Entscheidungsstichwort (Thema)
Entgeltfortzahlung. unregelmäßige Samstagsarbeit
Orientierungssatz
Nach § 13 RTV besteht ein Entgeltfortzahlungsanspruch bei Arbeitsunfähikgeit nur für solche Tage, an denen der Arbeitnehmer – wäre er nicht arbeitsunfähig gewesen – zur Arbeitsleistung verpflichtet gewesen wäre.
Normenkette
EFZG §§ 3-4; RTV 1992 § 13
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 31. Januar 2003 – 6 Sa 64/02 – aufgehoben.
2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 11. Juni 2002 – 3 Ca 304/01 – abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Der Kläger ist seit 1977 bei der Beklagten als Hafenarbeiter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge für die Hafenarbeiter der deutschen Seehafenbetriebe Anwendung.
Der Kläger arbeitete bis Ende April 1997 in einem sog. Schichtlohnmodell. Nach diesem Lohnzahlungssystem erhielt der Kläger sein Arbeitsentgelt für tatsächlich von ihm im Rahmen der 40-Stunden-Woche geleistete Schichten. Seit 1. Mai 1997 führt die Beklagte für ihre Arbeitnehmer ein Arbeitszeitkonto. Unter Zugrundelegung einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden erhält der Kläger nunmehr einen verstetigten Monatslohn. Rechtsgrundlage hierfür sind die tariflich vereinbarten Sonderbestimmungen über die Einführung eines Arbeitszeitkontos für Hafenarbeiter im Hamburger Hafen vom 13. November 1997, gültig ab 1. Mai 1997. Dort ist Folgendes bestimmt:
„Präambel
In Abänderung der §§ 2 bis 5 des Rahmentarifvertrages für die Hafenarbeiter der deutschen Seehafenbetriebe, gültig ab 01.04.1992, … vereinbaren die Tarifvertragsparteien die nachfolgenden Regelungen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen der Hamburger Hafenwirtschaft und zur Sicherung von Arbeitsplätzen unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Planbarkeit von Freizeit und Arbeitszeit für die Arbeitnehmer. …
…
§ 2
Arbeitszeit
1. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit beträgt 40 Stunden. Sie kann im Wege betrieblicher Vereinbarung auf alle Wochentage verteilt werden.
2. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit wird im Volumen entsprechend § 3 RTV bis 1999 auf 35 Stunden verkürzt. Die Verkürzung wird durch die Gewährung bezahlter freier Tage durchgeführt. Ausgenommen hiervon sind 5-Tage-Betriebe, für die eine gesonderte tarifliche Regelung gilt (Vereinbarung über die Neuregelung der Arbeitszeit in 5-Tage-Betrieben).
…
§ 7
Arbeitslohn
1. Auf Grundlage der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden erhalten die Hafenarbeiter einen Monatsgrundlohn, der wie folgt zu berechnen ist:
Grundstundenlohn × 2.080: 12 = Monatsgrundlohn. Maßgeblich sind die im jeweils geltenden Lohntarifvertrag für die Hafenarbeiter der deutschen Seehafenbetriebe vereinbarten Stundenlöhne. Fehlzeiten, für die kein Lohnanspruch besteht, führen zu einer entsprechenden Kürzung des Monatslohnes.
…”
Zur Umsetzung der tarifvertraglichen Sonderbestimmungen über die Einführung eines Arbeitszeitkontos gilt bei der Beklagten seit 1. Januar 2000 die am 24. Januar 2000 geschlossene Betriebsvereinbarung (BV 1.00). Dort ist Folgendes geregelt:
„…
3. Arbeitszeitkonto
Für jeden gewerblichen Mitarbeiter wird ein Arbeitszeitkonto geführt. Die regelmäßige Arbeitszeit ist innerhalb von 6 Monaten (=1040 Stunden), d. h. innerhalb eines Referenzzeitraumes, zu erreichen. Die zwei Referenzzeiträume eines Jahres ab 2000 dauern vom 1. Januar bis 30. Juni und vom 1. Juli bis 31. Dezember.
3.1 Folgende Zeiten werden in das Arbeitszeitkonto eingestellt:
- sämtliche Pflichtschichten, ohne Zuschläge (7,67/5,75 Std.)
