Entscheidungsstichwort (Thema)
Abfindung; Aufhebungsvertrag; Gleichbehandlung
Leitsatz (redaktionell)
1. Zahlt ein Arbeitgeber nach der Schließung seines Betriebes freiwillig an die Mehrzahl seiner ehemaligen Arbeitnehmer Abfindungen, so sind die Leistungen nach dem vom Arbeitgeber bestimmten Verteilungsschlüssel am Gleichbehandlungsgrundsatz zu messen.
2. Sind die rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen der Betriebsschließung für verschiedene Arbeitnehmergruppen gleich oder vergleichbar, so darf der Arbeitgeber nicht willkürlich der einen Gruppe eine Abfindung zahlen, während er die andere Gruppe von der Abfindungszahlung ausnimmt.
3. Ist der für die Zahlung der Abfindungen zur Verfügung stehende Gesamtbetrag gering und sind die Chancen der ausgeschiedenen Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt ungünstig zu beurteilen (konkret: Schließung einer kooperativen Einrichtung mehrerer LPG in den neuen Bundesländern), so kann es je nach den Umständen gerechtfertigt sein, die Arbeitnehmer ganz von einer Abfindungszahlung auszunehmen, die das Arbeitsverhältnis vorzeitig durch Aufhebungsvertrag aufgelöst haben, nachdem sie neue Beschäftigung gefunden hatten.
Orientierungssatz
1. Auslegung des § 13 Abs 3 des Gesetzes über die landwirtschaftlichen Produktionsgemeinschaften vom 2.7.1982 (GBl DDR I, 443).
2. Als willkürlich gilt eine Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern, wenn sie dazu führt, daß im wesentlichen gleichliegenden Fällen aus unsachlichen oder sachfremden Gründen verschieden behandelt werden.
Verfahrensgang
Sächsisches LAG (Entscheidung vom 19.02.1993; Aktenzeichen 3 Sa 83/91 L) |
ArbG Leipzig (Entscheidung vom 11.08.1992; Aktenzeichen 20 Ca 3338/92) |
Tatbestand
Die Beklagte ist eine Kooperative Einrichtung i.S.d. § 13 des Gesetzes über die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften der früheren DDR (LPG-Gesetz vom 2. Juli 1982, GBl. I S. 443). Sie nahm seit ihrer Gründung die Interessen zahlreicher landwirtschaftlicher Betriebe auf dem Bausektor wahr. Die Bevollmächtigtenversammlung der Beklagten beschloß am 20. März 1991 deren Auflösung zum 30. Juni 1991. Allen Arbeitnehmern wurde am 25. März 1991 gekündigt. Auch der Kläger, der bei der Beklagten seit ihrer Gründung im Jahre 1965 in einem Arbeitsverhältnis stand und zuletzt ein Monatseinkommen von 2.232,56 DM brutto bezog, erhielt eine solche Kündigung zum 30. Juni 1991. Durch Aufhebungsvertrag vom 26. März 1991 beendeten die Parteien das Arbeitsverhältnis zum 31. März 1991.
Die Beklagte hatte im Zeitpunkt des Auflösungsbeschlusses ca. 150 Arbeitnehmer. Ein Sozialplan kam nicht zustande, nachdem sich der Betriebsrat im April 1991 aufgelöst hatte. Von den entlassenen Arbeitnehmern erhoben 59 Kündigungsschutzklage, weitere 47 schieden zum 30. Juni 1991 aus, ohne Kündigungsschutzklage zu erheben. Die restlichen ca. 40 Arbeitnehmer, zu denen auch der Kläger gehört, schlossen vor dem 30. Juni 1991 einen Aufhebungsvertrag mit der Beklagten ab. Im Laufe der Kündigungsschutzverfahren schlugen die Liquidatoren der Beklagten mit Schreiben vom 21. Februar 1992 der die Arbeitnehmer vertretenden Gewerkschaft vor, sich auf die "Zahlung einer angemessenen Abfindung an alle ehemaligen Arbeitnehmer, die zum Zeitpunkt der Auflösung der ZBO zur Belegschaft gehörten und mindestens ein Jahr im Betrieb gearbeitet haben," zu vergleichen. Der Vergleichsvorschlag ging von einer Gesamtsumme von 350.000,00 DM aus, die nach einem bestimmten Schlüssel auf die in Frage kommenden Arbeitnehmer nach dem zuletzt bezogenen Gehalt und ihrer Beschäftigungsdauer verteilt werden sollte. Es kam in der Folgezeit zur Auszahlung von Abfindungen entsprechend dem von den Liquidatoren vorgelegten Rechenwerk. Die Beklagte berücksichtigte dabei nur die Arbeitnehmer, die zum 30. Juni 1991 aufgrund der Kündigung ausgeschieden waren, unabhängig davon, ob sie Kündigungsschutzklage erhoben hatten oder nicht. Die Arbeitnehmer, die wie der Kläger aufgrund eines Aufhebungsvertrages vorzeitig ausgeschieden waren, erhielten keine Abfindung.
