Entscheidungsstichwort (Thema)

Kürzung einer Altersrente bei vorzeitigem Ausscheiden

 

Orientierungssatz

Unklare Versorgungsregelung bei Inanspruchnahme des flexiblen Altersruhegeldes.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 157; BetrAVG §§ 1-2, 6

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Entscheidung vom 25.10.1985; Aktenzeichen 6 Sa 49/85)

ArbG Hamburg (Entscheidung vom 13.03.1985; Aktenzeichen 3 Ca 19/84)

 

Tatbestand

Die Klägerin, geboren am 12. Juni 1923, war vom 1. Oktober 1968 bis zum 31. Dezember 1982 bei der Beklagten beschäftigt. Seit Vollendung ihres 60. Lebensjahres (1. Juli 1983) bezieht sie vorgezogenes Altersruhegeld aus der gesetzlichen Sozialversicherung.

Die Beklagte gewährt Leistungen der betrieblichen Altersversorgung aufgrund einer Ruhegeldordnung vom 1. Januar 1982, die Gegenstand einer Betriebsvereinbarung ist und eine ältere Ruhegeldordnung aus dem Jahre 1972 abgelöst hat. Unstreitig steht der Klägerin aufgrund der Ruhegeldordnung aus dem Jahre 1982 ein Anspruch auf Betriebsrente zu. Die Parteien streiten lediglich darüber, wie diese Betriebsrente im Hinblick auf das vorzeitige Ausscheiden der Klägerin zu berechnen ist.

In der Ruhegeldordnung ist hierüber folgendes bestimmt:

"§ 2 Art der Versorgungsleistungen

Die Firma gewährt nach den Bestimmungen dieser

Ruhegeldordnung

a) Altersrente § 7

b) Invalidenrente § 8

c) Witwenrente § 9

d) Waisenrente § 10

§ 4 Höhe der Alters- und Invalidenrente

Die Höhe der monatlichen Rente gemäß den §§ 7 und 8

ist dienstjahres- und einkommensabhängig und beträgt

nach Ablauf der Wartezeit von 10 anrechnungsfähigen

Dienstjahren (§ 3 a)

10 % (Grundbetrag)

und steigt für jedes weitere nach Ablauf der Wartezeit

zurückgelegte anrechnungsfähige Dienstjahr um

0,4 % (Steigerungsbetrag)

bis zu maximal

20 % (Höchstbetrag)

der pensionsfähigen Monatsbezüge (§ 6)."

Dienstjahre sind nach § 5 Abs. 1 volle Dienstjahre zwischen vollendetem 25. und 65. Lebensjahr, wobei Dienstzeiten von mehr als sechs Monate auf volle Jahre aufgerundet werden.

"§ 7 Altersrente

Es wird eine lebenslänglich zahlbare monatliche

Altersrente gewährt bei Ausscheiden des Betriebsangehörigen

aus der Firma nach Vollendung des

65. Lebensjahres.

Weibliche Betriebsangehörige können auf Verlangen

die Altersrente bereits ab Ausscheiden aus der Firma

nach vollendetem 60. Lebensjahr und männliche Betriebsangehörige

bereits ab Ausscheiden aus der

Firma nach vollendetem 63. Lebensjahr (Schwerbehinderte

nach vollendetem 60. Lebensjahr) beanspruchen,

wenn gleichzeitig die vorgezogene bzw.

flexible Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung

bezogen wird.