- Tage, an denen Garantielohn zu zahlen ist (7,67/5,75 Std.)
- Urlaub (7,67 Std.) und AZV-Tage (7,67 Std/ 5,75 Std.)
- Krankentage (7,67 Std.); nur der ursprüngliche Pflichtsamstag wird mit 5,75 Std. bewertet.
…
7. Arbeitslohn
Auf Grundlage der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden erhalten die Arbeitnehmer einen Monatsgrundlohn, der wie folgt zu berechnen ist:
Grundstundenlohn × 2.080: 12 = (173,33 Std.)
= Monatsgrundlohn
Es erfolgt eine Bewertung mit der Stammlohngruppe des Mitarbeiters. Fehlzeiten, für die Anspruch auf Lohnersatzleistungen bestehen (z. B. Krankengeld), führen zu entsprechender Kürzung des Monatslohnes. Fehlzeiten, für die kein Lohnanspruch besteht, werden entsprechend behandelt.
…”
Der in der Präambel der tariflichen Sonderbestimmungen über die Einführung eines Arbeitszeitkontos angesprochene Rahmentarifvertrag für die Hafenarbeiter der deutschen Seehafenbetriebe (RTV), gültig ab 1. April 1992, bestimmt Folgendes:
„…
§ 2
Arbeitszeit
1. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit beträgt 40 Stunden. Sie wird im Jahresdurchschnitt verkürzt durch die Gewährung bezahlter freier Tage gemäß § 3.
…
6. An Sonntagen, am Karfreitag, am 2. Ostertag, am Himmelfahrtstag, am 2. Pfingsttag, am 3. Oktober, am Bußtag und am 2. Weihnachtstag wird in 4 Schichten zu je 6 Stunden mit einer bezahlten halbstündigen Pause gearbeitet.
…
§ 3
Verkürzung der Arbeitszeit durch bezahlte freie Tage
1. Die Arbeitszeit gemäß § 2 Ziff. 1 wird im Jahresdurchschnitt durch die Gewährung zusätzlicher freier Tage verkürzt, die jeweils mit dem Grundlohn der Frühschicht zu vergüten sind.
…
§ 13
Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle
1. Die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle regelt sich nach dem Lohnfortzahlungsgesetz vom 27.07.1969, sofern nicht in diesem Tarifvertrag etwas Abweichendes bestimmt ist.
2. Der Lohnfortzahlungsbetrag wird für alle Werktage und die auf einen Werktag fallenden Feiertage gezahlt.
3. Für die Berechnung des während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit fortzuzahlenden Arbeitsentgelts ist der Durchschnittsverdienst des Hafenarbeiters in dem dem Beginn der Krankheit vorangegangenen Kalenderjahr zugrunde zu legen, jedoch darf das fortzuzahlende Arbeitsentgelt den an dem betreffenden Tag in der Frühschicht zu zahlenden Lohn (Stundenlohn multipliziert mit der Zahl der Arbeitsstunden) der jeweiligen Lohngruppe nicht unterschreiten.
Bei Wechselschichtarbeitern ist mindestens das Arbeitsentgelt zu zahlen, das im Falle der Nichterkrankung nach Schichtplan zu zahlen wäre. Eine Pauschalierung dieses Mindestlohnfortzahlungsbetrages kann durch Betriebsvereinbarung mit Zustimmung der örtlichen Tarifvertragsparteien erfolgen.
Für diejenigen Schichtarbeiter, die nicht nach einem festen Schichtplan eingesetzt werden, wird zur Feststellung des durchschnittlichen Schichtlohnes aus der regelmäßigen Arbeitszeit von 40 Stunden in der Woche der letzte abgerechnete Lohnzahlungszeitraum, mindestens vier Wochen, herangezogen.
Lohnzuschläge, die auf besonderen Arbeitsplatzbedingungen beruhen, z. B. ständig gezahlte Schweißer- und Kühlzuschläge, sind bei der Mindestlohnfortzahlung mit zu berücksichtigen.
Der Durchschnittsverdienst wird dadurch ermittelt, daß der Gesamtbruttoverdienst des Arbeitnehmers als Hafenarbeiter im vorangegangenen Jahr durch die Zahl der gearbeiteten Tage geteilt wird.
