Entscheidungsstichwort (Thema)
Zurückbehaltungsrecht an der Arbeitsleistung
Leitsatz (amtlich)
Normenkette
BGB §§ 273, 242, 626; AFG § 141a ff.
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 20.04.1983; Aktenzeichen 2 Sa 170/82) |
ArbG Reutlingen (Urteil vom 27.09.1982; Aktenzeichen 3 Ca 463/82) |
Tenor
- Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 20. April 1983 – 2 Sa 170/82 – wird zurückgewiesen.
- Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionverfahrens.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der beklagte ist der Konkursverwalter über das Vermögen der C. C. E. KG in R… (künftig: Gemeinschuldenerin), bei der der Kläger seit 2. November 1976 als Arbeiter gegen einen Stundenlohn von zuletzt 20,20 DM brutto beschäftigt war. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Gemeinschuldnerin ausgesprochenen fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses.
Die Gemeinschuldnerin war aufgrund tariflicher Regelungen verpflichtet, am 25. des Monats 90 % Abschlag auf den voraussichtlichen Nettolohn des laufenden Monats und den restlichen Lohn am 10., in Ausnahmefällen am 12. des folgenden Monats auszuzahlen. Seit etwa Mitte des Jahres 1981 hatte sie mehrfach die Löhne verspätet ausbezahlt. Dies nahm der Betriebsrat zum Anlaß, in einem Aushang vom 4. Juni 1981 die Betriebsangehörigen auf die Möglichkeit hinzuweisen, in Ausübung ihres Zurückbehaltungsrechts bis zur Auszahlung des rückständigen Lohns die Arbeit niederzulegen.
Dieser Anschlag wurde im Mai/Juni 1982 erneut angebracht, nachdem die Gemeinschuldnerin seit Mai 1982 die Löhne nur teilweise ausbezahlt hatte. Am 25. Juni 1982 wurde Antrag auf Eröffnung des Vergleichsverfahrens zur Abwendung des Konkurses gestellt und der Beklagte zum vorläufigen Vergleichsverwalter bestellt. Am 28. Juni 1982 teilte der Beklagte in einer Betriebsversammlung, an der auch der Kläger teilnahm, mit, daß der Betrieb zumindest auf Zeit fortgeführt werde, Übernahmeverhandlungen stattfänden und die Zahlung der rückständigen Löhne gesichert sei, im Falle der Konkurseröffnung durch das Konkursausfallgeld. Er wies ferner darauf hin, eine Veräußerung des Betriebes im ganzen sei nur möglich, wenn sämtliche Arbeitnehmer weiterhin ihrer Arbeitspflicht nachkämen. Ferner vertrat er die Ansicht, auch bei verspäteter Lohnzahlung bestehe kein Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich der Arbeitsleistung und die Einstellung der Arbeit habe eine fristlose Kündigung zur Folge.
Am 12. Juli 1982, dem Fälligkeitstag für den Juni-Lohn, war die Gemeinschuldnerin mit Teilen der Löhne aus den Monaten Mai und Juni 1982 gegenüber sämtlichen Arbeitnehmern im Rückstand. Dem Kläger, der je nach der Zahl der gearbeiteten Stunden im Monat durchschnittlich 3.600,– bis 3.700,– DM brutto verdient hatte, schuldete sie zu diesem Zeitpunkt insgesamt 4.898,70 DM brutto. Am 13. Juli 1982 lehnte der Kläger, zusammen mit vier weiteren Arbeitern, ab 13.00 Uhr unter Hinweis auf ein ihm zustehendes Zurückbehaltungsrecht die weitere Arbeit ab. Zuvor hatten die fünf Arbeiter ein Schriftstück folgenden Inhalts unterzeichnet:
“Ich/Wir werden aufgrund des uns vorenthaltenen Lohnes durch den Arbeitgeber und der damit verbundenen Pflichtverletzung am 13. Juli 1982 13.00 Uhr unser Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1, 298 und 615 BGB ausüben.”
Der Kläger, wie auch die übrigen vier Arbeiter, verblieb auch nach Aufforderung zur Wiederaufnahme der Arbeit bei dieser Einstellung. Daraufhin beurlaubte ihn die Gemeinschuldnerin mit sofortiger Wirkung und kündigte das mit ihr bestehende Arbeitsverhältnis nach Anhörung des Betriebsrats mit Schreiben vom 15. Juli 1982 wegen Arbeitsverweigerung fristlos.
