Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorgezogene Betriebsrente nach vorzeitigem Ausscheiden. Auslegung einer Versorgungsordnung. Inhaltskontrolle einer Regelung für die Berechnung der vorgezogenen Betriebsrente (§ 6 BetrAVG). Wirksamkeit einer Kürzungsbestimmung. Betriebliche Altersversorgung
Leitsatz (amtlich)
Es ist Sache der Versorgungsordnung, die Regeln für die Berechnung der nach § 6 BetrAVG zu zahlenden vorgezogenen Betriebsrente aufzustellen. Die Berechnungsregeln müssen aber billigenswert sein. Dies ist insbesondere dann nicht der Fall, wenn die getroffene Regelung die vom Gesetzgeber eröffnete Möglichkeit, die Wahl des vorgezogenen Bezuges der Betriebsrente kostenneutral auszugestalten, wesentlich überschreitet.
Orientierungssatz
- Der Senat hatte eine in Form einer Konzernbetriebsvereinbarung abgeschlossene Versorgungsordnung zu überprüfen. Sie sieht eine Berechnung der Betriebsrente nach einem Geldfaktor und einem Dienstzeitfaktor vor. Ein bestimmter Promillesatz des rentenfähigen Einkommens ist mit den bis zum Erreichen der festen Altersgrenze erreichbaren Dienstjahren zu multiplizieren. Bei einem vorzeitigen Ausscheiden ist die sich hieraus ergebende erreichbare Betriebsrente zeitanteilig zu kürzen. Für den Fall der vorgezogenen Inanspruchnahme der Betriebsrente ist eine Minderung des Dienstzeitfaktors, nicht der Betriebsrente, um 0,33 (Dienstjahre) pro Monat der vorgezogenen Inanspruchnahme vorgesehen.
- Die letztgenannte Berechnungregel ist jedenfalls nichtig, soweit es um die Berechnung der vorgezogenen Betriebsrente eines vorzeitig mit einer unverfallbaren Anwartschaft ausgeschiedenen Arbeitnehmers geht. Sie stellt denjenigen, der die Möglichkeiten des § 6 BetrAVG in Anspruch nimmt, wesentlich schlechter als denjenigen, der hiervon absieht. Sie ist darüberhinaus auch gleichheitswidrig (§ 75 Abs. 1 BetrVG), weil sie nach ihrer Struktur ohne sachliche Rechtfertigung zu einer Ungleichbehandlung gleicher Sachverhalte führt.
- Die auf Grund dessen bestehende Regelungslücke war dahin zu schließen, daß die bis zum vorzeitigen Ausscheiden erdiente Betriebsrente um einen angemessenen versicherungsmathematischen Abschlag in Höhe von 0,5 % pro Monat der vorgezogenen Inanspruchnahme gekürzt werden kann.
- Der Senat mußte nicht entscheiden, ob die genannte Berechnungsregel auch im Verhältnis zu denjenigen nichtig ist, die bis zum vorgezogenen Bezug der Betriebsrente im Betrieb geblieben sind. Jedoch spricht auch insoweit viel für Nichtigkeit.
Normenkette
BetrAVG §§ 6, 2 Abs. 1, § 17 Abs. 3; BGB § 134; BetrVG § 75 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 30. Mai 2001 – 9 Sa 38/00 – unter Zurückweisung im übrigen teilweise aufgehoben und insgesamt zur Klarstellung wie folgt neu gefaßt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 9. Dezember 1999 – 16 Ca 169/99 – teilweise abgeändert und die Klage abgewiesen,
soweit die Beklagte zu Ziffer 1. des Urteils verurteilt worden ist, mehr als (2.588,46 DM =) 1.323,46 Euro zuzüglich 4 % Zinsen aus (1.479,12 DM =) 756,26 Euro seit dem 23. Januar 1999 und aus (1.109,34 DM =) 567,20 Euro zu zahlen,
sowie die Beklagte zu Ziffer 3. des Urteils verurteilt worden ist, an den Kläger eine über den Betrag von (292,77 DM =) 149,69 Euro hinausgehende weitere Dienstzeitrente in Höhe von (441,93 DM =) 225,96 Euro statt (346,41 DM =) 177,12 Euro jeweils am 15. Februar, 15. Mai, 15. August, 15. November zu zahlen.
