Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifgeltung im Beitrittsgebiet
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 17. Juni 1997 – 11 Sa 59/97 – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin ab dem 1. Januar 1996 die Bestimmungen des BAT oder des BAT-O Anwendung finden.
Die Klägerin war seit dem 16. Juli 1990 bei dem VEB Kombinat Berliner Verkehrsbetriebe und später bei der Beklagten als dessen Rechtsnachfolgerin als Sekretärin im ehemaligen Ostberlin beschäftigt. Sie unterzeichnete am 30. Dezember 1991 einen Arbeitsvertrag mit den Berliner Verkehrsbetriebe (BVB), Eigenbetrieb von Berlin, wonach sie ab dem 1. Januar 1991 als Vollzeitbeschäftigte auf unbestimmte Zeit weiterbeschäftigt und die Anwendbarkeit des BAT-O vereinbart wurde. Seit dem 1. Februar 1992 war sie als Verwaltungsangestellte im ehemaligen Westberlin beschäftigt. Seit diesem Zeitpunkt wurde ihr Arbeitsverhältnis nach den Bestimmungen des BAT behandelt. Am 29. Dezember 1992 unterzeichnete die Klägerin einen Arbeitsvertrag mit den Berliner Verkehrs-Betriebe (BVG), Eigenbetrieb von Berlin, in dem es u.a. heißt:
“Die von der Angestellten auszuübende Tätigkeit ist eine dauerhafte bzw. auf nicht absehbare Zeit bestehende Beschäftigung im Westteil Berlins.
Auf das Arbeitsverhältnis ist das im Westteil Berlins gültige Tarifrecht anzuwenden.
Mit Wirkung vom 1. Februar 1992 sind für das Arbeitsverhältnis maßgebend:
a) Der Bundes-Angestelltentarifvertrag (Bund, Länder, Gemeinden) – BAT – unter Berücksichtigung der jeweils in Frage kommenden Sonderregelungen mit allen künftigen Änderungen und Ergänzungen,
b) die mit dem Land Berlin bzw. dem Arbeitgeberverband, dem das Land Berlin angehört, bisher vereinbarten, noch geltenden und künftig abzuschließenden Tarifverträge über Arbeitsbedingungen der Angestellten, insbesondere die Vergütungstarifverträge,
c) die jeweils für den Betrieb geltenden Dienstvorschriften.
Die Übertragung einer anderen als dieser Tätigkeit liegt im Ermessen der BVG.”
Seit dem 1. Januar 1995 ist die Klägerin wieder im ehemaligen Ostberlin tätig. Sie wurde aufgrund ihrer Bewerbung mit Wirkung zum 1. August 1995 als Sachbearbeiterin zum Omnibusbetriebshof I…-Straße, ebenfalls in Ostberlin gelegen, versetzt, wobei ihr die Tätigkeit einer Sachbearbeiterin der VergGr. Vc BAT übertragen wurde. Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 22. Juli 1996 der Klägerin mit, daß ihr nach Rückkehr in das östliche Tarifgebiet nur noch Leistungen nach “Ost-Tarifrecht” zuständen. Die Rückforderung der zuviel gezahlten Bezüge für die Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Juli 1996 werde gesondert geltend gemacht. Dem widersprach die Klägerin.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, auf ihr Arbeitsverhältnis seien auch nach Rückkehr in das östliche Tarifgebiet die Bestimmungen des BAT anzuwenden, da dessen Geltung im Arbeitsvertrag vom 29. Dezember 1992 vereinbart worden sei.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß auf das Arbeitsverhältnis der Parteien auch über den 31. Dezember 1995 hinaus der BAT (West) sowie die diesen Tarifvertrag ergänzenden und ändernden Tarifverträge in der jeweils geltenden Fassung Anwendung finden.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, nach dem Senatsurteil vom 26. Oktober 1995 (– 6 AZR 125/95 – BAGE 81, 207) richte sich das Arbeitsverhältnis der Klägerin nach deren Rückkehr in das östliche Tarifgebiet wieder nach den Bestimmungen des BAT-O. Dem stehe der Arbeitsvertrag vom 29. Dezember 1992 nicht entgegen. Durch ihn sei nicht die übertarifliche Geltung des BAT vereinbart worden; vielmehr sei dadurch nur die tarifliche Rechtslage wiedergegeben worden, aufgrund derer die Klägerin während ihres Einsatzes im ehemaligen Westberlin Leistungen nach dem BAT habe beanspruchen können. Überdies sei die Beklagte nach der Nachweisrichtlinie und dem Nachweisgesetz verpflichtet gewesen, die wesentlichen Arbeitsbedingungen schriftlich niederzulegen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die Klage unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils als unbegründet abgewiesen.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden ab dem 1. Januar 1996 weder tarifvertraglich noch aufgrund des Arbeitsvertrages vom 29. Dezember 1992 die Bestimmungen des BAT Anwendung; vielmehr gelten ab diesem Zeitpunkt die Vorschriften des BAT-O.