Am 30. Juli 1982 wurde das Anschlußkonkursverfahren über das Vermögen der Gemeinschuldnerin eröffnet.
Gegen die Kündigung wendet sich der Kläger mit der vorliegenden Klage. Er hat die Ansicht vertreten, er habe im Hinblick auf die erheblichen Lohnrückstände der Gemeinschuldnerin ein Zurückbehaltungsrecht an seiner Arbeitsleistung gehabt. Er hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 15. Juli 1982 nicht aufgelöst ist, sondern über den 16. Juli 1982 hinaus fortbesteht.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat vorgetragen, für die Gemeinschuldnerin habe ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung vorgelegen, weil der Kläger am 13. Juli 1982 beharrlich die Arbeit verweigert habe. Ihm habe kein Zurückbehaltungsrecht an seiner Arbeitsleistung zugestanden. Nachdem verschiedene Arbeitnehmer unmittelbar nach Stellung des Vergleichsantrags am 25. Juni 1982 angekündigt hätten, von einem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch zu machen, sei er dem in der Betriebsversammlung vom 28. Juni 1982 unmißverständlich entgegengetreten. Die Gemeinschuldnerin habe sich damals in erheblichen Liquiditätsschwierigkeiten befunden und gegenüber sämtlichen Arbeitnehmern ihre Lohnzahlungspflicht nicht vollständig erfüllen können. Durch die erfolgten Teilzahlungen habe sie jeweils Rückstände aus den Vormonaten ausgeglichen und den Arbeitnehmern dadurch ermöglicht, ihren laufenden Verpflichtungen nachzukommen. Der Kläger habe lediglich den Fälligkeitstermin für den Juni-Lohn abgewartet und dann ohne Rücksicht auf die Belange des Betriebes die Weiterarbeit eingestellt. Damit habe er sich wegen eines als geringfügig zu bezeichnenden Lohnrückstandes über das lebenswichtige Interesse der Gemeinschuldnerin an der Erhaltung des Betriebes und der Arbeitsplätze ohne Notwendigkeit hinweggesetzt, nachdem im Falle eines Konkurses der Lohnrückstand durch Konkursausfallgeld gesichert gewesen sei und der Kläger hierauf Vorschußzahlungen habe erhalten können. Er, der Beklagte, habe mehrfach klargestellt, daß ein Vergleich nur dann zustande kommen könne, wenn weitergearbeitet werde, und eine Betriebsveräußerung nur möglich sei, wenn es nicht wegen Arbeitsniederlegungen zu Aufsehen in der Öffentlichkeit komme. Der Kläger habe gewußt, daß die Weiterarbeit für die Existenz des Betriebes und der Arbeitsplätze notwendig sei. Sein Aufruf an sämtliche Arbeitnehmer, die Arbeit niederzulegen, habe dazu geführt, daß Interessenten für eine Betriebsübernahme abgeschreckt worden seien. Selbst wenn dem Kläger ein Zurückbehaltungsrecht zugestanden haben sollte, habe er es in jedem Falle aufgrund der Gesamtumstände rechtsmißbräuchlich ausgeübt.
Der Kläger hat erwidert, bereits seit Mitte 1981 sei der Lohn teilweise mit erheblicher Verspätung, nämlich statt am 10. erst am 25. bis 27. des folgenden Monats bezahlt worden. Er habe erhebliche Schwierigkeiten gehabt, seine laufenden Verpflichtungen zu erfüllen. Noch am 9. oder 10. Juli 1982 habe er versucht, wenigstens einen Vorschuß von 500,– bis 1.000,– DM zu erhalten. Der Prokurist Z… der Gemeinschuldnerin habe jedoch in Anwesenheit des gesamten Betriebsrats durch Umdrehen der Hosentaschen zu verstehen gegeben, daß dies nicht in Frage komme. Erst dann habe er im Hinblick auf die erheblichen Lohnrückstände aus Mai und Juni 1982 am 13. Juli 1982 von seinem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch gemacht. Er habe andere Arbeitnehmer nicht zur Solidarität aufgefordert und sich auch nicht an die örtliche Presse gewandt. Er habe vielmehr stets betont, daß er nur für sich handele. Die Presse sei durch die Ortsverwaltung der IG-Metall ohne sein Zutun auf die Vorgänge aufmerksam gemacht worden. Die Erfüllung der Lohnrückstände sei auch nicht anderweitig abgesichert gewesen. Da Konkursausfallgeld nur für Rückstände aus den letzten drei Monaten des Arbeitsverhältnisses vor Konkurseröffnung gezahlt werde und die Gemeinschuldnerin bereits mit Löhnen aus zwei Monaten im Rückstand gewesen sei, habe er Mitte des dritten Monats handeln müssen. Anspruch auf Vorschußzahlung auf Konkursausfallgeld bestehe erst nach Konkurseröffnung.
