Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifliche Überbrückungsbeihilfe einer Grenzgängerin
Leitsatz (redaktionell)
Parallelsache zu – 6 AZR 670/95 – n.v.
Normenkette
Tarifvertrag vom 31. August 1971 zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV SozSich) § 4 Ziff. 3 Buchst.b
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. Juli 1995 – 4 Sa 149/95 – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von der Beklagten eine höhere Überbrückungsbeihilfe.
Die Klägerin hat in Frankreich ihren Wohnsitz. Vom 21. Juli 1969 bis zum 30. September 1993 war sie bei den amerikanischen Stationierungsstreitkräften in Zweibrücken beschäftigt. Sie ist als Grenzgängerin von der Zahlung der deutschen Lohnsteuer befreit und hat ihr Einkommen in Frankreich zu versteuern.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung der Tarifvertrag vom 16. Dezember 1966 für die Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TVAL II) Anwendung. Seit dem 1. Oktober 1993 erhält die Klägerin von der Beklagten Überbrückungsbeihilfe nach dem Tarifvertrag vom 31. August 1971 zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV SozSich). Dieser bestimmt:
„§ 4
Überbrückungsbeihilfe
1. Überbrückungsbeihilfe wird gezahlt:
…
b) zu den Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit aus Anlaß von Arbeitslosigkeit oder beruflichen Bildungsmaßnahmen (Arbeitslosengeld/-hilfe, Unterhaltsgeld),
c) zum Krankengeld der gesetzlichen Krankenversicherung bei Arbeitsunfähigkeit infolge Erkrankung oder zum Verletztengeld der gesetzlichen Unfallversicherung bei Arbeitsunfähigkeit infolge Arbeitsunfall.
…
3. a) …
3. b) Bemessungsgrundlage der Überbrückungsbeihilfe zu den Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit (Ziffer 1b) und der gesetzlichen Kranken- oder Unfallversicherung (Ziffer 1c) ist die um die gesetzlichen Lohnabzüge verminderte Bemessungsgrundlage nach vorstehendem Absatz a). Bei der fiktiven Berechnung der Lohnsteuer und der Sozialversicherungsbeiträge ist von den für den Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Zahlung der Überbrückungsbeihilfe maßgeblichen Steuer- und Versicherungsmerkmalen – jedoch ohne Berücksichtigung von auf der Steuerkarte aufgetragenen Freibeträgen – auszugehen.
…”
In den Erläuterungen und Verfahrensrichtlinien zum TV SozSich – Neufassung 1992 – heißt es in Ziff. 2.8:
„Zu § 4 Ziffer 3
…
2.8.5 War der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Entlassung aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens von der Lohnsteuer befreit, dann sind bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage gemäß Ziffer 3b die Steuerabzüge zu berücksichtigen, die bei einem sonst vergleichbaren deutschen Arbeitnehmer mit Wohnsitz im Inland zu machen wären.”
Die Beklagte hat bei Berechnung der Bemessungsgrundlage unterstellt, die Klägerin habe in Deutschland Steuern zu zahlen.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, Bemessungsgrundlage der Überbrückungsbeihilfe sei in ihrem Fall der Lohn ohne steuerliche Abzüge. Da sie von der deutschen Lohnsteuer befreit sei, dürfe die Beklagte keine fiktiven Lohnsteuerbeträge in Abzug bringen. Die Klägerin hat von der Beklagten die Auszahlung in der Zeit vom 1. Oktober 1993 bis 30. November 1994 abgezogener fiktiver Lohnsteuern in unstreitiger Höhe verlangt und beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 8.892,24 DM netto zu zahlen, nebst 4 % Zinsen aus 5.081,28 DM seit dem 10. August 1994, aus 1.270,32 DM seit dem 1. September 1994, aus je 635,16 DM seit dem 1. Oktober 1994, 1. November 1994 und 1. Dezember 1994.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, sie habe die Bemessungsgrundlage entsprechend der Bestimmung des § 4 Ziff. 3 Buchst. b TV SozSich zutreffend errechnet. Hierbei sei eine fiktive deutsche Lohnsteuer zugrunde zu legen. Dies sähen die Erläuterungen und Verfahrensrichtlinien zum TV SozSich in Ziff. 2.8.5 ausdrücklich vor.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit ihrer Revision erstrebt die Klägerin Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte bittet, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht als unbegründet abgewiesen. Als Bemessungsgrundlage der Überbrückungsbeihilfe ist nach § 4 Ziff. 3 Buchst. b TV SozSich der fiktive Nettolohn zu ermitteln. Hierbei war von der Beklagten auch im Fall der im Ausland wohnenden und dort steuerpflichtigen Klägerin die fiktive deutsche Lohnsteuer zugrunde zu legen (§ 4 Ziff. 3 Buchst. b Satz 2 TV SozSich). Dies ergibt eine Auslegung der Tarifbestimmung.
