Entscheidungsstichwort (Thema)
Überstundenausgleich durch Arbeitsbefreiung bei Krankheit
Orientierungssatz
Zur Frage, ob eine Arbeitsbefreiung zum Ausgleich von Überstunden und zur Einhaltung der tariflichen Arbeitszeit (hier: Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer im Einzelhandel von Schleswig-Holstein vom 2.7.1985) während der Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers nicht möglich gewesen und daher nachzugewähren ist.
Normenkette
TVG § 1; BUrlG § 9; LFZG § 1 Abs. 1 S. 1; BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob eine Arbeitsbefreiung zum Ausgleich von Überstunden und zur Einhaltung der tariflichen Arbeitszeit während der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin nicht möglich gewesen und daher nachzugewähren ist.
Die Klägerin ist Restaurantkassiererin in einem Kaufhaus der Beklagten in E. Die Parteien sind tarifgebunden. Nach § 5 des Manteltarifvertrages für Arbeitnehmer im Einzelhandel von Schleswig-Holstein ist die wöchentliche Arbeitszeit ab 1. Januar 1986 auf 38,5 Stunden ausschließlich der Pausen verkürzt worden. Abweichend hiervon kann gemäß § 5 Abs. 2 des vorgenannten MTV durch Betriebsvereinbarung eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit bis zu 40 Stunden vereinbart werden. Nach § 5 Nr. 2 des MTV ist eine abweichende Einteilung der regelmäßigen tariflichen Wochenarbeitszeit (Mehr- oder Minderarbeit an einem Werktag oder einer Woche) zulässig, wenn innerhalb von 52 Wochen die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von 38,5 Stunden nicht überschritten wird. Dazu haben die Tarifvertragsparteien folgende Protokollnotiz vereinbart:
"Die aus Anlaß der Arbeitszeitverkürzung entstehende
zusätzliche Freizeit ist in Betrieben mit Betriebs-
rat durch Betriebsvereinbarung zu regeln. Diese
Freizeit soll nicht zur Pausenverlängerung führen
und kann auf Wochenbasis zusammengefaßt und im
Rahmen einer Sechswochen-, Quartals- oder Jahres-
planung im voraus geregelt werden. Abweichende
Betriebsvereinbarungen sind möglich; dabei darf
die regelmäßige Arbeitszeit im Durchschnitt eines
Kalenderjahres 38,5 Stunden wöchentlich nicht
überschreiten."
Der Betriebsrat und die Geschäftsleitung des Kaufhauses der Beklagten haben am 12. Dezember 1985 eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen, die einen Ausgleich für die Mehrarbeit über die tarifliche Jahresarbeitszeit hinaus durch Gewährung von sechs freien Tagen im einzelnen regelt.
Zuvor haben der Betriebsrat und die Geschäftsleitung der Beklagten am 10. Dezember 1985 eine besondere Arbeitszeitvereinbarung für den Restaurantbetrieb abgeschlossen. Danach leisten die Mitarbeiter im Restaurant jährlich 2.075,30 Arbeitsstunden (Jahres-Ist-Arbeitszeit). Die Jahres-Soll-Arbeitszeit aufgrund des Tarifvertrages beträgt demgegenüber 38,5 x 52 Wochen = 2.002 Stunden. Die Differenz zwischen Ist- und Soll-Arbeitszeit wird durch sechs Tage Freizeit und durch Freizeitblöcke von 7 x 4,5 Stunden ausgeglichen. Insgesamt ergibt sich danach ein Zeitguthaben von 73,5 Stunden.
Davon geht die Klägerin ebenfalls aus und rechnet sich hierauf 5,5 Stunden bereits am 13. März 1987 gewährter Freizeit an, so daß 68,25 Stunden Freizeitausgleich verbleiben. Außerdem hat sie 15,5 Überstunden geleistet = insgesamt 83,75 Stunden.