Beide Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
I. Das Berufungsgericht hat angenommen, für die fristlose Kündigung der Gemeinschuldnerin habe kein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vorgelegen. Der Kläger habe ab 13. Juli 1982 seine Arbeitspflicht nicht rechtswidrig verletzt, weil er berechtigt gewesen sei, wegen des bis dahin aufgelaufenen Lohnrückstandes seine Arbeitsleistung zurückzuhalten, und sein Zurückbehaltungsrecht auch nicht treuwidrig ausgeübt habe.
II. Diese Würdigung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
1. Die Anwendung des § 626 Abs. 1 BGB durch das Berufungsgericht kann vom Revisionsgericht nur dahin überprüft werden, ob der Rechtsbegriff des wichtigen Grundes verkannt worden ist. Das Revisionsgericht kann insoweit nur nachprüfen, ob der Sachverhalt unabhängig von den Besonderheiten des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund abzugeben, und ob alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände, die für oder gegen die außerordentliche Kündigung sprechen, berücksichtigt worden sind (vgl. BAG 24, 401, 407 = AP Nr. 65 sowie BAG Urteil vom 26. August 1976 – 2 AZR 377/75 – AP Nr. 68 zu § 626 BGB).
2. Zutreffend sind das Arbeitsgericht – und ihm folgend das Berufungsgericht – davon ausgegangen, daß nur eine objektiv rechtswidrige Arbeitsverweigerung an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung abzugeben. Verhaltensbedingte Gründe bilden in der Regel nur dann einen wichtigen Grund, wenn der Gekündigte nicht nur objektiv, sondern rechtswidrig und schuldhaft seine Pflichten aus dem Arbeitsvertrag verletzt hat (st. Rechtsprechung; vgl. BAG Urteile vom 14. Februar 1963 – 2 AZR 364/62 – AP Nr. 22 zu § 66 BetrVG sowie vom 12. April 1973 – 2 AZR 291/72 – AP Nr. 24 zu § 611 BGB Direktionsrecht; KR-Hillebrecht, 2. Aufl., § 626 BGB Rz 107/108 m.w.N.). Einer Erörterung, welche Gründe eine Abweichung von diesem Grundsatz rechtfertigen könnten, bedarf es nicht. Zu Recht hat das Arbeitsgericht darauf hingewiesen, der Beklagte berufe sich selbst zur Rechtfertigung der Kündigung auf ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten des Klägers.
3. Zu Recht haben die Vorinstanzen ferner angenommen, daß grundsätzlich auch dem Arbeitnehmer nach § 273 Abs. 1 BGB ein Zurückbehaltungsrecht an seiner Arbeitsleistung zusteht, wenn der Arbeitgeber seine Lohnzahlungspflicht nicht erfüllt.
