Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsübergang - Verwirkung der Geltendmachung eines Betriebsübergangs durch den Arbeitnehmer
Orientierungssatz
Wie jeder Anspruch kann auch die Geltendmachung eines Betriebsübergangs durch den Arbeitnehmer verwirkt werden. Der Anspruch ist verwirkt, wenn der Anspruchsberechtigte erst nach Ablauf eines längeren Zeitraums den Anspruch erhebt (Zeitmoment) und dadurch beim Verpflichteten einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, er werde nicht mehr in Anspruch genommen (Umstandsmoment). Hierbei muß das Erfordernis des Vertrauensschutzes das Interesse des Berechtigten derart überwiegen, daß ihm die Erfüllung des Anspruchs nicht mehr zuzumuten ist.
Tenor
Auf die Revision der Beklagten zu 2) wird das Urteil des
Landesarbeitsgerichts Hamm vom 26. November 1998 - 4 Sa 384/98
- aufgehoben, soweit es der Klage gegen die Beklagte zu 2)
stattgegeben und über die Kosten des Berufungsverfahrens
entschieden hat.
Im Umfang der Aufhebung wird der Rechtsstreit zur anderweiten
Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der
Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Klägerin und die Beklagte zu 2) streiten in der Revision noch über die Frage, ob das Arbeitsverhältnis der Klägerin ungekündigt auf die Beklagte zu 2) auf Grund eines Betriebsübergangs übergegangen ist. Die Beklagte zu 2) wendet insbesondere ein, die Klägerin habe nicht unverzüglich die Fortsetzung ihres Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten zu 2) verlangt.
Die Klägerin war seit 1995 bei der P. GmbH in deren Niederlassung Berlin als technische/kaufmännische Angestellte beschäftigt. Am 6. März 1997 beantragte die P. GmbH über ihr Vermögen die Eröffnung des Konkursverfahrens. Das Amtsgericht ordnete am selben Tage die Sequestration des Vermögens der Schuldnerin an und bestellte den Beklagten zu 1) als Sequester.
Mit einem an die Kunden der Gemeinschuldnerin gerichteten Schreiben vom 8. April 1997 teilte die Beklagte zu 2) folgendes mit:
"die P. GmbH befindet sich seit dem 06. März 1997 in der
Sequestration.
Die H. AG, die sich in Gründung befindet, wird ab 01. Mai 1997
laufende Aufträge der P. GmbH übernehmen und weiterführen und mit
ca. 100 Mitarbeitern in der Gebäudetechnik am Markt tätig sein.
Sitz der Gesellschaft ist L., mit einer Zweigniederlassung in
Berlin.
In L. und Berlin können Sie die H. AG unter den Ihnen bisher
bekannten Adressen, Telefon- und Faxnummern erreichen.
Für Sie als langjähriger Kunde der P. GmbH bedeutet dieses, daß
Sie auch zukünftig mit der H. AG mit neuem Engagement einen
kompetenten Partner in der Ausführung von Heizungs-, Sanitär-,
Lüftungs- und Klimatechnik haben werden, ebenso im Kundendienst
und Servicebereich. Ihre Ansprechpartner werden die Ihnen aus der
bisherigen Geschäftsbeziehung bekannten Personen sein.
Über eine weitere, zukünftige Geschäftsbeziehung und
Zusammenarbeit mit Ihnen würden wir uns freuen."
Mit Schreiben vom 22. April 1997 kündigte der Beklagte zu 1) als Sequester der Klägerin wie folgt:
"Ihnen ist bekannt, daß durch Beschluß des Amtsgerichts Detmold
vom 06.03.1997 über das Vermögen der P. GmbH, L., die
Sequestration angeordnet und der Unterzeichnete als Sequester
bestellt wurde.
In Kürze ist die Eröffnung des Konkursverfahrens zu erwarten.
Schon jetzt steht fest, daß der Betrieb zum 30.04.1997 endgültig
und auf Dauer eingestellt wird. Es werden nur noch Restarbeiten
und Aufräumarbeiten ausgeführt.
Aus diesem Grunde kündige ich hiermit das mit Ihnen bestehende
Arbeitsverhä 31. Mai 1997."
Unter der Unterschrift des Beklagten zu 1) hatte der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin folgende Erklärung unterzeichnet:
"Der vorstehenden Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses wird
zugestimmt."
