Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung nach Einigungsvertrag wegen Tätigkeit für das MfS
Normenkette
Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2; PersVG-DDR §§ 82, 79 Abs. 4
Verfahrensgang
Sächsisches LAG (Urteil vom 04.10.1994; Aktenzeichen 11 (3) Sa 257/93) |
ArbG Dresden (Urteil vom 14.05.1993; Aktenzeichen 8 Ca 3079/92) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 4. Oktober 1994 – 11 (3) Sa 257/93 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer auf Anl. I Kap. XIX Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2 Einigungsvertrag (fortan: Abs. 5 Ziff. 2 EV) gestützten außerordentlichen Kündigung sowie einer vorsorglich nach Kap. XIX Sachgeb. A. Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 der Anlage I des Einigungsvertrages (fortan: Abs. 4 Ziff. 1 EV) ausgesprochenen ordentlichen Kündigung.
Der im Jahre 1952 geborene Kläger leistete aufgrund einer gegenüber dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) abgegebenen Verpflichtungserklärung als Soldat auf Zeit seinen dreijährigen Wehrdienst in dem Wachregiment F. Ab 1974 arbeitete der Kläger als Koch in HO-Gaststätten. Gleichfalls seit 1974 leitete er ehrenamtlich den FDJ-Single-Club „C.” in D. Am 8. Januar 1979 nahm der Kläger eine Tätigkeit beim Rat des Stadtbezirks D. auf. Er war Mitglied der dortigen SED-Parteileitung und Mitglied der FDJ-Stadtbezirksleitung. Im Juli 1985 kam es zu einem Disziplinarverfahren gegen den Kläger. Die gegen ihn verhängte fristlose Entlassung wurde vom Bezirksgericht aufgehoben. Der Kläger nahm eine Tätigkeit als Lagerverantwortlicher bei der Gebäudewirtschaft D. auf. Am 18. Mai 1987 erwarb der Kläger den Fachschulabschluß als „Staatswissenschaftler”. Später arbeitete der Kläger als Referent für Jugendfragen und stellvertretender Leiter der Wohnungsverwaltung bei der Gebäudewirtschaft D.
Seit dem 15. Oktober 1990 wurde der Kläger aufgrund eines vom 15. September 1990 datierenden schriftlichen Arbeitsvertrages als Direktor des Veranstaltungsbetriebes D., einer nachgeordneten Einrichtung der Beklagten, beschäftigt.
Auf Antrage der Beklagten teilte der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR mit, daß der Kläger seit dem 13. Februar 1987 unter dem Decknamen „H.” bei der Kreisdienststelle D. des MfS registriert gewesen sei. Der Kläger habe dem MfS entgeltlich ein Zimmer seiner Wohnung in D. zur Verfügung gestellt sowie mündliche und schriftliche Berichte über Personen seiner Umgebung gefertigt. Am 2. Juli 1987 habe der Kläger eine Schweigepflichterklärung unterzeichnet. Am 6. August 1987 sei er offiziell als IMK/KW geworben worden. Eine Verpflichtungserklärung habe er mit dem Decknamen „H.” abgegeben.
Unstreitig erhielt der Kläger für die Überlassung eines Zimmers seiner Wohnung von 1987 bis 1989 von einem MfS-Mitarbeiter namens R. Zahlungen in Höhe von 100,– bis 150,– Mark. Die erhaltenen Zahlungen quittierte der Kläger mit dem Namen „H.” „. In den Unterlagen des MfS befinden sich sechs solche mit dem Namen „H.” unterzeichnete Quittungen sowie ein Auskunftsbericht vom 11. November 1987 mit einem Paßbild des Klägers und dem Decknamen „H. „. Bei den MfS-Unterlagen befindet sich weiterhin der vom Kläger handschriftlich niedergelegte und mit Namen „H.” unterzeichnete Bericht mit folgendem Inhalt:
„(geschwärzt) besitzt einen klaren Klassenstandpunkt den er offensiv vertritt. Er tritt gegen Mißstände, auch wenn es zum eigenen Nachteil ist, auf und bemüht sich Lösungen zu finden. Im Singleclub ist seine Position aufgrund stimmlicher Probleme noch ausbaufähig. Er gehört aber von Anfang an dem progressiven Kern des Clubs an. Über Verbindungen ins NSW ist nichts bekannt. Bei Einsätzen für NSW-Gruppen beweist er gutes Argumentationsgefühl.
