Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnung von Tariflohnerhöhungen auf übertarifliche Zulagen. Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG. Gesamtzusage. betriebliche Übung. Anschlussberufung
Leitsatz (amtlich)
Die Betriebsparteien können wegen des Tarifvorbehalts in § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG keine Regelungen über die Weitergabe von Tariferhöhungen treffen. Sie sind jedoch nicht gehindert zu regeln, ob und inwieweit Tariferhöhungen auf übertarifliche Zulagen angerechnet werden können.
Orientierungssatz
- Der Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG verwehrt den Betriebsparteien jegliche Regelung über tarifliche Vergütungsbestandteile. Daher können sie weder über die Höhe noch über den Zeitpunkt von Tariflohnerhöhungen disponieren.
- Die Betriebsparteien können aber Regelungen über die Anrechnung von Tariflohnerhöhungen auf übertarifliche Zulagen treffen. Sie können auch regeln, dass sich eine übertarifliche Zulage um denselben Prozentsatz erhöht wie der Tariflohn. Eine solche Bestimmung regelt nicht das Schicksal der Tariflohnerhöhung, sondern die Behandlung der übertariflichen Zulage. Sie ist wirksam, wenn die betriebsverfassungsrechtliche Zulagenregelung ihrerseits dem Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG genügt.
- Eine Betriebsvereinbarung, nach der sich anlässlich von Tarifabschlüssen das Effektivgehalt rückwirkend schon zum 1. Januar des betreffenden Jahres um den Prozentsatz der Tariferhöhung erhöht, verstößt gegen § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG und ist daher unwirksam.
- Die im Berufungsverfahren vorgenommene Klageerweiterung des in erster Instanz in vollem Umfang obsiegenden Klägers ist der Sache nach eine Anschlussberufung.
- Eine Anschlussberufung ist gemäß § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG nur bis zum Ablauf der Berufungsbeantwortungsfrist zulässig. Die Frist wird jedoch nicht in Lauf gesetzt, wenn der nach § 66 Abs. 1 Satz 4 ArbGG vorgeschriebene Hinweis unterblieben ist. Es bleibt offen, welchen Inhalt ein solcher Hinweis haben muss.
Normenkette
BetrVG § 77 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 Sätze 1-2; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 521 Abs. 2 S. 1, § 524 Abs. 2 S. 2, §§ 529, 533; ArbGG § 66 Abs. 1 Sätze 2-4, § 64 Abs. 6 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zulässigkeit der Anrechnung tariflicher Gehaltserhöhungen auf übertarifliche Zulagen und über eine Erhöhung dieser Zulagen.
Die Beklagte wendet auf die Rechtsverhältnisse der bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer die jeweils geltenden Tarifverträge des Groß- und Außenhandels Nordrhein-Westfalen an. 1988 und 1989 fanden zwischen ihr und dem für das Unternehmen errichteten Gesamtbetriebsrat Verhandlungen vor einer Einigungsstelle über die Struktur von übertariflichen Zulagen statt. Zur Erledigung dieses Verfahrens einigten sich die Beklagte und der Gesamtbetriebsrat am 28. Juni 1989 ausweislich eines vom damaligen Personaldirektor und der damaligen Gesamtbetriebsratsvorsitzenden unterzeichneten “Protokolls” wie folgt:
“…
1. Mit Zahlung des Juligehaltes 1989 erfolgt eine Einmalzahlung in Höhe von DM 700,-- brutto
2. Ab 01.01.1990 erfolgt die Tariferhöhung rückwirkend ab 1. Januar auf das Effektivgehalt (Grundgehalt u. übertarifl. Zulagen)
3. Betriebsvereinbarung Weihnachtsgeld s. Anlage
4. O.a. Vereinbarung gilt nicht für GVL's, NL-Leiter und BL.
5. Das laufende Einigungsstellenverfahren wird von beiden Seiten als beendet erklärt.”
Nach dem beiderseitigen Vorbringen der Parteien verfuhr die Beklagte in den folgenden Jahren “entsprechend”. Im Fall einer Tariferhöhung hob sie das Effektivgehalt der Mitarbeiter jeweils rückwirkend zum 1. Januar des Jahres im jeweiligen prozentualen Umfang an.
Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 1. April 1991 beschäftigt. Seine monatliche Vergütung beträgt nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts 3.449,09 Euro. Feststellungen zur Zusammensetzung des Gehalts sind nicht getroffen.
Nach dem Gehaltsabkommen für den Groß- und Außenhandel Nordrhein-Westfalen vom 17. Juli 2003 erhöhten sich die Löhne und Gehälter im Jahr 2003 um 1,6 % und im Jahr 2004 um 1,8 %. Mit Schreiben vom 31. Juli 2003 teilte die Beklagte den Arbeitnehmern mit, dass die Tariferhöhung nicht weitergegeben, sondern – soweit möglich – mit übertariflichen Zulagen verrechnet werde. Feststellungen zur Höhe der von der Beklagten im Jahr 2004 monatlich geleisteten Zahlungen sind nicht getroffen.
Mit seiner Klage hat der Kläger – soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung – für die Monate Januar bis März 2004 je 118,26 Euro und für die Monate April bis Dezember 2004 insgesamt 709,56 Euro geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, er habe auf Grund der Vereinbarung vom 28. Juni 1989 einen Anspruch darauf, dass sich sein Effektivgehalt im Jahr 2003 von 3.449,09 Euro um 1,6 % auf 3.504,27 Euro und ab Januar 2004 um weitere 1,8 % auf 3.567,35 Euro erhöhe. Im Übrigen habe sich die Beklagte auch in Form einer Gesamtzusage binden wollen. Das Protokoll vom 28. Juni 1989 sei durch Aushang am Schwarzen Brett im Betrieb bekannt gemacht worden. Außerdem sei auf einer Betriebsversammlung im Juli 1989 allen Anwesenden das Ergebnis des Einigungsstellenverfahrens mitgeteilt und ihnen zugesagt worden, dass Tariferhöhungen stets auf das Effektivgehalt und bereits ab Januar des jeweiligen Jahres gezahlt würden.
Der Kläger hat – soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung – beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.064,34 Euro brutto nebst 5 % Zinsen aus 354,78 Euro seit dem 19. März 2004 und aus 709,56 Euro seit dem 3. Dezember 2004 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die (Betriebs-)Vereinbarung vom 28. Juni 1989 sei unwirksam. Sie erfülle nicht das Schriftformerfordernis des § 77 Abs. 2 BetrVG, verstoße gegen den Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 BetrVG und enthalte eine unzulässige Effektivklausel. Außerdem sei für ihren Abschluss der Gesamtbetriebsrat nicht zuständig gewesen. Aus einer Gesamtzusage könne der Kläger keine Ansprüche herleiten. Sie habe die Leistungen jahrelang nur erbracht, weil sie gemeint habe, hierzu auf Grund der als wirksam erachteten Betriebsvereinbarung verpflichtet zu sein. Im Übrigen könne sich der Kläger schon deshalb nicht auf eine 1989 etwa erteilte Gesamtzusage berufen, da er bei ihr erst 1991 eingetreten sei.
Das Arbeitsgericht hat der Zahlungsklage, die erstinstanzlich nur auf den Betrag von 354,78 Euro gerichtet war, stattgegeben. Die Beklagte hat – ua. – hiergegen Berufung eingelegt. Ihre Berufungsbegründungsschrift ist dem Klägervertreter laut Empfangsbekenntnis am 28. September 2004 mit einem “Hinweis gemäß § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG” zugestellt worden. Mit am 1. Dezember 2004 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat der Kläger die Klage unter Einbeziehung der Monate April bis Dezember 2004 auf 1.064,34 Euro erweitert.
Das Landesarbeitsgericht hat – soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung – die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Außerdem hat es die Beklagte verurteilt, an den Kläger weitere 709,56 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3. Dezember 2004 zu zahlen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin die vollständige Abweisung der Klage. Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Vorinstanzen haben der Zahlungsklage zu Unrecht entsprochen. Diese ist zwar zulässig, aber unbegründet.
A. Dies gilt zunächst für den schon erstinstanzlich verfolgten, auf 354,78 Euro gerichteten Zahlungsantrag.
I. Die Klage ist insoweit zulässig. Der Streitgegenstand ist hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Bei den vom Kläger für die Monate Januar bis März 2004 geltend gemachten Zahlungsansprüchen in Höhe von je 118,26 Euro brutto handelt es sich nicht um tarifliche Ansprüche. Diese sind erfüllt. Den Streitgegenstand bilden ausschließlich übertarifliche Vergütungsbestandteile. Der Kläger wendet sich zum einen dagegen, dass die Beklagte auf diese übertariflichen Gehaltsbestandteile die Tariferhöhung des Jahres 2003 angerechnet hat; darüber hinaus macht er geltend, die übertariflichen Zulagen hätten ebenso wie das Tarifgehalt um die Tariferhöhungen von 1,6 % und 1,8 % angehoben werden müssen. Dabei stützt er sich zum einen auf die Vereinbarung vom 28. Juni 1989, zum anderen auf eine nach seiner Auffassung von der Beklagten erteilte Gesamtzusage.
II. Die Klage ist unbegründet. Dem Kläger stehen die für die Monate Januar bis März 2004 geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Dabei konnte dahingestellt bleiben, ob der Kläger zur Schlüssigkeit seiner Klage nicht die Tatsachen hätte vortragen müssen, aus denen sich der Rechtsgrund für die Zahlung übertariflicher Vergütungsbestandteile ergibt, um deren Anrechnungsfähigkeit und Erhöhung gestritten wird. Denn die tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts tragen weder die rechtliche Würdigung, die von der Beklagten vorgenommene Anrechnung der Tariferhöhungen auf die übertariflichen Zulagen sei unzulässig gewesen, noch begründen sie einen Anspruch des Klägers auf eine – weitere – Erhöhung seiner übertariflichen Gehaltsbestandteile. Die Vereinbarung vom 28. Juni 1989 ist als Betriebsvereinbarung unwirksam. Die Voraussetzungen einer Gesamtzusage sind nicht dargetan. Auch auf die Grundsätze der betrieblichen Übung lassen sich die Ansprüche des Klägers nicht stützen.
1. Die von der Beklagten vorgenommene Anrechnung der Tariflohnerhöhung(en) war weder individual- noch kollektivrechtlich unzulässig.
a) Die Anrechung war individualrechtlich zulässig.
(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist individualrechtlich die Anrechnung einer Tariferhöhung auf übertarifliche Gehaltsbestandteile möglich, sofern dem Arbeitnehmer die Zulage nicht als selbständiger Entgeltbestandteil neben dem jeweiligen Tarifentgelt zugesagt worden ist (vgl. etwa 8. Juni 2004 – 1 AZR 308/03 – BAGE 111, 70, zu B I 1 der Gründe mwN). Da sich durch eine Anrechnung – anders als beim Widerruf der Zulage – die Gesamtgegenleistung des Arbeitgebers für die vom Arbeitnehmer erbrachte Arbeitsleistung nicht verringert, ist die mit einer Anrechnung verbundene Veränderung der Zulagenhöhe dem Arbeitnehmer regelmäßig zumutbar. Ein darauf gerichteter Anrechnungsvorbehalt hielte einer Inhaltskontrolle nach den §§ 307 ff. BGB stand (vgl. 1. März 2006 – 5 AZR 363/05 – zur Veröffentlichung vorgesehen ≪zVv.≫, zu II 4b der Gründe).
(2) Hiernach begegnete die Anrechnung individualrechtlich keinen Bedenken. Es ist weder festgestellt noch vom Kläger vorgetragen, dass ihm die übertarifliche Zulage als selbständiger Entgeltbestandteil neben dem jeweiligen Tarifentgelt zugesagt worden sei.
b) Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats standen der Anrechnung nicht entgegen.
(1) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats unterliegt eine Anrechnung dann nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats, wenn sie das Zulagenvolumen völlig aufzehrt oder die Tariferhöhung im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Möglichen vollständig und gleichmäßig auf die übertariflichen Zulagen angerechnet wird (vgl. etwa 8. Juni 2004 – 1 AZR 308/03 – BAGE 111, 70, zu B I 2a der Gründe mwN).
(2) Hier erfolgte die Anrechnung nach dem Schreiben der Beklagten vom 31. Juli 2003 vollständig und gleichmäßig im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Möglichen. Auch der Kläger hat nicht geltend gemacht, durch die Anrechnung seien Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG verletzt worden.
c) Die Vereinbarung zwischen der Beklagten und dem Gesamtbetriebsrat vom 28. Juni 1989 steht der Anrechnung nicht entgegen. Zwar enthält die Vereinbarung ein Anrechnungsverbot. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist sie aber unwirksam.
(1) Bei der Vereinbarung vom 28. Juni 1989 handelt es sich um eine Betriebsvereinbarung iSv. § 77 BetrVG. Sie ist zwar nicht ausdrücklich als solche bezeichnet. Nach ihrem Inhalt stellt sie aber eine Betriebsvereinbarung dar. Die Betriebsparteien wollten erkennbar die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer mit normativer Wirkung unmittelbar und zwingend regeln (§ 77 Abs. 4 BetrVG).
(2) Die Betriebsvereinbarung enthält in Nr. 2 ua. das Verbot einer Anrechnung von Tariferhöhungen auf übertarifliche Zulagen. Nach dieser Bestimmung erfolgt ab dem Jahr 1990 die Tariferhöhung rückwirkend ab dem 1. Januar auf das Effektivgehalt (Grundgehalt und übertarifliche Zulagen). Danach soll eine Tariferhöhung ungeachtet der tariflichen Vereinbarung Rückwirkung auf den 1. Januar des jeweiligen Jahres entfalten. Darüber hinaus soll sie nicht nur auf das Tarifgehalt, sondern auch auf übertarifliche Zulagen erfolgen. Das Effektivgehalt soll sich um den Prozentsatz der Tariferhöhung steigern. Dies bedeutet notwendig, dass eine Anrechnung der Tariferhöhung auf die übertariflichen Zulagen und damit deren Kürzung zu unterbleiben hat.
(3) Die Betriebsvereinbarung ist unwirksam. Dabei konnte der Senat dahinstehen lassen, ob die Vereinbarung dem Schriftformerfordernis des § 77 Abs. 2 Satz 1 und 2 BetrVG genügt, ob die in ihr enthaltene dynamische Blankettverweisung zulässig ist, ob es sich um eine unzulässige Effektivklausel handelt und ob der Gesamtbetriebsrat für ihren Abschluss zuständig war. Denn sie verstößt jedenfalls gegen den Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG.
aa) Nach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Die Vorschrift dient der Sicherung der ausgeübten und aktualisierten Tarifautonomie sowie der Erhaltung und Stärkung der Funktionsfähigkeit der Koalitionen (vgl. etwa BAG 29. Oktober 2002 – 1 AZR 573/01 – BAGE 103, 187, zu I 1a bb der Gründe; 21. Januar 2003 – 1 ABR 9/02 – AP BetrVG 1972 § 21a Nr. 1 = EzA BetrVG 2001 § 77 Nr. 3, zu B II 2c aa der Gründe; 22. März 2005 – 1 ABR 64/03 – AP TVG § 4 Geltungsbereich Nr. 26, zu B II 2c aa (1) der Gründe). Sie will verhindern, dass Gegenstände, derer sich die Tarifvertragsparteien angenommen haben, konkurrierend – und sei es inhaltsgleich – durch Betriebsvereinbarung geregelt werden.
