Entscheidungsstichwort (Thema)
Berechnung einer Versorgungsanwartschaft
Leitsatz (amtlich)
- Verspricht ein Arbeitgeber Altersrente, “wenn ein Betriebsangehöriger … nach Erreichen der gesetzlichen Voraussetzungen (RVO) für das Altersruhegeld … ausscheidet”, kann eine Frau die Betriebsrente mit Vollendung des 60. Lebensjahres beanspruchen (§ 1248 Abs 3 RVO, § 25 Abs. 3 AVG idF vom 23. Februar 1957 – BGBl I, 88).
- Scheidet eine Frau nach Vollendung des 60. Lebensjahres aus dem Arbeitsverhältnis aus und verlangt sie die Altersrente aufgrund einer solchen Zusage, braucht sie keine versicherungsmathematischen Abschläge hinzunehmen.
Normenkette
BetrAVG §§ 2, 6; BGB §§ 133, 157; AVG § 25 Abs. 3; RVO § 1248 Abs. 3
Verfahrensgang
LAG Köln (Urteil vom 29.09.1986; Aktenzeichen 6 Sa 1200/85) |
ArbG Köln (Urteil vom 11.09.1985; Aktenzeichen 9 Ca 10185/84) |
Tenor
- Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 29. September 1986 – 6 Sa 1200/85 – wird zurückgewiesen.
- Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Berechnung einer Versorgungsanwartschaft.
Die Klägerin, geboren am 2. März 1933, war vom 1. April 1948 bis zum 30. Juni 1988 bei einem Trägerunternehmen der beklagten Gruppenunterstützungskasse beschäftigt. Die Beklagte, die 1952 als rechtsfähiger Verein gegründet wurde, gewährt den Arbeitnehmern ihrer Mitgliedsunternehmen und deren Hinterbliebenen Leistungen der betrieblichen Altersversorgung. Ein Rechtsanspruch der Begünstigten auf die vorgesehenen Leistungen ist ausgeschlossen. Mitglieder des Vereins waren ursprünglich vier, später zwei Trägerunternehmen sowie vier natürliche Personen, von denen je zwei aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmerkreisen stammen müssen. Der Vorstand besteht aus zwei gesamtvertretungsberechtigten Personen, von denen eine Vereinsmitglied aus den Kreisen der Arbeitnehmer sein muß (§§ 5, 9 der Satzung vom 23. Dezember 1952 und 25. Oktober 1983). Die Einzelheiten der Leistungsgewährung sind in Durchführungsbestimmungen geregelt, die der Vorstand erläßt und die verschiedentlich geändert worden sind.
In den Durchführungsbestimmungen vom 2. Dezember 1954 war Alters- und Invalidenzuschußrente vorgesehen,
“… wenn ein Betriebsangehöriger, der die Vorschriften über die Anwartschaft erfüllt, das 65. Lebensjahr vollendet hat und aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet oder nach Vollendung des 50. Lebensjahres wegen Invalidität ausscheidet, es sei denn, daß diese auf eigenes grobes Verschulden zurückzuführen ist.”
Die Anwartschaft konnte nach zehn Dienstjahren, frühestens jedoch mit der Vollendung des 50. Lebensjahres erreicht werden.
Über die Höhe der Rente war bestimmt:
“Das Ruhegeld beträgt nach 30-jähriger Dienstzeit 30 % des Durchschnittsverdienstes. Es verringert sich für jedes daran fehlende volle Jahr um 1 %.”
In den Durchführungsbestimmungen aus dem Jahre 1960 wurden der Mindestalter für Invalidenrenten und das Erreichen einer Anwartschaft von 50 auf 45 Jahre herabgesetzt, die Berechnung der Altersrente blieb unverändert.
