Entscheidungsstichwort (Thema)

Angestellte im handwerklichen Erziehungsdienst

 

Normenkette

BAT 1975 §§ 22-23

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 01.06.1993; Aktenzeichen 7 Sa 21/93)

ArbG Ulm (Urteil vom 03.09.1992; Aktenzeichen 2 Ca 563/91)

 

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 1. Juni 1993 – 7 Sa 21/93 – wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die tarifgerechte Eingruppierung des Klägers, der von dem Beklagten in der von ihm betriebenen Werkstätte für Behinderte als Gruppenleiter in der Abteilung „Buchbinderei” beschäftigt wird.

Der Kläger verfügt über eine abgeschlossene Berufsausbildung als Raumaustatter und als Arbeitserzieher. Er wird von dem Beklagten seit dem 1. Oktober 1982 als Gruppenleiter in der Abteilung „Buchbinderei” der Werkstatt für Behinderte in S. beschäftigt. Der Beklagte wendet auf die Arbeitsverhältnisse aufgrund von Auflagen der Kostenträger den BAT in der Fassung für die Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände (VKA) an. Der Kläger ist kraft Organisationszugehörigkeit tarifgebunden. Aufgrund eines Nachtrages zum Arbeitsvertrag vom 5. Oktober 1983 erhielt der Kläger Vergütung nach der VergGr. VI b Stufe 4 BAT/VKA.

Die in der fraglichen Werkstätte beschäftigten Behinderten sind über 18 Jahre alt; ihnen soll in der Werkstatt ein Arbeitsplatz bzw. Gelegenheit zur Ausübung einer für sie geeigneten Tätigkeit geboten werden. Die vom Kläger geleitete Gruppe umfaßt 14 Behinderte. Die Anleitung dieser Behinderten in fachlicher Hinsicht führt der Kläger allein durch. Die für den Arbeitsplatz des Klägers festgelegte Stellenbeschreibung hat folgenden Inhalt:

2 Aufgabe der Stelle

Förderung und Betreuung von behinderten Mitarbeitern unter Berücksichtigung der individuellen Behinderung, Eigenarten und Fähigkeiten im sozialen sowie im Arbeitstrainings- und/oder im Arbeitsbereich in Anlehnung an die Ziele der Werkstatt und Werkstättenverordnung.

Weiteres siehe Tätigkeitsbeschreibung,

3 Verantwortung der Stelle

Für den zu betreuenden Personenkreis, für Pflegekräfte, sonstiges Personal, fachlich für ZDL und Praktikanten in dieser Gruppe. Für die in dieser Abteilung eingesetzten Betriebsmittel, Materialien, Maschinen, Einrichtungen und Werkzeuge und für die Durchführung der Aufträge und Arbeiten.

4 Kontakte der Stelle

innerhalb der WfB: Zu den Abteilungen der jeweiligen Werkstatt.

außerhalb der WfB: Im Einzelfall nur nach Absprache mit der Leitung.

5 Anforderungen für die Stelle (Ausbildung, Kenntnisse, Erfahrung)

Ausbildung:

Mindestanforderung Facharbeiter oder vergleichbarer Ausbildungsstand, Arbeitserzieher, Heilerziehungspfleger, mit sonderpäd. Zusatzausbildung.

Kenntnisse:

Kenntnisse, welche für die entsprechende Abteilung erforderlich sind.

Erfahrungen:

Berufserfahrung und Erfahrung mit behinderten Menschen wünschenswert.

Anforderungen:

Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit der speziellen Problematik der Behinderten.

Tätigkeitsbeschreibung

1. Arbeitstechnische Aufgaben:

(AB)

Organisation des Arbeitsablaufes, Durchführung und Überwachung der Arbeit innerhalb der Gruppe.

(AT)

Durchführung von Unterweisungen und Anleitung nach den jeweils vorhandenen Förderplänen.

2. Pädagogische Aufgaben:

Förderung und Betreuung der behinderten Mitarbeiter unter Berücksichtigung der individuellen Behinderungen, Eigenarten und Fähigkeiten, sowie deren Aufsicht.

3. Sonstige Aufgaben:

Teilnahme und Mitarbeit bei Besprechungen und sonstigen Veranstaltungen, welche die Werkstatt betreffen.