Die Parteien haben vereinbart, daß die Klägerin am 10. August 1987 zum Ausgleich dieses Zeitguthabens eine zusammenhängende Freizeit von 80 Stunden erhalten sollte.
Am 10. August 1987 erlitt die Klägerin bei einem Einkauf im Betrieb der Beklagten einen Unfall und war deswegen für 14 Tage arbeitsunfähig krank.
Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte habe sie in diesem Zeitraum zum Ausgleich der tariflichen Arbeitszeitverkürzung und zur Abgeltung der Überstunden nicht rechtswirksam freistellen können. Die Freizeitgewährung sei als Sonderurlaub anzusehen. Außerdem hätte bei der Festlegung der Freizeit der Betriebsrat beteiligt werden müssen.
Die Klägerin hat die Feststellung begehrt, daß die Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin 80 bis zum 9. August 1987 angefallene Mehrarbeitsstunden in bezahlter Freizeit abzugelten.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und dazu ausgeführt, sie habe den Freizeitanspruch der Klägerin vereinbarungsgemäß erfüllt. Daran ändere die nachträglich eingetretene Arbeitsunfähigkeit der Klägerin nichts. Die Beklagte habe nicht gegen die Mitbestimmung des Betriebsrats verstoßen, weil sie die Betriebsvereinbarung für den Restaurantbetrieb eingehalten habe.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Klägerin will mit der Revision die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts erreichen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klägerin im Ergebnis zu Recht einen Anspruch auf nochmalige bezahlte Freizeit für den im Krankheitszeitraum bereits gewährten Freizeitausgleich versagt.
I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist nur eine zu Erholungszwecken nutzbare arbeitsfreie Zeit, im Falle des nachträglichen Eintritts der Arbeitsunfähigkeit, nachzugewähren. Eine Gleichstellung von Erholungsurlaub und Freizeitgewährung wegen vorgearbeiteter Arbeitszeit widerspreche dem Wesen der Arbeitszeit. Im Gegensatz zum Urlaubsanspruch verwirkliche sich der Anspruch auf Freizeit unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer an den betreffenden Tagen arbeitsfähig sei oder nicht. Das gelte ebenso für die Gewährung zusätzlicher Freizeit, um die Einhaltung der tariflichen Arbeitszeit zu erreichen. Sowohl in der allgemeinen Betriebsvereinbarung für den Bereich "Verkauf" als auch in der Betriebsvereinbarung für den Bereich "Restaurant" sei festgelegt, daß die Berechnung des Freizeitanspruches unabhängig davon erfolge, ob der Arbeitnehmer im Berechnungszeitraum arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei oder sich im Urlaub befunden habe. Sowohl die Jahres-Ist-Arbeitszeit als auch die Jahres-Soll-Arbeitszeit sei auf der Grundlage von 52 Wochen berechnet, ohne daß Kürzungen wegen Krankheit oder Urlaub vorzunehmen seien.
II. Demgegenüber macht die Revision geltend, daß die Freizeit zum Ausgleich zusätzlicher Arbeitszeit Erholungscharakter habe und im Krankheitsfall nachzugewähren sei. Die Klägerin verweist in diesem Zusammenhang auf die Protokollnotiz zu § 5 MTV, wonach der Freizeitausgleich zur Einhaltung der tariflichen Arbeitszeit durch Betriebsvereinbarung zu regeln sei. Im Gegensatz zu der Betriebsvereinbarung vom 12. Dezember 1985 für den Bereich "Verkauf" enthalte die Betriebsvereinbarung für die Mitarbeiter des Restaurants weder ein bestimmtes System, nach dem die Freizeitausgleichstage zu nehmen seien, noch sei geregelt, daß eine Nachgewährung der auf einen Wochenfeiertag fallenden Freizeittage entfalle. Insofern verstoße diese Betriebsvereinbarung gegen § 5 des MTV, da sie nicht erschöpfend regele, wie der Freizeitausgleich zu gewähren sei. Aus dem Zweck und dem Gesamtzusammenhang der Freizeitausgleichsregelung im Tarifvertrag und in der Betriebsvereinbarung lasse sich jedoch ohne weiteres ableiten, daß der Freizeitausgleich nachzugewähren sei, wenn der betroffene Arbeitnehmer im Ausgleichszeitraum erkranke.
