Entscheidungsstichwort (Thema)

Altersversorgungsanspruch. Konkursverfahren. Masseforderung. Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Rückstellungen

 

Leitsatz (amtlich)

Hat ein ruhegeldberechtigter Arbeitnehmer für den Fall einer von ihm nicht verschuldeten vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen vertraglichen Anspruch auf Auszahlung der zu seinen Gunsten bis zum Tag seines Ausscheidens gebildeten Rückstellung und wird dem Arbeitnehmer kurze Zeit, nachdem der Arbeitgeber in Konkurs gefallen ist, vom Konkursverwalter gekündigt, so ist dieser Zahlungsanspruch keine Masseforderung im Sinne von § 59 Nr. 2 KO

 

Normenkette

BGB § 242; Konkursordnung §§ 57, 59

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Urteil vom 13.08.1963; Aktenzeichen 3 Sa 88/63)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 13. August 1963 – 3 Sa 88/63 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der 54 Jahre alte Kläger war mehr als 11 Jahre lang Angestellter der Firma O. Strumpfwerke GmbH M. & Sch.. Er war technischer Direktor und Prokurist. Er bezog ein Gehalt in Höhe von 4.000,– DM monatlich und vom 1. Januar 1962 an 4.500,– DM monatlich.

In ihrem Schreiben vom 6. Dezember 1956 hat die Firma dem Kläger Altersversorgung zugesagt. Dieses Schreiben hat im wesentlichen folgeden Inhalt:

  1. „Den Versorgungsanspruch erwerben Sie, falls Sie – ohne, daß Ihre Anstellungsverhältnis zu uns unterbrochen wurde – das 65. Lebensjahr vollendet haben und in den Ruhestand treten, oder falls Sie dauernd arbeitsunfähig werden sollten.
  2. Der Versorgungsanspruch besteht in dem Anspruch auf eine lebenslängliche Alters- bzw. Invalidenrente von monatlich

    DM 500,– Brutto (i. W. fünfhundert Deutsche Mark).

  3. Kündigen wir Ihr Anstellungsverhältnis oder verlängern wir es bei Fristablauf nicht, ohne daß in Ihrer Person ein wichtiger Grund für die Kündigung oder Nichtverlängerung vorliegt, so erhalten Sie anstelle der in Ziffer 1) und 2) genannten Versorgungsansprüche die in unserer Bilanz nach versicherungs-mathematischen Gesichtspunkten für Ihre Versorgung bis zum Zeitpunkt Ihres Ausscheidens gebildete Rückstellung ausgezahlt. Im Falle Ihrer Kündigung, oder falls wir aus wichtigem Grunde kündigen, entfällt jeder Anspruch auf Versorgung oder Auszahlung der Rückstellung.”

Über das Vermögen der Firma ist inzwischen das Konkursverfahren eröffnet worden. Konkursverwalter ist der Beklagte. Dieser hat das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Rücksicht auf den Konkurs und die damit verbundene Betriebseinstellung durch Schreiben vom 13. August 1962 mit Wirkung zum 30. September 1962 gekündigt.

Der Kläger geht auf Grund einer Auskunft der Allianz-Lebensversicherungs-Gesellschaft AG davon aus, daß die Rückstellungen für seine Altersversorgung zur Zeit der Konkurseröffnung 33.062,50 DM betragen hätten. Er meint, diesen Betrag schulde ihm der Beklagte auf Grund der Pensionszusage (Nr. 3) als Masseschuld. Mit der Klage hat er einen Teilbetrag in Höhe von 8.000,– DM geltend gemacht.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 8.000,– DM zuzahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Ansicht, die vertraglichen Voraussetzungen des Klageanspruchs lägen nicht vor. Außerdem wendet sich der Beklagte gegen die Auffassung des Klägers, es handele sich um eine Masseschuld.

Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 22. April 1963 die Klage abgewiesen. In der Berufungsinstanz hat der Kläger hilfsweise weiter beantragt festzustellen, daß ihm, gegen den Beklagten eine gemäß § 61 Nr. 1 der Konkursordnung bevorrechtigte Konkursforderung in Höhe von 5.750,– DM zusteht. Das Landesarbeitsgericht hat den Leistungsantrag (Hauptantrag) als unbegründet, den Feststellungsantrag (Hilfsantrag) als unzulässig abgewiesen.

Mit der Revision verfolgt der Kläger nur den Leistungsantrag weiter. Der Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nach dem Streitwert zulässig; sie ist nicht begründet.

Wenn man zugunsten des Klägers davon ausgeht, daß die vertraglichen Voraussetzungen des Klageanspruchs gemäß Nr. 3 der Pensionszusage gegeben sind, so hat dieser dennoch einen Zahlungsanspruch gegen den Beklagten nur dann, wenn seine Forderung gegen die Gemeinschuldnerin eine Masseforderung ist, d.h., wenn sie nach § 59 in Verbindung mit § 57 KO aus der Konkursmasse vorweg zu befriedigen ist. Dies ist, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend dargelegt hat, nicht der Fall. In Betracht kommt lediglich § 59 Nr. 2 KO; diese Vorschrift lautet:

„Masseschulden sind: …

2. die Ansprüche aus zweiseitigen Verträgen, deren Erfüllung zur Konkursmasse verlangt wird oder für die Zeit nach der Eröffnung des Verfahrens erfolgen muß;”

Die erste Alternative dieser Vorschrift kann der Kläger nicht für sich in Anspruch nehmen. Zwar beruht die Klageforderung auf einem zweiseitigen Vertrag, nämlich dem Dienstvertrag, weil die Pensionszusage Teil dieses Vertrages ist. Die erste Alternative von § 59 Nr. 2 betrifft aber solche Tatbestände, in denen der Konkursverwalter kraft seiner gesetzlichen Wahlbefugnis Erfüllung zur Konkursmasse verlangt (§§ 17, 20 Abs. 2, 44 Abs. 2 KO). Die Dauer-Schuldverhältnisse, namentlich Miet-, Pacht- und Dienstverträge, die kraft Gesetzes weiterlaufen, bis sie gekündigt werden, fallen unter die zweite Alternative des § 59 KO (Jaeger-Lent, KO, Bd. I, 8. Aufl., Anm. 5 ff. und 9 zu § 59; Mentzel-Kuhn, KO, 7. Aufl., Anm. 9 und 12 zu § 59). Man kann nicht, wie der Kläger das will, annehmen, daß der Konkursverwalter bei einem Arbeitsverhältnis schon dadurch im Sinne von § 59 Nr. 2 „Erfüllung zur Konkursmasse verlangt”, daß er mit der Ausübung des gesetzlichen Kündigungsrechts zögert. Eine gewisse Überlegungsfrist, in der er sich erst einmal einen Überblick verschaffen kann, muß dem Konkursverwalter zugebilligt werden (Jaeger-Lent, aaO, Anm. 14 zu § 22 unter Verweisung auf Bem. 13 zu § 19 KO).

Auch die zweite Alternative des § 59 Nr. 2 KO läßt sich auf die Klageforderung nicht anwenden. Der Kläger meint, die Klageforderung sei als Versorgungsanspruch ebenso zu behandeln wie ein Gehaltsanspruch, denn das Ruhegehalt sei Teil der Gegenleistung des Arbeitgebers für die vom Arbeitnehmer erbrachte Arbeitsleistung. Der Anspruch sei auch erst mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses, also nach Konkurseröffnung, zu erfüllen. Gehaltsforderungen, die nach Konkurseröffnung fällig würden, seien aber nach § 59 Nr. 2 KO Masseforderungen. Dieser Auffassung des Klägers ist das Berufungsgericht mit Recht nicht gefolgt.

