Entscheidungsstichwort (Thema)
Ordentliche Kündigung nach Einigungsvertrag
Normenkette
Einigungsvertrag Art. 20, 37; Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil, des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 28. Oktober 1992 – 2 Sa 112/92 D – wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen 1
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer auf Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 des Einigungsvertrages (fortan: Abs. 4 Ziff. 1 EV) gestützten ordentlichen Kündigung.
Der 1941 geborene Kläger ist Diplomlehrer für Geschichte und besitzt aufgrund eines Fernstudiums die Lehrbefähigung für das Fach Staatsbürgerkunde. Seit 1963 ist der Kläger im Schuldienst tätig. Von 1966 bis 1969 war er stellvertretender Direktor, danach bis 1970 Direktor und anschließend bis 1976 wieder stellvertretender Direktor an verschiedenen Schulen. Von 1976 bis 1985 war er Direktor einer polytechnischen Oberschule in H. Stadt. Danach verzog er nach L. und war dort ab 1985 als Lehrer an einer polytechnischen Oberschule tätig. Zuletzt war er Klassenlehrer und unterrichtete Geschichte sowie Gesellschaftskunde.
Mit Schreiben vom 24. September 1991 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 1991 wegen mangelnder fachlicher Eignung des Klägers.
Mit seiner am 4. Oktober 1991 bei Gericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht. Er hat vorgetragen, seine fachliche Eignung könne nicht bezweifelt werden. Aufgrund seines Studiums sei er in der Lage, sowohl das zu DDR-Zeiten gültige Geschichtsbild als auch das heutige Geschichtsbild in Verbindung mit der richtigen Interpretation der gesellschaftlichen Zusammenhänge den Schülern glaubhaft zu vermitteln.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 24. September 1991 nicht beendet sei, sondern auf unbestimmte Zeite fortbestehe.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Er hat vorgetragen, dem Kläger fehle die fachliche Qualifikation. Das Fach Staatsbürgerkunde, wie es in der ehemaligen DDR unterrichtet worden sei, sei weggefallen. Im Fach Geschichte verfüge der Kläger nicht über die Methodik, die zur Interpretation eines heute gültigen Geschichtsbildes notwendig sei. Im übrigen sei der Kläger auch persönlich ungeeignet, weil er viele Jahre als Direktor und stellvertretender Direktor tätig gewesen sei. Das Zusammentreffen dieser Funktionen mit den ideologiebefrachteten Fächern Geschichte und Staatsbürgerkunde lasse den Schluß zu, der Kläger habe sich in besonderer Weise mit den Zielen des SED-Staates identifiziert.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 24. September 1991 nicht zum 31. Dezember 1991 aufgelöst worden ist.
A. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:
Dem Kläger fehle nicht die fachliche Qualifikation für den Lehrerberuf. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob das Fach Staatsbürgerkunde tatsächlich ersatzlos weggefallen oder durch ein vergleichbares Fach (Gesellschaftskunde) ersetzt worden sei. Jedenfalls besitze der Kläger die fachliche Befähigung zum Unterricht in Geschichte. Der Befähigungsnachweis für das Fach Geschichte gelte in den neuen Bundesländern gemäß Art. 37 Abs. 1 Satz 1 EV weiter.
Der Kläger sei auch für den Lehrerberuf nicht persönlich ungeeignet. Eine besondere Identifikation des Klägers mit dem SED-Staat sei nicht festzustellen. Die Aufgabe eines Direktors und stellvertretenden Direktors habe diese besondere Identifikation nicht erfordert. Seine Aufgaben hätten sich auf Verwaltungsaufgaben und Dienstaufsicht beschränkt. Die vom Staat vorgeschriebene Bindung an SED- und FDJ-Beschlüsse habe in der ehemaligen DDR als Voraussetzung für eine berufliche Betätigung aller Lehrer gegolten und bedeutete damit noch nicht eine besondere Unterstützung und Identifizierung mit dem SED-Staat. Konkrete Betätigungen des Klägers, die ihn persönlich als ungeeignet erscheinen ließen, habe der Beklagte nicht dargetan.
B. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
I. Die Kündigung ist nicht wegen mangelnder fachlicher Qualifikation des Klägers gemäß Abs. 4 Ziff. 1 EV wirksam.
1. Nach Abs. 4 Ziff. 1 EV ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder persönlicher Eignung den Anforderungen nicht entspricht.
Der Arbeitgeber kann unter sachlichen Gesichtspunkten die Qualifikationsvoraussetzungen festlegen, indem er die Anforderungsprofile bestimmt, die er mit einem Arbeitsplatz verbindet. Eine Kündigung ist dann möglich, wenn unter Berücksichtigung der festgelegten Qualifikationsmerkmale eine Beschäftigung für den Arbeitnehmer, der diesen Anforderungen nicht genügt, nicht mehr vorhanden ist. Genau wie der Unternehmer durch freie Unternehmerentscheidung kann auch das Land in seinem Zuständigkeitsbereich die Qualifikationen festlegen, die es zur Ausfüllung des Arbeitsplatzes für erforderlich hält.