Der Kläger hat behauptet, ihm oblägen im einzelnen folgende Tätigkeiten:

  1. Materialeinkauf; Wareneingangskontrolle; Erstellen von Kalkulationen; Erstellen von Angeboten; Kundenberatung; Auftragsbeschaffung; Erstellen und Konstruieren von Hilfsmitteln und Vorrichtungen; Einstellen von Maschinen; Entwicklung und Herstellung von Eigenprodukten.
  2. Unterweisung der behinderten Mitarbeiter; Einstufung und Bewertung nach der Lohntabelle; Mitwirkung bei Gesprächen mit den Fachdiensten; Mitarbeit bei Therapiekonzepten und deren Durchführung; Elterngespräche; Erstellen und Durchführung von Konzepten bei Neigungsgruppen; Organisation von Gruppenausflügen und Besichtigungen; Ausgliederungsbemühungen für behinderte Mitarbeiter in Arbeitsplätze der freien Wirtschaft.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er erfülle die Merkmale der Fallgr. 5 der VergGr. V c BAT. Er übe nämlich besonders schwierige fachliche Tätigkeiten aus, weil er in Gruppen von Behinderten i.S. des § 39 BSHG arbeite. Da er diese Tätigkeit seit vielen Jahren ausübe, habe er infolge Bewährungsaufstiegs Anspruch auf Vergütung nach der VergGr. V b Fallgr. 5 BAT.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

  1. festzustellen, daß der Kläger ab dem 1. Januar 1991 in die Vergütungsgruppe V b BAT gem. der Anlage 1 zum BAT für Angestellte im Sozial- und Erziehungsdienst vom 24. April 1991 einzugruppieren ist;
  2. auf seine Anschlußberufung festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, die nachzuzahlenden Vergütungsunterschiede mit 4 % ab Rechtshängigkeit zu verzinsen.

Der Beklagte hat beantragt,

  1. die Klage abzuweisen;
  2. die Anschlußberufung des Klägers zurückzuweisen.

Er hat sich darauf berufen, der Kläger übe die typische Tätigkeit des handwerklichen Erziehungsdienstes aus. Diese Tätigkeiten seien in gesonderten Fallgruppen geregelt. Der Kläger könne sich deshalb nicht auf die Fallgruppen für Beschäftigte außerhalb des handwerklichen Erziehungsdienstes berufen.

Das Arbeitsgericht hat dem bei ihm ausschließlich gestellten Klageantrag zu 1) entsprochen. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen und die Anschlußberufung des Klägers hinsichtlich des Klageantrages zu 2) zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Klage ist zulässig. Es handelt sich um eine Eingruppierungsfeststellungsklage, die im öffentlichen Dienst allgemein üblich ist und gegen deren Zulässigkeit nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts keine Bedenken bestehen (vgl. Senatsrechtsprechung, Urteil vom 20. Oktober 1993 – 4 AZR 45/93 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).

II. Die Klage ist jedoch nicht begründet.

1. Das Arbeitsverhältnis unterliegt zumindest kraft stillschweigender Vereinbarung dem BAT/VKA.

2.a) Für die Eingruppierung des Klägers kommt es deshalb nach § 22 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 1 BAT darauf an, ob in dessen Tätigkeit zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmals oder mehrerer Tätigkeitsmerkmale der von ihm in Anspruch genommenen VergGr. V b Fallgr. 5 der Anlage 1 a zum BAT/VKA erfüllen.

b) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, die Tätigkeit des Klägers als Gruppenleiter in der WfB sei ein einziger großer Arbeitsvorgang.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats, die auch das Landesarbeitsgericht seinen Erwägungen zugrunde gelegt hat, ist unter einem Arbeitsvorgang eine unter Hinzurechnung der Zusammenhangstätigkeiten und bei Berücksichtigung einer sinnvollen, vernünftigen Verwaltungsübung nach tatsächlichen Gesichtspunkten abgrenzbare und rechtlich selbständig zu bewertende Arbeitseinheit der zu einem bestimmten Arbeitsergebnis führenden Tätigkeit eines Angestellten zu verstehen (BAGE 51, 59, 65 = AP Nr. 115 zu §§22, 23 BAT 1975; BAGE 51, 282, 287 = AP Nr. 116 zu §§ 22, 23 BAT 1975; BAGE 51, 356, 360 = AP Nr. 120 zu §§ 22, 23 BAT 1975). Dabei können tatsächlich trennbare Tätigkeiten von unterschiedlicher tariflicher Wertigkeit nicht zu einem Arbeitsvorgang zusammengefaßt werden (BAG Urteil vom 12. November 1986 – 4 AZR 718/85 – AP Nr. 129 zu §§ 22, 23 BAT 1975). Die Tätigkeit des Klägers als Gruppenleiter in einer WfB läßt sich aber nicht in einzelne Vorgänge aufspalten, sondern stellt danach einen einzigen großen Arbeitsvorgang dar.

3. Für die Eingruppierung des Klägers kommt es damit auf die folgenden tariflichen Bestimmungen an:

VergGr. VII

1. …

2. …

3. …

4. Angestellte im handwerklichen Erziehungsdienst

mit abgeschlossener Berufsausbildung.

(Hierzu Protokollnotiz Nr. 1)

VergGr. VI b 1. …

2. Angestellte im handwerklichen Erziehungsdienst mit abgeschlossener Berufsausbildung als Leiter von Ausbildungs- oder Berufsförderungswerkstätten oder Werkstätten für Behinderte.

(Hierzu Protokollnotiz Nr. 1)

3. …

4. Angestellte im handwerklichen Erziehungsdienst mit abgeschlossener Berufsausbildung

nach vierjähriger Bewährung in VergGr. VII Fallgr. 4.

(Hierzu Protokollnotiz Nr. 1)

5. …

VergGr. V c

1. Handwerksmeister, Industriemeister oder Gärtnermeister im handwerklichen Erziehungsdienst als Leiter von Ausbildungs- oder Berufsförderungswerkstätten oder Werkstätten für Behinderte.

(Hierzu Protokollnotiz Nr. 1)

2. …

3. Angestellte im handwerklichen Erziehungsdienst mit abgeschlossener Berufsausbildung als Leiter von Ausbildungs- oder Berufsförderungswerkstätten oder Werkstätten für Behinderte

nach vierjähriger Bewährung in VergGr. VI b Fallgr. 2.

(Hierzu Protokollnotiz Nr. 1)

4. …

5. Erzieherinnen mit staatlicher Anerkennung und entsprechender Tätigkeit sowie sonstige Angestellte, die aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und ihrer Erfahrungen entsprechende Tätigkeiten ausüben,

mit besonders schwierigen fachlichen Tätigkeiten.

(Hierzu Protokollnotizen Nr. 1, 6, 7 und 8)

6. …

7. Erzieherinnen mit staatlicher Anerkennung und entsprechender Tätigkeit sowie sonstige Angestellte, die aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und ihrer Erfahrungen entsprechende Tätigkeiten ausüben,

nach dreijähriger Bewährung in VergGr. VI b Fallgr. 5.

(Hierzu Protokollnotizen Nr. 1, 6 und 7)

VergGr. V b

1. Handwerksmeister, Industriemeister oder Gärtnermeister im handwerklichen Erziehungsdienst als Leiter von großen Ausbildungs- oder Berufsförderungswerkstätten oder Werkstätten für Behinderte.

(Hierzu Protokollnotiz Nr. 1)

2. Handwerksmeister, Industriemeister oder Gärtnermeister im handwerklichen Erziehungsdienst als Leiter von Ausbildungs- oder Berufsförderungswerkstätten oder Werkstätten für Behinderte

nach vierjähriger Bewährung in VergGr. V c Fallgr. 1.

(Hierzu Protokollnotiz Nr. 1)

3. …

4. …

5. Erzieherinnen mit staatlicher Anerkennung und entsprechender Tätigkeit sowie sonstige Angestellte, die aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und ihrer Erfahrungen entsprechende Tätigkeiten ausüben,

mit besonders schwierigen fachlichen Tätigkeiten,

nach vierjähriger Bewährung in VergGr. V c Fallgr. 5.