(geschwärzt) ist ein fröhlicher aufgeschlossener Jugendlicher. Sie ist erst relativ kurze Zeit Mitglied unseres Clubs und nahm in dieser Periode eine gute künstlerische Entwicklung. In Diskussionen tritt sie politisch sauber auf, allerdings fehlt ihr noch der Überblick über größere politische Zusammenhänge. So verschenkte sie zu einem Auftritt für eine BRD Gruppe ihre FDJ-Bluse. Nachdem durch den Clubleiter eine Auftrittssperre von 3 Monaten ausgesprochen war, wurde ihr erst in der anschließenden Diskussion klar, warum eine solche Handlungsweise nicht geduldet werden kann. Diese Disziplinarmaßnahme nutzte sie um sich mit diesen Dingen gründlicher zu befassen, so daß es bisher keinerlei Anlaß zur Kritik mehr gab. Sie wird seit kurzem solistisch eingesetzt und erfüllt ihre Aufgaben mit großer Initiative. Über Verbindungen ins NSW ist bekannt, daß ein Schulfreund ihres Vaters (geschwärzt) in Australien bislang (unleserlich) mit der Familie in Briefkontakt steht und von Sept. 87 bis Januar 88 zu einem Besuchsaufenthalt in der DDR (unleserlich) weilte.
Weiterhin lebt ein Bruder der Großmutter in der BRD (Schweißer).
Bei Diskussionen mit BRD Gruppen (unleserlich) wurde sie mehrfach positiv erwähnt durch Diskussionspartner.
(unleserlich)
Dieser ist seit 13 1/2 Jahren Mitglied des Clubs und hat um dessen Entwicklung große Verdienste.
Er wuchs unter kleinbürgerlichen Verhältnissen auf, was auch bestimmte Denk- und Handlungsweisen bedingte. Trotzdem vertrat er stets außerhalb des Clubs einen klaren Klassenstandpunkt. Durch mehrfache negative Erfahrungen im Umgang mit Genossen führte sein anfänglicher Wunsch, Mitglied unserer Partei zu werden nicht zur Mitgliedschaft. In diesem Fall zeigt sich mit aller Deutlichkeit in welchem Umfang Fehlverhalten oder Fehlentscheidungen negativen Einfluß nehmen. Sein Auftreten bei NSW Veranstaltungen kann als vorbildlich bezeichnet werden, über NSW Kontakte in der Familie ist nichts bekannt. Seine geplante familiäre Bindung mit (geschwärzt) halte ich persönlich auch politisch nicht für vorteilhaft. Beide Mitglieder werden deshalb auf eigenen Wunsch zunächst ab September 88 aus dem Singleclub ausscheiden.
Für (geschwärzt) wird der Einsatz als Gastsolist in Betracht gezogen.”
Gleichfalls bei den MfS-Unterlagen befindet sich ein Schreiben des Klägers vom 24. Juni 1987 mit folgendem Inhalt:
„Betr. (geschwärzt)
In den MfS-Unterlagen befinden sich weitere Berichte, von denen die Beklagte behauptet, der Kläger habe sie verfaßt.
Am 9. März 1992 wurde der Kläger von dem „Unabhängigen Untersuchungsausschuß” der Stadtverordnetenversammlung der Beklagten zu den erhobenen Vorwürfen angehört. Der Ausschuß empfahl mit Schreiben vom 12. März 1992 den Ausspruch einer fristlosen Kündigung.
