Leitsatz (redaktionell)
(Versetzung als Disziplinarmaßnahme) Das Personalvertretungsgesetz Berlin ermächtigt nicht zum Abschluß einer Dienstvereinbarung, aufgrund derer eine Versetzung im Disziplinarweg ausgesprochen werden kann.
Die in der Dienst- und Disziplinarordnung für die Angestellten und Arbeiter des Landes und der Stadt Berlin in der Fassung vom 23. August 1977 enthaltene Regelung des § 9 Abs 1, 2b ist deshalb unwirksam.
Normenkette
PersVG BE § 87 Nr. 8; PersVG BE § 74 Abs. 1; PersVG BE § 85 Abs. 1 Nr. 6; KSchG § 2 Fassung 1969-08-25
Verfahrensgang
LAG Berlin (Entscheidung vom 27.04.1982; Aktenzeichen 3 Sa 10/82) |
ArbG Berlin (Entscheidung vom 10.11.1981; Aktenzeichen 21 Ca 352/79) |
Tatbestand
Der Kläger steht seit 1951 in den Diensten der Berliner Verkehrs-Betriebe (BVG). Auf das Arbeitsverhältnis des Klägers finden der BMT-G II und die Dienst- und Disziplinarordnung für die Angestellten und Arbeiter des Landes und der Stadt Berlin (DDO) in der Fassung vom 23. August 1977 Anwendung.
Seit 1. April 1966 wurde der Kläger auf dem Betriebshof Z als Rangierer eingesetzt. Gegen den Kläger wurde ein Dienstordnungsverfahren eingeleitet, das am 3. Oktober 1977 zur Versetzung des Klägers zum Betriebshof H führte.
Der Kläger begehrt die Feststellung der Unwirksamkeit der mit dem Dienststrafbescheid vom 3. Oktober 1977 ausgesprochenen Versetzung und hat beantragt festzustellen, daß seine mit Dienststrafbescheid vom 3. Oktober 1977 ausgesprochene strafweise Versetzung zum Betriebshof H unwirksam sei. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage mit der Begründung abgewiesen, daß die Versetzung sowohl kraft Direktionsrecht wie auch als Disziplinarmaßnahme rechtswirksam sei. Mit der Revision wendet sich der Kläger nur noch gegen die Versetzung als Disziplinarmaßnahme. Er hält § 9 Abs. 1, 2 b DDO für rechtsunwirksam. Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts und Stattgabe des Klageantrags, soweit die Vorinstanzen die Versetzung des Klägers im Wege der Disziplinarmaßnahme gemäß § 9 Abs. 1, 2 b DDO für rechtswirksam erklärt haben.
I. Beide Vorinstanzen haben die Rechtswirksamkeit der Versetzung des Klägers im Wege einer Disziplinarmaßnahme gemäß § 9 Abs. 1, 2 b DDO mit der Begründung bejaht, das Personalvertretungsgesetz Berlin enthalte eine gesetzliche Ermächtigung zur Versetzung als Disziplinarmaßnahme. Insbesondere werde durch eine solche Regelung das Kündigungsschutzrecht nicht berührt. Auch beständen keine rechtsstaatlichen Bedenken wegen der Bestimmtheit des § 9 Abs. 1, 2 b DDO. Es sei genügend erkennbar, in welchen Fällen ein Verstoß gegen § 9 Abs. 1 DDO gegeben seien. Gleiches gelte für die Voraussehbarkeit der gemäß § 9 Abs. 2 DDO angedrohten Sanktionen. Da der Kläger durch seine Verfehlung an der Dienststelle den Betriebsfrieden gestört habe, sei die Versetzung zu einer anderen Dienststelle als Disziplinarmaßnahme nicht zu beanstanden.