Nach § 273 Abs. 1 BGB kann der Schuldner, der aus demselben Rechtsverhältnis, auf dem seine Verpflichtung beruht, einen fälligen Anspruch gegen den Gläubiger hat, sofern sich nicht aus dem Schuldverhältnis ein anderes ergibt, die geschuldete Leistung verweigern, bis die ihm gebührende Leistung bewirkt wird. Dieses Zurückbehaltungsrecht kann auch der Arbeitnehmer an seiner Arbeitsleistung ausüben, wenn er einen fälligen Lohnanspruch gegen den Arbeitgeber erworben hat und der Arbeitgeber nicht erfüllt. Dies ist heute in Rechtsprechung und Rechtslehre allgemein anerkannt (vgl. BAG 15, 174 = AP Nr. 32 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu I 1 der Gründe; BAG 30, 50 = AP Nr. 58, aaO, zu 5a der Gründe; aus dem umfangreichen Schrifttum vgl. Capodistrias, RdA 1954, 53; Haase, DB 1968, 708; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl., Band I, S. 222; Kirschner, DB 1961, 842; Otto, AR-Blattei D, Zurückbehaltungsrecht I, B II; Söllner, ZfA 1973, 1; jeweils m.w.N.). Der früher im Schrifttum hiergegen erhobene Einwand (vgl. die Nachweise bei Haase, aaO, zu Fußn. 2 und Hueck/Nipperdey, aaO, zu Fußn. 45), aus der Natur des Arbeitsverhältnisses ergebe sich ein anderes, weil das Zurückbehaltungsrecht nur an nachholbaren Leistungen bestehe, die Zurückhaltung der Arbeitskraft aber zur teilweisen Unmöglichkeit der Arbeitsleistung führe, ist unbegründet. Das Gesetz kennt keine Beschränkung des Zurückbehaltungsrechts auf jederzeit nachholbare Leistungen. Ist der Arbeitgeber mit der Vergütung aus einem früheren Zeitabschnitt im Rückstand oder ist er kraft Vereinbarung entgegen § 614 BGB vorleistungspflichtig, so ist es grundsätzlich unzumutbar, vom Arbeitnehmer zu erwarten, weitere Arbeitsleistung zu erbringen und dem Arbeitgeber den als Gegenleistung geschuldeten Lohn zu kreditieren (so zutreffend Hueck/Nipperdey, aaO, sowie Otto, aaO, unter B II 1).
4. Nach dem vom Berufungsgericht als unstreitig und damit für das Revisionsgericht gemäß § 561 Abs. 1 ZPO bindend festgestellten Sachverhalt schuldete die Gemeinschuldnerin dem Kläger am 13. Juli 1982 Lohn in Höhe von 4.898,70 DM brutto aus den Monaten Mai und Juni 1982. Da nach den einschlägigen tariflichen Bestimmungen jeweils am 25. des Monats 90 % als Abschlag auf den voraussichtlichen Nettolohn des laufenden Monats und spätestens am 12. des folgenden Monats der gesamte Lohn für den Vormonat zu zahlen war, waren diese Ansprüche des nach § 614 BGB für den laufenden Monat jeweils vorleistungspflichtigen Klägers fällig geworden.
Damit waren die Voraussetzungen für das Zurückbehaltungsrecht an der Arbeitsleistung nach § 273 Abs. 1 BGB im Grundsatz erfüllt. Zu Recht haben die Vorinstanzen unberücksichtigt gelassen, daß die Gemeinschuldnerin nur leistungsunfähig, nicht aber auch leistungsunwillig war. Nach § 273 Abs. 1 BGB muß der Anspruch des Schuldners, zu dessen Sicherung das Zurückbehaltungsrecht ausgeübt wird, fällig sein. Das Gesetz verlangt nicht daß der Gläubiger in Verzug geraten ist, die Gegenleistung also schuldhaft nicht termingerecht erbracht hat. Auch insoweit ergibt sich aus der Natur des Arbeitsverhältnisses nichts anderes. Der Arbeitgeber trägt das Wirtschaftsrisiko. Er kann es nicht auf den Arbeitnehmer überwälzen, für den die pünktliche Lohnzahlung in der Regel eine Existenzfrage ist (so zutreffend Haase, aaO; ebenso Kirschner, aaO; a.M. Nikisch, Arbeitsrecht, 3. Aufl., Band I, S. 375).
5. Der Kläger konnte das ihm zustehende Zurückbehaltungsrecht auch gleichzeitig mit anderen Arbeitskollegen ausüben. Erforderlich ist in diesen Fällen lediglich, daß die Voraussetzungen für ein Zurückbehaltungsrecht in der Person des betreffenden Arbeitnehmers erfüllt sind und er dem Arbeitgeber gegenüber eindeutig zum Ausdruck bringt, er verweigere die Arbeitsleistung in Ausübung eines ihm wegen eines bestimmten fälligen Anspruchs gegen den Arbeitgeber zustehenden Zurückbehaltungsrechts. Der Arbeitgeber muß wissen, daß der Arbeitnehmer ein Zurückbehaltungsrecht zur Sicherung eines bestimmten Individualanspruchs ausübt (BAG 15, 174; 30, 50). Im vorliegenden Fall hat der Kläger, wie das Arbeitsgericht ebenfalls richtig erkannt hat, spätestens in der vor Einstellung der Arbeit am 13. Juli 1982 unterzeichneten schriftlichen Erklärung eindeutig klargestellt, wegen fälliger Lohnansprüche sein Zurückbehaltungsrecht auszuüben.