§ 14 Versorgungsanwartschaft bei vorzeitigem

Ausscheiden durch Kündigung

Endet das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des

Versorgungsfalles, so bleibt die Anwartschaft

auf Versorgungsleistungen nach den folgenden

Bestimmungen aufrechterhalten, sofern der Betriebsangehörige

zu diesem Zeitpunkt das

35. Lebensjahr vollendet hat und

a) entweder die Versorgungszusage seit der

ersten Erteilung mindestens 10 Jahre bestanden

hat oder

b) der Betriebsangehörige mindestens in den

letzten 12 Jahren ununterbrochen dem Betrieb

angehörte und die Zusage mindestens

3 Jahre bestanden hat.

Unter diesen Voraussetzungen besteht bei Eintritt

des Versorgungsfalles nach Ausscheiden aus der

Firma Anspruch auf diejenigen Leistungen, die gemäß

diesen bei Ausscheiden aus der Firma gültigen Richtlinien

fällig geworden wären, wenn der Betriebsangehörige

bis zum Eintritt des Versorgungsfalles in

der Firma geblieben wäre; diese Leistung wird gekürzt

und nur in der Höhe gewährt, die dem Verhältnis der

Dauer der effektiven ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit

zu der Zeit vom Beginn der ununterbrochenen

Betriebszugehörigkeit bis zum vollendeten 65. Lebensjahr

entspricht. ..."

Im Zusammenhang mit den Verhandlungen über das vorzeitige Ausscheiden teilte die Beklagte der Klägerin durch Schreiben vom 10. Mai 1982 u.a. folgendes mit:

"... Ihre von uns zu erwartende Betriebsrente beläuft

sich auf DM 304,80. Die genaue Berechnungsunterlage

wird Ihnen im Oktober/November 1982 zugehen.

Hinweisen möchten wir noch auf die Tatsache,

daß die GSG erst Rentenzahlung leistet, wenn Sie

durch Vorlage einer Kopie Ihres Rentenbescheides

nachweisen, daß Sie Sozialversicherungsrente erhalten.

Zur Auszahlung der Betriebsrente benötigen

wir dann auch Ihre Lohnsteuerkarte."

Mit Schreiben vom 30. Dezember 1982 berechnete die Beklagte die Betriebsrente der Klägerin sodann wie folgt:

"a) Geburtsdatum 12.06.23

b) Eintritt in die Firma 01.10.68

c) Beendigung des Arbeitsverhältnisses

31.12.82

d) Tatsächlich zurückgelegte ununterbrochene

Betriebszugehörigkeit 171 Monate

e) Mögliche ununterbrochene Betriebszugehörigkeit

bis zum vollendeten

65. Lebensjahr 237 Monate

f) Verhältnis der tatsächlichen zur

möglichen Dienstzeit (= d:e) 72,15 %

g) Mögliche anrechnungsfähige Dienstjahre

bis zum vollendeten 65. Lebensjahr

gem. Versorgungsrichtlinien

20 Jahre

h) Monatliche pensionsfähige Bezüge

bei Ausscheiden aus der Firma 2.540,-- DM

...

Unter Berücksichtigung der Verhältniszahl

f) haben Sie daher zum vollendeten

65. Lebensjahr einen unverfallbaren Anspruch

auf eine zeitanteilig gekürzte

Altersrente in Höhe von monatlich 256,57 DM,

die zutreffendenfalls um den Betrag

gem. j) zu kürzen ist.

...

Die zu erwartende Leistung bei Eintritt des Versorgungsfalles

durch Invalidität, Tod oder Inanspruchnahme

der flexiblen Altersgrenze vor Vollendung

des 65. Lebensjahres errechnet sich grundsätzlich

in gleicher Weise unter Berücksichtigung

der oben ermittelten Verhältniszahl f). Ein entsprechender

DM-Betrag läßt sich jedoch erst nach

Eintritt des Versorgungsfalles errechnen. ..."

Für die Monate Juli und August 1983 zahlte die Beklagte der Klägerin monatlich 256,57 DM. Dann berechnete sie die Rente neu und teilte der Klägerin durch Schreiben vom 30. September 1983 mit:

"... haben wir Ihnen bei Ausscheiden aus der

GSG das Bestehen einer unverfallbaren Anwartschaft

auf betriebliche Altersversorgung zugesagt.

Unter Punkt g) sind die möglichen anrechnungsfähigen

Dienstjahre bis zum 65. Lebensjahr

mit 20 Jahren angegeben. Dieser Punkt verändert

sich nun durch den Bezug des vorzeitigen

Altersruhegeldes ab dem 60. Lebensjahr, was auch

in der Bescheinigung im letzten Absatz zur Aussage

kommt.

Nach Neuberechnung Ihrer Versorgungsbezüge beträgt

Ihre Betriebsrente ab 01.07.1983

DM 219,91.