Am 1. Mai 1997 um 12.00 Uhr eröffnete das Amtsgericht das Konkursverfahren über das Vermögen der Gemeinschuldnerin und bestellte den Beklagten zu 1) zum Konkursverwalter. Am 2. Mai 1997 ging der Klägerin das Kündigungsschreiben vom 22. April 1997 zu.
Mit ihrer am 12. Mai 1997 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin gegenüber dem Beklagten zu 1) die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht.
Die Klägerin hat vorgetragen, die Kündigung vom 22. April 1997 sei schon deshalb rechtsunwirksam, weil der Beklagte zu 1) als Sequester nicht kündigungsbefugt gewesen sei. Die mangelnde Vertretungsberechtigung werde auch nicht dadurch geheilt, daß der ehemalige Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin dieser Kündigung zugestimmt habe. Dies deshalb, weil durch die Sequestration der ehemalige Geschäftsführer nicht vertretungsbefugt gewesen sei und daher wirksam eine rechtsgeschäftliche Zustimmungserklärung gar nicht mehr habe abgeben können. Der Sequestrationsbeschluß berechtige den Beklagten zu 1) in seiner Eigenschaft als Sequester nicht, sämtliche Arbeitsverhältnisse zu kündigen. Eine solche Handlung, zu der auch die ihr gegenüber erklärte Kündigung gehöre, sei keine Verwaltungsmaßnahme, sondern stelle eine Liquidationsmaßnahme dar, zu der der Sequester nicht berechtigt sei.
Entgegen den im Inhalt des Kündigungsschreibens vom 22. April 1997 gemachten Angaben habe der Beklagte zu 1) nicht beabsichtigt, den Betrieb zum 30. April 1997 endgültig einzustellen. Seine Absicht sei vielmehr gewesen, den Betrieb durch einen Dritten, nämlich die H. AG, fortführen zu lassen. Die Beklagte zu 2) habe unter dem 8. April 1997 Kunden der Gemeinschuldnerin angeschrieben und erklärt, daß sie sich in Gründung befinde und ab dem 1. Mai 1997 laufende Aufträge der Gemeinschuldnerin übernehmen und weiterführen werde, und zwar werde sie mit etwa 100 Mitarbeitern in der Gebäudetechnik am Markt tätig sein. Erklärt worden sei weiter, daß in L. und Berlin die neue Firma unter den bisher bekannten Adressen, Telefon- und Telefaxnummern erreichbar sei.
Die Klägerin hat die Feststellung begehrt, daß die Kündigung des Beklagten zu 1) das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst habe, sondern dieses zu unveränderten Bedingungen fortbestehe. Weiter hat die Klägerin beantragt, den Beklagten zu 1) zur Weiterbeschäftigung zu verurteilen.
Der Beklagte zu 1) hat Klageabweisung beantragt und vorgetragen, der Wortlaut des Kündigungsschreibens vom 22. April 1997 stelle eindeutig sicher, daß die Kündigung des Arbeitsverhältnisses von dem Geschäftsführer der nachmaligen Gemeinschuldnerin gedeckt gewesen sei. Im übrigen zeige der Sequestrationsbeschluß, daß nicht nur eine reine Sicherungssequestration, sondern eine sog. Verwaltungssequestration angeordnet worden sei. Gegenstand der Verwaltungssequestration sei über die reine Sicherungssequestration hinaus grundsätzlich die umfassende Befugnis des Sequesters, sämtliche Rechtshandlungen zum Erhalt der Masse vorzunehmen. Dazu zählten auch die für notwendig erachteten Kündigungen. Die Gemeinschuldnerin sei von einer endgültigen Einstellung des Betriebes zum 30. April 1997 ausgegangen. Mögliche Betriebsfortführungen seien zu diesem Zeitpunkt noch nicht deutlich absehbar gewesen. Richtig sei allerdings, daß die Beklagte zu 2) im nachhinein den Betrieb der Gemeinschuldnerin fortführe, so daß es auch aus seiner Sicht zu einer Betriebsfortführung im Sinne des § 613 a BGB gekommen sei. Ein Weiterbeschäftigungsanspruch ihm gegenüber bestehe jedoch nicht. Diesen könnte die Klägerin allenfalls gegenüber der Beklagten zu 2) geltend machen.