Verwehrt ist den Betriebsparteien jegliche Regelung über die tariflichen Vergütungsbestandteile selbst. Sie können diese weder hinsichtlich ihrer Höhe noch hinsichtlich der Anspruchsberechtigten modifizieren. Sie können daher auch keinerlei Regelungen über Tariferhöhungen treffen und nicht über deren Höhe und Zeitpunkt disponieren. Dies gilt auch, wenn die von ihnen getroffene Regelung für die Arbeitnehmer günstiger ist als diejenige der Tarifvertragsparteien.
Dagegen sind die Betriebsparteien grundsätzlich nicht gehindert zu bestimmen, ob und inwieweit Tariferhöhungen auf übertarifliche Zulagen angerechnet werden können. Mit einem Anrechnungsverbot regeln die Betriebsparteien nicht das Schicksal der Tariferhöhung, sondern die Behandlung der übertariflichen Zulage. Der Anspruch auf diese soll nicht durch die Zahlung eines erhöhten Tariflohns erfüllt werden können. Auch eine Bestimmung, wonach sich eine übertarifliche Zulage um denselben Prozentsatz erhöht wie das Tarifgehalt, verstößt nicht gegen 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG. Eine derartige Vereinbarung regelt ebenfalls nicht die Tariferhöhung, sondern die übertarifliche Zulage. Sie tangiert die Tarifautonomie nicht, sondern nimmt das Tarifgeschehen lediglich zum Anlass einer Erhöhung der übertariflichen Zulage.
Allerdings darf die den Anspruch auf eine übertarifliche Zulage begründende Betriebsvereinbarung nicht ihrerseits gegen § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG verstoßen. Eine Betriebsvereinbarung über eine übertarifliche Zulage ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dann mit dem Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG unvereinbar, wenn sie sich in der Aufstockung der Tariflöhne erschöpft. Dies gilt auch für die Gewährung allgemeiner, nicht an besondere Voraussetzungen gebundener Zulagen (BAG 9. Dezember 1997 – 1 AZR 319/97 – BAGE 87, 234, zu III 3a bb (1) der Gründe; DKK-Berg 9. Aufl. § 77 Rn. 64; Fitting 23. Aufl. § 77 Rn. 87; Kreutz GKBetrVG 8. Aufl. § 77 Rn. 111; Preis in Wlotzke/Preis BetrVG 3. Aufl. § 77 Rn. 61).
bb) Danach ist die Regelung in Nr. 2 der Betriebsvereinbarung mit § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG nicht vereinbar. Die Bestimmung betrifft nicht nur das Schicksal der übertariflichen Zulagen. Sie beansprucht vielmehr Geltung auch für die tarifliche Vergütung. Nach ihrem eindeutigen Wortlaut wird durch sie die “Tariferhöhung” geregelt. Zum einen wird ausdrücklich bestimmt, dass die Tariferhöhung zum 1. Januar des jeweiligen Jahres erfolgen soll. Zum anderen sieht die Bestimmung ebenso unmissverständlich vor, dass die Tariferhöhung “auf das Effektivgehalt” erfolgt. Dabei handelt es sich nicht um bloße Hinweise, sondern um Regelungen, die normative Geltung beanspruchen. Dies gilt zunächst für die Bestimmung des Zeitpunkts, zu dem die Tariferhöhung erfolgen soll. Damit soll – ggf. in Abweichung von der tariflichen Regelung – der Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Tariferhöhung auf den Jahresbeginn vorverlegt werden. Normativen Charakter hat auch die Regelung, wonach die Tariferhöhung auf das Effektivgehalt erfolgt. Dies gilt für den übertariflichen Anteil des Effektivgehalts ebenso wie für die Erhöhung des tariflichen Bestandteils. Ersichtlich sollen auch die Arbeitnehmer, die keinen tariflichen Anspruch auf die Tariferhöhung haben, an dieser teilhaben. Es soll für alle Arbeitnehmer der Beklagten die Steigerung ihres aus Grundvergütung und übertariflichen Zulagen bestehenden Effektivgehalts zwingend festgeschrieben werden. Wenn die Betriebsparteien lediglich die übertariflichen Lohnbestandteile hätten regeln wollen, hätte es nahe gelegen, die Betriebsvereinbarung auf die übertariflichen Zulagen zu beschränken und nicht die Steigerung des Effektivgehalts vorzusehen.