6. Das Zurückbehaltungsrecht an der Arbeitsleistung muß gemäß § 242 BGB unter Beachtung des Grundsatzes von Treu und Glauben ausgeübt werden (allgemeine Meinung: vgl. BGHZ 7, 123, 127, sowie die unter II 3 zitierten Autoren, jeweils m.w.N.). Auch hiervon ist das Berufungsgericht im Grundsatz ausgegangen.
a) Entgegen der Meinung der Revision kann das Revisionsgericht nicht selbständig nachprüfen, ob der Kläger im konkreten Fall sein Zurückbehaltungsrecht rechtsmißbräuchlich ausgeübt hat. Bei dem Rechtsmißbrauch handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Seine Anwendung durch das Berufungsgericht unterliegt wie die Anwendung anderer unbestimmter Rechtsbegriffe (wichtiger Grund, soziale Rechtfertigung) der Nachprüfung in der Revisionsinstanz nur dahin, ob der Rechtsbegriff selbst verkannt ist, ob die Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und schließlich, ob die Beurteilung, insbesondere wegen Übersehens wesentlicher Umstände, offensichtlich fehlerhaft ist. Im übrigen liegt die Bewertung im Beurteilungsspielraum der Tatsacheninstanz (BAG Urteil vom 30. Juni 1966 – 5 AZR 62/66 – AP Nr. 3 zu § 3 BUrlG Rechtsmißbrauch). Bei Anwendung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabes hält das angefochtene Urteil den Angriffen der Revision stand.
b) Der Grundsatz von Treu und Glauben verbietet es dem Arbeitnehmer, seine Arbeitsleistung wegen eines verhältnismäßig geringfügigen Lohnanspruchs zurückzuhalten. Dies folgt aus einer Analogie zu § 320 Abs. 2 BGB (vgl. die unter II 3 zitierten Autoren; ferner RGZ 61, 128). Die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts kann ferner rechtsmißbräuchlich sein, wenn nur eine kurzfristige Verzögerung der Lohnzahlung zu erwarten ist (vgl. Haase, aaO, S. 710).
Diese Gesichtspunkte hat das Arbeitsgericht, auf dessen Urteil das Berufungsgericht ergänzend Bezug genommen hat, berücksichtigt. Es hat den am 13. Juli 1982 fälligen Lohnrückstand, der mit 4.898,70 DM brutto nahezu 1,5 Monatsverdienste umfaßte, für erheblich angesehen, nachdem der Arbeitnehmer in der Regel auf die laufenden Einkünfte aus seiner Berufstätigkeit angewiesen ist. Es hat weiter ausgeführt, der Kläger habe auch nicht lediglich von einer kurzfristigen Zahlungsverzögerung ausgehen können. Diese Annahme ist rechtlich nicht zu beanstanden, da der Beklagte in den Vorinstanzen selbst nicht vorgetragen hat, daß der Kläger mit kurzfristigen Zahlungen rechnen konnte. Dem Kläger ist auch nicht vorzuwerfen, lediglich den Ablauf des Fälligkeitstermins abgewartet zu haben, da ein Teil des offenstehenden Betrages noch aus dem Monat Mai stammte und 90 % des Juni-Lohns bereits am 25. Juni 1982 und somit mehr als zwei Wochen vor der Arbeitseinstellung fällig waren. Wenn das Berufungsgericht unter Berücksichtigung dieser Umstände angenommen hat, der Lohnrückstand sei nicht verhältnismäßig geringfügig gewesen und der Kläger habe der Gemeinschuldnerin auch keine weitere Zahlungsfrist mehr einräumen müssen, so hält sich diese Würdigung im Rahmen des dem Tatsachengericht bei der Anwendung des Rechtsbegriffs des Rechtsmißbrauchs zustehenden Beurteilungsspielraums.
c) Der Arbeitnehmer ist nach Treu und Glauben ferner gehalten, das Zurückbehaltungsrecht an der Arbeitsleistung nicht zur Unzeit auszuüben, damit dem Arbeitgeber kein unverhältnismäßig hoher Schaden droht (vgl. ebenfalls die unter II 3 zitierten Autoren). Auch diesen Gesichtspunkt hat das Berufungsgericht im Rahmen seines tatrichterlichen Beurteilungsspielraums rechtsfehlerfrei gewürdigt.