Im übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits Erster Instanz haben der Kläger 2/5, die Beklagte 3/5, von den Kosten des Rechtsstreits Zweiter und Dritter Instanz haben der Kläger 8/17, die Beklagte 9/17 zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Höhe der monatlichen Betriebsrente, die der Kläger von der Beklagten zu beanspruchen hat.
Der Kläger ist am 6. Februar 1937 geboren. Er war seit dem 16. Mai 1960 im Nürnberger Betrieb der Beklagten tätig, der zum Ende des Jahres 1996 stillgelegt wurde. In einem deshalb vereinbarten Sozialplan heißt es ua.:
- “
- Betriebliche Altersversorgung
- Bei Ausscheiden gelten die Bestimmungen des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vom 19.12.1974.
- Mitarbeiter, die zum Zeitpunkt ihres Ausscheidens das 56. Lebensjahr, jedoch noch nicht das 63. Lebensjahr vollendet haben, werden bei der Berechnung der betrieblichen Altersversorgung einschließlich der Dienstzeitrente hinsichtlich der zu berücksichtigenden Dienstjahre so gestellt, als wären sie erst zum Zeitpunkt des Beginns des Rentenbezuges aus der gesetzlichen Rentenversicherung ausgeschieden. Im übrigen gelten die Bestimmungen der einschlägigen Konzernregelungen.”
Die Beklagte gewährt zwei unterschiedliche Arten von Betriebsrenten, nämlich eine Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenbeihilfe nach der Versorgungsordnung im M…-Konzern (im folgenden AIH-Altersrente) und eine sogenannte Dienstzeitrente, die auf der Grundlage einer Konzernbetriebsvereinbarung nach der Dienstzeitrentenordnung (DZRO) nur in bestimmten konzernangehörigen Unternehmen gezahlt wird.
Mit Schreiben vom 27. Juni 1996 teilte die M…-Unternehmensberatung GmbH dem Kläger die Höhe der von ihm erdienten Betriebsrentenanwartschaften mit. Für den Leistungsfall des Übertritts in den Altersruhestand mit dem Alter 63 oder zu einem späteren Zeitpunkt wurde eine AIH-Rentenanwartschaft in Höhe von 327,09 DM monatlich und eine DZR-Anwartschaft in Höhe von 258,95 DM monatlich mitgeteilt. Dabei wurde darauf hingewiesen, daß die für die AIH-Altersrente und die Dienstzeitrente ausgewiesenen Zahlbeträge unter der Voraussetzung gelten, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Beklagten bis zur Vollendung seines 63. Lebensjahres bestehe. Für die Dienstzeitrente gelte zusätzlich die Bedingung, daß der Kläger Jubilarzuwendungen und andere die Dienstzeitrente kürzende Leistungen nicht in Anspruch genommen habe und auch künftig nicht in Anspruch nehmen werde.
Der Kläger schied zum 31. Dezember 1996 auf Grund betriebsbedingter Kündigung auf der Grundlage der getroffenen Sozialplanregelungen bei der Beklagten aus.
Der Kläger, der während des Bestandes des Arbeitsverhältnisses Zuwendungen wegen seines 25jährigen und 35jährigen Dienstjubiläums erhalten hatte, war nach seinem Ausscheiden bei der Beklagten bis zum 31. Dezember 1997 arbeitslos. Seit dem 1. Januar 1998 bezieht er Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Außerdem zahlt die Beklagte an ihn seither eine Altersbeihilfe (AIH-Altersrente) von 241,70 DM monatlich und eine Dienstzeitrente von 97,59 DM monatlich. Beide Versorgungsbezüge werden vierteljährlich am 15. Februar, 15. Mai, 15. August und 15. November überwiesen.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe eine AIH-Rente von 288,39 DM monatlich und eine Dienstzeitrente von 258,95 DM monatlich zu. Die Differenzbeträge hat er für die Zeit vom 1. Januar 1998 bis 30. September 1999 mit 4.369,05 DM geltend gemacht und die künftige Zahlung der höheren Versorgungsbezüge eingeklagt.