Das Arbeitsgericht hat dem Kündigungsschutzantrag der Klägerin stattgegeben, weil die Kündigung unwirksam im Sinne des § 1 KSchG sei. Eine Stillegung zum 30. April 1997 habe nicht vorgelegen. Im übrigen hat das Arbeitsgericht den Weiterbeschäftigungsantrag der Klägerin abgewiesen, weil nach dem Vortrag beider Parteien ein Betriebsübergang auf die Beklagte zu 2) erfolgt sei und diese aufgrund des Übergangs des Arbeitsverhältnisses verpflichtet wäre, die Klägerin weiterzubeschäftigen.
Gegen dieses Urteil hat der Beklagte zu 1) Berufung eingelegt. Die Klägerin hat Zurückweisung der Berufung beantragt und im Wege einer am 8. Juni 1998 zugestellten Klageerweiterung gegenüber der Beklagten zu 2) beantragt
festzustellen, daß das mit der Gemeinschuldnerin begründete
Arbeitsverhältnis mit Wirkung vom 1. Mai 1997 auf die Beklagte zu
2) übergegangen sei,
die Beklagte zu 2) zu verurteilen, die Klägerin zu unveränderten
Arbeitsbedingungen als kaufmännische Angestellte zu einem
Bruttogehalt in Höhe von 4.500,00 DM weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte zu 2) hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie rügt die örtliche und funktionale Zuständigkeit des Landesarbeitsgerichts. Im übrigen bestreitet sie den behaupteten Betriebsübergang. Vorsorglich beruft sie sich darauf, daß der Anspruch der Klägerin nach § 613 a BGB rechtsmißbräuchlich sei. Ausweislich der Klageschrift vom 6. Mai 1997 sei der Klägerin schon zum damaligen Zeitpunkt bekannt gewesen, daß die Beklagte zu 2) einen ähnlichen Betrieb fortführe. Somit habe sich die Klägerin schon zum damaligen Zeitpunkt auf das Vorliegen eines Betriebsübergangs berufen können. Nach mehr als einem Jahr habe sie, die Beklagte zu 2), davon ausgehen können und müssen, daß sich kein weiterer Arbeitnehmer mehr auf einen angeblichen Betriebsübergang berufe. Aus diesem Grunde sei nunmehr der Anspruch der Klägerin verwirkt.
Das Landesarbeitsgericht hat die Klage, soweit sie gegen den Beklagten zu 1) gerichtet ist, abgewiesen. Es hat festgestellt, das Arbeitsverhältnis der Klägerin sei mit Wirkung vom 1. Mai 1997 auf die Beklagte zu 2) übergegangen und bestehe ungekündigt fort. Weiter hat es die Beklagte zu 2) zur Weiterbeschäftigung der Klägerin verurteilt. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte zu 2) ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten zu 2) ist begründet. Sie führt zur teilweisen Aufhebung des angefochtenen Urteils und im Umfang der Aufhebung zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht (§ 565 Abs. 1 ZPO). Über die Klage gegen die Beklagte zu 2) kann auf Grund der bisher getroffenen Feststellungen noch nicht entschieden werden.
I. Das Landesarbeitsgericht hat die Verurteilung der Beklagten zu 2) im wesentlichen wie folgt begründet:
Die von der Klägerin erst im Berufungsverfahren durch Anschlußberufung vorgenommene Klageerweiterung auf die Beklagte zu 2) sei zulässig. Die Klageänderung sei gem. § 263 ZPO sachdienlich. In der Sache habe die gegen die Beklagte zu 2) gerichtete Klage Erfolg. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin sei mit Wirkung vom 1. Mai 1997 ungekündigt auf Grund eines Betriebsübergangs gem. § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB auf die Beklagte zu 2) übergegangen. Auf Grund des von dem vormaligen Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin unterzeichneten Schreibens der Beklagten zu 2) vom 8. April 1997 an die Kunden der Gemeinschuldnerin könne davon ausgegangen werden, daß die Beklagte ab 1. Mai 1997 die wesentlichen materiellen und immateriellen Betriebsmittel der Gemeinschuldnerin verwendet habe, die ihrerseits ihre geschäftlichen Aktivitäten eingestellt habe. Bei Planungs- und Servicebetrieben, deren Betriebsvermögen hauptsächlich aus Rechtsbeziehungen bestehe, stünden die immateriellen Betriebsmittel im Vordergrund. Es komme noch hinzu, daß die Räumlichkeiten wie das Inventar häufig lediglich gemietet und Büromaschinen geleast würden, so daß es eines materiellen Kerns für einen Betrieb in diesen Fällen gar nicht bedürfe. Dies hänge damit zusammen, daß bei solchen Betrieben eigentliche Quelle der Wertschöpfung nicht die Betriebsanlagen, sondern die "markanten" Teile der alten Firma, nämlich der "Good-will" des Unternehmens am Markt, der vorhandene Kundenstamm, die erteilten Konzessionen sowie das für die Geschäftstätigkeit unverzichtbare "Know-how" sei.