Mit seiner am 29. Mai 1992 beim Kreisgericht Leipzig-Stadt eingegangenen Klage verlangt der Kläger die Zahlung einer Abfindung i.H.v. 6.835,92 DM nebst Zinsen, die er der Höhe nach aus dem Vergleichsvorschlag der Liquidatoren vom 21. Februar 1992 errechnet. Er meint, die Abfindungen hätten einen Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes schaffen sollen. Deshalb sei es sachlich nicht gerechtfertigt gewesen, ihn von der Zahlung auszunehmen, allein weil er einen Aufhebungsvertrag geschlossen habe. Auch er habe aufgrund der Kündigung seinen Arbeitsplatz verloren. Was seine soziale Lage anbelange, so sei er mit den Arbeitnehmern vergleichbar, die zum 30. Juni 1991 ausgeschieden seien und im Anschluß daran neue Arbeit gefunden hätten. Selbst den Arbeitnehmern, die vom "Nachfolgebetrieb" übernommen worden seien, habe die Beklagte eine Abfindung gezahlt.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 6.835,92 DM
nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Juni 1992 zu zahlen.
Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags geltend gemacht, der Vergleichsvorschlag vom 21. Februar 1992 habe lediglich ein Angebot an die vom DGB vertretenen Arbeitnehmer zur Beilegung der damaligen Rechtsstreitigkeiten dargestellt. Man habe in den Vergleich dann nur die Arbeitnehmer einbezogen, die im Zeitpunkt der Auflösung dem Betrieb noch angehört hätten. Die Arbeitnehmer, die vorher aufgrund eines Aufhebungsvertrages ausgeschieden seien, hätten das Arbeitsverhältnis vorzeitig aufgelöst, weil sie einen neuen Arbeitsplatz gefunden hätten. Auf die Zahlung einer Abfindung seien diese Arbeitnehmer nicht angewiesen gewesen. Auch der Kläger habe den Aufhebungsvertrag damals geschlossen, um die Kündigungsfrist nicht einhalten zu müssen, da er anderweitig Arbeit gefunden habe. Es sei nicht angemessen gewesen, die zur Verfügung stehende Verteilungsmasse dadurch erheblich zu mindern, daß auch an die Arbeitnehmer eine Abfindung gezahlt werde, die vor dem Auflösungszeitpunkt eine neue Arbeit gefunden hätten. Bei den Arbeitnehmern, die nach dem 30. Juni 1991 ausgeschieden seien, sei allerdings nicht geprüft worden, ob diese ab dem 1. Juli 1991 neue Arbeitsverhältnisse begründet hätten.
Das Arbeitsgericht hat nach dem Klageantrag erkannt. Das Landesarbeitsgericht hat zunächst durch Versäumnisurteil das Urteil des Arbeitsgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen und sodann das Versäumnisurteil durch das angefochtene Urteil aufrechterhalten. Mit seiner Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung.
A. Die Zulässigkeit der Klage unterliegt keinen Bedenken.
I. Ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist, hat das Revisionsgericht nach §§ 48 ArbGG, 17 a Abs. 5 GVG nicht zu prüfen. Abgesehen davon sind auch Rechtsstreitigkeiten in Bezug auf ein Arbeitsverhältnis zu einer LPG bzw. einer Kooperativen Einrichtung mehrerer LPG keine Rechtsstreitigkeiten i.S.v. § 65 Landwirtschaftsanpassungsgesetz (LwAnpG) und gehören in die Zuständigkeit nicht der Landwirtschaftsgerichte, sondern der Arbeitsgerichte (ebenso BGH Beschluß vom 21. Januar 1993 - BLw 45/92 - ZIP 1993, 389).