1. Nach § 1 Abs. 1 Buchst. b BAT-O gilt dieser Tarifvertrag für Arbeitnehmer der Länder, die in einer der Rentenversicherung der Angestellten unterliegenden Beschäftigung tätig sind (Angestellte) und deren Arbeitsverhältnisse in dem in Art. 3 des Einigungsvertrages (fortan: EV) genannten Gebiet begründet sind.
a) Die Klägerin übt unstreitig eine der Rentenversicherung der Angestellten unterliegende Beschäftigung bei der Beklagten, einem Eigenbetrieb des Landes Berlin, aus.
b) Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ist auch in dem in Art. 3 EV genannten Gebiet begründet.
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist ein Arbeitsverhältnis in dem in Art. 3 EV genannten Gebiet begründet, wenn dort der Grund der Entstehung des Arbeitsverhältnisses liegt und der Bezug zum Beitrittsgebiet gegenwärtig noch besteht. Wird ein Arbeitnehmer für eine Tätigkeit im Beitrittsgebiet eingestellt und wird er auf unbestimmte Zeit dort beschäftigt, sind diese Voraussetzungen gegeben (BAG 24. Februar 1994 – 6 AZR 588/93 – BAGE 76, 57; 6. Oktober 1994 – 6 AZR 324/94 – BAGE 78, 108). Für den gegenwärtigen Bezug zum Beitrittsgebiet ist grundsätzlich die Lage des Arbeitsplatzes entscheidend (BAG 24. Februar 1994 – 6 AZR 588/93 – BAGE 76, 57, 61; 6. Oktober 1994 – 6 AZR 324/94 – BAGE 78, 108, 112; 23. Februar 1995 – 6 AZR 614/94 – BAGE 79, 215, 217; 20. März 1997 – 6 AZR 10/96 – BAGE 85, 322, 327 f.; 25. Juni 1998 – 6 AZR 515/97 – AP TV Arb Bundespost § 1 Nr. 2 = EzA BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 76, zu II 1a der Gründe und – 6 AZR 475/96 – AP TV Arb Bundespost § 1 Nr. 1 = EzA TVG § 4 Geltungsbereich Nr. 12 zu II 2b bb der Gründe). Wird ein Arbeitnehmer, der für eine Tätigkeit im Beitrittsgebiet eingestellt wurde, vorübergehend auf nicht absehbare Zeit im Geltungsbereich des BAT beschäftigt, findet für die Dauer dieser Tätigkeit der BAT Anwendung. Nach Rückkehr auf einen Arbeitsplatz im Beitrittsgebiet unterfällt das Arbeitsverhältnis wieder dem BAT-O (BAG 6. Oktober 1994 – 6 AZR 324/94 – BAGE 78, 108; 23. Februar 1995 – 6 AZR 667/94 – BAGE 79, 224; 21. September 1995 – 6 AZR 151/95 – AP BAT-O § 1 Nr. 6, zu III 2 der Gründe; 26. Oktober 1995 – 6 AZR 125/95 – BAGE 81, 207, 209; 20. März 1997 – 6 AZR 10/96 – BAGE 85, 322, 329; 25. Juni 1998 – 6 AZR 515/97 – aaO, zu II 1c der Gründe).
bb) Der Grund für die Entstehung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin lag im Beitrittsgebiet. Es bestand bereits seit dem 16. Juli 1990 in der ehemaligen DDR bei dem VEB Kombinat Berliner Verkehrsbetriebe und wurde nach Herstellung der Einheit Deutschlands von der Beklagten als Rechtsnachfolgerin fortgeführt. Der Bezug zum Beitrittsgebiet besteht auch gegenwärtig fort, da sich der Arbeitsplatz der Klägerin seit dem 1. Januar 1995 wieder im ehemaligen Ostberlin befindet. Seit diesem Zeitpunkt richtet sich das Arbeitsverhältnis deshalb wieder nach den Regelungen des BAT-O. Lediglich während des Einsatzes im ehemaligen West-Berlin vom 1. Februar 1992 bis zum 31. Dezember 1995 fanden die Vorschriften des BAT auf das Arbeitsverhältnis Anwendung.