Am 18. März 1992 unterrichtete die Beklagte den Personalrat der Stadtverwaltung über die beabsichtigte Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers. Der Personalratsvorsitzende erklärte daraufhin, der Personalrat der Stadtverwaltung sei für die Kündigung des Klägers nicht zuständig. Mit Schreiben vom 18. März 1992 unterrichtete die Beklagte den Personalrat des Veranstaltungsbetriebes über die beabsichtigte außerordentliche und hilfsweise ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Der Personalrat des Veranstaltungsbetriebes stimmte dem Antrag auf Kündigung mit Schreiben vom 19. März 1992 unter der Voraussetzung zu, „daß die Vorwürfe einer Mitarbeit bzw. inoffizieller Mitarbeit für das ehemalige MfS den Tatsachen entsprechen”.
Mit Schreiben vom 23. März 1992 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos auf der Grundlage von Abs. 5 Ziff. 2 EV sowie vorsorglich ordentlich zum 30. Juni 1992. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am 23. März 1992 zu.
Mit der am 10. April 1992 beim Kreisgericht eingereichten Kündigungsschutzklage hat der Kläger die Unwirksamkeit der außerordentlichen und der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung geltend gemacht. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Bestimmungen des Einigungsvertrages seien nicht anwendbar, weil sein Arbeitsverhältnis erst nach dem 3. Oktober 1990 begründet worden sei. Die demzufolge anwendbare Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB sei nicht eingehalten worden.
Er sei niemals inoffizieller Mitarbeiter des MfS gewesen und habe auch kein konspiratives Objekt unterhalten. Da er sich zeitweise bei seiner Mutter aufgehalten und einen Teil der Wohnung ausgebaut habe, habe er einen Teil der Wohnung an den MfS-Mitarbeiter R. untervermieten können. Die am 24. Juni 1987 erstattete Anzeige über einen Herrn G. sei gegenüber der Volkspolizei getätigt worden.
Es sei durchaus möglich, daß er verschiedene Gespräche mit dem MfS-Mitarbeiter R. geführt habe, daraus könnten sich die Berichte in den Akten der Staatssicherheit erklären. Die Quittungen habe er mit „H.” unterzeichnet, weil dies Herr R. mit seiner Tätigkeit für das MfS begründet habe.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beteiligung des Personalrats sei, nicht ordnungsgemäß erfolgt. Hierfür zuständig sei allein der Personalrat der Stadtverwaltung gewesen.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung vom 23. März 1992 weder außerordentlich noch mit ordentlicher Frist aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat, soweit in der Revisionsinstanz noch erheblich, beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, die Bestimmungen des Einigungsvertrages seien anwendbar, weil das Arbeitsverhältnis bereits am 15. September 1990 begründet worden sei. Der Kläger sei auch für das MfS tätig gewesen, denn er sei 1987 offiziell geworben worden, habe Berichte gefertigt und ein Zimmer seiner Wohnung als konspiratives Objekt zur Verfügung gestellt. Aus den vorliegenden Berichten ergebe sich, daß der Kläger sich zu einer Zusammenarbeit bereit erklärt und den Decknamen „H.” gewählt habe. Die örtlichen Personalräte seien lediglich vorsorglich informiert worden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
A. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:
Das Arbeitsverhältnis der Parteien sei durch die auf Abs. 5 Ziff. 2 EV gestützte außerordentliche Kündigung am 23. März 1992 aufgelöst worden.
Abs. 5 Ziff. 2 EV finde auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Der Kläger sei Arbeitnehmer im Sinne von Nr. 1 Abs. 1 EV gewesen, denn er sei beim Wirksamwerden des Beitritts in der öffentlichen Verwaltung beschäftigt gewesen. Insofern komme es allein auf den rechtlichen Bestand des Beschäftigungsverhältnisses am 2. Oktober 1990 an. Der Arbeitsvertrag sei am 15. September 1990 geschlossen worden. Soweit der Kläger im Termin vom 4. Oktober 1994 erstmalig behauptet habe, er hätte den Arbeitsvertrag erst am 15. Oktober 1990 unterschrieben, habe er seinen vom Wortlaut der Vertragsurkunde abweichenden Sachvortrag nicht hinreichend substantiiert.