Versorgungsansprüchen wird von der heute fast ganz herrschenden Meinung in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Reichsarbeitsgerichts der Charakter als Masseforderung abgesprochen (RAG 8, 117 = ARS 11, 518; RAG 11, 157 = ARS 15, 359; Jaeger-Lent, aaO, Anm. 8 zu § 59; Mentzel-Kuhn, aaO, Anm. 14 zu § 59; Kuhn, Wertpapiermitteilungen 1958, = Teil IV BWM = S. 834 ff, zu IV; Hueck-Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. I. 7. Aufl., § 45 Fußn. 111, S. 379; Hueck, Anmerkungen zu ARS 14, 256 und 15, 359; Nikisch, Arbeitsrecht, Bd. I., 3. Aufl., § 33 zu VI 4, S. 444; Soergel-Wietske-Volze, BGB, Bd. II, 9. Aufl., Bem. 157 zu § 611; Staudinger-Nipperdey-Neumann, Der Dienstvertrag, Bem. 245 zu § 611; abweichend nur: Denecke, Deutsches Arbeitsrecht 1937, S. 74; A. Weiss, BB 1949, S. 452).

Selbst wenn man aber mit Denecke und Albrecht, Weiss Versorgungsansprüche grundsätzlich nach § 59 Nr. 2 ebenso wie laufende Gehaltsforderungen bevorzugen wollte, so könnte sich dennoch der Kläger auf diese Vorschrift nicht berufen. § 59 Nr. 2 KO, zweite Alternative betrifft solche Ansprüche aus zweiseitigen Verträgen, deren Erfüllung „für die Zeit nach der Eröffnung des Verfahrens” erfolgen muß. Die geltend gemachten Ansprüche müssen sich also gerade auf diese Zeit beziehen. Das wollen Denecke und ihm folgend Weiss, aaO, für die während des Konkursverfahrens fällig werdenden Einzelansprüche der Pensionäre bejahen. Hier handelt es sich aber nicht um die Einzelansprüche eines Pensionärs. Der Kläger hat Ruhegehaltsansprüche nach der Pensionszusage nicht erworben, weil der Versorgungsfall bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch nicht eingetreten war. Der Kläger verlangt vielmehr an Stelle der Versorgungsansprüche, die wegen der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht entstehen, den anteiligen Rückstellungsbetrag gemäß Nr. 3 der Pensionszusage. Dieser Anspruch bezieht sich aber auf die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses. Er steht in keinem Zusammenhang mit der Zeitspanne, während der das Arbeitsverhältnis nach Konkurseröffnung noch fortbestanden hat, und mindestens das wäre Voraussetzung für eine Anwendung des § 59 Nr. 2. Aus denselben Erwägungen hat das Reichsarbeitsgericht es abgelehnt, eine tariflich vorgesehene Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes nach mindestens 10-jähriger Betriebszugehörigkeit als Masseforderung gemäß § 59 Nr. 2 KO anzuerkennen, weil es sich nicht um einen Anspruch handele, „dessen Erfüllung für die Zeit nach der Konkurseröffnung erfolgen mußte” (RAG 10, 127 = ARS 14, 252 mit zustimmender Anmerkung von A. Hueck).

Auch eine anteilige Anerkennung des Klageanspruchs als Masseforderung bezogen auf die Zeit von der Eröffnung des Konkursverfahrens bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses kommt nicht in Betracht. Ganz abgesehen davon, daß es zweifelhaft erscheint, ob sich dieser Zahlungsspruch anteilig bestimmten Zeitabschnitten zuordnen läßt, hat das Arbeitsverhältnis des Klägers nach der Konkurseröffnung nur so kurze Zeit fortbestanden, daß ein etwaiges Anwachsen der Rückstellung während dieser Zeit nicht ins Gewicht fällt.

Nach alledem hat das Landesarbeitsgericht zu Recht den vom Kläger auf Nr. 3 der Pensionszusage gestützten Anspruch nicht als Masseforderung anerkannt. Die Revision des Klägers mußte deshalb zurückgewiesen werden.

 

Unterschriften

gez. Dr. Simons, Schilgen, Hilger, Dr. Sinning, Viertel

 

Fundstellen

BAGE, 45

NJW 1964, 1978

MDR 1964, 876

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