III. Diese Ausführungen der Revision vermögen nicht zu überzeugen. Die Klageforderung setzt sich aus zwei unterschiedlichen Ansprüchen zusammen: Einmal fordert die Klägerin bezahlte Freizeit zum Ausgleich von 15,5 Überstunden und zum anderen in restlicher Höhe einen Freizeitausgleich für ihre Arbeitsleistungen über den Umfang der tariflichen Arbeitszeit hinaus (Unterschied zwischen tariflicher Soll-Arbeitszeit und Ist-Arbeitszeit). Dafür sind verschiedene Rechtsgrundlagen maßgebend:
1. Die Abgeltung der Überstunden richtet sich nach § 6 MTV, wonach Mehrarbeit mit einem Zuschlag von 25 % zu vergüten ist oder auf Wunsch des Arbeitnehmers auch durch Freizeit mit entsprechenden Zuschlag ausgeglichen werden kann. Wie von der Klägerin gewünscht, haben die Parteien sich auf einen Freizeitausgleich geeinigt.
Nachdem die Beklagte der Klägerin diesen Freizeitausgleich erteilt hatte, erlitt die Klägerin am ersten Tage ihrer Arbeitsfreistellung einen Unfall. Die Rechtsgrundsätze der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (hier: § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG) sichern nur die Vergütung des Arbeitnehmers, nicht aber die Nutzung seiner Freizeit (BAGE 49, 273, 279 = AP Nr. 13 zu § 17 BAT, zu III 2 a der Gründe). Diese Grundsätze beschränken sich darauf, den Arbeitnehmer vor einem Verdienstausfall während der Krankheit zu schützen. Deswegen hat sie zwar einen Lohnfortzahlungsanspruch und dadurch keinen Verdienstausfall. Ihr ist lediglich nutzbare Freizeit entgangen (BAG, aaO). Dafür sieht weder das LFZG noch der hier maßgebende § 6 MTV einen erneuten Freizeitausgleich vor. Eine Ausnahme von dem Grundsatz, daß die Nutzungsmöglichkeit arbeitsfreier Zeit in die Risikosphäre des Arbeitnehmers fällt, enthält allerdings § 9 BUrlG, wonach die Dauer der Arbeitsunfähigkeit auf den im gleichen Zeitraum gewährten Erholungsurlaub nicht angerechnet wird. Diese Vorschrift will aber allein den Erholungszweck sichern und ist nicht zu vergleichen mit der tariflichen Regelung des Ausgleichs für Überstunden durch Arbeitsbefreiung, die den Arbeitnehmer nur vor einer Überbeanspruchung seiner Arbeitskraft sichern soll (BAG, aaO).
2. Das gilt entsprechend für den Freizeitausgleich, den die Klägerin zur Einhaltung der tariflichen Arbeitszeitverkürzung erhalten hat, wie der erkennende Senat bereits entschieden hat (Urteil vom 2. Dezember 1987 - 5 AZR 652/86 - AP Nr. 76 zu § 1 LohnFG = Der Betrieb 1988, 1402).
a) Die Klägerin fordert die Nachgewährung bezahlter Freistellung. An ihrem Vorbringen ist unklar, ob sie die Arbeitsleistungen über die regelmäßige tarifliche Wochenarbeitszeit hinaus bereits bezahlt erhalten hat. Das kann aber dahingestellt bleiben, weil schon der Anspruch auf Freizeitausgleich nicht gerechtfertigt ist.