Damit verstößt die Nr. 2 der Betriebsvereinbarung gegen § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG. Durch die Regelung der Tariferhöhung haben die Betriebsparteien in unzulässiger Weise in die Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien eingegriffen. Sie durften weder die Erhöhung des Effektivgehalts noch den Zeitpunkt der Tariferhöhung regeln. Dem steht das Urteil des Senats vom 9. Dezember 1997 (– 1 AZR 319/97 – BAGE 87, 234, zu III 3a bb (2) der Gründe) nicht entgegen. Nach dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt gab es keine Regelung, nach welcher die Tariferhöhung – noch dazu rückwirkend – auf das Effektivgehalt erfolgte. Vielmehr war dort nur geregelt, dass zukünftige tarifliche Lohnerhöhungen nicht auf eine arbeitsvertraglich vorgesehene Leistungszulage angerechnet werden.
Die Nr. 2 der Betriebsvereinbarung lässt sich auch nicht in einen unwirksamen und einen wirksamen Teil aufspalten. Es ist völlig unklar, welche Regelung die Betriebsparteien getroffen hätten, wenn sie erkannt hätten, dass die Regelung der Rückwirkung der Tariferhöhung sowie zumindest deren Erstreckung auf nicht tarifgebundene Arbeitnehmer unwirksam ist.
(1) Eine Gesamtzusage, welche der Anrechnung entgegenstünde, hat die Beklagte nicht erteilt.
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist es nicht ausgeschlossen, eine unwirksame Betriebsvereinbarung entsprechend § 140 BGB in eine vertragliche Einheitsregelung (Gesamtzusage oder gebündelte Vertragsangebote) umzudeuten. Eine solche Umdeutung kommt allerdings nur in Betracht, wenn besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, der Arbeitgeber habe sich unabhängig von der Betriebsvereinbarung auf jeden Fall verpflichten wollen, seinen Arbeitnehmern die in dieser vorgesehenen Leistungen zu gewähren (vgl. 24. Januar 1996 – 1 AZR 597/95 – BAGE 82, 89, zu II 1 der Gründe; 5. März 1997 – 4 AZR 532/95 – BAGE 85, 208, zu II 2c bb der Gründe; 29. Oktober 2002 – 1 AZR 573/01 – BAGE 103, 187, zu II 1 der Gründe). Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass sich der Arbeitgeber von einer Betriebsvereinbarung durch Kündigung jederzeit lösen kann, während eine Änderung der Arbeitsverträge, zu deren Inhalt eine Gesamtzusage wird, nur einvernehmlich oder durch gerichtlich überprüfbare Änderungskündigung möglich ist. Ein hypothetischer Wille des Arbeitgebers, sich unabhängig von der Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung auf Dauer zu binden, kann daher nur in Ausnahmefällen angenommen werden (vgl. 5. März 1997 – 4 AZR 532/95 – aaO).
(2) Hiernach hat sich die Beklagte nicht im Wege einer Gesamtzusage verpflichtet, die jeweiligen Tariferhöhungen in vollem Umfang auf das Effektivgehalt der Arbeitnehmer weiterzugeben. Dies gilt auch dann, wenn die bestrittenen Behauptungen des Klägers zutreffen sollten, das Protokoll vom 28. Juni 1989 sei am Schwarzen Brett ausgehängt worden, den Anwesenden sei auf einer Betriebsversammlung im Juli 1989 das Ergebnis des Einigungsstellenverfahrens mitgeteilt und es sei ihnen zugesagt worden, dass in Zukunft Tariflohnerhöhungen auf das Effektivgehalt und bereits ab Januar des jeweiligen Jahres gezahlt würden. Auch unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, die Beklagte habe sich für den Fall der Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung vertraglich dauerhaft in derart weitgehender Weise binden wollen. Vielmehr hatte die Bekanntgabe der Vereinbarung bloßen Hinweischarakter. Die Belegschaft sollte über die geschlossene Betriebsvereinbarung und deren Inhalt informiert werden. Daher kann dahinstehen, ob sich der Kläger auf eine im Juli 1989 gegebene Gesamtzusage berufen könnte, obwohl er damals noch nicht Arbeitnehmer der Beklagten war.
e) Der Kläger kann sich nicht auf eine betriebliche Übung berufen, nach der Tariferhöhungen stets bezogen auf das Effektivgehalt weitergegeben werden.
