1 Leitsatz
Es ist Sache des Wohnungseigentümers, der eine nicht bereits in der Gemeinschaftsordnung gestattete bauliche Veränderung beabsichtigt, einen Gestattungsbeschluss gegebenenfalls im Wege der Beschlussersetzungsklage herbeizuführen, ehe mit der Baumaßnahme begonnen wird. Handelt er dem zuwider, haben die übrigen Wohnungseigentümer einen Unterlassungsanspruch, der durch die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ausgeübt wird. Diesem Unterlassungsanspruch kann der bauwillige Wohnungseigentümer unter Berufung auf Treu und Glauben nicht entgegenhalten, dass ihm ein Gestattungsanspruch zusteht.
2 Normenkette
§ 20 Abs. 1, Abs. 3 WEG
3 Das Problem
Wohnungseigentümer B baut in dem seiner Wohnung vorgelagerten Garten ohne Gestattung einen Pool. Wohnungseigentümer K verlangt während des Bauens Unterlassung (es gilt noch altes Recht, es war also egal, welcher Bereich gegebenenfalls gestört wurde). B meint, er könne dem Begehren jedenfalls einen Anspruch aus § 20 Abs. 3 WEG entgegensetzen.
4 Die Entscheidung
Der BGH beurteilt die Rechtslage anders! Seit dem 1.12.2020 müsse, sei nichts Anderes vereinbart, eine Gestattung immer beschlossen werden. Durch den entsprechenden Beschluss solle sichergestellt werden, dass die Wohnungseigentümer über alle baulichen Veränderungen informiert werden. Für den bauwilligen Wohnungseigentümer habe der Beschluss den Vorteil, dass er – ebenso wie eventuelle Rechtsnachfolger – durch dessen Bestandskraft Rechtssicherheit habe.
Ob diese Rechtslage allerdings auch für eine bereits fertig gestellte bauliche Veränderung gelte, sei im Fall nicht zu entscheiden. Ebenso könne dahinstehen, wie in völlig eindeutig gelagerten Fällen, in denen ganz offensichtlich kein anderer Wohnungseigentümer ernsthaft beeinträchtigt sei, zu verfahren wäre. Allerdings seien innerhalb des räumlichen Bereichs des Sondereigentums übliche Veränderungen des dort befindlichen gemeinschaftlichen Eigentums, wie z. B. das Bohren von Dübellöchern in tragende Wände, ohne Weiteres als gestattet anzusehen.
5 Hinweis
Problemüberblick
Bis zum 1.12.2020 war streitig, ob eine bauliche Veränderung stets durch einen Beschluss gestattet werden müsse. Im Fall ist zu fragen, was seitdem gilt.
Die BGH-Lösung
Der BGH entscheidet sich dafür, dass jede nicht bereits durch eine Vereinbarung gestattete bauliche Veränderung durch einen Beschluss legitimiert werden muss. Wird eine bauliche Veränderung nicht gestattet, muss eine Beschlussersetzungsklage erhoben und gewonnen werden, ehe mit der bauliche Veränderung begonnen wird. Offen bleibt allerdings, was jenseits dieses Grundsatzes gilt. Der BGH nennt 3 mögliche Ausnahmen:
- Die "dolo-agit-Einrede" (= arglistig handelt, wer etwas verlangt, was er augenblicklich wieder zurückgeben muss) bei der fertigen baulichen Veränderung,
- eindeutige Fälle des § 20 Abs. 3 WEG und
- § 242 BGB.
Letztlich sind alles Ausprägungen von Treu und Glauben: Warum soll ich zurückbauen, wenn mir der Bau doch zu gestatten wäre? Warum wegen einer Förmelei verfrüht Werte vernichten? Ich selbst meine, in allen 3 Fällen bedürfte es einer Gestattung. Auf diese müsste man aber wenigstens in der Zwangsvollstreckung warten.
Gestattungsvereinbarung
Nach der Gemeinschaftsordnung (aus dem Jahr 1971) sollte sich im Fall das Verhältnis der Wohnungseigentümer "nach dem Gesetz" bestimmen. Der BGH entnahm dieser Verweisung auf die Gesetzeslage keinen Anhaltspunkt, dass es nach einer Gesetzesänderung bei der Anwendung des alten Rechts verbleiben soll. Die Regelung sei grundsätzlich als bloße dynamische Verweisung auf die jeweils aktuellen gesetzlichen Regelungen zu verstehen. Dies gelte auch dann, wenn eine Gemeinschaftsordnung das Gesetz bloß wiederhole.
Was ist für die Verwaltung besonders wichtig?
Die BGH-Idee gilt wohl auch bei § 47 WEG. Findet sich in einer Gemeinschaftsordnung, die vor dem 1.12.2020 errichtet wurde, eine Regelung, die auf das Gesetz verweist, ist daher m. E. im Zweifel das aktuelle Gesetz gemeint.
6 Entscheidung
BGH, Urteil v. 17.3.2021, V ZR 140/22