mit der Entscheidung vom 4. August 1993 (– 4 AZR 501/92 – BAGE 74, 44 = AP Nr. 22 zu § 551 ZPO) und entgegen der Auffassung des Beklagten auch mit Urteil vom 23. November 1994 (– 4 AZR 743/93 – AP Nr. 12 zu § 9 ArbGG 1979) angeschlossen. Ferner haben sich angeschlossen der Zweite Senat mit Urteilen vom 7. Oktober 1993 (– 2 AZR 293/93 – n.v.) und vom 15. November 1995 (– 2 AZR 1036/94 – AP Nr. 34 zu § 551 ZPO), der Zehnte Senat mit Urteil vom 24. November 1993 (– 10 AZR 371/93 –) und der Achte Senat mit Urteil vom 16. Dezember 1993 (– 8 AZR 114/93 –), beide nicht veröffentlicht, sowie der Neunte Senat mit Urteil vom 8. Februar 1994 (– 9 AZR 591/93 – BAGE 75, 355 = AP Nr. 23 zu § 72 ArbGG 1979).
2. Die Rüge des Klägers ist auch rechtzeitig gemäß § 554 Abs. 3 Nr. 3 b ZPO innerhalb der bis zum 11. März 1996 laufenden Revisionsbegründungsfrist mit Schriftsatz vom 8. März 1996 erhoben worden (vgl. insoweit Urteil des Senats vom 12. Januar 1994 – 4 AZR 133/93 – AP Nr. 27 zu § 551 ZPO = AP Nr. 22 zu § 1 TVG Tarifverträge: Rundfunk).
Unterschriften
Schaub, Bott, Friedrich, Fieberg, Winterholler
Fundstellen