1. Die Klägerin erhält Überbrückungsbeihilfe nach § 4 Ziff. 1 TV SozSich. Diese wird u.a. zu den Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit aus Anlaß von Arbeitslosigkeit (§ 4 Ziff. 1 Buchst. b TV SozSich) gezahlt. Sie ist also eine sogenannte „Anknüpfleistung”. Die Klägerin erhält diese Leistung, obwohl sie keine Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit, sondern eine entsprechende Leistung der französischen Arbeitsverwaltung erhält. Das folgt aus Nr. 2.6.5 der Erläuterungen und Verfahrensrichtlinien zum Tarifvertrag, die die Beklagte anwendet. Bemessungsgrundlage der Überbrückungsbeihilfe zu den Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit (§ 4 Ziff. 1 Buchst. b) ist nach § 4 Ziff. 3 Buchst. b Satz 1 TV SozSich die um die gesetzlichen Lohnabzüge verminderte Bemessungsgrundlage nach § 4 Ziff. 3 Buchst. a TV SozSich. Der tarifliche Begriff der gesetzlichen Lohnabzüge bezeichnet die Abzüge vom Lohn, die nach deutschem Recht zum Zeitpunkt der Zahlung der Überbrückungsbeihilfe vorzunehmen wären. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut, aber auch aus Sinn und Zweck der Regelung.
2. § 4 Ziff. 3 Buchst. b TV SozSich schreibt eine fiktive Berechnung der Lohnsteuer und der Sozialversicherungsbeiträge vor. Bereits diese Begriffe deuten darauf hin, daß es auf die in Deutschland zu zahlenden Abgaben ankommen soll. Bestätigt wird dies dadurch, daß weiter "von den für den Arbeitnehmer ... maßgeblichen Steuer- und Versicherungsmerkmalen - jedoch ohne Berücksichtigung von auf der Steuerkarte aufgetragenen Freibeträgen - auszugehen" ist (§ 4 Ziff. 3 Buchst. b Satz 2 TV SozSich). Die Tarifbestimmung geht somit ersichtlich vom Fall eines Anspruchsberechtigten, der der deutschen Steuerpflicht unterliegt, aus. Eine individuelle Betrachtungsweise ist nur im Rahmen des deutschen Lohnsteuerrechts zulässig. Darauf, daß die Klägerin von der deutschen Lohnsteuer befreit ist, kommt es somit für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage der Überbrückungsbeihilfe als Arbeitgeberleistung nicht an.
Dieser Tarifauslegung muß gegenüber der von der Klägerin vertretenen Auffassung auch deshalb der Vorzug gegeben werden, weil sie zu einer vernünftigen, sachgerechten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAG Urteil vom 12. September 1984 - 4 AZR 336/82 - BAGE 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung). Die Regelung erspart es dem Arbeitgeber nicht nur, für ihn möglicherweise schwer zu beschaffende und zu verstehende ausländische Besteuerungsmerkmale zu berücksichtigen. Sie dient auch der Gleichbehandlung anspruchsberechtigter Arbeitnehmer bei der Ermittlung der Höhe der Überbrückungsbeihilfe. Dadurch, daß bei allen Arbeitnehmern fiktive Lohnabzüge nach deutschem Recht vorgenommen werden, wird erreicht, daß die Überbrückungsbeihilfe zusammen mit der Leistung, an die sie anknüpft, in einem angemessenen Verhältnis zum bisherigen Bruttolohn steht. Im Hinblick auf diesen sachgerechten Zweck der Tarifregelung kann die Klägerin sich für die Bemessung der Arbeitgeberleistung "Überbrückungsbeihilfe" nicht darauf berufen, daß sie in Deutschland von der Lohnsteuer befreit war oder, wie das Landesarbeitsgericht gemeint hat, in Frankreich eine gegenüber Deutschland geringere Lohnsteuer zahlte.
Die Erläuterungen und Verfahrensrichtlinien zum TV SozSich in Ziff. 2.8.5, auf die die Beklagte ihre Entscheidung gestützt hat, stimmen deshalb mit dem Inhalt der Tarifregelung überein.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen