Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulage im handwerklichen Erziehungsdienst
Leitsatz (redaktionell)
Parallelsache zu Urteil vom 28. September 1989 – 6 AZR 166/88 –
Normenkette
Tarifvertrag zur Änderung und Ergänzung der Anlage 1 a zum BAT/VkA (Angestellte im Sozial- und im Erziehungsdienst) vom 19. Juni 1970 Protokollerklärung Nr. 15 Abs. 1 Satz 3
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Urteil vom 02.11.1987; Aktenzeichen 14 Sa 714/86) |
ArbG Darmstadt (Urteil vom 27.03.1986; Aktenzeichen 1 Ca 407/85) |
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 2. November 1987 – 14 Sa 714/86 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger eine monatliche Zulage in Höhe von 60,– DM zusteht.
Der Kläger ist bei dem beklagten Verein, der eine Werkstatt für Behinderte betreibt, im handwerklichen Erziehungsdienst tätig. In der Werkstatt werden überwiegend erwachsene Behinderte im Alter zwischen 20 und 55 Jahren betreut. Nach dem Arbeitsvertrag der Parteien findet auf das Arbeitsverhältnis der BAT/VkA Anwendung. Der Kläger erhält eine Vergütung nach der VergGr. V c Fallgruppe 4 des § 2 Nr. 4 II des Tarifvertrages zur Änderung und Ergänzung der Anlage 1 a zum BAT (Angestellte im Sozial- und im Erziehungsdienst) vom 19. Juni 1970. Die danach anzuwendende Protokollerklärung Nr. 15 hat folgenden Wortlaut:
„Der Angestellte in einem Erziehungsheim, einem Kinder- oder einem Jugendwohnheim, in dem überwiegend körperlich, seelisch oder geistig gestörte oder gefährdete oder schwer erziehbare Kinder oder Jugendliche zum Zwecke der Erziehung, Ausbildung oder Pflege ständig untergebracht sind, erhält für die Dauer der Tätigkeit in einem solchen Heim eine Zulage in Höhe von monatlich 90 DM.
Sind in einem solchen Heim nicht überwiegend körperlich, seelisch oder geistig gestörte oder gefährdete oder schwer erziehbare Kinder oder Jugendliche zum Zwecke der Erziehung, Ausbildung oder Pflege ständig untergebracht, beträgt die Zulage monatlich 45 DM.
Angestellte der Vergütungsgruppe IV b Fallgruppe 5, V b Fallgruppe 4, V c Fallgruppe 4, VI b Fallgruppe 5, VII Fallgruppe 6, VIII Fallgruppe 4 erhalten für die Dauer der Tätigkeit im handwerklichen Erziehungsdienst anstelle der Zulage nach Satz 1 eine Zulage in Höhe von monatlich 60 DM.
- …”
Mit Schreiben vom 9. April 1985 machte der Kläger die Zulage von 60,– DM nach Satz 3 der Protokollnotiz Nr. 15 Abs. 1 für die Zeit von Oktober 1984 bis September 1985 in Höhe von insgesamt 720,– DM geltend.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Zulage nach der Protokollerklärung Nr. 15 Abs. 1 Satz 3 stehe allen Angestellten im handwerklichen Erziehungsdienst, und nicht nur den in den in Satz 1 genannten Einrichtungen tätigen Angestellten zu. Der Hinweis in Satz 3 „anstelle der Zulage nach Satz 1” beziehe sich nicht auf die übrigen Anspruchsvoraussetzungen des Satzes 1, sondern lediglich auf die Höhe der Zulage. Nach dem Inkrafttreten des Tarifvertrages vom 19. Juni 1970 sei der Begriff der beschützenden Werkstatt durch den Begriff „Werkstatt für Behinderte” abgelöst worden. Die von ihm verrichtete Tätigkeit unterfalle jedoch von der Sache her den tariflichen Merkmalen.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 720,– DM brutto zuzüglich 4 % Zinsen seit dem 26. September 1985 zu zahlen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, der Kläger habe keinen Anspruch auf die Zulage, weil er nicht in einem „Heim” tätig sei, sondern in einer Werkstatt. Im Gegensatz zu den in der Protokollerklärung angesprochenen Einrichtungen seien die Behinderten in der Werkstatt nicht ständig untergebracht.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die geltend gemachte Zulage in Höhe von 60,– DM monatlich.
I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, es könne dahingestellt bleiben, ob der Begriff der „beschützenden Werkstatt” in den Tätigkeitsmerkmalen der VergGr. V c Fallgruppe 4 a BAT/VkA mit dem Begriff der „Werkstatt für Behinderte” i. S. von § 54 SchwbG, in der der Kläger tätig ist, gleichzusetzen sei. Denn der Kläger erfülle nicht die sonstigen in Abs. 1 Satz 1 der Protokollerklärung Nr. 15 enthaltenen Anspruchsvoraussetzungen, weil er seine Tätigkeit nicht in einem der dort genannten Heime erbringe. Die Worte „anstelle der Zulage nach Satz 1” in Abs. 1 Satz 3 der Protokollerklärung Nr. 15 bezögen sich nicht nur auf die unterschiedliche Höhe der in Satz 1 und Satz 3 geregelten Zulage, sondern auch auf die sonstigen Merkmale der in Satz 1 enthaltenen Regelung. Der im handwerklichen Erziehungsdienst tätige Angestellte habe daher nur dann einen Anspruch auf die Zulage von monatlich 60,– DM, wenn er in einem der in Satz 1 genannten Heime tätig sei.
II. Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten den Revisionsangriffen stand.
1. Nach Abs. 1 Satz 3 der Protokollerklärung Nr. 15 erhalten u.a. Angestellte der Vergütungsgruppe V c Fallgruppe 4 der Anlage 1 a zum BAT/VkA für die Dauer ihrer Tätigkeit im handwerklichen Erziehungsdienst „anstelle der Zulage nach Satz 1” eine Zulage in Höhe von 60,– DM monatlich. Nach Satz 1 erhalten Angestellte in einem Erziehungsheim, einem Kinder- oder einem Jugendwohnheim, in dem überwiegend körperlich, seelisch und geistig gestörte oder gefährdete oder schwer erziehbare Kinder oder Jugendliche untergebracht sind für die Dauer der Tätigkeit in einem solchen Heim eine Zulage in Höhe von monatlich 90,– DM.
2. Die Protokollerklärung Nr. 15, der Tarifnormcharakter zukommt (vgl. BAG Urteil vom 28. Juli 1988 – 6 AZR 349/87 – AP Nr. 1 zu § 5 TV Arb Bundespost; BAGE 52, 398, 404 = AP Nr. 28 zu § 7 BUrlG Abgeltung; BAG Urteil vom 3. Dezember 1986 – 4 AZR 19/86 – AP Nr. 6 zu § 51 TVAL II; Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 1 Rz 422), ist – soweit hier entscheidungserheblich – nicht eindeutig. Die von den Tarifvertragsparteien in Abs. 1 Satz 3 der Protokollerklärung Nr. 15 gebrauchte Formulierung „anstelle der Zulage nach Satz 1” schließt die von der Revision vertretene Annahme, damit sei lediglich die Höhe der Zulage, nicht aber auch die weiteren Anspruchsvoraussetzungen in Satz 1 gemeint, jedenfalls nicht ohne weiteres aus. Die Protokollerklärung bedarf daher insoweit der Auslegung.
a) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften (§ 133 BGB). Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien ist über den reinen Wortlaut hinaus mitzuberücksichtigten, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat (BAGE 42, 86, 89 = AP Nr. 128 zu § 1 TVG Auslegung; BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung; BAGE 40, 228, 234 = AP Nr. 3 zu § 76 ArbGG 1979). Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamt Zusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Läßt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages, ggf. auch eine praktische Tarifübung ergänzend heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAGE, a.a.O.; BAGE 42, 244, 253 f. = AP Nr. 2 zu § 21 TVAL II; BAGE 46, 308, 316 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung).
b) Bei Zugrundelegung dieser Grundsätze ist der vom Landesarbeitsgericht vorgenommenen Auslegung beizupflichten. Die in Satz 3 der Protokollerklärung Nr. 15 Abs. 1 genannten Angestellten sollen nicht die Zulage von 90,– DM monatlich nach Satz 1, sondern nur eine Zulage von 60,– DM monatlich erhalten, allerdings nur dann, wenn sie ihre Tätigkeit in einem Heim, wie in Satz 1 umschrieben, ausüben. Das haben die Tarifvertragsparteien mit dem Gebrauch des Wortes „anstelle” zum Ausdruck gebracht. Denn „anstelle” bedeutet nach seinem Wortsinn „statt” oder auch „stellvertretend für” (vgl. Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 1976; Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 1980). Die in Satz 3 genannte Zulage wird für den dort genannten Personenkreis ersatzweise, also „anstelle” der Zulage nach Satz 1 gezahlt. Daraus folgt, daß die übrigen in Satz 1 aufgeführten Voraussetzungen, nämlich die Tätigkeit in einem „Heim”, vorliegen müssen, um den Zulagenanspruch zu begründen. Dem steht der Umstand nicht entgegen, daß in Satz 3 nicht die Zulage in Satz 2 genannt ist. Dies bedeutet lediglich, daß in Heimen, die unter Satz 2 fallen, alle Angestellten, also auch die in Satz 3 genannten, eine Zulage von 45,– DM erhalten, bei diesen Heimen also keine Abstufung für die im handwerklichen Erziehungsdienst tätigen Angestellten vorgenommen werden soll. Im Gegensatz zur Auffassung der Revision ist eine derartige Differenzierung zwischen den Angestellten in Heimen nach Satz 1 und solchen in Heimen nach Satz 2 auch durchaus sinnvoll und erforderlich. Denn unter Satz 1 fallen nur solche Heime, in denen überwiegend Behinderte ständig untergebracht sind, während in Heimen nach Satz 2 nicht überwiegend Behinderte ständig untergebracht sind. Mit dieser abgestuften Zulagenregelung wollten die Tarifvertragsparteien ersichtlich der unterschiedlichen Belastung bei der Betreuung von Behinderten in Heimen Rechnung tragen. Anders ist jedenfalls die Abstufung nach dem Anteil der Behinderten an den im jeweiligen Heim betreuten Kindern und Jugendlichen nicht zu verstehen. Eine Auslegung der Protokollerklärung im Sinne des Klägers würde dagegen zwar den Angestellten im handwerklichen Erziehungsdienst die Zulage sichern, Angestellte in Werkstätten außerhalb von Heimen, in denen überwiegend Behinderte untergebracht sind, aber von einer Zulage ausschließen. Auch führte die vom Kläger bevorzugte Auslegung dazu, daß Angestellte, die Kinder und Jugendliche in einem Heim nach Satz 2 betreuen, trotz ihrer dadurch gegebenen höheren Belastung eine niedrigere Zulage erhielten als Angestellte im handwerklichen Erziehungsdienst in einer Werkstatt. Ein solches Ergebnis widerspräche dem Sinn und Zweck der Zulagenregelung, nämlich die durch den ständigen Umgang mit Behinderten auftretenden Belastungen auszugleichen, und kann nicht als von den Tarifvertragsparteien gewollt angenommen werden.
c) Nach alledem sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, daß die Tarifvertragsparteien in Satz 3 eine eigene, von den Anspruchsvoraussetzungen der Sätze 1 und 2 losgelöste Anspruchsgrundlage für alle im handwerklichen Erziehungsdienst tätigen Angestellten schaffen wollten. Vielmehr haben ebenso wie die Erzieher auch Angestellte im handwerklichen Erziehungsdienst, die außerhalb von Heimen beschäftigt sind, keinen Anspruch auf die Zulage (ebenso Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, BAT, Stand August 1989, Teil II VergO VkA, Erläuterungen z. Sozial- u. Erziehungsdienst Anm. 44).
d) Soweit die Revision darauf abstellt, Werkstätten mit Angestellten im handwerklichen Erziehungsdienst innerhalb von Heimen im Sinne von Satz 1 der Protokollnotiz gebe es nicht, greift dieser Einwand nicht durch. Das Landesarbeitsgericht hat auf der Grundlage des Vortrags des Klägers und einer von ihm eingeholten Auskunft festgestellt, zumindest bei Abschluß des Tarifvertrages zur Änderung und Ergänzung der Anlage 1 a zum BAT (Angestellte im Sozial- und im Erziehungsdienst) habe es beschützende Werkstätten sowohl außerhalb von Heimen als auch in Großeinrichtungen, in denen Wohnen und Arbeiten zusammengefaßt waren, gegeben. Hieran ist der Senat gemäß § 561 ZPO gebunden; der Kläger hat hiergegen keine zulässige Revisionsrüge erhoben. Sein jetziger Vortrag, es gebe keine Werkstätten innerhalb von Heimen, ist neu und kann daher nicht berücksichtigt werden (§ 561 Abs. 1 ZPO).
3. Es kann daher auch dahingestellt bleiben, ob die Werkstatt für Behinderte, in der der Kläger tätig ist, mit einer beschützenden Werkstatt i.S. der VergGr. V c Fallgruppe 4 der Anlage 1 a zum BAT/VkA gleichzusetzen ist.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Röhsler, Dörner, Schneider, Ramdohr, Möller-Lücking
Fundstellen