b) Die entsprechende Anwendung des § 9 BUrlG auf einen Freizeitausgleich im Rahmen der tariflichen Arbeitszeitverkürzung kommt nicht in Betracht, weil diese Freistellung mit einer Urlaubsgewährung nicht vergleichbar ist. Der Arbeitnehmer erhält einen freien Tag nämlich nur dafür, daß er über den tariflichen Rahmen hinaus an anderen Tagen bereits Arbeitsleistungen erbracht hat. Dieser Freizeitausgleich dient nicht einem Erholungsbedürfnis des Arbeitnehmers, sondern der Einhaltung der tariflichen Arbeitszeit (BAG, aaO). Ebenso wie ein Arbeitnehmer, der Überstunden geleistet hat, keinen besonderen Anspruch auf Arbeitsfreistellung oder Vergütung erlangt, wenn er an den Tagen, an denen der Freizeitausgleich vorgesehen war, arbeitsunfähig erkrankt (vgl. zu III 1 d. Gr.), kann die Klägerin hier keinen zusätzlichen Freizeitausgleich beanspruchen.
c) Die Rechtsgrundlage für den Freizeitausgleich zur Einhaltung der tariflichen Wochenarbeitszeit ist die Betriebsvereinbarung vom 10. Dezember 1985 für den Restaurantbetrieb. Die Klägerin sieht diese Arbeitszeitvereinbarung als tarifwidrig an, weil sie sich auf die Berechnung des Freizeitguthabens auf Jahresbasis beschränke und keine Regelung darüber enthalte, wie der Freizeitausgleich im Einzelfall zu verwirklichen sei.
Deswegen ist die Arbeitszeitvereinbarung für den Restaurantbetrieb aber nicht tarifwidrig. Die von der Klägerin angezogene Protokollnotiz zu § 5 MTV sagt nur aus, daß die aus Anlaß der Arbeitszeitverkürzung entstehende zusätzliche Freizeit in Betrieben mit Betriebsrat durch Betriebsvereinbarung zu regeln sei. Das entspricht der gesetzlichen Regelung gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG. Zwar hat der Betriebsrat ein weitgehendes Mitbestimmungsrecht bei der Ausgestaltung der Freizeitregelung, soweit nicht der Tarifwortlaut entgegensteht (vgl. Beschluß des Bundesarbeitsgerichts vom 31. Januar 1989 - 1 ABR 67/87 -, zur Veröffentlichung vorgesehen). Der Betriebsrat und die Geschäftsleitung des Kaufhauses der Beklagten haben sich auf Berechnungen des Freizeitguthabens auf Jahresbasis beschränkt und auf eine weitergehende Ausgestaltung verzichtet. Deswegen ist diese Betriebsvereinbarung weder tarifwidrig noch verstößt sie gegen die Mitbestimmung des Betriebsrats (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG), wenn in einer Betriebsvereinbarung die Zuteilung der Arbeitszeit im Rahmen von Schicht- oder Dienstplänen im Einzelfall nicht von der Zustimmung des Betriebsrats abhängig gemacht wird, sondern dem Arbeitgeber überlassen ist (Beschluß des Bundesarbeitsgerichts vom 28. Oktober 1986 - 1 ABR 11/85 - AP Nr. 20 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit). Damit bleibt zwar die Arbeitszeitvereinbarung vom 10. Dezember 1985 hinter den weitergehenden Regelungen zum Ausgleich der Arbeitszeitverkürzung im Einzelfall in der Betriebsvereinbarung für den Bereich Verkauf vom 12. Dezember 1985 zurück, doch muß es der Entscheidung der Vertragspartner der Betriebsvereinbarung überlassen bleiben, wieweit sie Regelungen über den Freizeitausgleich treffen wollen.
Vorsitzender Richter Dr. Gehring Dr. Olderog
Prof. Dr. Thomas ist
im Urlaub und daher an
der Unterschrift
gehindert.
Dr. Gehring
Polcyn Dr. Koffka
Fundstellen
Haufe-Index 440040 |
ZTR 1990, 77-77 (ST1) |