II. Mit dem angefochtenen Urteil ist auch von der Parteifähigkeit der Beklagten i.S.v. § 50 Abs. 1 ZPO auszugehen. Nach dem Recht der DDR war die Beklagte als Kooperative Einrichtung nach § 13 Abs. 3 LPG-Gesetz (Gesetz über die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften vom 2. Juli 1982, GBl. I S. 443) als juristische Person rechtsfähig und damit parteifähig. Die Rechtsfähigkeit der Beklagten ist nicht dadurch erloschen, daß das LPG-Gesetz zum 1. Januar 1992 außer Kraft getreten ist (§ 69 LwAnpG vom 29. Juni 1990, GBl. I S. 642 in der Neufassung vom 3. Juli 1991, BGBl. I S. 1418). Schon das LwAnpG vom 29. Juni 1990 sah eine Umwandlung der Kooperativen Einrichtungen in andere juristische Personen vor (§§ 23 ff.). Die Neufassung des LwAnpG vom 3. Juli 1991 bestimmt in § 69 Abs. 3 ausdrücklich, daß Kooperative Einrichtungen, die bis zum 31. Dezember 1991 nicht in eine eingetragene Genossenschaft, eine Personengesellschaft oder eine Kapitalgesellschaft umgewandelt worden sind, kraft Gesetzes aufgelöst sind und nach § 42 LwAnpG, also im wesentlichen nach Genossenschaftsrecht abzuwickeln sind. Die ausdrücklich für anwendbar erklärten §§ 82 ff. GenG sehen eine Liquidation vor. Während der Dauer der Liquidation bleibt die passive Parteifähigkeit der Genossenschaft erhalten (vgl. § 87 GenG). Da die Liquidation der Beklagten nicht beendet ist, kann dahinstehen, welche Auswirkungen die Vollbeendigung der Liquidation einer Genossenschaft auf ein laufendes Gerichtsverfahren hat.
B. Die Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Zahlungsanspruch nicht zu.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, als Anspruchsgrundlage komme allein der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz in Betracht, der aber unter den gegebenen Umständen nicht verletzt sei. Die Beklagte habe bei der Bemessung der Abfindung nicht eine Gruppe von Arbeitnehmern ohne sachlichen Grund benachteiligt. Es sei im Ergebnis nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte die Arbeitnehmer, die vor dem 30. Juni 1991 durch von ihnen beantragte Aufhebungsverträge ausgeschieden seien, von der Zahlung einer Abfindung ausgenommen habe. Bei den Arbeitnehmern, die eine Kündigungsschutzklage erhoben hätten, habe die Abfindungszahlung der Vermeidung von Prozeßrisiken gedient; die Zahlung an die Arbeitnehmer, die zum 30. Juni 1991 ohne Erhebung einer Kündigungsschutzklage ausgeschieden seien, habe die Beklagte mit einem Gleichbehandlungsempfinden begründet. Es sei nicht als willkürlich anzusehen, wenn die Beklagte auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses am 30. Juni 1991 abgestellt habe. Die Abfindungszahlungen hätten die wirtschaftlichen Nachteile mildern sollen, die nach Ausscheiden der Arbeitnehmer bei der Beklagten entstanden seien. Es sei als sachgerecht anzusehen, wenn die Beklagte davon ausgegangen sei, die Arbeitnehmer, die Aufhebungsverträge abgeschlossen hätten, hätten sämtlich neue Arbeitsverhältnisse gehabt, während dies für die anderen Arbeitnehmer nur teilweise zutreffen dürfte. Damit lägen für den Regelfall unterschiedliche Sachverhalte vor, die die vorgenommene Gruppenbildung rechtfertigten.