2. Im Arbeitsvertrag vom 29. Dezember 1992 haben die Parteien keine davon abweichende, für die Klägerin günstigere Regelung dahingehend getroffen, daß der BAT auch nach einer möglichen Rückkehr auf einen Arbeitsplatz im Beitrittsgebiet gelten sollte.
a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, durch diesen Vertrag sei nicht die Anwendung des BAT vereinbart worden; vielmehr ergebe sich aus dem von der Beklagten vorformulierten Vertragstext, daß dadurch lediglich die Konsequenzen aus dem sog. Posturteil des erkennenden Senats vom 30. Juli 1992 (– 6 AZR 11/92 –) hätten gezogen werden sollen. Die Beklagte habe nur schriftlich bestätigen wollen, was sie geglaubt habe, tarifvertraglich zu schulden. Dies sei damals wegen des dauerhaften bzw. zeitlich nicht absehbaren Einsatzes der Klägerin im Westteil Berlins die Anwendung des BAT gewesen. Eine Verpflichtung, der Klägerin nach einem Arbeitsplatzwechsel in den Ostteil der Stadt weiterhin Leistungen nach den Bestimmungen des BAT zu gewähren, ergebe sich daraus nicht. Anhaltspunkte dafür, daß sich die Beklagte habe verpflichten wollen, die Klägerin ausschließlich im ehemaligen West-Berlin zu beschäftigen, seien weder der Vertragsurkunde zu entnehmen noch habe die Klägerin Begleitumstände bei Vertragsabschluß vorgetragen, die einen solchen Schluß zuließen.
b) Diese Auslegung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Zwar haben die Parteien im Arbeitsvertrag vom 29. Dezember 1992 vereinbart, daß auf das Arbeitsverhältnis “das im Westteil Berlins gültige Tarifrecht anzuwenden ist” und daß mit Wirkung vom 1. Februar 1992 der BAT maßgebend sein sollte. Diese Vereinbarung ist jedoch im Zusammenhang mit der im Arbeitsvertrag zum Ausdruck gekommenen Absicht zu verstehen, die Klägerin dauerhaft bzw. auf nicht absehbare Zeit im ehemaligen Westberlin einzusetzen. Die Vereinbarung gab somit nur die damalige tarifliche Rechtslage wieder. Daraus konnte auch aus Sicht der Klägerin nicht geschlossen werden, daß im – arbeitsvertraglich nicht ausdrücklich geregelten – Fall ihrer Rückkehr auf einen Arbeitsplatz im Beitrittsgebiet die Bestimmungen des BAT übertariflich weiterhin angewandt werden sollten. Einer solchen Annahme steht entgegen, daß der öffentliche Arbeitgeber im Zweifel nur die Leistungen gewähren will, zu denen er tariflich verpflichtet ist. Die arbeitsvertragliche Verweisung auf den Geltungsbereich eines Tarifvertrags hat im öffentlichen Dienst grundsätzlich nur den Sinn, daß der Arbeitsvertrag das beinhalten soll, was nach den allgemeinen Grundsätzen des Tarifrechts für tarifgebundene Arbeitnehmer gilt (st. Rspr., vgl. BAG 21. Oktober 1992 – 4 AZR 156/92 – AP BAT § 23 a Nr. 27, zu I 3b der Gründe; 1. Juni 1995 – 6 AZR 922/94 – BAGE 80, 152, 155 und 26. März 1998 – 6 AZR 550/96 – AP BAT-O § 1 Nr. 9, zu B I der Gründe). Deshalb wären für die Annahme, daß sich die Beklagte durch den Arbeitsvertrag vom Dezember 1992 zur Gewährung übertariflicher Leistungen an die Klägerin verpflichten wollte, besondere Anhaltspunkte erforderlich. Solche liegen, wie das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei ausgeführt hat nicht vor.
Ohne Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht auch angenommen, daß sich die Beklagte durch den Arbeitsvertrag vom Dezember 1992 nicht verpflichtet hat, die Klägerin künftig nur noch im ehemaligen Westberlin zu beschäftigen. Eine solche Verpflichtung läßt sich aus dem Wortlaut des Vertrags nicht entnehmen. Dieser spricht nur davon, daß die von der Klägerin auszuübende Tätigkeit eine “dauerhafte bzw. auf nicht absehbare Zeit bestehende Beschäftigung im Westteil Berlins” ist, nicht jedoch von einem ausschließlich dort stattfindenden Einsatz. Außerdem haben die Parteien vereinbart, daß “die Übertragung einer anderen als dieser Tätigkeit”, d.h. der dauerhaften bzw. auf nicht absehbare Zeit bestehenden Beschäftigung im Westteil Berlins, im Ermessen der Beklagten liege. Die Parteien sind somit bereits bei Vertragsschluß davon ausgegangen, daß in nicht absehbarer Zeit eine Rückkehr der Klägerin auf einen Arbeitsplatz im ehemaligen Ostberlin in Betracht kommen konnte.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Armbrüster, Gräfl, Böck, Klabunde, Stahlheber
Fundstellen