Der Kläger sei für das frühere MfS tätig gewesen. Er habe ein Zimmer seiner Wohnung dem MfS zur Verfügung gestellt und hierfür Zahlungen in Höhe von 100–150 Mark erhalten. Die Quittungen habe er jeweils mit dem Namen „H.” quittiert. Unter demselben Decknamen habe er dem MfS über verschiedene Singleclub-Mitglieder Bericht erstattet und auch belastende, personenbezogene Informationen weitergegeben. Insbesondere aus der Verwendung des Namens „H.” ergebe sich, daß der Kläger nicht „blauäugig” gehandelt, sondern bewußt für das MfS tätig geworden sei. Wegen dieser Tätigkeiten des Klägers für das MfS erscheine ein Festhalten am Arbeitsverhältnis als unzumutbar. Die Tätigkeit des Klägers für das MfS stelle sich nicht nur als unbeachtliche und untrennbare Folge seiner Tätigkeit als Leiter des Single-Clubs „C.” dar. Es sei auch nicht erkennbar, daß der Kläger sich zu Beginn oder auch während seines Zusammenwirkens mit dem MfS in einer besonderen Konfliktsituation befunden habe. Die frühere Tätigkeit des Klägers für das MfS stehe im Widerspruch zur Zielsetzung des von der Beklagten unterhaltenen Veranstaltungsbetriebes. Der Kläger als Direktor des Veranstaltungsbetriebes der Stadt repräsentiere das Kulturangebot der Landeshauptstadt nach außen. Über ihn würden die in der Landeshauptstadt stattfindenden Messen und Ausstellungen organisiert. Er betreue ferner die verschiedenen Volksfeste der Stadt und sei auch verantwortlich für die Organisation des Konzertplatzes und der Freilichtbühne. Damit sei auch ein Auftreten des Klägers als Direktor des Veranstaltungsbetriebes in der Öffentlichkeit verbunden. Zielsetzung des Veranstaltungsbetriebes sei dabei die Vielfalt der Kultur in einem freiheitlichen demokratischen und sozialen Rechtsstaat zu fördern und zu ermöglichen. Diesem Verständnis widerspreche es, wenn die Landeshauptstadt an exponierter und einflußreicher Stelle Mitarbeiter beschäftige, die durch ein konspiratives Verhalten am System und den Zielsetzungen des MfS mitgewirkt haben.
Die Kündigung sei auch nicht wegen mangelhafter Beteiligung des Personalrats gemäß § 79 Abs. 4 PersVG-DDR unwirksam. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Beklagte den Personalrat des Veranstaltungsbetriebes und den Personalrat der Stadtverwaltung ordnungsgemäß beteiligt habe, denn keiner dieser Personalräte sei für eine Mitwirkung bei der Kündigung des Klägers zuständig gewesen. Der Personalrat des Veranstaltungsbetriebs sei nicht zu beteiligen gewesen, weil die Entscheidung über die Kündigung von der Beklagten und nicht von der Leitung des Veranstaltungsbetriebes getroffen worden sei. Der Personalrat der Stadtverwaltung sei nicht zu beteiligen gewesen, weil der Kläger nicht zu den Beschäftigten dieser Dienststelle gehört habe. Ein an sich zuständiger Gesamtpersonalrat habe nicht bestanden.
B. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die auf Abs. 5 Ziff. 2 EV gestützte Kündigung vom 23. März 1992 fristlos aufgelöst worden.