============

In der beigefügten Abrechnung für den Monat September

1983 wurde die Neuberechnung rückwirkend ab

01.07.1983 berücksichtigt."

Die Differenz von 256,57 DM und 219,91 DM macht die Klägerin zum Teil als Zahlungsanspruch für die Zeit vom 1. Juli 1983 bis zum 28. Februar 1985 und für die Zeit ab 1. März 1985 als Feststellungsanspruch geltend.

Sie hat vorgetragen: Durch die Absenkung auf 219,91 DM werde ihre Rente zweimal gekürzt, einmal zeitanteilig und zum anderen durch die Annahme der Vollendung des 60. Lebensjahres als Zeitpunkt für die Berechnung der Vollrente. Dafür fehle in der Ruhegeldordnung jeder Anhaltspunkt. Dort sei auch für Frauen die Vollendung des 65. Lebensjahres als Grundlage für die Bemessung der Vollrente vorgesehen.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie für den

Zeitraum vom 1. Juli 1983 bis zum 31. Dezember

1983 DM 219,96 und für den Zeitraum vom

1. Januar 1984 bis zum 28. Februar 1985

DM 513,24 zuzüglich 4 % Zinsen auf DM 219,96

seit dem 1. Februar 1984 und auf DM 513,23 seit

dem 4. Oktober 1984 zu zahlen,

2. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet

sei, an sie ab dem 1. März 1985 eine monatliche

Betriebsrente in Höhe von zur Zeit DM 256,57

netto zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, maßgebende Berechnungsvorschrift sei § 14 der Ruhegeldordnung. Versorgungsfall i.S. dieser Vorschrift sei nicht die Vollendung des 65. Lebensjahres, sondern, da die Klägerin das flexible Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Anspruch genommen habe, schon die Vollendung des 60. Lebensjahres. Entscheidendes Datum für die Rentenberechnung sei also der 30. Juni 1983. Für die Klägerin ergebe sich:

a) Ruhegehaltsfähige Bezüge: 2.540,-- DM

b) Dienstzeit bis zum 30. Juni 1983: 14 Jahre

9 Monate oder 15 anrechnungsfähige Dienstjahre

c) 15 Dienstjahre = 12 % der Bezüge (§ 4 Ruhegeldordnung)

= 304,80 DM

d) ratierliche Kürzung nach § 14 Ruhegeldordnung

= 219,91 DM.

Diese Regelung sei statthaft. Sie sei im Hinblick auf das Recht des Arbeitnehmers geschaffen worden, gemäß § 6 BetrAVG die Betriebsrente vorzeitig verlangen zu können; sie verstoße auch nicht gegen die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die es dem Arbeitgeber durchaus erlaube, das Altersruhegeld bei vorzeitiger Inanspruchnahme im Rahmen der Billigkeit zu kürzen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsgerichts hat die Betriebsrente der Klägerin richtig ermittelt.

1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, es sei von einer möglichen Dienstzeit der Klägerin bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres auszugehen und damit von 20 möglichen Dienstjahren. Der dann auf der Basis der letzten tatsächlichen Bezüge erreichbare Betrag von 355,60 DM sei gem. § 14 Abs. 2 der Ruhegeldordnung entsprechend der gesetzlichen Regel des § 2 Abs. 1 BetrAVG zeitanteilig zu kürzen, so daß sich der von der Klägerin beanspruchte Betrag von 256,57 DM ergebe. Eine weitere Kürzung wegen der vorzeitigen Inanspruchnahme des Ruhegelds nach § 6 BetrAVG scheide hier aus. Das Gesetz zwinge nicht zu einer Kürzung wegen des voraussichtlich längeren Rentenbezugs, und die Ruhegeldordnung der Beklagten sehe eine an sich mögliche weitere Kürzung nicht vor. § 7 der Ruhegeldordnung setzte keine vorgezogene feste Altersgrenze für Frauen fest. § 14 der Ruhegeldordnung regele lediglich allgemein, daß die erreichbare Vollrente entsprechend § 2 Abs. 1 BetrAVG zu kürzen sei. Da die Ruhegeldordnung in der Fassung vom 1. Januar 1982 nach Inkrafttreten des § 6 BetrAVG vereinbart worden sei, müsse angenommen werden, daß eine zusätzliche Kürzung nicht beabsichtigt gewesen sei. So habe die Beklagte offenbar selbst ihre Ruhegeldordnung verstanden, da sie die Rente der Klägerin zunächst nur bezogen auf das Lebensalter 65 ratierlich gekürzt habe.

