Wohnungseigentümer mit Behinderung - Muss die WEG baulichen Veränderungen zustimmen?
Viele Wohnungen in Mehrfamilienhäusern sind nicht barrierefrei erreichbar. Das wird für Wohnungseigentümer mit Behinderung beziehungsweise Mitbewohner schnell zum Problem. Sie gelangen nur in ihre Wohnung, wenn Umbaumaßnahmen durchgeführt werden.
Zustimmung durch Eigentümergemeinschaft erforderlich
Damit Wohnungseigentümer bauliche Veränderungen am Gemeinschaftseigentum vornehmen können, muss die Mehrheit der Wohnungseigentümer durch einen formellen Beschluss in der Eigentümerversammlung zustimmen.
Frühere rechtliche Situation
Bis zum 30.11.2020 hatten betroffene Wohnungseigentümer kaum eine Möglichkeit, erfolgreich gegen den ablehnenden Beschluss der Eigentümerversammlung zu klagen.
Barrierefreiheit: Gesetzgeber wurde tätig
Um diese unbefriedigende Situation zu verbessern, ist der Gesetzgeber tätig geworden. Er hat die Vorschrift des § 20 WEG im Rahmen der WEG-Reform mit Wirkung zum 01.12.2020 geändert.
Gem. § 20 Abs. 2 Nr. 1 WEG kann jeder Wohnungseigentümer angemessene bauliche Veränderungen verlangen, die dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderungen dienen. Über die Durchführung ist im Rahmen ordnungsmäßiger Verwaltung zu beschließen.
Nach § 20 Abs. 4 WEG dürfen keine baulichen Veränderungen beschlossen werden, die die Wohnanlage grundlegend umgestalten oder einen Wohnungseigentümer ohne sein Einverständnis gegenüber anderen unbillig benachteiligen.
Streitpunkte: Angemessene bauliche Veränderung und grundlegende bauliche Umgestaltung
Zum Streit führt oft die Frage, was unter einer angemessenen baulichen Veränderung gem. § 20 Abs. 2 Nr. 1 WEG zu verstehen ist und wann eine grundlegende bauliche Umgestaltung der Wohnanlage gem. § 20 Abs. 4 WEG vorliegt. Der Gesetzeber hat das nicht näher definiert. In der Gesetzesbegründung stellt er auf die Umstände des Einzelfalls ab (Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz – WEMoGBT-, BT-Drucksache 19/18791, Seite 63 und 66).
Was sagen die Gerichte?
Umso interessanter sind die einschlägigen Entscheidungen, die dazu ergangen sind.
1. Entscheidung: Errichtung eines Außenaufzuges im HinterhausIn einem Fall begehrten zwei Wohnungseigentümer, die im 3. und 4. Stock eines im Jugendstil errichteten Hinterhauses mit schlichter Fassade lebten, dass die Eigentümergemeinschaft die Zustimmung zur Errichtung eines Außenliftes für Menschen mit Behinderung im Hof erteilt. Nachdem ihr Antrag auf der Eigentümerversammlung mehrheitlich abgelehnt worden war, klagten sie auf Beschlussersetzung. Das Amtsgericht München wies die Klage gegen die Eigentümergemeinschaft ab (AG München, Urteil v. 10.02.2022, 1294 C 13970/21). Aufgrund der Berufung der Wohnungseigentümer entschied das LG München I, dass der Außenaufzug auf der zum Innenhof gelegenen Seite des Hinterhauses errichtet werden darf (Urteil v. 08.12.2023, 36 S 3944/22 WEG). Die Richter begründeten das damit, dass sich der Anspruch auf Errichtung des Liftes aus § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WEG ergibt. Einbau von Lift ist angemessene bauliche VeränderungDer Einbau des Außenliftes ist laut LG München I angemessen im Sinne von § 20 Abs. 2 Satz 1 WEG. Von Unangemessenheit könne nur in atypischen Fällen ausgegangen werden. Hierfür reichen die behaupteten Nutzungseinschränkungen im Hof, Durchgang und Treppenhaus sowie optischen Veränderungen nicht aus. Keine grundlegende Umgestaltung der WohnanlageDarüber hinaus liege keine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage im Sinne von § 20 Abs. 4 WEG vor. Der Begriff der grundlegenden Umgestaltung sei eng zu verstehen. Eine Umgestaltung sei nur grundlegend, wenn sie der Wohnungseigentumsanlage als Ganzes unter Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls ein neues „Gepräge“ gibt. Dies komme selten in Betracht, wenn sich die Umgestaltung nur auf einen Teil der Anlage erstreckt. Bei einem Außenaufzug komme eine grundlegende Umgestaltung infrage, wenn die Fassade eines Stuckaltbaus zerstört oder erheblich umgestaltet wird. Beim Hinterhaus handele es sich jedoch um keinen Stuckaltbau. Ferner werde der Gesamtcharakter der Anlage durch das Vorderhaus geprägt. Gegen diese Entscheidung ist ein Revisionsverfahren beim BGH anhängig (V ZR 244/22). |