I. Der Wirksamkeit der Kündigung stehen personalvertretungsrechtliche Gründe nicht entgegen. Wie das Berufungsgericht mit Recht erkannt hat, war vor Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung weder der Personalrat der Veranstaltungsbetriebe D. noch der Personalrat der Stadtverwaltung der Beklagten zu beteiligen. Der Personalrat der Veranstaltungsbetriebe als einer selbständigen Dienststelle der Beklagten war für eine Beteiligung unzuständig, weil die Entscheidungsbefugnis über die Kündigung nicht bei der Dienststelle, sondern bei der Beklagten lag. Der Personalrat- der Stadtverwaltung wiederum war nicht zu beteiligen, weil der Kläger als Direktor der Veranstaltungsbetriebe nicht zu der von diesem Personalrat repräsentierten Dienststelle gehörte (vgl. BAG Urteil vom 26. Oktober 1995 – 2 AZR 629/94 – AP Nr. 34 zu Art. 20 Einigungsvertrag, unter II 2 der Entscheidungsgründe). Der nach dem Bundespersonalvertretungsgesetz in derartigen Angelegenheiten zuständige Gesamtpersonalrat (vgl. § 82 Abs. 3 BPersVG) war nach dem Gesetz zur sinngemäßen Anwendung des Bundespersonalvertretungsgesetzes der DDR vom 22. Juli 1990 (GBl. DDR S. 1014 – PersVG-DDR) nicht zu bilden und auch bei der Beklagten nicht gebildet worden.
II. Die Vorschriften des Sachgeb. A des Kap. XIX der Anl. I zum Einigungsvertrag finden auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Der Kläger gehörte zu den Angehörigen des öffentlichen Dienstes zum Zeitpunkt des Beitritts im Sinne von Art. 20 Abs. 1 EV. Dafür kann es im vorliegenden Fall als nicht entscheidungserheblich dahingestellt bleiben, ob Angehöriger des öffentlichen Dienstes nur ist, wer aufgrund eines vor dem 3. Oktober 1990 geschlossenen Arbeitsvertrages seine Tätigkeit vor dem 3. Oktober 1990 aufnahm, oder dem Geltungsbereich des Art. 20 Abs. 1 EV auch unterfällt, wer vor dem 3. Oktober 1990 lediglich einen Arbeitsvertrag mit vereinbarter Arbeitsaufnahme nach dem 2. Oktober 1990 abschloß. Bereits mit Urteilen vom 20. Januar 1994 (– 8 AZR 502/93 – BAGE 75, 280 = AP Nr. 11 zu Art. 20 Einigungsvertrag und – 8 AZR 274/93 – BAGE 75, 284 = AP Nr. 10 zu Art. 20 Einigungsvertrag) hat der Senat entschieden, daß es für die Anwendbarkeit der Sonderregelungen des Einigungsvertrages für den öffentlichen Dienst nicht auf den Bestand des gekündigten Arbeitsverhältnisses, sondern die Zugehörigkeit zum öffentlichen Dienst der ehemaligen DDR überhaupt ankommt. Insofern ist von den Vorinstanzen nicht berücksichtigt worden, daß der Kläger bis zur Aufnahme seiner Tätigkeit als Direktor der Veranstaltungsbetriebe als stellvertretender Leiter der Wohnungsverwaltung 57 der Gebäudewirtschaft Dresden arbeitete. Die volkseigenen Betriebe der Wohnungswirtschaft gingen gemäß Art. 22 Abs. 4 Einigungsvertrag in das Eigentum der Kommunen über. Mit Urteil vom 30. Juni 1994 (– 8 AZR 544/92 – AP Nr. 1 zu Art. 22 Einigungsvertrag) hat der Senat festgestellt, daß die Beklagte nach dem 3. Oktober 1990 den Wohnungsbestand des VEB-Gebäudewirtschaft D. im Rahmen der allgemeinen Stadtverwaltung verwaltete und lediglich auf die weiterhin vorhandenen Strukturen des VEB zurückgriff, die unselbständiger Bestandteil der Stadtverwaltung wurden. Die der kommunalen Daseinsvorsorge zuzurechnenden Aufgaben der Gebäudewirtschaft wurden sowohl durch den Einigungsvertrag als auch durch die Praxis der Beklagten als öffentliche Aufgabe bestätigt. Da der Begriff der öffentlichen Verwaltung anhand der zu erfüllenden Aufgaben und nicht lediglich formell abzugrenzen ist (vgl. BAG Urteil vom 18. März 1993 – 8 AZR 331/92 – AP Nr. 20 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX), gehörte der Aufgabenbereich der Wohnungsverwaltung der öffentlichen Verwaltung im Sinne von Art. 20 Abs. 1 Einigungsvertrag an. Damit unterfällt der Kläger den Kündigungsregelungen nach Abs. 5 Ziff. 2 und Abs. 4 Ziff. 1 EV.