Das Berufungsgericht hat in diesem Zusammenhang näher ausgeführt, es sei nicht ersichtlich, daß eine Weiterarbeit des Klägers die Zahlungsunfähigkeit der Gemeinschuldnerin und damit die Eröffnung des Anschlußkonkursverfahrens am 30. Juli 1982 verhindert hätte. Hiergegen hat die Revision keine Rügen erhoben. Nach der ebenfalls nicht angegriffenen und damit für das Revisionsgericht bindenden Feststellung des Berufungsgerichts hat der Beklagte auch für seine Behauptung, der Kläger habe die Presseveröffentlichungen über die damaligen Vorgänge veranlaßt, keinen Beweis angetreten. Der Vortrag der Revision, der Kläger habe, gemeinsam mit seinen Kollegen, unter “besonderer Erregung” des ”öffentlichen Interesses” die Arbeitsleistung verweigert, jedoch sein Zurückbehaltungsrecht so unbemerkt ausüben müssen, daß in der Öffentlichkeit und bei Kaufinteressenten der Eindruck eines wilden Streiks nicht habe entstehen können, geht an diesen Feststellungen vorbei. Der Kläger hatte die Presseveröffentlichungen nicht veranlaßt. Er hatte ferner seinem Arbeitgeber gegenüber eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß er ein individuelles Zurückbehaltungsrecht ausübe. Unter diesen Umständen kann ihm sein Verhalten nicht bereits deshalb als Rechtsmißbrauch angelastet werden, weil, etwa durch unzutreffende Berichterstattung, nach außen der Eindruck eines wilden Streiks entstanden ist, zumal im Streitfall insgesamt nur fünf Arbeitnehmer die Arbeit niedergelegt hatten. Wenn das Berufungsgericht bei diesem Geschehensablauf die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts nicht bereits allein gegen der Möglichkeit, das Verhalten des Klägers fehl zu deuten und in diesem Falle Verkaufsverhandlungen zu beeinträchtigen, für trauwidrig angesehen hat, so ist dies ebenfalls revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
d) Da das Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB dazu dient, den Gläubiger wegen des ihm zustehenden Anspruchs zu sichern, kann es nach Treu und Glauben nicht ausgeübt werden, wenn der Anspruch bereits auf andere Weise, etwa durch Grundpfandrechte, gesichert ist. Dies folgt aus § 273 Abs. 3 Satz 1 BGB (BGHZ 7, 123, 127; RGZ 85, 133, 137; 136, 19, 26; Erman/Sirp, BGB, 7. Aufl., §§ 273, 274 Rz 22; MünchKomm-Keller, BGB, § 273 Rz 50; Staudinger/Selb, BGB, 12. Aufl., § 273 Rz 50; jeweils m.w.N.).
Ohne Erfolg rügt die Revision, das Berufungsgericht habe in den sich für den Kläger aus §§ 141a ff. AFG ergebenden Ansprüchen auf Konkursausfallgeld keine ausreichende Sicherung der am 13. Juli 1982 aufgelaufenen Lohnrückstände gesehen.
Eine der Verweigerung der geschuldeten Leistung gleichwertige Sicherung durch ein anderweitiges Recht des Schuldners setzt das Bestehen dieses Rechts voraus. Es genügt grundsätzlich nicht, daß seine Entstehung noch von dem Eintritt künftiger Ereignisse abhängt. Dies folgt ebenfalls aus § 273 Abs. 3 Satz 1 BGB. Danach muß der Gläubiger die Sicherheitsleistung, die gemäß § 232 Abs. 1 BGB u.a. durch Hinterlegung von Geld oder Wertpapieren sowie durch Bestellung von Hypotheken bewirkt werden kann, tatsächlich erbracht haben, wenn er die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts abwenden will; es reicht nicht aus, wenn er sie nur anbietet (RGZ 137, 324, 355). Im Grundsatz ist nur eine bestehende Sicherheit geeignet, die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts an der Arbeitsleistung treuwidrig erscheinen zu lassen.