Das Arbeitsgericht hat dem Kläger unter Abweisung der Klage im übrigen rückständige Rentenbezüge in Höhe von 3.257,10 DM sowie eine monatliche AIH-Rente in Höhe von 249,49 DM und eine monatliche Dienstzeitrente in Höhe von 244,90 DM zuerkannt. Gegen dieses Urteil hat nur die Beklagte Berufung eingelegt. Sie hat ihre Berufung auf die vom Arbeitsgericht zuerkannte Dienstzeitrente beschränkt und die Berechnung der AIH-Rente hingenommen. Darüber hinaus hat die Beklagte auch hinsichtlich der Berechnung der Dienstzeitrente die Ausführungen des Arbeitsgerichts teilweise als berechtigt angesehen und ist zu einem Anspruch des Klägers auf eine monatliche Dienstzeitrente von 176,88 DM gekommen. Die Beklagte hat die insoweit die Abänderung des Urteils Erster Instanz und die Abweisung der Klage beantragt, als das Arbeitsgericht eine um 68,02 DM höhere Dienstzeitrente und entsprechend höhere, über 1.829,68 DM hinausgehende Versorgungsrückstände zuerkannt hat.
Der monatliche Differenzbetrag von 68,02 DM ergibt sich aus einem zwischen den Parteien bestehenden Streit über die Anwendung von § 2 Abs. 5 DZRO. Dort heißt es:
- “
Hat der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin das Arbeitsverhältnis mit einem in der Anlage genannten Unternehmen des M… Konzerns vor Vollendung des 63. Lebensjahres beendet, um in den Altersruhestand überzutreten, wird der Faktor Dienstzeit der obenstehenden Bemessungsformel für jeden Monat abweichender Beendigung des Arbeitsverhältnisses um 0,33 vermindert.
Hat der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin das Arbeitsverhältnis mit einem in der Anlage genannten Unternehmen des M… Konzerns nach Vollendung des 63. Lebensjahres beendet, wird der Faktor Dienstzeit in der obenstehenden Bemessungsformel für jeden Monat abweichender Beendigung des Arbeitsverhältnisses um 0,33 erhöht.”
Weiter heißt es in § 3 DZRO unter der Überschrift “Unverfallbarkeit”:
“Endet das Arbeitsverhältnis eines Mitarbeiters
– |
nach Vollendung des 60. Lebensjahres, aber vor Vollendung des 63. Lebensjahres ohne zeitgleiches Ausscheiden aus dem Erwerbsleben |
oder |
– |
vor Vollendung des 60. Lebensjahres, |
so bleibt die bis dahin erworbene gegebenenfalls wegen Entgegennahme dienstzeitabhängiger Leistungen verminderte Anwartschaft auf Dienstrentenzahlung ausschließlich nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen über die Unverfallbarkeit betrieblicher Versorgungszusagen aufrecht erhalten. |
”
In den von den beiden Betriebspartnern unterzeichneten Erläuterungen zur Dienstzeitrentenordnungen heißt es ua.:
- “
Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Vollendung des 63. Lebensjahres und das damit verbundene Ausscheiden aus dem Erwerbsleben wegen Übertritts in den Altersruhestand liegt dem Konzept der Dienstrentenordnung als Regelfall zugrunde.
Die bis zu diesem Zeitpunkt zurückgelegten Dienstjahre, gegebenenfalls gekürzt um die Werte für entgegengenommene Zuwendungen, bestimmen als Dienstzeitrentenfaktor t die Höhe der Dienstzeitrente.
Von diesem Regelfall abweichende Beendigungszeitpunkte bzw. Zeitpunkte, ab denen die Dienstzeitrentenzahlung einsetzt, sind ebenfalls maßgebend für die Höhe der Dienstzeitrente.
Für jeden Monat abweichender Beendigung des Arbeitsverhältnisses vermindert oder erhöht sich der individuell unterschiedliche, auf die Vollendung des 63. Lebensjahres abstellende Dienstzeitrentenfaktor um 0,33.
- In gleicher Weise verändert sich der Dienstzeitrentenfaktor, wenn aus einer unverfallbaren Anwartschaft die Zahlung einer Dienstzeitrente ab einem von der Vollendung des 63. Lebensjahres abweichenden Zeitpunkt beansprucht wird: …”.