III. Der Kündigungsgrund gemäß Abs. 5 Ziff. 2 EV ist gegeben.
1. Nach Abs. 5 Ziff. 2 EV liegt ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung dann vor, wenn der Arbeitnehmer für das frühere MfS bzw. Amt für Nationale Sicherheit tätig war und deshalb ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint. Abs. 5 Ziff. 2 EV unterscheidet nicht zwischen hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern der Staatssicherheit. Damit gilt auch für inoffizielle Mitarbeiter, daß eine außerordentliche Kündigung nur gerechtfertigt ist, wenn eine bewußte, finale Mitarbeit für das MfS/AfNS vorliegt (vgl. BAG Urteil vom 26. August 1993 – 8 AZR 561/92 – BAGE 74, 120 = AP Nr. 8 zu Art. 20 Einigungsvertrag; BAG Urteil vom 23. September 1993 – 8 AZR 484/92 – BAGE 74, 257 = AP Nr. 19 zu Einigungsvertrag Anl. I Kap. XIX).
Aus der Eigenständigkeit der Kündigungsregelung in Abs. 5 Ziff. 2 EV folgt, daß es keiner doppelten Unzumutbarkeitsprüfung bedarf. Die Voraussetzungen der außerordentlichen Kündigung bestimmen sich allein nach Abs. 5 EV, der eine zusätzliche Interessenabwägung nach den Maßstäben des § 626 Abs. 1 BGB nicht vorsieht. Zum anderen findet § 626 Abs. 2 BGB keine Anwendung. Diese Regelung bezieht sich nach ihrem Wortlaut und ihrer systematischen Stellung nicht auf eine außerordentliche Kündigung gemäß Abs. 5 EV. Anders als § 626 BGB stellt Abs. 5 EV nicht darauf ab, ob ein Festhalten am Arbeitsverhältnis „bis zu einem ordentlichen Kündigungstermin” zumutbar erscheint. Er bringt vielmehr zum Ausdruck, bei Beschäftigten, die die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllen, sei nicht hinzunehmen, daß sie überhaupt länger im öffentlichen Dienst verbleiben. Hiervon zu trennen ist die Frage, ob der Arbeitgeber durch eine ungebührliche Verzögerung seinem eigenen Verhalten zuwiderhandelt oder einen Verwirkungstatbestand setzt.
Die außerordentliche Kündigung nach Abs. 5 Ziff. 2 EV setzt weiter voraus, daß wegen der Tätigkeit für das MfS ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint. Ob dies der Fall ist, muß in einer Einzelfallprüfung festgestellt werden. Abs. 5 Ziff. 2 EV ist keine, „Mußbestimmung”. Nicht jedem, der für das MfS tätig war, ist zu kündigen. Das individuelle Maß der Verstrickung bestimmt über die außerordentliche Auflösbarkeit des Arbeitsverhältnisses. Je größer das Maß der Verstrickung, desto unwahrscheinlicher ist die Annahme, dieser Beschäftigte sei als Angehöriger des öffentlichen Dienstes der Bevölkerung noch zumutbar (vgl. BAGE 70, 309, 320 = AP Nr. 4 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, zu B II 1 c der Gründe). Beim inoffiziellen Mitarbeiter wird sich der Grad der persönlichen Verstrickung vor allem aus Art, Dauer und Intensität der Tätigkeit des IM sowie aus dem Grund der Aufnahme und der Beendigung der Tätigkeit für das MfS ergeben.
