Entscheidungsstichwort (Thema)

Abfindungsanspruch bei Verringerung der Bundeswehr

 

Normenkette

Tarifvertrag über einen sozialverträglichen Personalabbau im Bereich des Bundesministers der Verteidigung vom 30. November 1991 § 8

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Urteil vom 10.02.1994; Aktenzeichen 7 Sa 43/93)

ArbG Hamburg (Urteil vom 09.07.1993; Aktenzeichen 3 Ca 2/93)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 10. Februar 1994 – 7 Sa 43/93 – aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 9. Juli 1993 – 3 Ca 2/93 – abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 21.421,80 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich ergebenden Nettobetrag seit dem 30. September 1992 zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die weitergehende Berufung und die weitergehende Revision der Beklagten werden zurückgewiesen.

4. Von den Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte 3/4 und der Kläger 1/4 zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger verlangt von der Beklagten eine Abfindung nach dem Tarifvertrag über einen sozialverträglichen Personalabbau im Bereich des Bundesministers der Verteidigung vom 30. November 1991 (TV).

Der am 16. Juni 1956 geborene Kläger war seit dem 16. Februar 1978 als zivilbeschäftigter Arbeiter bei der Bundeswehr in der 2. Kompanie des Instandsetzungsbatallions in Hamburg beschäftigt. Er verdiente nach Angaben der Beklagten zuletzt 3.570,30 DM brutto monatlich.

Wegen der Verkleinerung der Bundeswehr wird das Instandsetzungsbatallion 6 aufgelöst. Bereits 1991 wurde die in Hamburg-R. stationierte Instandsetzungskompanie aufgelöst. Der Kläger bemühte sich in seiner Funktion als Vorsitzender des bei dem Instandsetzungsbatallion gebildeten Personalrats seit 1991 erfolglos, für seine Kollegen und sich andere Arbeitsplätze im Bereich der Beklagten zu finden.

Am 23. März 1992 schrieb der Kläger an die Standortverwaltung Hamburg:

„…

Aufgrund der Auflösung der 2. Kompanie im Jahre 1994 bitte ich Sie, den mit mir eingegangenen Arbeitsvertrag mit Ablauf des 30.04.92 aufzulösen.

Die Rechte aus den „Tarifvertrag zum sozialverträglichen Personalabbau” (Abfindungsregelung) sowie die Rechte aus dem z. Zt. verhandelten Tarifvertrag (Lohnrunde) möchte ich gewahrt wissen.

…”

Die Standortverwaltung Hamburg antwortete mit Schreiben vom 10. April 1992 u.a. folgendes:

„…

Im Einvernehmen mit Ihrer Beschäftigungsdienststelle bin ich mit der von Ihnen beantragten Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Schließung eines Auflösungsvertrages gemäß § 56 MTB II mit Ablauf des 30.04.92 einverstanden.

Falls Sie nach dem Tarifvertrag über einen sozial verträglichen Personalabbau in der Bundeswehr einen Anspruch auf Abfindung erlangen sollten, werde ich diesen Umstand selbstverständlich von Amts wegen berücksichtigen. Eine verbindliche Aussage hierüber kann ich Ihnen aber erst dann erteilen, wenn mir die erforderlichen Durchführungsbestimmungen zu der betreffenden Thematik vorliegen.

…”

Dem Kläger wurde kein anderer Arbeitsplatz im Bereich der Beklagten angeboten oder nachgewiesen. Durch den von beiden Arbeitsvertragsparteien unterzeichneten Auflösungsvertrag vom 10. April 1992 schied der Kläger zum 30. April 1992 aus dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten aus. Der Arbeitsplatz des Klägers wurde nicht neu besetzt. Zwischen Herbst 1993 und Herbst 1994 wurde die ehemalige Dienststelle des Klägers, 2. Kompanie des Instandsetzungsbatallions, aufgelöst. Damit fiel der ehemalige Arbeitsplatz des Klägers endgültig weg.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe eine Abfindung nach § 8 TV in Höhe von 7 Monatsbezügen zu. Er hat seine Monatsbezüge in Höhe von 3.979,– DM brutto beziffert und beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 27.853,– DM brutto zu zahlen nebst 4 % Zinsen auf den sich ergebenden Nettobetrag seit 30. September 1992.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, der Kläger habe keinen tariflichen Anspruch auf Abfindung. Der Wegfall des Arbeitsplatzes des Klägers habe im April 1992 noch nicht konkret bevorgestanden und sei deswegen nicht Anlaß für den Abschluß des Auflösungsvertrags gewesen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage unter Zugrundelegung der von der Beklagten angegebenen Monatsbezüge des Klägers in Höhe von 24.992,10 DM brutto (sieben Monatsbezüge) stattgegeben und im übrigen die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger bittet um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat teilweise Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des berufungsgerichtlichen Urteils und zur Abänderung des erstinstanzlichen Urteils. Die Klage ist nur in Höhe von 21.421,80 DM brutto nebst Zinsen begründet; im übrigen ist sie unbegründet. Die weitergehende Berufung und die weitergehende Revision der Beklagten haben keinen Erfolg.