…
Als gearbeitete Tage gelten neben den Tagen mit tatsächlicher Beschäftigung auch
- Tage, für die Garantielohn gezahlt wurde oder die aufgrund einer Garantielohnregelung ohne Bezahlung bleiben,
- Urlaubstage,
- Feiertage, die auf einen Werktag fallen,
- freie Tage aufgrund der Arbeitszeitverkürzung,
- Krankheitstage, für die der Lohn fortgezahlt wurde,
- Tage, an denen der Arbeiter unter Fortzahlung seiner Bezüge von der Arbeit freigestellt wurde,
…”
und pflichtwidrig versäumte Arbeitstage.
Der Kläger arbeitete zuletzt regelmäßig montags bis freitags in der Früh- oder Spätschicht 7,67 Stunden. Jeden dritten Samstag hatte der Kläger eine verkürzte Frühschicht mit 5,75 Stunden zu leisten.
In der Zeit vom 15. bis zum 24. November 2000 sowie im März 2001 war der Kläger arbeitsunfähig krank. In die Zeit der Arbeitsunfähigkeit fielen drei Samstage, an denen der Kläger nicht zur Arbeit eingeteilt war, nämlich der 18. November 2000 sowie der 24. und 31. März 2001. Für diese Samstage leistete die Beklagte entgegen einer bis zu diesem Zeitpunkt bestehenden Praxis keine Entgeltfortzahlung.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe nach § 13 Nr. 2 RTV für alle Werktage Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle zu leisten. Zu den Werktagen gehöre auch der Samstag, zumal an diesem Tag im Hafen gearbeitet werde. Die Samstage würden bei der Berechnung des Durchschnittslohns berücksichtigt. Im Hafen werde grundsätzlich auch an Sonntagen gearbeitet, wobei im Falle der Arbeitsunfähigkeit für den Sonntag keine Entgeltfortzahlung geleistet werde. Für den 18. November 2000 könne er eine Entgeltfortzahlung in Höhe von 209,42 DM, für die beiden Samstage im März 2001 jeweils 205,78 DM und damit insgesamt 620,98 DM (= 317,50 Euro) verlangen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 317,50 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. April 2001 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, § 13 Nr. 2 RTV sei nur vor dem Hintergrund des bei In-Kraft-Treten des Tarifvertrags im Jahre 1992 geltenden Lohnzahlungssystems zu verstehen. Damals habe sich die Lohnhöhe nach den tatsächlich geleisteten Tagesschichten errechnet. Die Regelung sei nicht auf die jetzigen Verhältnisse mit einem festen Monatsgrundlohn übertragbar. Hinzu komme, dass bei In-Kraft-Treten der Vorschrift im Hamburger Hafen noch regelmäßig an Samstagen gearbeitet worden sei. Demgegenüber bestehe heute nur an jedem dritten Samstag im Monat eine – auch noch verkürzte – Arbeitspflicht. Die Auffassung des Klägers führe zu einer Art Krankenprämie, da arbeitsunfähige Arbeitnehmer mehr Entgelt erhielten als arbeitsfähige Arbeitnehmer. Die in der Vergangenheit fehlerhaft erfolgte Anwendung der Tarifnorm habe auf einem Irrtum beruht.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Entgeltfortzahlungsanspruch nicht zu.
I. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage mit der Begründung stattgegeben, nach dem eindeutigen Wortlaut des § 13 Nr. 2 RTV sei die Beklagte verpflichtet, für alle Werktage und damit auch für Samstage, an denen nicht gearbeitet werde, im Falle der Arbeitsunfähigkeit Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle zu leisten. Dem folgt der Senat nicht.
II. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für die drei arbeitsfreien Samstage während der Arbeitsunfähigkeitsperioden im November 2000 und März 2001. Nach § 13 RTV besteht ein Entgeltfortzahlungsanspruch bei Arbeitsunfähigkeit nur für solche Tage, an denen der Arbeitnehmer – wäre er nicht arbeitsunfähig gewesen – zur Arbeitsleistung verpflichtet gewesen wäre.