Da bereits diese Voraussetzung fehlt, ist im vorliegenden fall der Einwand des Beklagten unbegründet, der Kläger habe wegen seiner Ansprüche auf Konkursausfallgeld die Weiterarbeit treuwidrig verweigert. Denn im Zeitpunkt der Arbeitseinstellung am 13. Juli 1982 waren die Voraussetzungen für die Gewährung von Konkursausfallgeld für die bis dahin aufgelaufenen Lohnrückstände noch nicht gegeben, wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat. Anspruch auf Konkursausfallgeld besteht gemäß § 141b AFG für Ansprüche auf Arbeitsentgelt aus den letzten der Eröffnung des Konkursverfahrens oder den ihr gleichstehenden Vorgängen vorausgehenden drei Monaten des Arbeitsverhältnisses. Vorschuß auf diese Leistungen nach § 141 f AFG kann erst nach Konkurseröffnung beansprucht werden. Am 13. Juli 1982 war somit noch ungewiß, ob die Konkurseröffnung sich noch um mehr als insgesamt drei Monate verzögern und dann ein Teil der Lohnrückstände nicht mehr durch Konkursausfallgeld gesichert sein würde. Es kann dahingestellt bleiben, ob in Ausnahmefällen, etwa dann, wenn die Konkurseröffnung – oder ihre Ablehnung mangels Masse – innerhalb des Drei-Monats-Zeitraums unmittelbar bevorsteht und noch ein dringender Auftrag abzuwickeln ist, auch ohne bereits bestehende gleichwertige Sicherung des Arbeitnehmers die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts rechtsmißbräuchlich sein kann. Denn eine solche Ausnahmesituation lag im Entscheidungsfall nicht vor. Der beklagte hat in den Vorinstanzen nicht vorgetragen, daß die Konkurseröffnung alsbald nach dem 13. Juli 1982 zu erwarten gewesen sei und er die Arbeitnehmer darauf hingewiesen habe. Nach dem unstreitigen Sachverhalt hatte er vielmehr noch in der Betriebsversammlung vom 25. Juni 1982 erklärt, der Betrieb werde zumindest auf Zeit fortgeführt. Für den Kläger war somit nicht sicher, ob der Drei-Monats-Zeitraum des § 141b AFG im Falle einer schließlich doch noch eintretenden Zahlungsunfähigkeit und der sich daraus ergebenden Verpflichtung, Antrag auf Konkurseröffnung zu stellen, überschritten werden würde. Bestand somit bereits aus diesen Gründen für den Kläger keine anderweitige Sicherheit, die geeignet war, die Ausübung seines Zurückbehaltungsrechts als treuwidrig erscheinen zu lassen, konnte offenbleiben, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer, wie der Kläger meint, auch deshalb nicht auf Ansprüche auf Konkursausfallgeld verweisen kann, weil diese Lohnsicherung wegen ihres öffentlich-rechtlichen Charakters für die Frage der Rechtmäßigkeit der Ausübung des individualrechtlichen Zurückbehaltungsrechts grundsätzlich außer Betracht bleiben muß.
8. Da das Berufungsgericht somit rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt ist, daß die Arbeitsverweigerung des Klägers am 13. Juli 1982 nicht rechtswidrig war, fehlt es bereits an einem Verhalten des Klägers, das geeignet sein kann, einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 BGB abzugeben. Wie das Arbeitsgericht und ihm folgend das Berufungsgericht zu Recht angenommen haben, ist deshalb für eine Interessenabwägung kein Raum. Auf die Ausführungen der Revision zu diesem Punkt und zur Frage eines Verschuldens des Klägers kommt es demgemäß nicht mehr an.
Unterschriften
Hillebrecht, Triebfürst, Dr. Weller, Hans Mayr, Dr. Harder
Fundstellen
Haufe-Index 1493713 |
NJW 1985, 2494 |
ZIP 1985, 302 |