Die Revision rügt, das Berufungsgericht habe die Ruhegeldordnung falsch ausgelegt: Zwar treffe es zu, daß die Ruhegeldordnung die Vollendung des 65. Lebensjahres und nicht des 60. Lebensjahres als feste Altersgrenze auch für Frauen vorsehe und im übrigen lediglich gesetzeswiederholend auf die Möglichkeit des vorzeitigen Bezugs der Rente hinweise. Das Berufungsgericht habe aber § 14 der Ruhegeldordnung mißverstanden. Diese Vorschrift fixiere den Versorgungsfall nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt. Mit dem Merkmal "Versorgungsfall" sei hier gerade nicht die Vollendung des 65. Lebensjahres gemeint. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts gebe es auch keinen Erfahrungssatz, daß eine nach Inkrafttreten des Betriebsrentengesetzes neu gefaßte Versorgungsordnung eine ausdrücklich auf § 6 BetrAVG Bezug nehmende Regelung enthalten müsse, um eine Kürzung wegen vorzeitigen Rentenbezugs zu erreichen. Es sei insbesondere nicht geboten, versicherungsmathematische Abschläge festzusetzen; es könne auch eine ratierliche Berechnungsmethode vorgesehen werden, die auf die vorgezogene Altersgrenze als "Versorgungsfall" abstelle. Aus der zweimaligen Zahlung des höheren Ruhegeldes und der vorläufigen Rentenberechnung könne die Klägerin nichts herleiten. Dem Berufungsgericht ist nicht in allen Punkten der Begründung, wohl aber im Ergebnis zu folgen.

2. Gemäß § 2 Abs. 1 BetrAVG hat ein Arbeitnehmer, der vorzeitig mit einer unverfallbaren Versorgungsanwartschaft aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet, bei Eintritt des Versorgungsfalles einen Anspruch auf mindestens den zeitanteilig erdienten Teil der Leistung, den er bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres oder einer früheren festen Altersgrenze hätte erreichen können. Hiernach ist im Falle der Klägerin die Vollendung des 65. Lebensjahres maßgebend.

a) Gemäß § 7 Abs. 1 der Ruhegeldordnung wird eine Altersrente gezahlt, wenn der Betriebsangehörige mit Vollendung des 65. Lebensjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Damit ist die Vollendung des 65. Lebensjahres als die nach der Versorgungsordnung regelmäßige Altersgrenze festgelegt. Damit ist zugleich der Zeitpunkt bestimmt, nach dem sich die erreichbare Versorgungsleistung im Sinne des § 2 Abs. 1 BetrAVG bemißt. Für die Ermittlung des Kürzungsfaktors bei einem Ausscheiden zu einem früheren Zeitpunkt ist folglich auf die Vollendung des 65. Lebensjahres abzustellen. Eine vorgezogene feste Altersgrenze ist in der Versorgungsordnung nicht vorgesehen.

b) Eine hiervon abweichende Regelung ist nicht in § 7 Abs. 2 der Ruhegeldordnung enthalten. Diese Vorschrift weist lediglich auf die in § 6 BetrAVG geschaffene Rechtslage hin: Arbeitnehmer, die vorgezogenes oder flexibles Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten, können vom selben Zeitpunkt an auch Leistungen der betrieblichen Altersversorgung verlangen, selbst wenn der in der Versorgungsordnung vorgesehene Versorgungsfall, von dem ab Leistungen fällig werden, noch nicht eingetreten ist. Auch die Revision stellt nicht in Abrede, daß § 7 Abs. 2 der Ruhegeldordnung nur eine Beschreibung der Gesetzeslage darstellt und nicht etwa eine von § 7 Abs. 1 der Ruhegeldordnung abweichende Altersgrenze vorsieht.