Der Klägerin sei nicht verwehrt, sich darauf zu berufen, daß ihr Arbeitsverhältnis mangels Widerspruchs mit Wirkung vom 1. Mai 1997 von der Gemeinschuldnerin auf die Beklagte zu 2) übergegangen sei. Es sei zwar richtig, daß ein Arbeitnehmer einen bestrittenen Übergang seines Arbeitsverhältnisses gem. § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB alsbald gerichtlich geltend machen müsse. Es könne aber nicht ohne Einfluß bleiben, daß weder der Beklagte zu 1) noch die Beklagte zu 2) die Klägerin rechtzeitig über den bevorstehenden Betriebsübergang und seine Folgen unterrichtet haben. Es sei anerkannt, daß die Erklärungsfrist für eine nach Betriebsübergang noch mögliche Ausübung des Widerspruchsrechts jedenfalls im Regelfall erst mit der ausreichenden Unterrichtung des Arbeitnehmers über den Betriebsinhaberwechsel beginne. Nicht anders verhalte es sich bei der Frage der Klageerhebung, wenn der Arbeitnehmer dem Betriebsübergang nicht widerspricht und sich gegen die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses durch den Betriebsveräußerer zur Wehr setzt. Dieser müsse dann den Betriebserwerber hiervon in Kenntnis setzen. Auf dem Rücken der Arbeitnehmer könne dies nicht ausgetragen werden.
Die Kündigung vom 22. April 1997 sei schon deshalb unwirksam, weil die Kündigung erst am 2. Mai 1997 der Klägerin zugestellt worden sei, zu einem Zeitpunkt, zu dem der Beklagte zu 1) wegen des am 1. Mai 1997 erfolgten Betriebsübergangs gar nicht mehr kündigungsbefugt gewesen sei. Auf die Frage, ob der Beklagte zu 1) als Sequester mit Zustimmung der Gemeinschuldnerin wirksam habe kündigen können, komme es somit nicht an. Mithin sei die Beklagte zu 2) verpflichtet, die Klägerin zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.
II. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Gegen die Ausdehnung des Rechtsstreits auf die Beklagte zu 2) erst in der Berufungsinstanz bestehen keine durchgreifenden Bedenken, zumal die Beklagte zu 2) diese Klageerstreckung mit der Revision nicht mehr rügt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat die Ausdehnung des Rechtsstreits auf einen weiteren Beklagten erst in der Berufungsinstanz Ausnahmecharakter und ist deshalb nur zulässig, wenn der neue Beklagte zustimmt oder die Verweigerung der Zustimmung rechtsmißbräuchlich ist (BGH 18. März 1997 - XI ZR 34/96 - NJW 1997, 2885). Als Rechtsmißbrauch hat der Bundesgerichtshof die Weigerung des Zweitbeklagten, der Klageerstreckung in der Berufungsinstanz zuzustimmen, allerdings bereits dann gewertet, wenn nicht ersichtlich ist, daß der Zweitbeklagte bei der Zulassung der Klageerstreckung eine irgendwie geartete beachtliche Schlechterstellung zu befürchten hat (BGH aaO). Eine solche Schlechterstellung hat die Beklagte zu 2) nicht dargelegt.
2. Ob ein Betriebsübergang auf die Beklagte zu 2) vorliegt, kann nach den bisher getroffenen Feststellungen nicht entschieden werden.