Ebenfalls bei der Prüfung der Zumutbarkeit zu beachten ist die Art der Tätigkeit, die der Arbeitnehmer in dem in Frage stehenden Arbeitsverhältnis ausübt. Ob das Vertrauen in die Verwaltung durch die Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers erschüttert wird, hängt nicht nur von der Verstrickung des Arbeitnehmers mit dem MfS ab, sondern auch davon, welche Wirkungsmöglichkeiten und Befugnisse der Arbeitnehmer in seinem jetzigen Arbeitsverhältnis hat. Die Beschäftigung eines belasteten Arbeitnehmers mit rein handwerklicher Tätigkeit wird das Vertrauen in die Verwaltung weniger beeinträchtigen als die Ausübung von Entscheidungs- und Schlüsselfunktionen durch einen ebenso belasteten Arbeitnehmer (BAG Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 415/92 – NJ 1993, 379).
2. Die Würdigung des Berufungsgerichts, der Kläger habe bewußt für das MfS gearbeitet, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht ist zutreffend von der Beweislast der Beklagten ausgegangen und hat § 286 ZPO in keiner revisionsrechtlich erheblichen Weise verletzt. Zutreffend hat das Berufungsgericht auf der Grundlage einer Vielzahl von Indizien den Schluß gezogen, daß der Kläger einen Raum seiner Wohnung nicht nur „blauäugig” einem Oberfeldwebel der Staatssicherheit untervermietet und diesem unbedarft Auskünfte über Dritte erteilt habe, sondern bewußt und gewollt durch Bereitstellen eines Raumes seiner Wohnung zu konspirativen Zwecken und einer Berichtstätigkeit für die Staatssicherheit tätig geworden sei. Diesbezügliche Rügen werden von der Revision nicht vorgebracht.
3. Das Landesarbeitsgericht hat auch eine Einzelfallprüfung vorgenommen, die keine revisionsrechtlich erheblichen Fehler aufweist. Es hat zutreffend darauf abgestellt, daß der Kläger ohne besondere Not oder nachvollziehbare Gründe seine Tätigkeit für das MfS aufgenommen hat. Der Kläger hat über ihm als Leiter des Single-Clubs „C.” bekannt gewordene persönliche Umstände von Clubmitgliedern berichtet. Mit Recht hat das Berufungsgericht besonders darauf abgestellt, daß der Kläger als Direktor der Veranstaltungsbetriebe einer Landeshauptstadt an hervorgehobener Stelle im Blickpunkt der Öffentlichkeit gestanden hat und seine frühere Tätigkeit für das MfS das Erscheinungsbild der öffentlichen Verwaltung in besonderem Maße belastet. Danach ist es der Beklagten unzumutbar, am Arbeitsverhältnis mit dem Kläger festzuhalten. Dabei ist der gesamte Inhalt der MfS-Unterlagen vom Landesarbeitsgericht mit Recht zu Lasten des Klägers berücksichtigt worden, soweit dieser als unstreitig oder bewiesen bewertet worden ist, denn die maßgeblichen Tatsachen ereigneten sich vor dem 3. Oktober 1990 und lagen somit im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs objektiv vor. Ob sie der Beklagten erst mit dem Schreiben des Bundesbeauftragten vom 20. Mai 1992 bekannt gegeben wurden oder bereits zuvor bekannt waren, ist entgegen der Auffassung des Klägers rechtlich nicht erheblich. Dem stehen insbesondere keine personalvertretungsrechtlichen Gründe entgegen, denn, wie oben unter B I ausgeführt, war keine Personalvertretung vor Ausspruch der Kündigung zu beteiligen.
Da die Beklagte den Kläger durch den von der Stadtverordnetenversammlung gebildeten „Unabhängigen Untersuchungsausschuß” noch am 9. März 1992 zu den erhobenen Vorwürfen anhören ließ, hat sie die Beurteilung der Zumutbarkeit nicht durch ungebührliches Zuwarten beeinflußt.
C. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.
Unterschriften
Ascheid, Müller-Glöge, Mikosch, Scholz, Hickler
Fundstellen