Der Dienstzeitrentenfaktor, der mit einem bestimmten Prozentsatz des regelmäßigen Monatsarbeitsentgeltes (vgl. § 2 DZRO) zu multiplizieren ist, beläuft sich im Falle des Klägers bei einer Inanspruchnahme der Dienstzeitrente mit dem Erreichen der festen Altersgrenze bei Vollendung des 63. Lebensjahres im Hinblick auf die mindernde Berücksichtigung von Jubilarzuwendungen nunmehr unstreitig auf 30,89 Jahre. Wendet man die Konzernbetriebsvereinbarung im übrigen auf diesen Dienstzeitfaktor an, ergibt sich ohne Berücksichtigung der vorgezogenen Inanspruchnahme die vom Arbeitsgericht ermittelte Betriebsrente von 244,90 DM. Da der Kläger die Betriebsrente jedoch ab 1. Januar 1998, also 26 Monate vor Erreichen der festen Altersgrenze, in Anspruch genommen hat, führt eine Kürzung nach § 2 Abs. 5 DZRO zu einer Absenkung des Dienstzeitfaktors um 8,58 Jahre, wodurch die monatliche Dienstzeitrente auf 176,88 DM reduziert wird.
Der Kläger hat den Standpunkt eingenommen, § 2 Abs. 5 DZRO sei nach seinem Schutzzweck nicht zu seinen Lasten anzuwenden. Eine betriebsbedingte Kündigung der Beklagten sei Ursache für den vorzeitigen Bezug der gesetzlichen Altersrente und damit auch die vorzeitige Inanspruchnahme der Dienstzeitrente gewesen.
Der Kläger hat, soweit für die Revisionsinstanz noch von Bedeutung, zuletzt sinngemäß beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn über die vom Arbeitsgericht rechtskräftig zuerkannten 1.829,68 DM nebst 4 % Zinsen aus 1.045,96 DM seit dem 23. Januar 1999 und aus 783,72 DM seit dem 8. Oktober 1999 hinaus weitere 1.427,42 DM nebst 4 % Zinsen aus 815,24 DM seit dem 23. Januar 1999 und 612,18 DM seit dem 8. Oktober 1999 zu zahlen;
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine über die von der Beklagten gezahlten 292,77 DM und vom Arbeitsgericht rechtskräftig zuerkannten weiteren 237,87 DM hinausgehende weitere Dienstzeitrente in Höhe von 204,06 DM jeweils am 15. Februar, 15. Mai, 15. August und 15. November eines jeden Jahres zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Nach ihrer Auffassung ist sie zu der von ihr vorgenommenen Kürzung der Dienstzeitrente um 68,02 DM monatlich nach § 2 Abs. 5 der Konzernbetriebsvereinbarung berechtigt. Sie verweist zur Begründung auf den Wortlaut dieser Regelung sowie auf Ziff. 3.6 der Erläuterungen zur Dienstzeitrentenordnung.
Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das arbeitsgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen, soweit das Arbeitsgericht dem Kläger eine über die rechtskräftig zuerkannten Beträge hinausgehende Dienstzeitrente zugesprochen hat. Hiergegen hat der Kläger Revision mit dem Ziel eingelegt, insoweit das Urteil Erster Instanz wiederherzustellen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist teilweise begründet. Dem Kläger stehen über die von der Beklagten gezahlte und vom Arbeitsgericht rechtskräftig zuerkannte monatliche Dienstzeitrente von zusammen 176,88 DM weitere 36,18 DM, insgesamt also 213,06 DM (= 108,94 Euro) monatlich zu. Damit war das Urteil des Arbeitsgerichts auf die Berufung der Beklagten insoweit wiederherzustellen, als es dem Kläger für das Quartal über die von der Beklagten gezahlten 292,77 DM weitere 346,41 DM zuerkannt hat. Daraus ergibt sich zugleich, daß das Arbeitsgericht dem Kläger zu Recht eine rückständige Dienstzeitrente für sieben Quartale in Höhe von 2.424,87 DM mit dem Antrag zu 1. zuerkannt hat. Zusammen mit dem vom Arbeitsgericht rechtskräftig zuerkannten Nachzahlungsbetrag von 163,59 DM an AIH-Rente ergibt sich daraus ein dem Kläger insgesamt zustehender Nachzahlungsbetrag von 2.588,46 DM (= 1.323,46 Euro). Bei Nr. 3 des Tenors handelt es sich in der Sache um ein Feststellungsurteil. Soweit das Arbeitsgericht eine darüber hinausgehende Dienstzeitrente zuerkannt hat, hat das Landesarbeitsgericht dieses Urteil auf die Berufung der Beklagten zu Recht dahin abgeändert, daß es die Klage abgewiesen hat. Insoweit ist die Revision des Klägers unbegründet.