(Hierzu Protokollnotizen Nr. 1, 6, 7 und 8)

Protokollnotizen

1. Der Angestellte – ausgenommen der Angestellte bzw. Meister im handwerklichen Erziehungsdienst – erhält für die Dauer der Tätigkeit in einem Erziehungsheim, einem Kinder- oder einem Jugendwohnheim oder einer vergleichbaren Einrichtung (Heim) eine Zulage in Höhe von 120,– DM monatlich, wenn in dem Heim überwiegend Behinderte im Sinne des § 39 BSHG oder Kinder oder Jugendliche mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten zum Zwecke der Erziehung, Ausbildung oder Pflege ständig untergebracht sind; sind nicht überwiegend solche Personen ständig untergebracht, beträgt die Zulage 60,– DM monatlich.

Für den Angestellten bzw. Meister im handwerklichen Erziehungsdienst in einem Heim im Sinne des Unterabsatzes 1 erster Halbsatz beträgt die Zulage 80,– DM monatlich.

2. …

3. …

4. …

5. …

6. …

7. …

8. Besonders schwierige fachliche Tätigkeiten sind z.B. die

  1. Tätigkeiten in Gruppen von Behinderten im Sinne des § 39 BSHG oder von Kindern oder Jugendlichen mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten,

III. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, der Kläger sei nicht einzugruppieren nach den Tätigkeitsmerkmalen der VergGr. V c bzw. V b Fallgruppen 5 als „sonstiger Angestellter, der aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und seiner Erfahrungen entsprechende Tätigkeiten” einer Erzieherin/eines Erziehers ausübt.

1. Wie der Beklagte bereits in der Berufungsinstanz zutreffend ausgeführt hat, haben die Tarifvertragsparteien bei den Tätigkeitsmerkmalen für den Sozial- und Erziehungsdienst streng zwischen „Erziehungsdienst” einerseits und „handwerklichen Erziehungsdienst” andererseits unterschieden. Damit stellen aber die Tätigkeitsmerkmale für Angestellte im handwerklichen Erziehungsdienst Spezialnormen für diesen Kreis von Angestellten dar, so daß sie nicht nach den Tätigkeitsmerkmalen anderer Fallgruppen als „sonstige Angestellte”, wie Erzieher/Erzieherinnen eingruppiert werden können (vgl. Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, BAT, Stand Februar 1994, VergO VKA, Bd. 2, Teil II Sozial- und Erziehungsdienst, S. 642 e Anm. 11; ArbG Kassel Urteil vom 24. Oktober 1991 – 1 Ca 219/91 – EzA §§ 22, 23 BAT Nr. 3; BAG Urteile vom 4. Mai 1994 – 4 AZR 438/93 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse bestimmt und vom 14. September 1994 – 4 AZR 785/93 –, n.v.). Wollte man auch die Angestellten im handwerklichen Erziehungsdienst in einer WfB wie Erzieher mit besonders schwierigen fachlichen Tätigkeiten eingruppieren, wären die Fallgruppen 4 der VergGr. VII und VI b insoweit inhaltsleer. Darüber hinaus würden Angestellte im Erziehungsdienst über eine Eingruppierung wie Erzieher in die VergGr. V b aufsteigen können und damit höher als derartige Angestellte als „Leiter von Ausbildungs- oder Berufsförderungswerkstätten oder Werkstätten für Behinderte”, die allenfalls nach vierjähriger Bewährung in der VergGr. VI b Fallgruppen 2 und 3 in die VergGr. V c Fallgruppen 3 und 4 aufsteigen können.

Eine Eingruppierung von Angestellten im handwerklichen Erziehungsdienst nach den Tätigkeitsmerkmalen der „sonstigen Angestellten” i. S. von VergGr. V c und V b Fallgr. 5 BAT würde damit das Gesamtgefüge der aufeinander aufbauenden Vergütungsgruppen des Teiles II Sozial- und Erziehungsdienst zerstören. Damit verbleibt es bei der Eingruppierung der Angestellten im handwerklichen Erziehungsdienst bei den für diese ausdrücklich vorgesehenen Vergütungsgruppen.

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Schaub, Friedrich, Schneider, Dr. Reinfeld, Bruse

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1087153

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