Entscheidungsstichwort (Thema)
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall 80% oder 100%
Leitsatz (redaktionell)
§ 9 Nr 2 des Manteltarifvertrages für gewerbliche Arbeitnehmer sowie kaufmännische und technische Angestellte und Meister sowie alle Auszubildenden in der Gipsindustrie in den Bundesländern Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen vom 7. März 1995 enthält keine konstitutive Regelung zur Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und begründet keinen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts in Höhe von 100%.
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des
Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 1. September 1999 -
10 Sa 1114/98 - aufgehoben.
2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des
Arbeitsgerichts Halle vom 15. Oktober 1998 - 3 Ca 2376/98 -
wird zurückgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu
tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Der Kläger ist seit 2. Januar 1979 bei der Beklagten als Drehofenmeister beschäftigt. Vom 2. bis 12. Februar 1998 war er arbeitsunfähig krank. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand zu diesem Zeitpunkt der Manteltarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer sowie kaufmännische und technische Angestellte und Meister sowie alle Auszubildenden in der Gipsindustrie in den Bundesländern Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen vom 7. März 1995 (im folgenden: MTV) Anwendung. Darin heißt es ua.:
"§ 9
Krankheit
1. ...
2. In Fällen unverschuldeter mit Arbeitsunfähigkeit
verbundener Krankheit oder während eines von der
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte bzw. von der
Landesversicherungsanstalt für Arbeiter bewilligten
Heilverfahrens sind die regelmäßigen Einkommensbezüge des
Arbeitnehmers unter Zugrundelegung der letzten drei Monate bis
zur Dauer von sechs Wochen weiter zu zahlen. Tritt während der
Krankheitszeit bzw. des Heilverfahrens eine Erhöhung der
Bezüge ein, so ist der Erhöhungsbetrag zu berücksichtigen.
...
§ 14
Urlaub
...
II. Urlaubsentgelt
1. Für den Urlaub ist ein Entgelt zu zahlen in der Höhe des
Arbeitsverdienstes, den der Arbeitnehmer erhalten würde, wenn
er gearbeitet hätte. In diesen fallende Lohnerhöhungen bzw.
Gehaltserhöhungen sind zu berücksichtigen.
Als Berechnungsformel gilt: Der Gesamtbruttoverdienst des
Arbeitnehmers während der letzten 13 Wochen wird durch die
Zahl 65 geteilt. Krankheitstage, für die kein Entgelt gezahlt
wird, und Tage entschuldigten Fehlens sind von der
Teilungszahl 65 abzuziehen. Bei kürzeren Beschäftigungszeiten
oder kürzeren Abrechnungszeiträumen als 13 Wochen wird die
Teilungszahl entsprechend verringert."
Die Beklagte leistete Entgeltfortzahlung in Höhe von 80 %. Der Kläger begehrt die Differenz zu 100 % in unstreitiger Höhe. Er hat die Auffassung vertreten, aus dem Wortlaut des § 9 MTV und dem tariflichen Gesamtzusammenhang folge, daß in § 9 Abs. 2 MTV eine eigenständige Regelung der Höhe der Entgeltfortzahlung getroffen worden sei.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 432,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen
aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 10. Juni 1998 zu
zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, § 9 Abs. 2 MTV enthalte keine konstitutive Regelung der Höhe der Entgeltfortzahlung.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die Beklagte schuldet keine weitere Entgeltfortzahlung für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit des Klägers im Februar 1998. Den gesetzlichen Entgeltfortzahlungsanspruch hat sie erfüllt.
I. § 9 Abs. 2 MTV enthält keine konstitutive Regelung zur Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, so daß es für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit des Klägers im Februar 1998 bei der durch die damalige Gesetzesfassung vorgegebenen Entgeltfortzahlung iHv. lediglich 80 % verbleibt.
1. Der Senat hat einen tariflichen Anspruch auf Fortzahlung von 100 % des Arbeitsentgelts dann bejaht, wenn die Tarifvertragsparteien eine umfassende, rechnerisch lückenlose Regelung über die Bemessung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall getroffen haben, sie also nicht nur Berechnungsmethode und -grundlagen, sondern auch das Ergebnis der Berechnung vorgegeben haben. Solche Formulierungen lauten etwa, daß der Arbeitnehmer im Krankheitsfall pro Tag iHv. 1/22 des monatlichen Verdienstes zu vergüten ist (BAG 16. Juni 1998 - 5 AZR 728/97 - BAGE 89, 119) oder für jeden Krankheitstag 1/65 des Gesamtverdienstes der letzten drei Monate erhält (BAG 26. August 1998 - 5 AZR 769/97 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Holz Nr. 17 = EzA EFZG § 4 Tarifvertrag Nr. 12; BAG 26. August 1998 - 5 AZR 740/97 - BAGE 89, 330). Der Wille zur Schaffung einer eigenständigen Regelung zur Höhe der Entgeltfortzahlung kann auch anders zum Ausdruck kommen. So ist er bejaht worden bei einer Formulierung, nach der "alle Arbeitnehmer bei Arbeitsunfähigkeit in Folge Krankheit oder Unfall Anspruch auf Zahlung des vollen Gehalts bzw. Lohnes entsprechend dem Lohnfortzahlungsgesetz" haben (BAG 5. Mai 1999 - 5 AZR 530/98 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Gaststätten Nr. 6 = EzA EFZG § 4 Tarifvertrag Nr. 28). Demgegenüber hat der Senat keine eigenständige Regelung der Höhe der Entgeltfortzahlung angenommen, wenn die tarifliche Regelung nur die Methode und die Berechnung der Entgeltfortzahlung anders als das Gesetz bestimmt hat (BAG 8. September 1999 - 5 AZR 671/98 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Holz Nr. 19 = EzA EFZG § 4 Tarifvertrag Nr. 38). Mit gleichem Ergebnis hat er für einen Tarifvertrag entschieden, der die Weiterzahlung des Gehalts vorsah, ohne Angaben zur Höhe zu machen (BAG 12. April 2000 - 5 AZR 372/98 - zur Veröffentlichung vorgesehen).
