1 Leitsatz
Eine unbillige Benachteiligung i. S. d. § 20 Abs. 4 WEG kann nicht im Lichte dessen ausgelegt werden, dass ein Wohnungseigentümer das vorhandene gemeinschaftliche Eigentum anders/intensiver nutzen will als andere Wohnungseigentümer.
2 Normenkette
§ 20 Abs. 1, Abs. 4 WEG
3 Das Problem
Im September 2021 beschließen die Wohnungseigentümer, einen Schornstein abbrechen zu lassen. Gegen den Beschluss geht Wohnungseigentümer K vor. Der Schornstein sei nach Auskunft des Bezirksschornsteinfegermeisters technisch in Ordnung und nutzbar. Bei einem Erhalt fielen keine Kosten an, die über die für einen Abbruch hinausgingen. Der Schornstein sei lediglich fachgerecht in die Dachhaut einzubinden, was im Übrigen bereits erfolgt sei. Die Gemeinschaft sei bei einem Stehenlassen des Schornsteins nicht beeinträchtigt und bei dessen Abriss nicht bessergestellt.
4 Die Entscheidung
Die Anfechtungsklage hat keinen Erfolg! Bei einem Rückbau des Schornsteins bis unter die Dachhaut handele es sich um eine "bauliche Veränderung", die nach § 20 Abs. 1 WEG beschlossen werden könne. Der Beschluss entspreche auch einer ordnungsmäßigen Verwaltung. Es handele sich bei dem Abbruch um keine grundlegende Veränderung. Auch eine unbillige Benachteiligung des Klägers gegenüber anderen Wohnungseigentümern liege nicht vor. Von dem Abriss seien mehrere Wohnungseigentümer gleichermaßen betroffen. Soweit der Kläger vorbringe, er unterscheide sich von anderen Eigentümern dadurch, dass er einen aktiven Nutzungswillen habe, verbessere dies seine Position nicht bzw. mache ihn nicht schutzwürdiger. Die unbillige Benachteiligung i. S. d. § 20 Abs. 4 WEG könne nicht im Lichte dessen ausgelegt werden, dass ein Wohnungseigentümer das gemeinschaftliche Eigentum anders/intensiver nutzen wolle als andere. Der Beschluss entspreche auch im Übrigen einer ordnungsmäßigen Verwaltung. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer habe vor dem Beschluss technischen Sachverstand zu Rate gezogen. Ein Architekt habe wegen der Häufigkeit der Feuchtigkeitsschäden an den Schornsteinköpfen dazu geraten, alle nicht mehr aktiven Schornsteine bis unter die Dachhaut abzubauen. Der betroffene Schornstein sei in diesem Sinne nicht aktiv.
5 Hinweis
Problemüberblick
Im Fall beschließen die Wohnungseigentümer, eine gemeinschaftliche Anlage, nämlich einen Schornstein, entfernen zu lassen.
Schuld- oder Sachenrecht?
Das AG meint, im Fall sei der Prüfungsmaßstab § 20 WEG. Es könnte aber auch um Sachenrecht gehen! So sehe beispielsweise ich das. Die Wohnungseigentümer wollten den Schornstein nicht erhalten – dann ginge es ohnehin um eine Erhaltungsmaßnahme. Sie wollten den Schornstein aber auch nicht umbauen, sondern entfernen.
Die Frage ist daher, ob es ein Gegenstand der Verwaltung ist, das gemeinschaftliche Eigentum aufzugeben. Diese Frage lautet: Nein! Gemeinschaftliches Eigentum kann auch nicht dadurch – wirtschaftlich betrachtet – aufgegeben werden, dass es umgewidmet wird oder dass die Wohnungseigentümer auf eine Erhaltung dauerhaft verzichten. Bei der Bestimmung, gemeinschaftliches Eigentum nicht mehr zu benutzen, beispielsweise einen maroden Aufzug, einen Müllschlucker oder eine Heizungsanlage, handelt es sich jeweils um einen totalen Gebrauchsentzug, der nicht beschlossen werden kann. Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Gesetz oder eine behördliche Maßnahme den Gebrauchsentzug anordnet und ein etwaiger Beschluss diese jeweils nur umsetzt, § 20 Abs. 1 WEG ändert daran nichts. Ein Beschluss ist nicht in der Lage, Sachenrecht zu ändern.
6 Entscheidung
AG Hamburg, Urteil v. 10.5.2022, 9 C 277/21