II. Dieser Würdigung ist im Ergebnis zu folgen.
Der Kläger hat aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes keinen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung. Es kann deshalb dahinstehen, ob ein solcher Anspruch der Höhe nach an den Zahlungen der Beklagten an die anderen Arbeitnehmer zu messen wäre oder ob der Kläger nur verlangen könnte, daß der von der Beklagten zur Verfügung gestellte Betrag von insgesamt 350.000,00 DM unter Berücksichtigung der vor dem 30. Juni 1991 ausgeschiedenen Arbeitnehmer nach dem Berechnungsschlüssel des Schreibens vom 21. Februar 1992 neu verteilt wird.
1. Zahlt der Arbeitgeber nach der Schließung seines Betriebes freiwillig an die Mehrzahl seiner ehemaligen Arbeitnehmer Abfindungen, so sind die Leistungen nach dem vom Arbeitgeber bestimmten Verteilungsschlüssel am Gleichbehandlungsgrundsatz zu messen. Der Grundsatz der Gleichbehandlung gilt für alle freiwilligen Leistungen des Arbeitgebers. Dazu rechnen auch Abfindungen, die der Arbeitgeber im Falle der Betriebsschließung ohne entsprechende Rechtspflichten (z.B. aus einem Sozialplan) an die ausgeschiedenen Arbeitnehmer zahlt.
2. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz schließt nach herrschender Lehre und ständiger Rechtsprechung eine willkürliche Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern eines Betriebes aus. Als willkürlich gilt eine Ungleichbehandlung, wenn sie dazu führt, daß im wesentlichen gleichliegende Fälle aus unsachlichen oder sachfremden Gründen verschieden behandelt werden. Aus der Unzulässigkeit der sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung ergibt sich die Nichtigkeit bzw. Vernichtbarkeit der bekämpften Differenzierung, regelmäßig auch ein Anspruch auf die die Gleichbehandlung bewirkende Leistung (vgl. Mayer-Maly, AR-Blattei - D - Gleichbehandlung im Arbeitsverhältnis, I A; BAG Urteil vom 25. April 1959 - 2 AZR 363/58 - AP Nr. 15 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAG Urteil vom 11. September 1974 - 5 AZR 567/73 - AP Nr. 39 zu § 242 BGB Gleichbehandlung).
a) Die Ungleichbehandlung verschiedener Arbeitnehmergruppen bei freiwilligen Leistungen ist nur dann mit dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar, wenn die Unterscheidung nach dem Zweck der Leistung gerechtfertigt ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BAGE 33, 57 = AP Nr. 44 zu § 242 BGB Gleichbehandlung). Die Prüfung des sachlichen Grundes für eine Ausnahme von allgemein begünstigenden Leistungen muß sich an deren Zwecken orientieren (BAGE 49, 346 = AP Nr. 76 zu § 242 BGB Gleichbehandlung). Es ist dabei regelmäßig zu fragen, ob die von der Leistung ausgeschlossenen Arbeitnehmer dieselben Gründe für sich in Anspruch nehmen können, die für die Leistung an die begünstigten Arbeitnehmer maßgeblich sind (BAG Urteil vom 20. Juli 1993 - 3 AZR 52/93 - zur Veröffentlichung vorgesehen).
b) Abfindungen, die der Arbeitgeber im Zusammenhang mit einer Betriebsschließung an die ausgeschiedenen Arbeitnehmer zahlt, haben regelmäßig ähnlich wie Sozialplanabfindungen den Zweck, die Nachteile zu mildern, die den Arbeitnehmern aufgrund der ausgesprochenen betriebsbedingten Kündigungen entstanden sind bzw. noch entstehen. Sind die rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen der Betriebsschließung für verschiedene Arbeitnehmergruppen gleich oder vergleichbar, so darf der Arbeitgeber bei diesem Zweck der Leistung nicht willkürlich der einen Gruppe eine Abfindung zahlen, während er die andere Gruppe von der Abfindungszahlung ausnimmt.