2. Entscheidung: Anbau einer Terrasse und Ersetzen von Doppelfenstern durch TüreEin Wohnungseigentümer hatte eine Eckwohnung im Erdgeschoß einer Wohnanlage, die aus drei Mehrfamilienhäusern mit jeweils vier Eigentumswohnungen bestand. Alle verfügten über einen Balkon auf der Rückseite, der als Loggia angelegt war. In jedem Haus befanden sich zwei Wohnungen im Erdgeschoß und zwei im Obergeschoß. Er wollte für einen Rollstuhlfahrer in dem vor seiner Wohnung samt Loggia zugewiesenen Bereich des Gartens einen barrierefreien Zugang schaffen. Hierzu wollte er dort eine auf ungefähr 65 cm aufgeschüttete Terrasse anlegen, die Doppelfenster im Wohnzimmer durch eine verschließbare Türe ersetzen und eine Rampe erstellen. Sein Antrag wurde in einer Eigentümerversammlung bewilligt. Gegen den mehrheitlich gefassten Beschluss gingen einige Mitglieder der Eigentümergemeinschaft im Wege der Anfechtungsklage vor. Das AG Bonn erklärte den Beschluss für unwirksam (AG Bonn, Urteil v. 15.08.2022, 211 C 47/21). Gericht bejaht grundlegende UmgestaltungDas LG Köln wies die Berufung zurück (LG Köln, Urteil v. 26.01.2023, 29 S 136/22). Die Richter sahen hierin eine grundlegende Umgestaltung gem. § 20 Abs. 4 WEG. Maßgeblich sei, dass dadurch der Gesamtcharakter der Wohnanlage erheblich verändert würde. Besonders die aufgeschüttete Terrasse passe nicht zur Gestaltung des restlichen Objektes. Ferner würden die Bewohner der Wohnungen im Obergeschoss nicht über diese Möglichkeit verfügen, so dass es unterschiedliche Wohnstandards gäbe. Des Weiteren stelle diese Maßnahme zusammen mit dem Ersetzen der Wohnzimmerfenster durch eine bodentiefe Türe einen „krassen“ Eingriff dar. Schließlich sei die Aufschüttung Terrasse zur Herstellung eines barrierefreien Zugangs weder erforderlich, noch angemessen. Denn es könne alternativ eine Rampe oder ein Lift vom Garten auf den Balkon errichtet werden. Gegen dieses Urteil ist beim BGH ein Revisionsverfahren anhängig (V ZR 33/23). |
3. Entscheidung: Erhebliche und eigenmächtige Vergrößerung der TerrasseNachdem ein im Erdgeschoß wohnender Wohnungseigentümer mit Behinderung eigenmächtig seine Terrasse von 12,32 qm auf 21,76 qm vergrößert hatte, beschloss die Eigentümerversammlung, dass es dies nicht genehmigt. Ferner beauftragte sie den Verwalter, diese Vergrößerung zurückzubauen und den ursprünglichen Zustand wieder herzustellen. Hiergegen klagte der Wohnungseigentümer und berief sich darauf, dass er auf einen Rollator angewiesen sei. Der Rollator lasse sich auf dem Rasen nicht so leicht rollen wie auf der Terrasse. Ferner werde durch die Erweiterung der Fluchtweg verkürzt. Mit diesen Argumenten hatte er keinen Erfolg. Das AG Brühl wies seine Klage als unbegründet ab (AG Brühl, Urteil v. 20.10.2022, 29 C 5/22). Das Gericht begründete das damit, dass der Wohnungseigentümer nicht eigenmächtig ohne Genehmigung der Eigentümergemeinschaft hätte handeln dürfen. Dessen ungeachtet fehle es an einer angemessenen baulichen Veränderung im Sinne von § 20 Abs. 2 Satz 1 WEG. Die Erweiterung der Terrasse sei nicht in diesem Ausmaß erforderlich gewesen, um einen barrierefreien Zugang für behinderte Menschen herzustellen. Hierzu hätte die Vergrößerung der Terrasse im Bereich des Fluchtwegs Richtung Gartenpforte ausgereicht. Dieses Urteil ist mittlerweile rechtskräftig. |
Konsequenzen
Aus den dargestellten Entscheidungen wird deutlich, dass die Anwälte von Wohnungseigentümern mit Behinderung deutlich machen müssen, inwieweit eine bestimmte Maßnahme zur Herstellung von Barrierefreiheit oder zumindest zur Reduzierung von Barrieren führt. Darüber hinaus ist zu prüfen, inwieweit mildere Mittel zur Verfügung stehen. Es bleibt abzuwarten, wie der BGH abschließend entscheidet und ob er konkrete Kriterien benennt.
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