(1) Eine betriebliche Übung setzt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers voraus, aus denen der Arbeitnehmer schließen kann, ihm solle eine Leistung oder Vergünstigung auf Dauer gewährt werden. Maßgeblich ist dabei, wie der Arbeitnehmer als Erklärungsempfänger das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände verstehen darf (vgl. 18. September 2002 – 1 AZR 477/01 – BAGE 102, 351, zu I 1 der Gründe; skeptisch gegenüber der vertragsrechtlichen Begründung der betrieblichen Übung Bepler RdA 2005, 323). Hiervon kann der Arbeitnehmer allerdings trotz wiederholt gezahlter Leistungen dann nicht ausgehen, wenn der Arbeitgeber die Leistungen erkennbar auf Grund einer anderen und sei es auch einer tatsächlich nicht bestehenden Rechtspflicht hat erbringen wollen (vgl. 14. August 2001 – 1 AZR 619/00 – BAGE 98, 323, zu A I 3 der Gründe; 18. November 2003 – 1 AZR 604/02 – BAGE 108, 299, zu I 1b der Gründe).
(2) Danach liegen die Voraussetzungen einer betrieblichen Übung nicht vor. Die Beklagte nahm die Weitergabe der Tariferhöhungen auf das effektive Gehalt auch für den Kläger erkennbar in Erfüllung ihrer – vermeintlichen – Verpflichtung aus der Betriebsvereinbarung vor. Der Kläger konnte berechtigterweise nicht annehmen, dass sich die Beklagte zu einem entsprechenden Verhalten unabhängig vom Schicksal der Betriebsvereinbarung auf unbegrenzte Zeit verpflichten wollte.
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Erhöhung der übertariflichen Zulage. Mangels Wirksamkeit stellt die Betriebsvereinbarung hierfür keine Anspruchsgrundlage dar. Ein entsprechender Anspruch folgt aus den dargelegten Gründen auch weder aus einer Gesamtzusage noch aus einer betrieblichen Übung.
B. Die in der zweitinstanzlichen Klageerweiterung liegende Anschlussberufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet. Dem Kläger stehen auch die damit verfolgten Zahlungsansprüche nicht zu.
I. Die vom Kläger im Berufungsverfahren vorgenommene Erweiterung seiner Klage stellte eine Anschlussberufung gegen das arbeitsgerichtliche Urteil dar.
1. Ein in erster Instanz voll obsiegender Kläger kann zum Zwecke der Klageerweiterung Anschlussberufung einlegen (vgl. BAG 29. September 1993 – 4 AZR 693/92 – BAGE 74, 268; Germelmann in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 5. Aufl. § 64 Rn. 70). Einer Bezeichnung der Anschlussberufung als solche bedarf es nicht (BGH 3. November 1989 – V ZR 143/87 – NJW 1990, 447; Zöller/Gummer/Heßler ZPO 24. Aufl. § 524 Rn. 6).
2. Demgemäß handelte es sich bei der vom Kläger zweitinstanzlich vorgenommenen Klageerweiterung der Sache nach um eine Anschlussberufung. Der Kläger hatte im ersten Rechtszug in vollem Umfang obsiegt. Eine Erweiterung seiner Klage war daher nur im Rahmen einer Anschlussberufung möglich. Unschädlich ist, dass die Parteien und das Landesarbeitsgericht dies nicht erkannt haben.