3. Es stellt nach diesen Grundsätzen keinen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz dar, wenn die Beklagte den Kläger und die anderen Arbeitnehmer, die vor dem 30. Juni 1991 neue Arbeit gefunden haben, von der Abfindungszahlung ausgenommen hat. Die Beklagte hat im wesentlichen geltend gemacht, durch die Zahlung einer Abfindung an den Kläger und die anderen vor dem 30. Juni 1991 ausgeschiedenen Arbeitnehmer hätte sich die ohnehin geringe Verteilungsmasse erheblich verringert, was angesichts der Tatsachen nicht gerechtfertigt gewesen wäre, daß alle diese Arbeitnehmer freiwillig vorzeitig ausgeschieden seien, weil sie einen neuen Arbeitsplatz gefunden hätten. Diese Erwägungen sind unter den gegebenen Umständen nicht als willkürlich anzusehen.
a) Es kann zu Gunsten des Kläger unterstellt werden, daß er und die anderen vorzeitig ausgeschiedenen Arbeitnehmer grundsätzlich zu dem Personenkreis zählten, der bei einer Abfindungsregelung zu berücksichtigen war. Immerhin waren alle Arbeitnehmer, die aufgrund der Kündigung der Beklagten aus dem Betrieb ausscheiden mußten, von den nachteiligen Wirkungen der Betriebsschließung betroffen. Auch die Arbeitnehmer, die nach Ausspruch der Kündigung vorzeitig ausschieden, weil sie neue Arbeit gefunden hatten, verloren ihren aufgrund der langen Beschäftigungsdauer zumeist erheblichen sozialen Besitzstand. Die Modalitäten des Ausscheidens des Klägers (keine Kündigung der Beklagten, sondern Aufhebungsvertrag) dürfte allein nicht als billigenswertes Unterscheidungsmerkmal anzusehen sein, denn sonst würden ohne nähere Prüfung pauschal die Arbeitnehmer schlechter behandelt, die sich selbständig um eine Milderung der durch die Kündigung verursachten Nachteile bemüht haben und dabei erfolgreich waren (ähnlich zum Sozialplan BAGE 67, 29 = AP Nr. 57 zu § 112 BetrVG 1972; Urteil vom 28. April 1993 - 10 AZR 222/92 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen; Urteile vom 28. Oktober 1992 - 10 AZR 405/91 - und - 10 AZR 406/91 - zur Eigenkündigung des Arbeitnehmers, beide zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen; ebenso Heither, ZIP 1985, 513, 518).
b) Darüber hinaus gab es aber billigenswerte Gründe dafür, an den Kläger keine Abfindung zu zahlen.
aa) Derartige Abfindungsregelungen federn die sozialen Folgen wirtschaftlicher Unternehmerentscheidungen für die betroffenen Arbeitnehmer ab. Es ist deshalb sachlich gerechtfertigt, nicht von vornherein generell Abfindungspauschalen für alle von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer vorzusehen, sondern die Bemessung der Abfindung an den Gegebenheiten des Einzelfalls zu orientieren. Der Ausgleich oder die Milderung wirtschaftlicher Nachteile setzt die Feststellung voraus, welche Nachteile dem Arbeitnehmer oder den einzelnen Gruppen von Arbeitnehmern tatsächlich oder doch wahrscheinlich entstehen (so ausdrücklich die Begründung zum Regierungsentwurf für die Neufassung des § 112 BetrVG, BT-Drucks. 10/2102, S. 17 und 27). Die sozialen Probleme einer Betriebsschließung lassen sich nicht dadurch am sachgerechtesten lösen, daß das "Gießkannen-Prinzip" (Gessner/Plett, Der Sozialplan im Konkursunternehmen, S. 98) angewandt und versucht wird, möglichst vielen der betroffenen Arbeitnehmer wenigstens eine kleine Zahlung zu gewähren. Ohne daß der Arbeitgeber zu ggf. zeitraubenden bürokratischen Ermittlungen verpflichtet werden könnte, die die erforderliche zügige Abwicklung der Angelegenheit verzögern würden, ist es allein sachgerecht, unter Würdigung aller Umstände auf typischerweise durch die Betriebsstillegung entstehende Nachteile abzustellen.