3. Scheidet ein Arbeitnehmer vor Eintritt des in der Versorgungsregelung vorgesehenen Versorgungsfalles aus, so kann er die für die Vollrente vorausgesetzte Betriebstreue nicht mehr erbringen. Deswegen ist die bis zum Versorgungsfall erreichbare Leistung nach der Regel des § 2 Abs. 1 BetrAVG zu kürzen. Dennoch bleibt es dabei, daß der Versorgungsfall Voraussetzung für die Fälligkeit der Leistung ist; dem Arbeitnehmer wird lediglich die nach § 1 BetrAVG unverfallbare Anwartschaft erhalten. Von dieser Regel sieht § 6 BetrAVG die vorstehend dargestellte Ausnahme vor: Der Arbeitnehmer kann die betriebliche Versorgungsleistung vorzeitig abrufen. Damit entsteht das Problem, ob und ggf. nach welchen Maßstäben die Betriebsrente mit Rücksicht auf die voraussichtlich längere Bezugsdauer nochmals gekürzt werden darf.

a) Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß der Arbeitgeber berechtigt ist, zugesagte Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu kürzen, wenn der Arbeitnehmer von der ihm eröffneten Möglichkeit nach § 6 BetrAVG Gebrauch macht (erstmals Urteil vom 1. Juni 1978, BAGE 30, 333 = AP Nr. 1 zu § 6 BetrAVG). Zutreffend hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, daß § 6 BetrAVG es dem Arbeitgeber gestattet, Abschläge vorzunehmen, ihn aber nicht dazu zwingt.

Das Berufungsgericht hat ferner zutreffend die Auffassung vertreten, daß es zunächst Aufgabe der Betriebs- oder Vertragspartner ist, darüber zu befinden, welche Kürzungen bei Inanspruchnahme des vorgezogenen Altersruhegelds vorzunehmen sind. Auch eine nachträgliche Änderung einer betrieblichen Versorgungsordnung ist im Rahmen von Recht und Billigkeit möglich, zu Lasten des einzelnen Arbeitnehmers aber lediglich bis zu dessen Eintritt in den Ruhestand (Urteil des Senats vom 11. September 1980 - 3 AZR 185/80 - AP Nr. 3 zu § 6 BetrAVG, zu II der Gründe).

Die Form und den Umfang der Kürzung können die Beteiligten in den Grenzen von Treu und Glauben ebenfalls selbst bestimmen (so schon BAGE 30, 333 = AP Nr. 1 zu § 6 BetrAVG). Sie können versicherungsmathematische Abschläge vornehmen (BAGE 38, 277 = AP Nr. 4 zu § 6 BetrAVG), sind aber nicht genötigt, gerade von diesem Mittel der Kürzung Gebrauch zu machen. Es besteht ein Gestaltungsspielraum, der es den Gerichten in der Regel versagt, eine fehlende Anpassung im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu ersetzen, zumal dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrAVG zusteht (BAGE 38, 277 = AP Nr. 4 zu § 6 BetrAVG, zu 2 a der Gründe).

b) Die Annahme des Berufungsgerichts, die Versorgungsordnung der Beklagten sehe eine zusätzliche Kürzung der Betriebsrente wegen vorzeitiger Inanspruchnahme nicht vor, erscheint nicht zweifelsfrei. Nach Auffassung der Revision soll der längere Rentenbezug in der Weise berücksichtigt werden, daß die Rente des vorzeitig ausgeschiedenen Arbeitnehmers nicht mehr an den bis zum Lebensalter 65 möglichen Steigerungen teilnimmt und lediglich die Dienstzeit bis zum vorzeitigen Ausscheiden der Rentenberechnung zugrundegelegt wird. Dieses Ergebnis soll dadurch erreicht werden, daß bei der Berechnung zwischen dem Eintritt des "Versorgungsfalls" einerseits und der "Vollendung des 65. Lebensjahres" unterschieden wird. Als erreichbare Vollrente soll nicht der Betrag angesetzt werden, der mit Vollendung des 65. Lebensjahres erreichbar wäre, sondern der bei vorzeitiger Inanspruchnahme der Betriebsrente erdiente Betrag, und zwar zeitanteilig gekürzt im Verhältnis der bis zum Lebensalter 65 erreichbaren Dienstzeit. Diese Auslegung der §§ 7 und 14 der Ruhegeldordnung ist denkbar und steht auch nicht in Widerspruch zu der vorläufigen Rentenberechnung der Beklagten vom 30. Dezember 1982. Dennoch ist im Ergebnis dem Berufungsgericht zu folgen.