Die Durchführungsbestimmungen aus dem Jahre 1967 sahen hinsichtlich der Voraussetzungen für das Ruhegeld, für das Erreichen einer Anwartschaft und der Rentenhöhe ebenfalls keine wesentlichen Änderungen vor. Während aber die bisherigen Leistungsrichtlinien von der uneingeschränkten Verfallbarkeit einer Versorgungsanwartschaft ausgingen, wurde nunmehr erstmals die Unverfallbarzeit einer Versorgungsanwartschaft bei vorzeitigem Ausscheiden infolge einer Kündigung des Arbeitgebers vorgesehen. Hieraus entstandene Ansprüche sollen jedoch bis zum Pensionsalter oder Eintritt der Invalidität ruhen. Voraussetzung für den Rentenbezug blieb die Vollendung des 65. Lebensjahres bzw. bei Invaliden die Vollendung des 45. Lebensjahres.
In den Durchführungsbestimmungen vom 1. Dezember 1971, in Kraft ab 1. Januar 1972, wurden die Leistungsvoraussetzungen für Alters- und Invalidenrenten neu gefaßt. Die Vollendung des 65. bzw. des 45. Lebensjahres wurde nicht mehr als Voraussetzung des Rentenbezugs genannt. Es heißt dort:
“§ 4 Alters- und Invalidenzuschußrente
- Diese wird gewährt, wenn ein Betriebsangehöriger, der die Vorschriften über die Anwartschaft erfüllt, nach Erreichen der gesetzlichen Voraussetzungen für das Altersruhegeld oder wegen Eintritt der Invalidität aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet.
”
Die Vorschriften über die Anwartschaft blieben unverändert. Zugleich wurde aber die Höhe der Rentenleistungen geändert. Es wurde ein Mindestbetrag von 100,-- DM und ein Höchstbetrag von 500,-- DM eingeführt (§ 9 Abs. 2 der Durchführungsbestimmungen vom 1. Dezember 1971).
Am 9. Februar 1979 wurden die Durchführungsbestimmungen erneut wie folgt geändert:
“§ 4 Alters- und Invalidenzuschußrente (Voraussetzungen)
- Diese wird gewährt, wenn ein Betriebsangehöriger, der die Vorschriften über die Anwartschaft erfüllt, nach Erreichen der gesetzlichen Voraussetzungen (RVO) für das Altersruhegeld oder wegen Eintritt der Voll-Invalidität (Erwerbsunfähigkeit) bei einer der vier Firmen aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet.
”
Ҥ 8 Unverfallbare Anwartschaft
- Ein Betriebsangehöriger, dessen Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versorgungsfalles endet, behält grundsätzlich seine Anwartschaft auf die Alterszuschußrente, sofern er in diesem Zeitpunkt mindestens das 35. Lebensjahr vollendet hat und ununterbrochen mindestens zehn Jahre nach Vollendung des 25. Lebensjahres bei einer der vier Firmen hauptberuflich tätig war. Seine Ansprüche ruhen jedoch bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres.
- …
- …
- Die Kasse teilt jedem ausgeschiedenen Betriebsangehörigen mit, ob für ihn die Voraussetzungen einer unverfallbaren Anwartschaft erfüllt sind oder nicht sowie in welcher Höhe er ggf. Alterszuschußrente bei Vollendung des 65. Lebensjahres beanspruchen kann.
”
Die Mindest- und Höchstbetragsregelung (100,-- DM – 500,-- DM) wurde beibehalten (§ 9 Abs. 3).
Schließlich wurde in den Durchführungsbestimmungen vom 25. Oktober 1983 ein versicherungsmathematischer Abschlag für den Fall der Inanspruchnahme des vorgezogenen Altersruhegeldes eingeführt. § 9 Abs. 4 lautet:
“Nimmt der Betriebsangehörige die gesetzliche Möglichkeit des vorgezogenen Altersruhegeldes vor Vollendung des 65. Lebensjahres wahr, so wird das bis zum Ausscheiden erworbene Ruhegeld für jeden Monat der vorzeitigen Inanspruchnahme um 0,4 % herabgesetzt (versicherungsmathematischer Abschlag).”
Mit Schreiben vom 15. Mai 1979 teilte die Beklagte der Klägerin mit, am Stichtag (8. Februar 1979) betrage ihre Anwartschaft auf eine Alters- oder Invalidenrente 500,-- DM; im Falle ihres Ausscheidens vor der Altersgrenze oder Eintritt des Invaliditätsfalles werde die Rente gemäß § 2 BetrAVG gekürzt und dabei eine mögliche Dienstzeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres zugrundegelegt.