a) Ein Betriebsübergang setzt die Wahrung der Identität der betreffenden wirtschaftlichen Einheit voraus. Der Begriff Einheit bezieht sich auf eine organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur auf Dauer angelegten Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung. Bei der Prüfung, ob eine Einheit übergegangen ist, müssen sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen berücksichtigt werden. Dazu gehören als Teilaspekte der Gesamtwürdigung die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebs, der etwaige Übergang der materiellen Betriebsmittel wie Gebäude und bewegliche Güter, der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs, die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft, der etwaige Übergang der Kundschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit. Eine Einheit darf nicht als bloße Tätigkeit verstanden werden. Die Identität der Einheit ergibt sich auch aus anderen Merkmalen wie ihrem Personal, ihren Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden und den ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln (ständige Rechtsprechung des Senats im Anschluß an EuGH 11. März 1997 - Rs.C-13/95 - EuGHE I 1997, 1259 (Ayse Süzen); vgl. nur Senatsurteil 22. Januar 1998 - 8 AZR 775/96 - AP BGB § 613 a Nr. 174 = EzA BGB § 613 a Nr. 162).
b) Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Gesamtwürdigung ist nicht frei von Rechtsfehlern. Sie berücksichtigt nicht, ob und inwieweit die Beklagte zu 2) eine organisierte Gesamtheit von Personen von der Gemeinschuldnerin übernommen hat.
Zuzustimmen ist dem Landesarbeitsgericht darin, daß das Schreiben der Beklagten zu 2) an die Kunden der Gemeinschuldnerin vom 8. April 1997 für einen Betriebsübergang spricht. Danach hat die Beklagte zu 2) die bisherigen Geschäftsbeziehungen der Gemeinschuldnerin mit Kundendienst und Servicebereich am 1. Mai 1997 übernommen und die laufenden Aufträge weitergeführt. Dem Landesarbeitsgericht ist auch darin zu folgen, daß bei Planungs- und Servicearbeiten, deren Betriebsvermögen hauptsächlich in Rechtsbeziehungen bestehe, immaterielle Betriebsmittel im Vordergrund stehen. Um eine bloße Funktionsnachfolge auszuschließen und die Identität der wirtschaftlichen Einheit anzunehmen, muß jedoch auch die Übernahme der Führungskräfte und des darin liegenden "Know-how" sowie der organisierten Hauptbelegschaft in die Gesamtwürdigung einbezogen werden. Hierzu hat das Landearbeitsgericht bisher keine Feststellungen getroffen. Offenbar wurde die Beklagte zu 2) als Auffanggesellschaft mit einem erheblich (von 180 auf 100) reduzierten Personalbedarf gegründet. Für die Frage, ob ein Betriebsübergang oder eine bloße Funktionsnachfolge vorliegt, wird es ua. darauf ankommen, ob die Beklagte zu 2) einen bereits rationalisierten Betrieb übernommen (vgl. hierzu Senat 18. Juli 1996 - 8 AZR 127/94 - BAGE 83, 302) oder die Geschäfte der P. GmbH im Sinne einer bloßen Funktionsnachfolge mit einem kleineren, mit weniger Personal neu organisierten Betrieb fortgeführt hat (vgl. hierzu Senat 23. September 1999 - 8 AZR 616/98 - nv., zu II 2 c der Gründe).
c) Dem Bestand eines möglicherweise nach § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB auf die Beklagte zu 2) übergegangenen Arbeitsverhältnisses steht jedenfalls die vom Sequester mit Zustimmung der Gemeinschuldnerin ausgesprochene Kündigung vom 22. April 1997 nicht entgegen. Sollte nämlich am 1. Mai 1997 ein Betriebsübergang auf die Beklagte zu 2) erfolgt sein, so ist die am 2. Mai 1997 der Klägerin zugestellte Kündigung schon deshalb unwirksam, weil zu diesem Zeitpunkt jedenfalls nicht der Beklagte zu 1), sondern lediglich die Beklagte zu 2) als Betriebserwerber und Arbeitgeber kündigungsbefugt war. Dies hat das Landesarbeitsgericht richtig entschieden.
3. Sollte das Landesarbeitsgericht auf Grund einer auch die Personalübernahme einbeziehenden Gesamtwürdigung erneut zu dem Ergebnis kommen, daß am 1. Mai 1997 ein Betriebsübergang auf die Beklagte zu 2) erfolgte, wird es auch noch einmal die Frage der Verwirkung zu prüfen haben. Mit der Begründung des Landesarbeitsgerichts kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Klägerin am 8. Juni 1998 (Zustellung der Klageerweiterung auf die Beklagte zu 2) ihr Recht, den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die Beklagte zu 2) geltend zu machen, verwirkt hat.