Hinsichtlich des in der Revisionsinstanz allein noch streitigen Differenzbetrages von 68,02 DM monatlich ist das Landesarbeitsgericht zu Recht davon ausgegangen, daß die Beklagte nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 5 DZRO berechtigt sein sollte, die bis zum vorgezogenen Rentenfall erdiente Betriebsrente im Faktor Dienstzeit um 0,33 je Monat des vorgezogenen Ausscheidens zu kürzen. Daraus ergibt sich zwar der von der Beklagten geltend gemachte Abzugsbetrag. § 2 Abs. 5 DZRO ist aber unwirksam. Die dadurch entstehende Regelungslücke ist so zu schließen, daß der Beklagten die Möglichkeit bleibt, die erdiente Betriebsrente um 0,5 % pro Monat des vorgezogenen Bezugs zu kürzen. Dies führt im Falle des Klägers zu einer Kürzung um 31,84 DM statt um 68,02 DM.
Die Kürzungsbestimmung des § 2 Abs. 5 DZRO ist bei der Berechnung der Dienstzeitrente des Klägers nach Wortlaut und Systematik zu dessen Lasten anwendbar.
- Der Kläger wendet sich hiergegen in erster Linie mit der Auffassung, diese Regelung sei für ihn nicht einschlägig, weil er sein Arbeitsverhältnis nicht von sich aus beendet habe. Der Sinn der Abschlagsbestimmung liege darin, ausgleichend darauf zu reagieren, daß ein Arbeitnehmer sich frei dahin entschieden habe, früher und länger als in der Versorgungsordnung vorgesehen Betriebsrente in Anspruch zu nehmen. Dieser Zweck sei nicht erfüllt, wenn die Beklagte selbst durch eine betriebsbedingte Kündigung für das vorzeitige Ausscheiden und die vorgezogenen Inanspruchnahme der Betriebsrente sorge. In diesem Fall bedürfe die Beklagte nicht des Schutzes durch die Abschlagsregelung.
Dem folgt der Senat nicht. Der Kläger übersieht, daß § 2 Abs. 5 DZRO überhaupt nicht den Fall behandelt, daß ein Arbeitnehmer vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet und dann später nach § 6 BetrAVG vorgezogen Betriebsrente in Anspruch nimmt. § 2 Abs. 5 DZRO betrifft nach Wortlaut und systematischer Stellung den Fall eines Wechsels aus dem Arbeitsverhältnis in den vorgezogenen Ruhestand. Die Bestimmung soll die hierin liegende Abweichung vom Regelfall, einer Betriebszugehörigkeit bis zum Erreichen der festen Altersgrenze und dem Bezug der Betriebsrente erst von diesem Zeitpunkt an, ausgleichen. Bei einer Betriebszugehörigkeit bis zum Erreichen der vorgezogenen Altersgrenze soll der Dienstzeitfaktor für “jeden Monat abweichender Beendigung des Arbeitsverhältnisses um 0,33 vermindert” werden. Dabei soll diese Kürzungsbestimmung erkennbar nur dann Anwendung finden, wenn der Arbeitnehmer mit seinem Übertritt in den vorgezogenen gesetzlichen Ruhestand zugleich auch die von ihm erdiente Dienstzeitrente vorgezogen in Anspruch nehmen will. Dies ergibt sich aus der Formulierung in § 2 Abs. 5 DZRO (“um in den Altersruhestand überzutreten”) ebenso wie aus Nr. 3.6.1 der Erläuterungen zur Dienstzeitrentenordnung, wonach “abweichende Zeitpunkte, ab denen die Dienstzeitrentenzahlung einsetzt”, zur Minderung oder Steigerung des Dienstzeitrentenfaktors führen.
Da § 2 Abs. 5 DZRO ausdrücklich nur den Fall regelt, in dem der Arbeitnehmer bis zum vorgezogenen Ruhestand im Arbeitsverhältnis geblieben ist, heißt es in dieser Bestimmung auch nur, die Kürzung solle erfolgen, wenn der Mitarbeiter das Arbeitsverhältnis beendet hat, um in den Altersruhestand überzutreten. Zur vorgezogenen Inanspruchnahme der gesetzlichen Rente kann es nur auf Grund einer freien Entscheidung des Arbeitnehmers kommen, diese gesetzliche Möglichkeit in Anspruch zu nehmen.