Die Klägerin will nicht hinnehmen, daß ihre Rente um einen versicherungsmathematischen Abschlag gekürzt werden soll. Sie hat geltend gemacht, sie habe nach den Durchführungsbestimmungen von 1971 und 1979 schon mit Vollendung des 60. Lebensjahres die Vollrente in Höhe von 500,-- DM monatlich beanspruchen können. Ein Eingriff in diesen Besitzstand sei unbillig. Zudem habe die Beklagte bei Inanspruchnahme des flexiblen oder vorgezogenen Altersruhegeldes seit Geltung des Betriebsrentengesetzes ständig von versicherungsmathematischen Kürzungen abgesehen. Dieses Verhalten habe zu einer betrieblichen Übung geführt, an die sich die Beklagte auch weiterhin halten müsse.
Die Klägerin hat, wie in der Verhandlung vor dem Senat klargestellt wurde, beantragt
festzustellen, daß der beklagte Verein nicht berechtigt sei, ihr Ruhegeld mit Vollendung des 60. Lebensjahres um einen versicherungsmathematischen Abschlag von 0,4 % pro Monat der vorzeitigen Inanspruchnahme gemäß den ab 1. Januar 1984 geltenden Durchführungsbestimmungen zu kürzen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen,
hilfsweise
festzustellen, daß der beklagte Verein berechtigt sei, wegen vorzeitigen Ausscheidens vor Vollendung des 65. Lebensjahres bei dem Ruhegeld der Klägerin eine zeitratierliche Berechnung gemäß § 2 Betriebsrentengesetz vorzunehmen.
Die Klägerin hat beantragt, den Hilfsantrag abzuweisen.
Die Beklagte hat vorgetragen, die Versorgungsordnung sehe auch für Frauen die Vollendung des 65. Lebensjahres als regelmäßige Altersgrenze vor. Daher sei bei vorzeitigem Rentenbezug ein versicherungsmathematischer Abschlag berechtigt. Da die Versorgungsleistungen nur unter Ausschluß eines Rechtsanspruchs zugesagt seien, stehe der Leistungsplan unter dem Vorbehalt späterer Änderungen. Die geänderte Regelung treffe die Klägerin nicht unbillig.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Beklagte ist nicht berechtigt, die Versorgungsanwartschaft der Klägerin um einen versicherungsmathematischen Abschlag zu kürzen. Die Beklagte kann die betriebsrente der Klägerin auch nicht zeitanteilig kürzen, soweit die Klägerin in der Zeit von der Vollendung des 60. bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres keine Betriebstreue leistet; Versorgungsfall für den Bezug der Altersrente ist für die Klägerin die Vollendung des 60. Lebensjahres.
I.1. Gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen keine Bedenken. Die Klägerin hat ein rechtliches Interesse daran, schon jetzt feststellen zu lassen, ab wann und in welcher Höhe ihr ein Rentenanspruch gegen die Beklagte zusteht. Es besteht auch kein Bedenken, daß die Klägerin sich gegen einen versicherungsmathematischen Abschlag in Höhe von 0,4 % pro Monat des vorzeitigen Bezugs der Rente wehrt.
Daß die Klägerin schon vor Vollendung des 60. Lebensjahres ausgeschieden ist und ihren insoweit mißverständlichen Klageantrag in der Revisionsinstanz klargestellt hat, macht die Klage entgegen der Auffassung der Revision nicht unzulässig. Richtig verstanden hat die Klägerin von Anfang an die Feststellung begehrt, daß die Beklagte keinen versicherungsmathematischen Abschlag vornehmen dürfe, wenn sie, Klägerin, nach Vollendung des 60. Lebensjahres die Zahlung der Betriebsrente beanspruche. Die Erwähnung des “Ausscheidens aus dem Betrieb” in der früheren Fassung des Klageantrags enthielt keine Einschränkung des Streitgegenstands, sondern nur den Hinweis auf die regelmäßige Voraussetzung für den Beginn des Rentenbezugs.