bb) Die Aussichten des betroffenen Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt sind dabei entscheidend bei der Bemessung der Abfindung mit zu berücksichtigen. Auch die Neufassung des § 112 Abs. 5 BetrVG stellt für den vergleichbaren Fall der Sozialplanabfindung ausdrücklich auf diesen Gesichtspunkt ab (vgl. die Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 10/2102, S. 27). Daß gute Aussichten auf dem Arbeitsmarkt u.U. auch zu Lasten von Arbeitnehmern mit hohem sozialen Besitzstand entscheidend ins Gewicht fallen können, zeigt z.B. die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu Höchstbegrenzungsklauseln (BAGE 59, 242 = AP Nr. 46 zu § 112 BetrVG 1972). Auf der gleichen Linie liegt es, wenn die Rechtsprechung es für zulässig hält, Arbeitnehmer von Sozialplanleistungen auszuschließen, die vorgezogenes Altersruhegeld in Anspruch nehmen können und deshalb nicht mit längerer Arbeitslosigkeit rechnen müssen (BAG Urteil vom 26. Juli 1988 - 1 AZR 156/87 - AP Nr. 45 zu § 112 BetrVG 1972).
cc) Bei der Aufstellung des Verteilungsschlüssels durfte die Beklagte, ohne daß ihr Willkür vorgeworfen werden kann, auf die geringe Höhe der von ihr freiwillig zur Verfügung gestellten Gesamtabfindung abstellen. Standen für insgesamt 150 durch die Betriebsstillegung betroffene Arbeitnehmer insgesamt nur 350.000,00 DM zur Verfügung, so entsprach dies, geht man vom letzten Monatsgehalt des Klägers aus, in etwa einem Monatsgehalt pro Arbeitnehmer. Auch auf der Basis des durchschnittlichen Monatsgehalts der Arbeitnehmer, die eine Abfindung erhalten haben, stand für jeden betroffenen Arbeitnehmer nur ein Betrag zur Verfügung, der ein Monatsgehalt unwesentlich überschritt. Auf jeden Fall konnten deshalb, wenn die Beklagte auch nur die Mehrzahl der Arbeitnehmer ihres Betriebes berücksichtigen wollte, lediglich Abfindungen in einer derart geringfügigen Höhe gezahlt werden, daß durch diese Abfindungen weder eine länger dauernde Arbeitslosigkeit überbrückt, noch der verlorene Besitzstand aus einem langjährigen Arbeitsverhältnis ausgeglichen werden konnte. Je höher der Betrag ist, der pro betroffenen Arbeitnehmer zur Verfügung steht, um so eher kann es sachlich gerechtfertigt sein, alle betroffenen Arbeitnehmer bei der Abfindungszahlung zu berücksichtigen und nur in der Höhe der Abfindung zu differenzieren. Steht nur eine derart geringe Summe zur Verfügung wie im vorliegenden Fall, so kann es nicht als willkürlich angesehen werden, wenn der Arbeitgeber die Anwendung des "Gießkannen-Prinzips" vermeidet und versucht, im Rahmen des Möglichen den Arbeitnehmern zu helfen, die durch die Betriebsstillegung die schwerwiegendsten Nachteile erlitten haben. Daß dabei die Arbeitnehmer benachteiligt werden, die "nur" ihren sozialen Besitzstand verloren, aber wenigstens nahtlos eine neue Arbeitsstelle gefunden haben, ist eine sachgerechte Differenzierung.
dd) Berücksichtigt man zusätzlich das soziale Umfeld, in dem die Beklagte ihre Entscheidung getroffen hat, die Arbeitnehmer, die vor dem 30. Juni 1991 neue Arbeit gefunden hatten, von der Abfindungszahlung auszunehmen, so ist erst recht kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz anzunehmen. Angesichts der wirtschaftlichen Schwierigkeiten zahlloser Betriebe in den neuen Bundesländern und der überdurchschnittlich hohen Arbeitslosenrate hat der neue Arbeitsplatz, den ein Arbeitnehmer derzeit in den neuen Bundesländern nach einer Betriebsstillegung findet, einen so hohen Wert, daß es sachlich vertretbar ist, einem solchen Arbeitnehmer keine Abfindung zu zahlen.