1. Zu Recht haben die Vorinstanzen den Klageanspruch dem Grunde nach bejaht. Der Kläger hat einen Anspruch auf Abfindung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 TV. Nach dieser Bestimmung erhält der Arbeitnehmer, der wegen Wegfalls des Arbeitsplatzes (§ 1 TV) im gegenseitigen Einvernehmen oder aufgrund einer Kündigung durch den Arbeitgeber aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet, eine Abfindung.

a) Ein Wegfall des Arbeitsplatzes im Sinne von § 1 TV liegt vor, wenn Arbeitsplätze von Arbeitnehmern in der Zeit vom 1. Januar 1992 bis zum 31. Dezember 1998 aus Anlaß der Verringerung der Bundeswehr durch Auflösung oder Verkleinerung von Dienststellen einschließlich damit verbundener Umgliederung oder Verlegung wegfallen.

Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist der konkrete Arbeitsplatz des Klägers durch Auflösung seiner Dienststelle in der Zeit von Herbst 1993 bis Herbst 1994 innerhalb des in § 1 TV festgelegten Zeitraums weggefallen.

b) Der Kläger ist auch wegen Wegfalls des Arbeitsplatzes ausgeschieden. Wie sich aus dem Schreiben des Klägers vom 23. März 1992 ergibt, war die bevorstehende Auflösung seiner bisherigen Dienststelle, 2. Kompanie des Instandsetzungsbatallions, ursächlich für sein Ausscheiden. Eine andere Ursache hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt.

Die Ursächlichkeit des Wegfalls des Arbeitsplatzes für das Ausscheiden entfällt nicht dadurch, daß der Kläger bereits im April 1992 ausschied, sein Arbeitsplatz aber erst Mitte 1993 bis Mitte 1994 endgültig wegfiel. Nach dem Wortlaut von § 8 Abs. 1 TV, der auf § 1 TV verweist, ist keine über die Regelung des § 1 TV hinausgehende zeitliche Voraussetzung erforderlich. Dies ergibt sich auch aus Sinn und Zweck der Tarifvorschrift. Durch die Abfindung sollen Nachteile ausgeglichen werden, die durch den Verlust des Arbeitsplatzes entstehen. Wenn feststeht, daß der Arbeitnehmer den Arbeitsplatz tatsächlich verliert, ist der genaue Zeitpunkt des Ausscheidens unerheblich. Ein Nachteil entsteht dem Arbeitgeber dadurch nicht. Ein Anspruch auf Abfindung nach § 8 Abs. 1 TV kann nicht entstehen, wenn der Arbeitnehmer wegen Wegfalls des Arbeitsplatzes gegen den willen des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet; der Arbeitgeber hat es somit selbst in der Hand, ihm unbillig erscheinende Ergebnisse zu vermeiden.

c) Der Kläger ist im gegenseitigen Einvernehmen im Sinne von § 8 Abs. 1 TV aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden. Die Parteien haben einen Auflösungsvertrag nach § 56 Abs. 1 Mantel-Tarifvertrag für Arbeiter des Bundes (MTB II) geschlossen. Weitere Voraussetzungen für das Vorliegen eines gegenseitigen Einvernehmens enthält § 8 Abs. 1 TV nicht. Der Wortlaut der Tarifvorschrift ist eindeutig. Anders als in § 4 Abs. 3 TV („auf Veranlassung des Arbeitgebers im gegenseitigen Einvernehmen”) und in § 7 Abs. 1 TV (Auflösungsvertrag „im dienstlichen Interesse”) haben die Tarifvertragsparteien den Abfindungsanspruch von keinem weiteren Tatbestandsmerkmal abhängig gemacht. Allein das gegenseitige Einvernehmen beim Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis reicht für den Tarifanspruch aus. Die abweichende Ansicht der Beklagten findet im Tarifvertrag keine Stütze.

2. Der Höhe nach beläuft der Anspruch sich auf 21.421,80 DM (sechs Monatsbezüge).

Der am 16. Juni 1956 geborene Kläger war am Tag nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (1. Mai 1992), dem Zeitpunkt der Entstehung des Abfindungsanspruchs (§ 8 Abs. 2 TV), 35 Jahre alt. Die Beschäftigungszeit im Sinne von § 6 MTB II betrug 14 Jahre (16. Februar 1978 bis 1. Mai 1992). Nach der Tabelle in § 8 Abs. 1 TV erhält ein Arbeitnehmer bis zum vollendeten 40. Lebensjahr bei einer Beschäftigungszeit von 13 Jahren eine Abfindung in Höhe von sechs, bei einer Beschäftigungszeit von 15 Jahren in Höhe von sieben Monatsbezügen. Da der Kläger mehr als 13, aber noch nicht 15 Jahre beschäftigt war, steht ihm eine Abfindung nur in Höhe von sechs, nicht in Höhe von sieben Monatsbezügen zu. Insoweit war das arbeitsgerichtliche Urteil abzuändern.

3. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 BGB, 261, 253 ZPO.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Peifer, Dr. Jobs, Dr. Armbrüster, R. Winterholler, Kapitza

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1093297

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