2. Der Hilfsantrag der Beklagten ist eine Widerklage mit einem anderen Streitgegenstand als die Klage. Das hat das Berufungsgericht zutreffend erkannt. Die Widerklage ist nur hilfsweise erhoben für den Fall, daß die Klägerin mit ihrem Hauptantrag obsiegt. Eine solche Eventualwiderklage ist zulässig (BGHZ 21, 13; 43, 28).
Auch dieser Antrag ist, wie die Beklagte sieht, mißverständlich. Die Beklagte hat klargestellt, daß eine ratierliche Rentenkürzung nur für den Fall vorgenommen werden soll, daß die Klägerin vor Vollendung des 65. Lebensjahres das betriebliche Ruhegeld in Anspruch nimmt. Gemeint ist damit aber nur, daß die Klägerin das Ruhegeld nach der Vollendung des 60. und vor Vollendung des 65. Lebensjahres verlangt. Nur über diesen Zeitraum haben die Parteien bisher gestritten. Das Ausscheiden der Klägerin schon mit Vollendung des 55. Lebensjahres, also vor Eintritt des nach der Versorgungsordnung frühest möglichen Versorgungsfalles für die Altersrente, war nie Gegenstand der Auseinandersetzung der Parteien.
II. Die Klage ist begründet. Die Klägerin kann mit Vollendung des 60. Lebensjahres die Zahlung der betrieblichen Altersrente verlangen, ohne einen versicherungsmathematischen Abschlag hinnehmen zu müssen.
1. In den Durchführungsbestimmungen aus den Jahren 1954, 1960 und 1967 war für Männer und Frauen die Vollendung des 65. Lebensjahres als Voraussetzung für den Bezug der Altersrente vorgesehen. Die entsprechenden Vorschriften wurden in den Durchführungsbestimmungen von 1971 mit Wirkung vom 1. Januar 1972 ersetzt. An die Stelle des 65. Lebensjahres trat in § 4 Abs. 1
“das Erreichen der gesetzlichen Voraussetzungen für das Altersruhegeld”.
Maßgeblicher Zeitpunkt war damit gemäß § 25 Abs. 3 AVG (gleichlautend § 1248 Abs. 3 RVO) für Frauen die Vollendung des 60. Lebensjahres. Die Vorschrift war am 1. Januar 1957 aufgrund des Angestellten-Versicherungsneuregelungsgesetzes vom 23. Februar 1957 (BGBl I, 88) in Kraft getreten. Das bedeutet, daß Frauen schon mit Vollendung des 60. Lebensjahres einen Anspruch auf die volle beim Ausscheiden erdiente Betriebsrente erwarben.
a) Das Berufungsgericht hat angenommen, § 4 Abs. 1 der Durchführungsbestimmungen von 1971 eröffne nur die Möglichkeit, das betriebliche Ruhegeld in Anspruch zu nehmen, regele aber nicht die Höhe des Ruhegeldes. Das trifft zwar zu, nur zieht das Berufungsgericht hieraus einen falschen Schluß: § 4 Abs. 1 der Durchführungsbestimmungen von 1971 beschreibt den Versorgungsfall, der nicht mehr an eine einheitliche feste Altersgrenze, sondern an die Voraussetzungen für die gesetzliche Rente gebunden ist. Liegen diese Voraussetzungen vor, so hat der Arbeitnehmer Anspruch auf die Vollrente, deren Höhe sich nach § 9 der Durchführungsbestimmungen richtet (hier: 500,-- DM Höchstrente). Hätte die Beklagte von diesem Zeitpunkt an nicht die im Einzelfall erdiente Vollrente zahlen wollen, so hätte sie das zum Ausdruck bringen müssen, und zwar so, daß sich auch die Versorgungsberechtigten hierauf hätten einstellen können. Die Durchführungsbestimmungen von 1971 sehen aber keinerlei Kürzungen oder Abschläge vor; nach ihnen hat Anspruch auf die ungekürzte Vollrente jeder, der die gesetzliche Rente beanspruchen kann.