Abs. 4 Ziff. 1 EV wird ergänzt durch Art. 37 EV. Nach Art. 37 Abs. 1 Satz 1 EV gelten in der Deutschen Demokratischen Republik erworbene oder staatlich anerkannte schulische, berufliche und akademische Abschlüsse oder Befähigungsnachweise in dem in Art. 3 EV genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) weiter. Die Regelung in Art. 37 Abs. 1 Satz 2 und 3 EV, wonach im Beitrittsgebiet oder in den anderen Ländern der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlin (West) abgelegte Prüfungen oder erworbene Befähigungsnachweise einander gleichstehen und die gleichen Berechtigungen verleihen, wenn sie gleichwertig sind, erfaßt den Streitgegenstand des vorliegenden Rechtsstreits nicht; denn es ist nicht darüber zu entscheiden, ob der Kläger im alten Bundesgebiet unterrichten könnte. Somit hat der Arbeitgeber bei Festlegung der Qualifikationsmerkmale die Regelung in Art. 37 Abs. 1 Satz 1 EV zu beachten, der die Zielsetzung zugrunde liegt, beruflich tätigen Arbeitnehmern jedenfalls im Beitrittsgebiet ihre Qualifikationen nicht abzuerkennen, die sie zur bisherigen Berufsausübung in der ehemaligen DDR befähigten.
2. Der Kläger hat die Befähigung im Fach Geschichte erlangt, die dem Beruf eines Lehrers zuzuordnen ist und Art. 37 Abs. 1 Satz 1 EV unterfällt.
a) Der Kläger hat aufgrund eines Hochschulstudiums den Abschluß des Diplom-Lehrers für das Fach Geschichte und damit eine Lehrbefähigung erworben. Er unterrichtete über 20 Jahre in diesem Fach. Diese auf Lehrbefähigung und praktischer Tätigkeit beruhende Qualifikation des Klägers genügt für den Einsatz als Lehrer.
b) Die fehlende fachliche Qualifikation des Klägers kann nicht damit begründet werden, daß er in der ehemaligen DDR für den Geschichtsunterricht ausgebildet wurde und damit in bezug auf Lehrinhalte, die heute nicht mehr Gegenstand des Geschichtsunterrichts seien (vgl. Urteil des Senats vom 20. Januar 1994 – 8 AZR 24/93 –, n.v., zu B II 1 b der Gründe). Der Beklagte behauptet selbst nicht, überhaupt keine in der ehemaligen DDR nach damaligen Maßstäben ausgebildeten Geschichtslehrer mehr beschäftigen zu wollen. Im übrigen war der Kläger auch nach der Wiedervereinigung bis zur Kündigung im September 1991 als Lehrer für Geschichte und für Gesellschaftskunde eingesetzt.
II. Die Kündigung ist auch nicht wegen mangelnder Eignung des Klägers im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV wirksam.
1. Nach Abs. 4 Ziff. 1 EV ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder persönlicher Eignung den Anforderungen nicht entspricht.
a) Die mangelnde persönliche Eignung im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV ist eine der Person des Arbeitnehmers anhaftende Eigenschaft, die sich auch aus der bisherigen Lebensführung herausgebildet haben kann. Die persönliche Eignung eines Angestellten des öffentlichen Dienstes erfordert, daß er sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen muß. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition (vgl. BVerfGE 2, 1 – Leitsatz 2 –).
b) Die hiernach zu stellenden Anforderungen haben sich an den Aufgaben des Angestellten auszurichten. Ein Lehrer muß den ihm anvertrauten Schülern glaubwürdig die Grundwerte des Grundgesetzes vermitteln. Er muß insbesondere die Gewähr dafür bieten, daß er in Krisenzeiten und ernsthaften Konfliktsituationen zu den Grundwerten der Verfassung steht (BVerfG Beschluß vom 22. Mai 1975 – 2 BvL 13/73 – BVerfGE 39, 334 = AP Nr. 2 zu Art. 33 Abs. 5 GG; BAG Urteil vom 18. März 1993 – 8 AZR 356/92 – AP Nr. 12 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, zu B III 1, 2 der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
c) Der Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV liegt zugrunde, daß Arbeitnehmer von einem früheren Arbeitgeber eingestellt worden sind, mit denen der jetzige Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag nicht geschlossen hätte, wenn er an ihrer persönlichen Eignung berechtigte Zweifel gehabt hätte. Abs. 4 Ziff. 1 EV erlaubt daher – auch – eine Prüfung, ob der früher eingestellte Arbeitnehmer für die jetzige Tätigkeit persönlich geeignet ist, ohne daß bereits Vertragsverletzungen und damit konkrete Störungen des Arbeitsverhältnisses eingetreten sein müßten. Die Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV zwingt den öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber im übergeordneten staatlichen Interesse nicht, gleichsam die rechtsstaatliche Einstellung eines Arbeitnehmers in jedem Falle zunächst zu erproben (BAG Urteil vom 18. März 1993, a.a.O.). Ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum hinsichtlich der gesetzlichen Voraussetzungen des Abs. 4 EV ist damit nicht verbunden. Es gelten nicht die Grundsätze für Einstellungen in den öffentlichen Dienst, sondern die für Kündigungen (vgl. zum Beurteilungsspielraum BAG Urteil vom 6. Juni 1984 – 7 AZR 456/82 – AP Nr. 11 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu II 2 a, aa der Gründe; BAG Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 169/92 – AP Nr. 3 zu Art. 13 Einigungsvertrag, zu III der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; BVerwG Urteil vom 27. November 1980 – 2 C 38.79 – AP Nr. 10 zu Art. 33 Abs. 2 GG, betr. die Zulassung zum Vorbereitungsdienst für das Lehramt an Volksschulen; BVerwG Urteil vom 28. November 1980 – 2 C 24.78 – AP Nr. 12 zu Art. 33 Abs. 2 GG, betr. die Entlassung eines Beamten auf Probe), denn durch eine auf Abs. 4 Ziff. 1 EV gestützte Kündigung wird in besonderer Weise in das Grundrecht der Berufsfreiheit des einzelnen Beschäftigten eingegriffen. Ein Beurteilungsspielraum kann sich nur im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallprüfung auf eine Abwägung besonders belastender Umstände bei der Identifikation mit den Staats- und Parteizielen in der ehemaligen DDR gegenüber spezifisch entlastenden Tatsachen zur persönlichen Eignung des Arbeitnehmers beziehen.
d) Ein Lehrer ist nicht schon deshalb ungeeignet, weil er nach den früheren gesetzlichen Bestimmungen bei der Verwirklichung der Staatsziele der DDR mitzuwirken hatte. Eine mangelnde persönliche Eignung ist aber indiziert, wenn er sich in der Vergangenheit in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifiziert hat. Dies ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer nicht nur kurzfristig Funktionen wahrgenommen hat, aufgrund derer er in hervorgehobener Position oder überwiegend an der ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitzuwirken hatte. Der kündigende Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes hat die vom Arbeitnehmer wahrgenommene Funktion einschließlich ihrer Grundlagen und ihrer Bedeutung in der Verfassungswirklichkeit der DDR darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Der Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, die Annahme der besonderen Identifikation durch substantiierten Sachvortrag zu entkräften.
2. Das Landesarbeitsgericht ist fehlerfrei davon ausgegangen, die langjährige Tätigkeit des Klägers als Direktor und stellvertretender Direktor spreche nicht für seine persönliche Ungeeignetheit, weiterhin als Lehrer tätig zu sein.
a) Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Annahme des Landesarbeitsgerichts zutrifft, die Aufgaben eines Schuldirektors in der ehemaligen DDR hätten sich nur auf Verwaltungsaufgaben und Dienstaufsicht beschränkt. Wie der Senat im Urteil vom 20. Januar 1994 (– 8 AZR 24/93 – n.v., zu B III 2 c bb der Gründe) ausgeführt hat, war das staatliche Amt des Schuldirektors in der ehemaligen DDR parteinah ausgerichtet. So bestand gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 der „Verordnung über die Sicherung einer festen Ordnung an den allgemeinbildenden polytechnischen Oberschulen” – Schulordnung – vom 29. November 1979 (GBl. I s. 433) die Verpflichtung des Direktors, bei seiner Leitungstätigkeit unter anderem die Beschlüsse der SED zugrundezulegen. Der Senat hat deshalb dann, wenn die leitenden Funktionen im Schulwesen als Direktor oder stellvertretender Direktor gleichzeitig oder in unmittelbarem Zusammenhang mit Parteiämtern ausgeübt worden sind, die Indizierung einer besonderen Identifikation mit den Zielen des SED-Staates angenommen (Urteil vom 20. Januar 1994 – 8 AZR 613/92 – n.v., zu B II 3 b cc der Gründe).
Im Streitfall ist ein solches im Zusammenhang mit der Direktortätigkeit stehendes Parteiamt des Klägers aber weder festgestellt noch behauptet. Die bloße Unterrichtung „ideologiebefrachteter” Fächer wie Geschichte und Staatbürgerkunde durch einen Direktor genügt für die Annahme einer besonderen Identifikation mit dem SED-Staat nicht.
b) Die Annahme, ein Schuldirektor oder stellvertretender Direktor habe sich in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifiziert, bedarf zusätzlicher Umstände. Es ist Sache des öffentlichen Arbeitgebers, solche Umstände, etwa zum Werdegang oder zur Tätigkeit des Schulleiters, im Einzelfall vorzutragen. Der bloße Hinweis auf die Funktion des Schulleiters kann nicht genügen.
c) Der Beklagte hat nicht substantiiert dargelegt, der Kläger sei wegen seiner individuellen Amtsführung oder aus anderen Gründen persönlich ungeeignet.
Unterschriften
Dr. Ascheid, Dr. Wittek, Dr. Müller-Glöge, Dr. Weiss, Schmidt
Fundstellen