1 Leitsatz
Der Beschluss, nach dem ein 87-jähriger Wohnungseigentümer zum Rückbau eines Treppenlifts im gemeinschaftlichen Treppenhaus verpflichtet wird, dessen Einbau gestattet worden war, um der mittlerweile verstorbenen Ehefrau dieses Miteigentümers den notwendigen barrierefreien Zugang zu den Räumen des Sondereigentums zu ermöglichen, verstößt gegen Treu und Glauben.
2 Normenkette
WEG § 22 Abs. 1; BGB § 242
3 Sachverhalt
Die Wohnungseigentümer stimmten im Jahr 2011 zu, dass der heute 87 Jahre alte Wohnungseigentümer K gegen Stellung einer Sicherheit für die Rückbaukosten einen Treppenlift zu seiner im Obergeschoss des Gebäudes liegenden Wohnung einbaut. Die am Körper behinderte Ehefrau X des K war nur auf diesem Weg in der Lage, die Wohnung zu erreichen. Im Jahr 2019 und mehrere Jahre nach dem Tod der X beschließen die Wohnungseigentümer unter "Verschiedenes", dass K den Treppenlift wieder ausbauen soll. Hiergegen richtet sich die Anfechtungsklage.
4 Entscheidung
Mit Erfolg! Allerdings habe der Beschluss unter "Verschiedenes" gefasst werden können. K und die anderen Wohnungseigentümer hätten bereits mehr als 2 Wochen vor der Versammlung durch vom Verwalter übermitteltes Schreiben gewusst, dass der Beschluss anstand. Die Behandlung unter "Verschiedenes" stelle damit lediglich eine Falschbezeichnung dar. Den beklagten Wohnungseigentümern stehe auch ein Rückbauanspruch zu.
Die Wohnungseigentümer dürften diesen Anspruch aber ausnahmsweise nicht durchsetzen. Denn es sei zu erwarten, dass K selbst bald den Treppenlift benötigen werde. Dem stehe dem vorübergehenden Charakter der baulichen Veränderungen durch Maßnahmen zur Herstellung eines barrierefreien Zugangs nicht entgegen. Denn es handele sich lediglich um eine Verlängerung des Zustands und nicht um eine dauerhafte Verfestigung desselben. Eine nennenswerte Beeinträchtigung der Beklagten sei durch den Erhalt des Treppenlifts nicht zu besorgen. Der Umstand, dass die Führungsschiene des Treppenlifts am innenliegenden Geländer des Treppenhauses montiert sei, führe zu keiner merklichen Beeinträchtigung der Benutzbarkeit der Treppe.
Hinweis
Ob ein Wohnungseigentümer einen Anspruch auf Herstellung des barrierefreien Zugangs zu seinem Sondereigentum hat, ist unter Berücksichtigung der Interessen sämtlicher Wohnungseigentümer zu ermitteln. Dabei ist insbesondere das grundrechtliche Diskriminierungsverbot (Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG) aufseiten des verlangenden Wohnungseigentümers zu berücksichtigen, andererseits die Frage der Zumutbarkeit einer mit einer solchen Maßnahme verbundenen Einschränkung der Benutzbarkeit des gemeinschaftlichen Eigentums durch die anderen Wohnungseigentümer. Im Zweifel wird auch unter Ansehung der grundlegenden gesetzgeberischen Wertung des § 554a BGB (auch wenn diese Vorschrift originär nur für Mietrechtsverhältnisse geschaffen wurde) dabei das Interesse auf die Herstellung eines barrierefreien Zugangs überwiegen, zumal diese regelmäßig nur vorübergehender Natur ist und dessen Beseitigung etwa durch Stellung einer Sicherheit für die Rückbaukosten (wie im Fall geschehen) abgesichert werden kann; dabei gilt die Installation eines Treppenlifts als eine niederschwellige Maßnahme (BGH, Urteil v. 13.1.2017, V ZR 96/16, ZMR 2017 S. 319; siehe auch Gellwitzki, WuM 2018, S. 330 ff.).
5 Link zur Entscheidung
AG Kassel, Urteil v. 24.10.2019, 800 C 2005/19