2. § 9 Abs. 2 MTV regelt die Höhe der Entgeltfortzahlung nicht. Die Vorschrift bestimmt lediglich die Grundlagen der Berechnung.
a) Nach § 9 Abs. 2 MTV sind im Krankheitsfall "die regelmäßigen Einkommensbezüge" weiterzuzahlen. Schon der Wortlaut spricht dafür, daß auf diese Weise nur "unregelmäßige" Verdienstbestandteile, wie etwa von Zeit zu Zeit anfallende Überstundenvergütungen, bestimmte Zuschläge oder Zulagen von der Entgeltfortzahlung ausgenommen werden sollen. Der Ausdruck "regelmäßiger Arbeitsverdienst" bezieht sich in erster Linie auf bestimmte Berechnungsfaktoren und nicht auf die endgültige Höhe der Entgeltfortzahlung. Auch wenn der "regelmäßige Arbeitsverdienst" weitergezahlt werden muß, ist damit nicht abschließend bestimmt, in welcher Höhe (BAG 12. April 2000 - 5 AZR 692/98 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Die Frage in welcher Höhe die Entgeltfortzahlung zu leisten ist, läßt sich weiterhin stellen, ohne daß der Tarifvertrag darauf eine abschließende Antwort gäbe.
Im entsprechenden Sinne wird der Begriff der "Regelmäßigkeit", der auch im Entgeltfortzahlungsgesetz verwandt wird, in Literatur und Rechtsprechung verstanden. Er bedeutet eine gewisse Stetigkeit und Dauer (vgl. nur Geyer/Knorr/Krasney Entgeltfortzahlung-Krankengeld-Mutterschaftsgeld Stand April 2000 § 4 EFZG, F 423 Rn. 36 mwN). Dies spricht dafür, daß die Tarifvertragsparteien mit der "Regelmäßigkeit" der Einkommensbezüge in § 9 Abs. 2 MTV die gleiche Bedeutung verbunden haben und durch die gewählte Formulierung bestimmte Zufälligkeiten der Verdienstbemessung ausschließen, nicht aber eine eigenständige Regelung über die Höhe des fortzuzahlenden Verdienstes treffen wollten (BAG 12. April 2000 - 5 AZR 692/98 -).
Bestätigt wird dieses Auslegungsergebnis durch den Umstand, daß es in § 9 Abs. 2 MTV heißt, die regelmäßigen Einkommensbezüge seien "unter Zugrundelegung der letzten drei Monate" weiterzuzahlen. Wie die Revision zu Recht geltend macht, wird damit im Rahmen der nach § 4 Abs. 4 EFZG gegebenen Möglichkeiten der Weg zur Berechnung des nach § 4 Abs. 1 EFZG maßgebenden Entgelts modifiziert. Es wird die Berechnung der Entgeltfortzahlung nach dem Referenzprinzip angeordnet. Der Begriff "Zugrundelegung" meint die Grundlagen einer Berechnung, über die Höhe einer Zahlung sagt er dagegen nichts.
b) Aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang ergibt sich nichts anderes.
In § 14 Abs. II MTV wird zur Ermittlung des während des Urlaubs fortzuzahlenden Verdienstes auf den Bruttoverdienst der letzten 13 Wochen zurückgegriffen. Zugleich werden weitere Vorgaben für die Berechnung des Entgelts gemacht. Die Tarifvertragsparteien selbst bezeichnen dies zutreffend als "Berechnungsformel".
Aus § 7 MTV läßt sich für die Annahme einer konstitutiven Regelung nichts herleiten. Danach wird in verschiedenen Fällen der Arbeitsverhinderung dem Arbeitnehmer "der in dieser Zeit entsprechend seiner regelmäßigen betrieblichen Arbeitszeit entstandene Verdienstausfall vergütet". Die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und diejenige in sonstigen Verhinderungsfällen muß nicht in gleicher Weise geregelt sein. Es entstehen keine nicht hinnehmbaren Wertungswidersprüche, wenn für die Zeit der in § 7 genannten Verhinderungsfälle das Arbeitsentgelt in voller Höhe weitergezahlt wird, während dies für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit nicht vorgesehen ist. Auch der Gesetzgeber hat die Höhe der Entgeltfortzahlung nur für den Krankheitsfall herabgesetzt. Der ursprüngliche § 616 Abs. 1 BGB (jetzt Satz 1) ist unverändert geblieben (BAG 8. September 1999 - 5 AZR 671/98 - aaO).
Griebeling Müller-Glöge Kreft
Müller Zorn
Fundstellen
Haufe-Index 610980 |
BB 2000, 2368 |
NZA 2001, 341 |
SAE 2001, 199 |
AP, 0 |
NJ 2001, 278 |