c) Es erscheint schon fraglich, ob eine Berechnung, wie sie die Beklagte vornimmt, nach den zwingenden Regeln des Betriebsrentengesetzes zulässig wäre. Bezieht sich der Kürzungsfaktor auf die Vollendung des 65. Lebensjahres, die zeitanteilig nach diesem Faktor zu kürzende Vollrente aber auf eine frühere Altersgrenze, so kann im Falle vorzeitigen Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis der bereits erdiente und durch § 2 Abs. 1 BetrAVG gesicherte Betrag unterschritten werden. Das wäre unzulässig. Die Frage bedarf jedoch im Streitfall keiner Vertiefung. Selbst wenn die Berechnung der Beklagten mit den zwingenden Berechnungsgrundsätzen des Betriebsrentengesetzes vereinbar wäre, muß der Klage stattgegeben werden, weil das von der Beklagten dargestellte Regelungsziel in der Ruhegeldordnung nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt. Die Regelung in § 14 der Ruhegeldordnung ist für einen Arbeitnehmer kaum zu durchschauen. Diese Unklarheit muß die Beklagte gegen sich gelten lassen.

Folgt man der Auslegung der Beklagten, so verwendet die Ruhegeldordnung das Merkmal "Versorgungsfall" in einem unterschiedlichen Sinne: In § 14 soll der Begriff nicht mit der Altersgrenze übereinstimmen, wie sie in den §§ 2 und 7 der Ruhegeldordnung festgelegt ist, sondern den tatsächlichen Eintritt in den Ruhestand betreffen. Schon diese Kennzeichnung verschiedener Inhalte mit demselben Begriff erschwert das Verständnis und bewirkt Unklarheiten. Zudem widerspräche eine solche Begriffsbildung dem Sprachgebrauch des Betriebsrentengesetzes, an das sich der Text des § 14 der Ruhegeldordnung eng anlehnt. Abs. 1 der Vorschrift wiederholt nahezu wörtlich § 1 Abs. 1 BetrAVG. Das Gesetz meint jedoch mit dem "Eintritt des Versorgungsfalles" den Zeitpunkt, der in § 2 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG als "Erreichen der Altersgrenze, Invalidität oder Tod" näher gekennzeichnet wird. Wenn die umstrittene Ruhegeldordnung demgegenüber dem gleichen Begriff einen abweichenden Inhalt geben und auch die Inanspruchnahme der vorgezogenen Altersrente als "Versorgungsfall" verstanden wissen wollte, so hätte sie das klar zum Ausdruck bringen müssen. Nur aufgrund einer sorgfältigen Überprüfung des Vorbringens der Beklagten läßt sich überhaupt erst nachvollziehen, daß unterschiedliche Deutungen in Frage kommen. Wenn hier an eine zusätzliche Kürzung gedacht war, so hätte das im Text der Ruhegeldordnung so deutlich festgehalten werden müssen, daß der Arbeitnehmer in die Lage versetzt war, seine Entscheidung über die Inanspruchnahme des vorzeitigen Altersruhegeldes auch unter diesem Gesichtspunkt zu prüfen. Da der Text der Ruhegeldordnung die notwendige Klarheit vermissen läßt, muß die Beklagte die bestehenden Unklarheiten gegen sich gelten lassen.

Vorsitzender Richter am

BAG Prof. Dr. Dieterich

ist ausgeschieden.

Griebeling Dr. Freitag Griebeling

Hromadka Paul-Reichart

 

Fundstellen

Dokument-Index HI438455

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