Erst in § 3 regelt die Dienstzeitrentenordnung, wie die Betriebsrente in einem Fall vorzeitigem Ausscheidens zu berechnen ist. Die Vorschrift verweist insoweit unabhängig davon, warum es zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses gekommen ist, für Fälle wie den des Klägers, der vor Vollendung des 60. Lebensjahres bei der Beklagten ausgeschieden ist, auf “die gesetzlichen Bestimmungen über die Unverfallbarkeit betrieblicher Versorgungszusagen” und damit auf § 2 Abs. 1 BetrAVG. Das Betriebsrentengesetz enthält allerdings keine Regeln für die Berechnung der vorgezogen in Anspruch genommenen Betriebsrente eines Arbeitnehmers, der vorzeitig mit einer unverfallbaren Anwartschaft aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist. Daraus folgt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats, daß die in der Versorgungsordnung enthaltene Bestimmung zum Ausgleich für den früheren und längeren Bezug der Betriebsrente der bis zum vorgezogenen Ruhestand im Betrieb verbliebenen Arbeitnehmer neben der Kürzung entsprechend § 2 Abs. 1 BetrAVG wegen des vorzeitigen Ausscheidens anzuwenden sind. Die Betriebspartner haben in ihrer Erläuterung Nr. 3.6.2 zur Dienstzeitrentenordnung deutlich gemacht, daß eine solche Handhabung auch ihrem Regelungswillen entspricht. Hieran hat sich die Beklagte bei ihrer Rentenberechnung gehalten, indem sie den vom Kläger bis zur festen Altersgrenze erreichbaren Dienstzeitfaktor um (26 × 0,33 =) 8,58 gemindert und eine zeitanteilige Kürzung der Betriebsrente im Verhältnis der erreichten zur erreichbaren Dienstzeit vorgenommen hat. Dabei hat die Beklagte entsprechend der Regelung in Nr. 12.3 des Sozialplans nicht die tatsächlich erreichte Dienstzeit, sondern die Dienstzeit zu Grunde gelegt, die der Kläger bis zur vorgezogenen Inanspruchnahme der gesetzlichen Rente zurückgelegt hätte.
- Der Kläger geht auch zu Unrecht davon aus, bei der Kürzungsbestimmung in § 2 Abs. 5 DZRO handele es sich um eine Schutzbestimmung zugunsten der Beklagten für den Fall, daß Arbeitnehmer von sich aus durch vorgezogenes Ausscheiden in das Arbeits- und Ruhestandsverhältnis eingreifen, weshalb sie auch nur bei einer solchen Fallgestaltung anwendbar sei. Wie sich auch aus Nr. 3.6 der Erläuterungen der Betriebspartner zur Dienstzeitrentenordnung ergibt, hat die Bestimmung vielmehr die Aufgabe, einen Ausgleich für die Mehrbelastungen der beklagten Arbeitgeberin herbeizuführen. Es gibt keine Anhaltspunkte in der Versorgungsordnung, daß die Beklagte verpflichtet sein sollte, für einen – aus welchem Grund auch immer – vorzeitig ausgeschiedenen Arbeitnehmer insgesamt mehr an Versorgungsleistungen aufzubringen, als sie bei dem versprochenen Rentenbezug ab Erreichen der festen Altersgrenze zu erbringen gehabt hätte.
- Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem wegen der Betriebsschließung vereinbarten Sozialplan. Darin haben die Betriebsparteien die Frage, was mit dem Betriebsrentenanspruch betriebsbedingt vorzeitig ausscheidender Arbeitnehmer geschehen soll, eindeutig beantwortet: Sie haben für solche Arbeitnehmer wie den Kläger nicht etwa bestimmt, sie sollten so behandelt werden, als wenn sie bis zum vorgezogenen Ruhestand im Betrieb verblieben wären. Eine solche Regelung wäre an sich möglich gewesen und hätte eine zeitratierliche Kürzung nach § 3 DZRO, wie sie die Beklagte vorgenommen hat, ausgeschlossen. Stattdessen verweisen die Betriebspartner in Nr. 12.1 des Sozialplans ausdrücklich auf die Geltung des Betriebsrentengesetzes, das für den Fall des vorzeitigen Ausscheidens mit unverfallbarer Anwartschaft eine zeitanteilige Kürzung vorsieht; sie bestimmen lediglich in Nr. 12.3 für Arbeitnehmer wie den Kläger, daß sie nur bei der Berechnung der Dienstzeitrente “hinsichtlich der zu berücksichtigenden Dienstjahre so gestellt” werden, “als wären sie erst zum Zeitpunkt des Beginns des Rentenbezugs aus der gesetzlichen Rentenversicherung ausgeschieden”. Es sollte sich damit nach dem Sozialplan im Grundsatz weder etwas an der Rechtsfolge eines vorzeitigen Ausscheidens (§ 3 DZRO) noch an der eines vorgezogenen und längeren Bezuges der Dienstzeitrente (§ 2 Abs. 5 DZRO) ändern.
§ 2 Abs. 5 DZRO ist zwar nach dem Willen der Betriebspartner entsprechend auf vorzeitig mit einer unverfallbaren Anwartschaft Ausgeschiedene anzuwenden. Dies verstößt jedoch gegen das Betriebsrentengesetz und das von den Betriebsparteien einzuhaltende Gleichbehandlungsgebot (§ 75 Abs. 1 BetrVG). Zumindest insoweit ist die Regelung nichtig (§ 134 BGB). Auf diesen rechtlichen Gesichtspunkt, den die Vorinstanzen nicht behandelt haben, ist die Beklagte zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hingewiesen worden. Die auf Grund der Nichtigkeit des § 2 Abs. 5 DZRO in der Dienstzeitrentenordnung bestehende planwidrige Regelungslücke ist im Wege ergänzender Auslegung dahin zu schließen, daß die Beklagte berechtigt ist, die bis zum vorzeitigen Ausscheiden erdiente Betriebsrente für jeden Monat der vorgezogenen Inanspruchnahme um 0,5 % zu kürzen.
§ 2 Abs. 5 DZRO verstößt zum Nachteil der von der Dienstzeitrentenordnung begünstigten Arbeitnehmer gegen § 6 BetrAVG und ist deshalb nach § 17 Abs. 3 BetrAVG, § 134 BGB nichtig.
Das letztgenannte Rechenbeispiel verdeutlicht zugleich, daß die als Konzernbetriebsvereinbarung zustande gekommene Dienstzeitrentenordnung in § 2 Abs. 5 DZRO auch gegen das Gleichbehandlungsgebot des § 75 Abs. 1 BetrVG verstößt und auch deshalb nichtig ist.
Die Regelung behandelt ohne sachlich rechtfertigenden Grund Arbeitnehmer, die nach § 6 BetrAVG vorgezogen Betriebsrente in Anspruch nehmen, je nach Einstellungszeitpunkt – strukturell und nicht nur im Einzelfall – im Verhältnis zueinander wesentlich ungleich, ohne daß es für diese Ungleichbehandlung einen sachlichen Grund gäbe. Dies gilt jedenfalls für die Arbeitnehmer, die vor der vorgezogenen Inanspruchnahme der Betriebsrente mit einer unverfallbaren Versorgungsanwartschaft ausgeschieden sind, bei denen also die bis zum Erreichen der festen Altersgrenze fehlende Dauer der Betriebszugehörigkeit auf Grund des § 3 DZRO bereits durch zeitanteilige Kürzung der erreichbaren Vollrente berücksichtigt ist. Bei diesen Arbeitnehmern führt allein der vorgezogene Bezug der Betriebsrente zu prozentualen Abschlägen pro Monat der vorgezogenen Inanspruchnahme, die allein deshalb, ggf. erheblich, ansteigen, weil sie später als andere in das Unternehmen eingetreten sind. Diese Konsequenz ergibt sich zwingend aus der Anknüpfung der Kürzung an den Dienstzeitfaktor und nicht an die erdiente Betriebsrente. Für sie gibt es aber nach dem Zweck der Kürzungsregelung, den früheren und längeren Bezug des Erdienten, als dies in der Versorgungsordnung vorgesehen war, zu kompensieren, keine sachliche Rechtfertigung.