II. Die Anschlussberufung war fristgerecht und auch im Übrigen zulässig.
1. Nach § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG ist eine Anschlussberufung zulässig bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren wird zwar anders als nach § 521 Abs. 2 Satz 1 ZPO dem Berufungsbeklagten – vom Gericht – keine Frist zur Berufungserwiderung “gesetzt”; vielmehr gilt für die Berufungsbeantwortung die durch § 66 Abs. 1 Satz 3 ArbGG bestimmte gesetzliche Frist. Gleichwohl ist § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO gemäß § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG entsprechend anwendbar mit der Folge, dass eine nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründung eingelegte Anschlussberufung grundsätzlich als unzulässig zu verwerfen ist (vgl. Germelmann in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge § 64 Rn. 72; GK-ArbGG/Vossen Stand März 2006 § 64 Rn. 105). Dies gilt allerdings nur, wenn das Berufungsgericht mit der Zustellung der Berufungsbegründung den nach § 66 Abs. 1 Satz 4 ArbGG gebotenen Hinweis erteilt hat. Fehlt es daran, wird weder die Berufungsbeantwortungsfrist noch die Frist zur Einlegung der Anschlussberufung in Lauf gesetzt. Nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist, welchen genauen Inhalt der durch § 66 Abs. 1 Satz 4 ArbGG vorgeschriebene Hinweis haben muss (vgl. Germelmann in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge § 66 Rn. 21; Schaub ArbGV 7. Aufl. § 51 Rn. 85; Grunsky ArbGG 7. Aufl. § 66 Rn. 7). Die Frage konnte im Streitfall dahinstehen.
2. Die Anschlussberufung des Klägers war nicht verspätet. Zwar war zum Zeitpunkt ihrer Einlegung am 1. Dezember 2004 mehr als ein Monat seit der am 28. September 2004 erfolgten Zustellung der Berufungsbegründung vergangen. Es ist aber nicht feststellbar, dass mit der Zustellung der Berufungsbegründung der nach § 66 Abs. 1 Satz 4 ArbGG gebotene Hinweis erfolgte. Nach dem vom Landesarbeitsgericht vorgefertigten und vom Klägervertreter unterzeichneten Empfangsbekenntnis erfolgte ein “Hinweis gemäß § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG”. Dieser Verweis macht keinen Sinn. § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG regelt den Beginn der Frist für die Einlegung der Berufung und die Begründung der Berufung, nicht dagegen die Berufungsbeantwortungsfrist. Folglich wurde die Frist zur Berufungsbeantwortung und damit auch diejenige zur Einlegung der Anschlussberufung nicht in Lauf gesetzt. Der Klägervertreter hat die Anschlussberufung, wie nach § 524 Abs. 3 Satz 1 ZPO erforderlich, in dem als Anschlussschrift zu erachtenden Klageerweiterungsschriftsatz begründet.
III. Die Anschlussberufung ist unbegründet.
1. Die vom Kläger in zweiter Instanz vorgenommene Klageerweiterung ist gemäß § 533 ZPO zulässig. Das Landesarbeitsgericht hat sie für sachdienlich erachtet. Die Klageerweiterung war auch auf Tatsachen gestützt, die das Landesarbeitsgericht ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hatte. Der Streitgegenstand der Klageerweiterung ist hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Wie die gebotene Auslegung ergibt, macht der Kläger mit den für die Monate April bis Dezember 2004 eingeklagten 709,56 Euro allerdings nicht – wie für die Monate Januar bis März 2004 – jeweils 118,26 Euro, sondern jeweils lediglich 78,84 Euro geltend.
2. Die mit der Klageerweiterung verfolgten Ansprüche sind unbegründet. Ebenso wie für die Monate Januar bis März 2004 kann der Kläger auch für die Monate April bis Dezember 2004 die Erhöhung seines Effektivgehalts nicht verlangen.
Unterschriften
Schmidt, Kreft, Linsenmaier, Wisskirchen, Peter Berg
Fundstellen
BAGE 2007, 211 |
BB 2006, 2356 |
NWB 2006, 3613 |
FA 2006, 377 |
FA 2007, 23 |
NZA 2006, 1170 |
ZAP 2006, 1139 |
AP, 0 |
EzA-SD 2006, 14 |
EzA |
RdW 2007, 22 |