1. Der Wortlaut des § 13 Nr. 2 RTV deutet entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht zwingend darauf hin, dass auch für arbeitsfreie Samstage Entgeltfortzahlung zu leisten ist. Zwar sind Werktage nach juristischem (vgl. § 3 Abs. 2 BUrlG) und allgemeinem Sprachgebrauch grundsätzlich auch Samstage. Soweit nach § 13 Nr. 2 RTV der Lohnfortzahlungsbetrag für alle Werktage und die auf einen Werktag fallenden Feiertage gezahlt wird, setzt dies jedoch bereits begrifflich voraus, dass der Arbeitgeber bei Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers zur Lohnzahlung an den jeweiligen Werktagen verpflichtet gewesen wäre. Diese Lohnzahlungspflicht besteht nach § 13 Nr. 2 RTV bei Arbeitsunfähigkeit fort.
2. Der Gesamtzusammenhang des § 13 RTV bestätigt, dass die tarifvertragliche Entgeltfortzahlungspflicht nur an Werktagen besteht, an denen die Arbeit infolge Arbeitsunfähigkeit ausfällt.
a) Nach § 13 Nr. 1 RTV richtet sich die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach dem Lohnfortzahlungsgesetz vom 27. Juli 1969, sofern im RTV nichts Abweichendes bestimmt ist. Damit kommen im Geltungsbereich des RTV die allgemeinen Grundsätze der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zur Anwendung, soweit nicht abweichende Regelungen getroffen sind. Ein Grundsatz der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist nach § 3 Abs. 1 EFZG, dass Entgeltfortzahlungsansprüche bei Arbeitunfähigkeit nur bestehen, wenn die Arbeitsunfähigkeit die alleinige Ursache für den Arbeitsausfall ist. Ist die Arbeitspflicht aus anderen Gründen aufgehoben, besteht kein Entgeltfortzahlungsanspruch (vgl. zum LohnFG Senat 20. März 1985 – 5 AZR 229/83 – AP LohnFG§ 1 Nr. 64 = EzA LohnFG § 1 Nr. 77; 9. Mai 1984 – 5 AZR 412/81 – BAGE 46, 1; sowie zum EFZG 22. August 2001 – 5 AZR 699/99 – BAGE 98, 375). Der Arbeitgeber hat nur dann Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu leisten, wenn der Arbeitnehmer ohne Erkrankung gearbeitet hätte (ErfK/Dörner § 3 EFZG Rn. 28; Schmitt Entgeltfortzahlungsgesetz § 3 Rn. 58).
b) Der RTV enthält keine von diesem Grundsatz abweichenden Bestimmungen. Dies verdeutlicht die Regelung in § 13 Nr. 3 Unterabs. 2 RTV. Hiernach ist bei Wechselschichtarbeitern mindestens das Arbeitentgelt zu zahlen, das im Falle der Nichterkrankung nach Schichtplan zu zahlen wäre. Dieser Regelung liegt zugrunde, dass ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nur dann besteht, wenn und soweit der Arbeitnehmer ohne Arbeitsunfähigkeit nach dem Schichtplan zu arbeiten gehabt hätte. Es ist nicht ersichtlich, dass dieses Prinzip nur für Wechselschichtarbeiter gelten soll, während für alle anderen Hafenarbeiter der Beklagten jeder Werktag, gleichviel ob eine Arbeitspflicht bestand oder nicht, im Falle der Arbeitsunfähigkeit entgeltfortzahlungspflichtig sein soll. Soweit das Landesarbeitsgericht angenommen hat, in § 13 Nr. 3 Unterabs. 2 RTV werde nur festgelegt, dass mindestens das Arbeitsentgelt zu vergüten sei, das im Falle der Nichterkrankung nach dem Schichtplan zu zahlen sei, greift dies zu kurz. Im Zusammenhang mit § 13 Nr. 1 RTV wird deutlich, dass in § 13 Nr. 3 Unterabs. 2 Satz 1 RTV zunächst das allgemeine Prinzip der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall dargestellt ist. In Satz 2 wird dann den Betriebspartnern durch eine Öffnungsklausel die Befugnis eingeräumt, mit Zustimmung der örtlichen Tarifvertragsparteien eine Pauschalierung des Mindestlohnfortzahlungsbetrags zu vereinbaren.