4. Auch die Behauptung des Klägers, auch unter den Arbeitnehmern, die per 30. Juni 1991 aus dem Betrieb ausgeschieden seien, hätten einige sofort neue Arbeit gefunden, vermag keinen Abfindungsanspruch nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz zu begründen.
a) Daß die Beklagte bei Zahlung der Abfindungen davon ausging, alle Arbeitnehmer, die vor dem 30. Juni 1991 aufgrund eines Aufhebungsvertrages ausgeschieden waren, hätten eine neue Arbeitsstelle gefunden, hat das Landesarbeitsgericht für den Senat bindend festgestellt, weil der Kläger dagegen keine zulässige Verfahrensrüge erhoben hat (§ 561 Abs. 2 ZPO). Dasselbe gilt für die Feststellung des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe nicht geprüft, ob einzelne der Arbeitnehmer, die zum 30. Juni 1991 ausgeschieden seien, per 1. Juli 1991 neue Arbeit gefunden hätten. Demgegenüber hat der Kläger keinen Arbeitnehmer konkret benannt, der tatsächlich nach seinem Ausscheiden am 30. Juni 1991 nahtlos eine neue Arbeitsstelle angetreten hätte.
b) Selbst wenn dies aber vereinzelt der Fall gewesen wäre, ließe sich daraus kein Anspruch des Klägers herleiten. Der Arbeitgeber darf bei der Prüfung der Nachteile, die durch eine derartige Abfindungsregelung ausgeglichen werden sollen, nach pflichtgemäßem Ermessen pauschalieren (vgl. zum Sozialplan nach § 112 BetrVG z.B. die Begründung zu § 112 n.F., BT-Drucks. 10/2102, S. 27). Oft stehen bei der Festlegung des Verteilungsschlüssels die konkreten Nachteile für die Arbeitnehmer noch nicht fest, und nach einer Betriebsauflösung läßt sich auch kaum mehr mit zumutbarem Aufwand ermitteln, wie lange die Arbeitslosigkeit der einzelnen Arbeitnehmer konkret gedauert hat. Deshalb ist es durch Sachgründe gerechtfertigt, auf einen typischen Geschehensablauf abzustellen. Bei dieser Betrachtung war die Gruppe, der der Kläger angehört, nicht mit der Gruppe der Arbeitnehmer vergleichbar, die zum 30. Juni 1991 ausschieden. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hatten alle Arbeitnehmer, die Auflösungsverträge geschlossen hatten, eine neue Arbeit gefunden, während dies bei den Arbeitnehmern, die zum 30. Juni 1991 ausschieden, allenfalls ausnahmsweise zu erwarten war.
c) Unterstellt man zugunsten des Klägers, auch von den Arbeitnehmern, die zum 30. Juni 1991 ausschieden, hätten einzelne sofort eine neue Arbeit gefunden, so könnte dies ebenfalls keinen Anspruch des Klägers auf eine Abfindungszahlung begründen. Geht man davon aus, daß es sachlich gerechtfertigt war, den Arbeitnehmern keine Abfindung zu zahlen, die sofort ein Anschlußarbeitsverhältnis gefunden hatten, hätte die Beklagte aber durch eine zu pauschale Handhabung der Abfindungsregelung sachwidrig einzelnen Arbeitnehmern eine Abfindung gezahlt, die auch unter den Ausschlußtatbestand fielen, so käme dies nicht dem Kläger zugute. Die Beklagte hätte dann ohne sachlichen Grund den zur Verfügung stehenden Betrag von 350.000,00 DM um diese zu Unrecht gezahlten Abfindungen gemindert. Dies könnte im Ergebnis allenfalls dazu führen, daß den Arbeitnehmern, die per 30. Juni 1991 arbeitslos wurden, eine höhere Abfindung zuerkannt würde, als sie bisher erhalten haben.
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Hillebrecht Bröhl Bitter
Jansen Dr. Roeckl
Fundstellen
BAGE 00, 00 |
BAGE, 143 |
BB 1994, 652 |
DB 1994, 1089-1091 (LT1-3) |
D-spezial 1995, Nr 7, 10 (T) |
EWiR 1994, 637 (L) |
NZA 1994, 788 |
NZA 1994, 788-790 (LT1-3) |
SAE 1995, 137-140 (LT1-3) |
ZAP-Ost, EN-Nr 222/94 (S) |
AP § 242 BGB Gleichbehandlung (LT1-3), Nr 114 |
AR-Blattei, ES 260 Nr 3 (LT1-3) |
AuA 1994, 216-219 (LT1-3) |
EzA § 242 BGB Gleichbehandlung, Nr 58 (LT1-3) |
RAnB 1994, 223 (L) |