a) Wie jeder Anspruch kann auch die Geltendmachung eines Betriebsübergangs durch den Arbeitnehmer verwirkt werden. Dies hat das Bundesarbeitsgericht zuletzt im Rahmen einer Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit einer Kündigung wegen Betriebsübergangs nach § 613 a Abs. 4 BGB entschieden (BAG 20. Mai 1988 - 2 AZR 711/87 - AP BGB § 242 Prozeßverwirkung Nr. 5 = EzA BGB § 242 Prozeßverwirkung Nr. 1). Der Anspruch ist verwirkt, wenn der Anspruchsberechtigte erst nach Ablauf eines längeren Zeitraums den Anspruch erhebt (Zeitmoment) und dadurch beim Verpflichteten einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, er werde nicht mehr in Anspruch genommen (Umstandsmoment). Hierbei muß das Erfordernis des Vertrauensschutzes das Interesse des Berechtigten derart überwiegen, daß ihm die Erfüllung des Anspruchs nicht mehr zuzumuten ist.
b) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts beginnt das Zeitmoment nicht erst mit der umfassenden Unterrichtung des Arbeitnehmers über den Betriebsübergang und seine Folgen, sondern bereits mit der positiven Kenntnis des Arbeitnehmers von den den Betriebsübergang ausmachenden tatsächlichen Umständen. Im Streitfall könnte die Klägerin diese positive Kenntnis zB im Juni 1997 erlangt haben, als sie Buchhaltungsarbeiten für die Beklagte zu 2) erledigte und ihre früheren Arbeitskolleginnen bei ihrer Arbeit für die Beklagte zu 2) traf. Hierbei könnte sie erfahren haben, daß die Beklagte zu 2) den Betrieb der Gemeinschuldnerin unverändert fortgeführt und deren organisierte Hauptbelegschaft übernommen habe. Bereits in der gegen den Beklagten zu 1) gerichteten Kündigungsschutzklage vom 6. Mai 1997 hatte die Klägerin durch ihren Prozeßbevollmächtigten vortragen lassen, es handle sich "offenbar um einen Betriebsübergang".
Zur Bestimmung der Dauer des Zeitmoments ist nicht auf eine starre Höchst- oder Regelfrist abzustellen, sondern auf die konkreten Umstände des Einzelfalls. Insofern spielt auch die fehlende Unterrichtung des Arbeitnehmers durch den Betriebsveräußerer und den Betriebserwerber eine Rolle. Bei schwierigen Sachverhalten, insbesondere wenn der Betriebsübergang nicht zweifellos gegeben ist, können die Rechte des Arbeitnehmers erst nach längerer Untätigkeit verwirken. Im Streitfall hat die Klägerin jedoch erst über ein Jahr, nachdem sie von einem "offenbaren Betriebsübergang" auf die Beklagte zu 2) ausgegangen war, dieser gegenüber den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses gem. § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB geltend gemacht. Dies könnte das Zeitmoment erfüllen, auch wenn man berücksichtigt, daß die Beklagte zu 2) den Betriebsübergang nach wie vor bestreitet.
Zu Unrecht verweist die Revision in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung des Senats vom 12. November 1998 (- 8 AZR 265/97 - AP KSchG 1969 § 1 Wiedereinstellung Nr. 5 = EzA BGB § 613 a Nr. 171, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Nach dieser Entscheidung hat der Arbeitnehmer, dem wirksam betriebsbedingt gekündigt worden war, nach Kenntniserlangung von den den Betriebsübergang ausmachenden tatsächlichen Umständen (zB durch nachträgliche Einstellung der organisierten Hauptbelegschaft) sein Fortsetzungsverlangen gegenüber dem Betriebserwerber "unverzüglich" geltend zu machen. In diesem Fall ist das Arbeitsverhältnis wegen der wirksamen Kündigung nicht gem. § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB übergegangen und daher weniger schutzwürdig. Im Streitfall wäre das Arbeitsverhältnis rechtswirksam übergegangen, es wäre lediglich längere Zeit nicht geltend gemacht worden.
c) Kommt danach das Landesarbeitsgericht unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze zu dem Ergebnis, daß das Zeitmoment erfüllt sei, so wird es noch das Umstandsmoment zu prüfen haben. Dieses ist dann begründet, wenn die Beklagte darauf vertrauen konnte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden und sich hierauf einrichtete. Auch hierzu hat das Landesarbeitsgericht bisher keine Feststellungen getroffen.
Ascheid
Dr. WittMikosch Schömburg
Zankl
Fundstellen
NZI 2001, 77 |
ZInsO 2000, 411 |