3. Ausgehend vom Wortlaut, dem tariflichen Gesamtzusammenhang sowie den tatsächlichen Verhältnissen zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des RTV im Jahre 1992, als im Hamburger Hafen noch regelmäßig an Samstagen gearbeitet wurde, erschließt sich der objektive Zweck des § 13 Nr. 2 RTV.
a) § 13 Nr. 2 RTV stellt zum einen klar, dass Hafenarbeiter bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit für die an Samstagen ausfallende Arbeitszeit ungeachtet der auch im Jahre 1992 bereits weitgehend üblichen Fünf-Tage-Woche Entgeltfortzahlung verlangen können.
b) Darüber hinaus wird durch § 13 Nr. 2 RTV die Gleichstellung der Entgeltfortzahlung an arbeitspflichtigen Werktagen und an auf Werktage fallenden Feiertagen erreicht. Bis zum In-Kraft-Treten des EFZG am 1. Juni 1994 richtete sich die Entgeltfortzahlung an Feiertagen nach § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung der Lohnzahlung an Feiertagen (FeiertagslohnzahlungsG in der Fassung der Änderung vom18. Dezember 1975, BGBl. I S. 3091, 3104). Hiernach hatte der Arbeitgeber den Arbeitnehmern für die Arbeitszeit, die infolge eines gesetzlichen Feiertags ausfiel, den Arbeitsverdienst zu zahlen, den Arbeitnehmer ohne den Arbeitsausfall erhalten hätten.
Gleiches galt gem. § 1 Abs. 2 FeiertagslohnzahlungsG beim Zusammentreffen von Arbeitsunfähigkeit und Arbeitsausfall wegen eines Feiertags (dazu Senat 19. April 1989– 5 AZR 248/88 – AP FeiertagslohnzahlungsG § 1 Nr. 62 = EzA FeiertagslohnzG § 1Nr. 41). Entsprechendes gilt heute gem. § 4 Abs. 2 EFZG. § 13 Nr. 2 und 3 RTV schließt die Anwendung dieses strengen Lohnausfallprinzips im Falle des Arbeitsausfalls an Feiertagen aus. Für die Berechnung des während der Zeit der Arbeitunfähigkeit fortzuzahlenden Arbeitsentgelts ist vielmehr der Durchschnittsverdienst des Hafenarbeiters in dem dem Beginn der Krankheit vorangegangenen Kalenderjahr zugrunde zu legen, wobei das fortzuzahlende Arbeitsentgelt den an dem betreffenden Tag in der Frühschicht zu zahlenden Lohn der jeweiligen Lohngruppe nicht unterschreiten darf. Damit verhindert § 13 Nr. 2 RTV eine unterschiedliche Berechnung des bei Arbeitsunfähigkeit fortzuzahlenden Entgelts an arbeitspflichtigen Werktagen und an den auf einen solchen Werktag fallenden Feiertagen. Bezüglich des Geldfaktors bei der Berechnung der Höhe des fortzuzahlenden Entgelts werden beide Tatbestände in § 13 Nr. 2 RTV gleichgestellt. Diese Gleichstellung verstößt nicht gegen die nicht tarifdispositiven Vorschriften des § 1 FeiertagslohnzahlungsG bzw. § 2 EFZG, weil der Arbeitgeber gem. § 13 Nr. 3 RTV mindestens den an dem betreffenden Tag in der Frühschicht zu zahlenden Lohn der jeweiligen Lohngruppe zu zahlen hat. Aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang sowie der Entstehungsgeschichte folgt damit, dass auch im Geltungsbereich des RTV Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nur bestehen, wenn Arbeit durch Arbeitsunfähigkeit ausfällt.
4. Dieses Auslegungsergebnis ist vernünftig, sachgerecht, zweckorientiert und praktikabel (hierzu BAG 29. August 2001 – 4 AZR 337/00 – BAGE 99, 24 mwN).
a) Durch die Berücksichtigung der in § 13 Nr. 1 RTV in Bezug genommenen allgemeinen entgeltfortzahlungsrechtlichen Grundsätze wird dem in der Präambel zu den tariflichen Sonderbestimmungen über die Einführung eines Arbeitszeitkontos für Hafenarbeiter im Hamburger Hafen vereinbarten Zweck der Einführung von Arbeitszeitkonten Rechnung getragen. Die Einführung von Arbeitszeitkonten soll der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen der Hamburger Hafenwirtschaft und der Sicherung von Arbeitsplätzen dienen. Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts führt zu dem wirtschaftlich nicht vertretbaren Ergebnis, dass ein Arbeitnehmer, der einen Kalendermonat arbeitsunfähig ist, für drei Samstage, an denen keine Arbeitspflicht besteht, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall erhält, während ein nicht arbeitsunfähiger Arbeitnehmer nur für den arbeitspflichtigen Samstag Arbeitsentgelt für die kurze Schicht von 5,75 Stunden bezieht.