- Auf Grund der nach alledem feststehenden Nichtigkeit des § 2 Abs. 5 DZRO jedenfalls für die Fälle, in denen die bis zu einem vorzeitigen Ausscheiden erdiente Betriebsrente vorgezogen in Anspruch genommen wird, enthält die Versorgungsregelung insoweit entgegen dem etwa auch in der Erläuterung Nr. 3.6.1 zur Dienstzeitrentenordnung zum Ausdruck gekommenen Willen der Betriebspartner keine Regelung, die ausgleichend auf den früheren und längeren Bezug des Erdienten reagiert. Die Versorgungsordnung war deshalb entsprechend dem mutmaßlichen Willen der Betriebspartner dahin zu ergänzen, daß die Beklagte berechtigt wird, neben der zeitratierlichen Kürzung der erreichbaren Vollrente wegen des vorzeitigen Ausscheidens aus dem Beschäftigungsverhältnis von der bis zu diesem Zeitpunkt erdienten Betriebsrente einen angemessenen versicherungsmathematischen Abschlag von 0,5 % pro Monat der vorgezogenen Inanspruchnahme vorzunehmen. Dabei hat der Senat den Wert aus dem oberen Bereich des in Betracht kommenden Spektrums angemessener Abschlagsregelungen gewählt, weil die tatsächlich getroffene Regelung den Willen zeigt, zumindest die üblichen Kürzungsmöglichkeiten auszuschöpfen.
- Aus alledem ergibt sich, daß die Beklagte dem Kläger insgesamt eine monatliche Dienstzeitrente in Höhe von 213,06 DM (= 108,94 Euro) schuldet. Der Kläger hatte nach den von den Parteien übereinstimmend zugrunde gelegten Zahlen bis zu seinem vorzeitigen Ausscheiden 244,90 DM monatlich als Dienstzeitrente erdient. Diesen Betrag kann die Beklagte wegen der um 26 Monate vorgezogenen Inanspruchnahme um 13 % kürzen.
Der Senat hatte nicht zu entscheiden, ob § 2 Abs. 5 DZRO auch in seinem unmittelbaren Anwendungsbereich, also bei einer Betriebszugehörigkeit bis zur vorgezogenen Inanspruchnahme der Betriebsrente nach § 6 BetrAVG, wegen eines Verstoßes gegen diese Vorschrift und § 75 BetrVG nichtig ist. Es spricht aber auch hier einiges für derartige Rechtsverstöße, obwohl die Dienstzeitrentenordnung für diesen Fall keine zeitanteilige Kürzung vorsieht. Diese Rechtsverstöße werden bei Einrechnung einer solchen Kürzungsmöglichkeit zwar abgemildert, aber nicht beseitigt. Dies läßt sich an einem Rechenbeispiel anschaulich belegen: Ein mit Vollendung des 50. Lebensjahres bei der Beklagten eingetretener schwerbehinderter Arbeitnehmer, der mit Vollendung des 60. Lebensjahres in den vorgezogenen Ruhestand wechselt, hätte nach herkömmlicher Berechnung anhand einer entsprechenden Anwendung von § 2 BetrAVG und unter Zugrundelegung eines noch angemessenen versicherungsmathematischen Abschlags von 0,5 % pro Monat der vorgezogenen Inanspruchnahme rund 63,1 % der von ihm bis zur festen Altersgrenze erreichbaren Vollrente zu beanspruchen. Allein die Anwendung von § 2 Abs. 5 DZRO führte demgegenüber zu einer Kürzung des Dienstzeitfaktors von 13 um 11,88 auf 1,12 und damit zu einer Minderung der vorzeitig in Anspruch zu nehmenden Betriebsrente auf etwa 8,6 % der bis zur festen Altersgrenze erreichbaren Vollrente.
Bei einer Nichtigkeit von § 2 Abs. 5 DZRO auch in den Fällen, in denen der Betriebsrentner bis zum vorgezogenen Eintritt in den Ruhestand im Betrieb geblieben ist, wird eine weitergehende Ergänzung der Dienstzeitrentenordnung zu prüfen sein.
Unterschriften
Reinecke, Kremhelmer, Bepler, Furchtbar, Lohre
Fundstellen
BAGE 2003, 163 |
FA 2002, 388 |
AP, 0 |
AUR 2002, 437 |