II. Dieser Rechtsauffassung vermag der Senat nicht zu folgen. Der Dienststrafbescheid der Beklagten vom 3. Oktober 1977, mit dem die Versetzung des Klägers als Disziplinarmaßnahme ausgesprochen worden ist, ist unwirksam, weil § 9 Abs. 1, 2 b DDO als Rechtsgrundlage für diesen Dienststrafbescheid mangels einer gesetzlichen Ermächtigung rechtsunwirksam ist (vgl. dazu BAG Urteil vom 25. August 1977 - 3 AZR 705/75 - AP Nr. 1 zu § 54 BAT-G II; BAG 39, 32 = AP Nr. 4 zu § 87 BetrVG Betriebsbuße und Urteil vom 13. August 1980 - 4 AZR 601/78 - unveröffentlicht). Die §§ 74 Abs. 1, 85 Abs. 1 Nr. 5 und 87 Nr. 8 PersVG Berlin ermächtigen nicht zum Abschluß einer Dienstvereinbarung mit dem Inhalt des § 9 Abs. 1, 2 b DDO, wonach gegen Arbeitnehmer, welche die Rechtsvorschriften, die die Ordnung und das Verhalten der Arbeitnehmer im Dienst regeln und auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden sind, oder die Vorschriften der DDO schuldhaft verletzen die Disziplinarmaßnahme der Versetzung ohne Änderung der Lohn- und Vergütungsgruppe verhängt werden kann. Denn weder aus den genannten Vorschriften noch aus der gesetzlichen Gesamtregelung des PersVG Berlin kann geschlossen werden, daß der Gesetzgeber die Betriebspartner ermächtigt hat, die Versetzung als Disziplinarmaßnahme gemäß § 9 Abs. 1, 2 b DDO zu gestalten.
Abgesehen von dem Fall, daß die Versetzung eines Arbeitnehmers ausdrücklich arbeitsvertraglich gestattet ist (vgl. dazu BAG 2, 221 = AP Nr. 2 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; BAG Urteil vom 12. Juli 1957 - 1 AZR 129/56 - AP Nr. 5 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAG Urteil vom 11. Juni 1958 - 4 AZR 514/55 - und BAG 8, 338 = AP Nr. 2 und 8 zu § 611 BGB Direktionsrecht) stellt die Versetzung gegen den Willen des Arbeitnehmers einen so erheblichen Eingriff in dessen individualrechtliche Rechtsstellung dar, daß eine Versetzung grundsätzlich nur durch eine Änderungskündigung gemäß § 2 KSchG erfolgen kann. Sind aber gemäß § 74 Abs. 1 PersVG Berlin Dienstvereinbarungen nur zulässig, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen, so scheidet im Hinblick auf die Vorschrift des § 2 KSchG die personalvertretungsrechtliche Grundregelung des § 74 Abs. 1 PersVG Berlin als Ermächtigungsgrundlage aus, weil das Personalvertretungsgesetz Berlin die Regelungskompetenz eingeschränkt hat.
TEXTAls Ermächtigungsgrundlage scheidet jedoch auch § 85 Abs. 1 Nr. 6 PersVG Berlin aus. Danach bestimmt die Personalvertretung mit, soweit keine Regelung durch Rechtsvorschriften oder Tarifvertrag besteht, ggf. durch Abschluß einer Dienstvereinbarung über die Regelung der Ordnung in der Dienststelle und des Verhaltens der Dienstkräfte. Diese allgemein gehaltene Bestimmung, in der die Regelung über das betriebliche Verhalten der Arbeitnehmer und über die Ordnung des Betriebes für mitbestimmungspflichtig erklärt und insoweit den Abschluß einer Dienstordnung zuläßt, kommt nur in Betracht, soweit keine Regelung durch Rechtsvorschriften oder Tarifvertrag besteht. Dieser Vorbehalt in § 85 Abs. 1 PersVG Berlin hat die Bedeutung einer Kollisionsnorm, d.h. der Gesetzgeber geht davon aus, daß die maßgebliche Zielsetzung einer Dienstvereinbarung auch durch eine gesetzliche oder tarifliche Regelung gewährleistet werden kann. Nur soweit dies nicht geschieht, ist die Dienstvereinbarung als Regelungsinstrument auf betrieblicher Ebene möglich (vgl. BAG 44, 94 = AP Nr. 7 zu § 77 BetrVG 1972). Wie aufgezeigt kommt für den Fall der Versetzung als gesetzliche Regelung jedoch § 2 KSchG zur Anwendung, so daß eine Rechtssetzungsbefugnis der Betriebspartner schon aus diesen Gründen ausscheidet. Darüber hinaus schließt hier jedoch auch § 9 Abs. 6 BMT-G II die Möglichkeit des Abschlusses einer Regelung in einer Dienstvereinbarung über eine Versetzung aus Disziplinargründen aus. Nach dieser Vorschrift kann ein Arbeiter versetzt werden, wenn dienstliche oder betriebliche Gründe es erfordern. Daraus muß geschlossen werden, daß eine Versetzung aus disziplinarischen Gründen gemäß dem Einleitungssatz von § 85 PersVG Berlin durch Dienstvereinbarung nicht geregelt werden kann. Zwar wird der Abschluß einer Dienstvereinbarung insoweit durch eine tarifliche Regelung nur verdrängt, wenn die Tarifvertragsparteien den Gegenstand abschließend und vollständig geregelt haben, nicht aber dann, wenn die tarifliche Normierung insgesamt oder in einzelnen Punkten lediglich ergänzungsbedürftige Rahmenvorschriften geben. Ob die Tarifvertragsparteien Raum für ergänzende betriebliche Regelungen lassen wollten, muß, wenn es im Tarifvertrag an einem ausdrücklichen Hinweis fehlt, aus den einschlägigen tariflichen Bestimmungen eindeutig zu entnehmen sein. Mit Rücksicht auf den vom Gesetzgeber gewollten Vorrang des Tarifvertrages entfaltet somit jede tarifliche Regelung, die nicht ohne weiteres als nur unvollständig gemeint erkennbar ist, für die Betriebspartner eine Sperrwirkung. Jede aus sich heraus zu handhabende Regelung in einem Tarifvertrag schließt damit eine entsprechende betriebliche Regelung aus (vgl. BAG 36, 148 = AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972 Tarifvorrang und BAG 39, 351 = AP Nr. 2 zu § 87 BetrVG 1972 Auszahlung). Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze läßt die hier maßgebliche Vorschrift des § 9 Abs. 6 BMT-G II nicht erkennen, daß die Tarifvertragsparteien die Frage, welche Gründe zu einer Versetzung führen können, nur unvollständig regeln und Raum für betriebliche Regelung lassen wollten. § 9 Abs. 6 BMT-G II enthält jedenfalls insoweit eine abschließende und vollständige aus sich heraus handhabbare Regelung als dienstliche und betriebliche Gründe allein eine Versetzung rechtfertigen. Die Tarifvorschrift läßt den Betriebspartnern damit keinen darüber hinausgehenden Regelungsspielraum.
Schließlich scheidet auch § 87 Nr. 8 PersVG Berlin als Ermächtigungsgrundlage für eine dienstvereinbarungsrechtliche Regelung der Versetzung aus Disziplinargründen aus. Zwar hat danach der Personalrat bei Verhängung von Disziplinarmaßnahmen ein Mitbestimmungsrecht, doch setzt dies voraus, daß eine Disziplinarmaßnahme an und für sich möglich ist. Wenn aber, wie aufgezeigt, die Versetzung als Disziplinarmaßnahme rechtlich unzulässig ist, begründet § 87 Nr. 8 PersVG Berlin auch keine Regelungskompetenz der Betriebspartner.
III. Bei dieser Rechtslage konnte dahingestellt bleiben, ob § 9 Abs. 1, 2 b DDO hinsichtlich der Bestimmtheit rechtsstaatlichen Grundsätzen entspricht, weil die sanktionierten Tatbestände nicht eindeutig genug normiert sind (vgl. grundsätzlich BAG 20, 79 = AP Nr. 1 zu § 56 BetrVG Betriebsbuße und zweifelnd BAG Urteil Urteil vom 13. August 1980 - 4 AZR 601/78 - unveröffentlicht).
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 97 ZPO.
Dr. Jobs Schneider Dörner
Mergenthaler Rose
Fundstellen
Haufe-Index 440676 |
BAGE 53, 247-251 (LT1) |
BAGE, 247 |
NJW 1987, 2462 |
RdA 1987, 63 |
AP § 74 LPVG Berlin (LT1), Nr 1 |
AR-Blattei, Betriebsbußen Entsch 15 (LT1) |
AR-Blattei, ES 480 Nr 15 (LT1) |
PersR 1987, 108-109 (ST1 |