b) Noch deutlicher wird die mangelnde Praktikabilität der Auffassung der Vorinstanzen bei einer Anwendung auf Teilzeitarbeitsverhältnisse. Ein Arbeitnehmer, der nur an drei Werktagen der Woche (Montag bis Mittwoch) zur Arbeitsleistung verpflichtet ist, erhielte im Falle einer mehrwöchigen Arbeitsunfähigkeit das doppelte Arbeitsentgelt, weil der Arbeitgeber nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht nur für die drei Werktage Entgeltfortzahlung zu leisten hätte, an denen der Teilzeitbeschäftigte zur Arbeitsleistung vertraglich verpflichtet ist, sondern darüber hinaus auch für die weiteren drei Werktage der Woche. Die Tarifauslegung der Vorinstanzen führt weiterhin dazu, dass ein nach § 3 Nr. 2 der tariflichen Sonderbestimmungen über die Einführung eines Arbeitszeitkontos für Hafenarbeiter im Hamburger Hafen zur Sonntagsarbeit eingeteilter Arbeitnehmer, der an diesem Sonntag arbeitsunfähig erkrankt, für diesen Sonntag keine Entgeltfortzahlung verlangen könnte, weil der Sonntag kein Werktag ist. Eine solche Lösung wäre indes mit § 3 Abs. 1 EFZG nicht vereinbar. Hiernach hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist. Unerheblich ist, ob die Arbeitsleistung an einem Werktag oder Sonn- bzw. Feiertag zu verrichten gewesen wäre.
c) Eine Auslegung des § 13 Nr. 2 RTV, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führen soll (BAG 29. August2001 – 4 AZR 337/00 – BAGE 99, 24), darf damit nicht am allgemeinen Begriff des Werktags haften, sondern muss die weiteren Tarifmerkmale sowie den tariflichen Gesamtzusammenhang einschließlich der zwingenden gesetzlichen Bestimmungen sowie die von dem Tarifvertrag erfassten Arbeitsverhältnisse berücksichtigen. Dies führt hier zu dem Auslegungsergebnis, dass mit Werktagen iSv. § 13 Nr. 2 RTV die Tage gemeint sind, an denen der arbeitsunfähige Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung verpflichtet gewesen wäre. Von einem entsprechenden Normverständnis ist auch der Neunte Senat im Urlaubsrecht zu dem vom Landesarbeitsgericht zur Stützung seiner Auslegung herangezogenen § 3 Abs. 2 BUrlG ausgegangen und hat angenommen, der Wortlaut dieser Regelung stehe einer Urlaubsgewährung an Sonn- und Feiertagen nicht entgegen. Sofern an diesen Tagen Arbeitspflicht bestehe, seien diese Tage urlaubsrechtlich wie Werktage zu behandeln (BAG 11. August 1998 – 9 AZR 499/97 –; ebenso Leinemann/Linck Urlaubsrecht § 3 BUrlG Rn. 27 sowie ErfK/Dörner § 3 BUrlG Rn. 21 f.).
5. Das Landesarbeitsgericht kann sich für seine Auslegung des § 13 Nr. 2 RTV nicht auf die Tarifgeschichte berufen. Richtig ist zwar, dass durch die tariflichen Sonderbestimmungen über die Einführung eines Arbeitszeitkontos für Hafenarbeiter im Hamburger Hafen vom 13. November 1997 ausdrücklich nur die §§ 2 bis 5 RTV geändert wurden. Doch wurde in der vorangegangenen Zusatzvereinbarung vom 21. Oktober 1997 zum RTV in § 2 Nr. 7 Folgendes vereinbart:
„§ 2
Regelungsrahmen
Die örtlichen Sonderbestimmungen und betrieblichen Regelungen im Sinne des § 1 können insbesondere folgende Regelungsgegenstände beinhalten:
…
7. Sollte sich aufgrund von Umgestaltungen der Schichtsysteme bzw. Arbeitszeiten ein Konkretisierungsbedarf in den §§ 11 und 13 RTV ergeben, so ist eine veränderte Regelung möglich.”