b) Der Auffassung der Revision, trotz Änderung des Wortlauts habe sich am Inhalt der früheren Regelung nichts geändert, vermag der Senat nicht zu folgen. Nachdem in sämtlichen bisher geltenden Fassungen der Richtlinien die Vollendung des 65. Lebensjahres genannt war, kann die Verweisung in § 4 Abs. 1 der Durchführungsbestimmungen von 1971 nur als sachliche Änderung verstanden werden: An die Stelle der bisher genannten Altersgrenzen (Vollendung des 65.) trat durch Bezugnahme die gesetzliche Bestimmung für den Beginn der Sozialversicherungsrente. Es mag zutreffen, wie das Berufungsgericht vermutet, daß die Beklagte hier im Vorgriff auf das Rentenreformgesetz vom 16. Oktober 1972 (BGBl I, 1965), das mit Wirkung vom 1. Januar 1973 die flexible Altersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung einführte, die Möglichkeit eines vorzeitigen Bezugs der betrieblichen Rente schon vor Eintritt des regelmäßigen, für die Vollversorgung maßgeblichen Versorgungsfalls (Vollendung des 65. Lebensjahres) eröffnen wollte. Die Formulierung einer Regelung mit diesem Inhalt wäre der Beklagten jedoch mißlungen. Die Neufassung enthält insbesondere nicht einmal andeutungsweise die Unterscheidung zwischen einem regulären und einem vorzeitigen Rentenbezug. Sie enthält auch keine dann ebenfalls notwendige Unterscheidung der Höhe nach.
c) Die Bestimmung des Versorgungsfalles durch § 4 Abs. 1 der Durchführungsbestimmungen in der Fassung von 1971, also bei Frauen gemäß § 25 Abs. 3 AVG (§ 1248 Abs. 3 RVO) die Vollendung des 60. Lebensjahres, ist in den späteren Fassungen der Versorgungsordnung nicht geändert worden. Die Revision vertritt zwar die Auffassung, schon die Durchführungsbestimmungen von 1979 hätten auch bei Frauen wieder die Vollendung des 65. Lebensjahres als regelmäßige Altersgrenze eingeführt. Das erscheint jedoch nicht überzeugend. Die Ansicht der Revision läßt sich mit dem Wortlaut der Versorgungsordnung nicht vereinbaren.
Der Wortlaut des § 4 Abs. 1 in der Fassung von 1979 blieb im wesentlichen unverändert. § 8 Abs. 1 brachte eine Anpassung an die Unverfallbarkeitsregeln des § 1 BetrAVG, bestimmte aber in Satz 2, daß Ansprüche des Anwartschaftsberechtigten bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres ruhen sollten. Wer nicht erst mit dem Versorgungsfall, sondern vorzeitig mit einer unverfallbaren Anwartschaft ausscheidet, der soll die Rente nach dieser Regelung nicht schon mit dem in der Versorgungsordnung vorgesehenen Versorgungsfall erhalten, sondern – je nach den Umständen – erst später, die Altersrente frühestens mit Vollendung des 65. Lebensjahres. Daß dies gemeint ist, ergibt sich auch aus der Vorschrift des § 8 Abs. 4 der Durchführungsbestimmungen von 1979, wo vorgesehen ist, daß die Rente auf die Vollendung des 65. Lebensjahres zu berechnen ist.
Die Revision will hieraus schließen, mit dieser Regelung sei der Versorgungsfall entgegen dem unveränderten Wortlaut des § 4 Abs. 1 der Durchführungsbestimmungen wie vor 1971 generell wieder auf das 65. Lebensjahr angehoben worden. Das kann nicht richtig sein. Da die Versorgungsordnung in § 4 Abs. 1 den Eintritt des Versorgungsfalls nach wie vor von der Erfüllung der Voraussetzungen für den Rentenbezug in der gesetzlichen Sozialversicherung abhängig macht, kann nicht dessen ungeachtet ohne Änderung des Textes auf eine Änderung des Rentenalters geschlossen werden. Die Auffassung der Beklagten geht dahin, im Jahre 1971 sei der Regelungsinhalt des § 4 Abs. 1 der Durchführungsbestimmungen trotz Änderung des Wortlauts der gleiche geblieben, während im Jahre 1979 sich die Bedeutung der Vorschrift trotz gleichbleibenden Wortlauts geändert habe. Das ist mit dem objektiven Wortsinn nicht zu vereinbaren. Die betroffenen Arbeitnehmer durften auch nach den Durchführungsbestimmungen von 1979 darauf vertrauen, die volle erdiente Betriebsrente bereits dann in Anspruch nehmen zu können, wenn sie die Voraussetzungen für die gesetzliche Rente erfüllten.