Durch die Einführung von Arbeitszeitkonten für Hafenarbeiter war eine Änderung dieser Bestimmung – wie dargestellt – jedoch nicht erforderlich. Soweit die Tarifvertragsparteien in § 2 Nr. 7 der Zusatzvereinbarung vom 21. Oktober 1997 einen möglichen Konkretisierungsbedarf in den §§ 11 und 13 RTV anerkennen, ist nicht deutlich, worauf sich dieser Konkretisierungsbedarf beziehen soll. Dieser kann auch die Berechnung der Forderungshöhe oder die Behandlung von Freistellungstagen betreffen. Rückschlüsse auf die Auslegung des § 13 Nr. 2 RTV lassen sich hieraus jedenfalls nicht ziehen.
6. Die subjektiven Vorstellungen der Tarifvertragsparteien, die sie auf ein Auskunftsersuchen des Arbeitsgerichts geäußert haben, sind nicht ergiebig. Soweit der Zentralverband der Deutschen Seehafenbetriebe meint, bzgl. der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bestehe in Betrieben mit Arbeitszeitkonten eine Regelungslücke, kommt darin nicht ein subjektiver Regelungswille einer Tarifvertragspartei zum Ausdruck, sondern eine nachträglich entwickelte Rechtsansicht. Entsprechendes gilt für die Stellungnahme der Gewerkschaft ver.di als Nachfolgerin der ÖTV.
7. Unerheblich ist weiterhin, dass die Beklagte und weitere Unternehmen des Hamburger Hafens in der Vergangenheit für nicht arbeitspflichtige Samstage Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall geleistet haben. Hierbei handelt es sich um eine Tarifanwendung Tarifunterworfener, aus der keine Schlüsse auf den objektiven Inhalt des Tarifvertrags gezogen werden können. Die Tarifübung der beteiligten Berufskreise ist kein selbständiges Auslegungskriterium, wenn sie mit dem Wortlaut und dem tariflichen Gesamtzusammenhang nicht vereinbar ist (vgl. BAG 12. September 1984 – 4 AZR336/82 – BAGE 46, 308).
8. Ein Anspruch des Klägers auf Entgeltfortzahlung für die arbeitsfreien Samstage ergibt sich schließlich nicht aus einer betrieblichen Übung. Eine betriebliche Übung entsteht nicht, wenn der Arbeitgeber durch sein Verhalten lediglich einer seiner Ansicht nach ohnehin bestehenden Verpflichtung nachkommen will (vgl. BAG 22. Januar 2002– 3 AZR 554/00 – AP BetrVG 1972 § 77 Betriebsvereinbarung Nr. 4 = EzA BetrVG 1972§ 77 Ruhestand Nr. 2; 16. Oktober 2002 – 4 AZR 467/01 – AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 22 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 22, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; Senat 5. November 2003– 5 AZR 108/03 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Hier sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger aus dem Verhalten der Beklagten in der Vergangenheit schließen konnte, sie wolle sich außerhalb der tarifvertraglichen Regelung zur Gewährung von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verpflichten. Der Kläger ist denn auch nicht von einem entsprechenden Willen der Beklagten ausgegangen. Er hat vielmehr angenommen, ihm stehe dieser Anspruch nach dem Tarifvertrag zu.
9. Soweit der Kläger in der Revision geltend gemacht hat, die Berücksichtigung der Werktage bei der Entgeltfortzahlung führe nicht zu höheren Krankenbezügen, weil diese Tage bei der Berechnung des Durchschnittsverdienstes im Faktor und Divisor berücksichtigt würden, ist diese Annahme unzutreffend, weil der Kläger seine Berechnung allein auf die nicht arbeitspflichtigen Samstage bezieht, ansonsten aber die höheren Zahlen der Abrechnung der Beklagten zugrunde legt.
III. Der Kläger hat gem. § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Unterschriften
Müller-Glöge, Mikosch, Linck, Dittrich, Dombrowsky
Fundstellen
Haufe-Index 1153741 |
NZA 2004, 808 |
EzA |
NJOZ 2004, 2598 |