Hiernach erweist sich die Regelung in § 8 Abs. 1 Satz 2 der Durchführungsbestimmungen von 1979 (Ruhen der Ansprüche bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres) sogar als unwirksam. Sie verstößt gegen § 2 Abs. 1 BetrAVG. Diese Vorschrift bestimmt, daß der Inhaber einer unverfallbaren Versorgungsanwartschaft einen Anspruch “mindestens” in Höhe des zeitanteilig berechneten Teils der Vollrente behält. Bei der Berechnung tritt an die Stelle des 65. Lebensjahres ein früherer Zeitpunkt, wenn dieser in der Versorgungsregelung als feste Altersgrenze vorgesehen ist. Die “feste Altersgrenze” bezeichnet nicht notwendig ein festes Datum, sondern als Grundlage für die vom Arbeitnehmer verlangte Betriebstreue den Zeitpunkt, in dem der Arbeitnehmer die Vollrente erdient hat (BAGE 41, 414, 418 = AP Nr. 15 zu § 7 BetrAVG, zu 4b der Gründe; 52, 226, 233 = AP Nr. 33 zu § 7 BetrAVG). Dieser Zeitpunkt ist im vorliegenden Fall erreicht, sobald die Voraussetzungen für den Bezug der gesetzlichen Rente erfüllt sind. Die Klägerin konnte daher schon mit Vollendung des 60. Lebensjahres die Vollrente erreichen.
2. An diesem Ergebnis hat sich durch das Betriebsrentengesetz nichts geändert. § 6 BetrAVG erlaubt dem Arbeitnehmer zwar, die Betriebsrente schon vor dem in der Versorgungsordnung vorgesehenen Versorgungsfall in Anspruch nehmen zu können. Dieses Recht macht die Klägerin aber nicht geltend. Da sie aufgrund der Versorgungsordnung der Beklagten bereits mit Vollendung des 60. Lebensjahres die Betriebsrente beanspruchen konnte, läuft § 6 BetrAVG in ihrem Fall leer. Das gesetzliche Recht, vor Vollendung des 65. Lebensjahres Betriebsrente verlangen zu können, ist für sie gegenstandslos; sie darf es schon nach der Versorgungsordnung.
Demgemäß trifft auch § 9 Abs. 4 der Durchführungsbestimmungen von 1983 den Fall der Klägerin nicht. Die Klägerin nimmt nicht “die gesetzliche Möglichkeit des vorgezogenen Altersruhegeldes vor der Vollendung des 65. Lebensjahres wahr”, indem sie gemäß § 6 BetrAVG die Betriebsrente vorzeitig abruft, sondern sie beansprucht die nach § 4 Abs. 1 der Durchführungsbestimmungen in sämtlichen seit 1971 geltenden Fassungen erdiente Vollrente.
III. Die Hilfswiderklage der Beklagten ist unbegründet. Da der Versorgungsfall bei der Klägerin gemäß § 4 Abs. 1 der Durchführungsbestimmungen i.V.m. § 25 Abs. 3 AVG mit der Vollendung des 60. Lebensjahres eintritt, hätte sie zu diesem Zeitpunkt die Vollversorgung erdient, wäre sie nicht schon vorher ausgeschieden. Daß sich die Klägerin nunmehr eine zeitanteilige Kürzung nach § 2 Abs. 1 BetrAVG, bezogen auf die Vollendung des 60. Lebensjahres, gefallen lassen muß, ist eine andere Frage, die nach den Anträgen beider Parteien nicht Streitgegenstand ist. Der auf ratierliche Kürzung für die Zeit vom vollendeten 60. bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres gerichtete Hilfsantrag der Beklagten ist daher zu Recht abgewiesen worden.
Unterschriften
Dr. Heither, Schaub, Griebeling, Seyd, Falkenstein
Fundstellen
Haufe-Index 872420 |
RdA 1989, 131 |