Entscheidungsstichwort (Thema)
Begriff des Doppelhauses. Rückwärtige Erweiterung des Erdgeschosses einer Doppelhaushälfte durch einen Grenzanbau von 1,3 m bis 3,3 m Tiefe (mit Dachterrasse). Einblickmöglichkeit in den Außenwohnbereich des Nachbarn zumutbar. Baugenehmigung. Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 9. Juli 1999
Leitsatz (amtlich)
Zu den Anforderungen, die sich bei einem rückwärtigen, erdgeschossigen Anbau mit Dachterrasse an eine Hälfte eines Doppelhauses aus dem Gebot einer „wechselseitig verträglichen und abgestimmten” Bauausführung (BVerwG v. 24.2.2000 NVwZ 2000,1005) ergeben.
Normenkette
VwGO § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3, § 146 Abs. 3; BauNVO § 22 Abs. 2 S. 1; BayBO Art. 6 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
VG Augsburg (Beschluss vom 09.07.1999; Aktenzeichen 5 S 99.792) |
Tenor
I. Die Nrn. I und II des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 9. Juli 1999 werden aufgehoben.
II. Der Antrag wird abgelehnt.
III. Die Antragsteller tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10.000 DM festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Verwaltungsstreitsache betrifft die Baugenehmigung für einen rückwärtigen Anbau an eine Doppelhaushälfte.
Die Antragsteller sind Eigentümer des Grundstücks FlNr. 486/14 der Gemarkung P., das auf der Westseite an das Grundstück FlNr. 486/13 des Beigeladenen grenzt. Die Grundstücke sind mit einem mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 1. August 1966 genehmigten Doppelhaus (E + I + D) bebaut, dessen Hälften bisher deckungsgleich sind. Sie liegen im Geltungsbereich des im Januar 1994 in Kraft getretenen qualifizierten Bebauungsplans Nr. P 29 „W.weg”. Dieser setzt die offene Bauweise fest und bestimmt die überbaubaren Grundstücksflächen in Bereich der beiden Grundstücke u.a. durch eine rückwärtige Baugrenze, die in 3,3 m Abstand von der rückwärtigen Front des Doppelhauses verläuft. Die Haushälften weisen auf der nach Süd-Südost ausgerichteten Gartenseite Terrassen – bzw. Balkonnischen mit einer Tiefe von 1,22 m auf. Auf der gemeinsamen Grenze steht vor den zusammengebauten Gebäudetrennwänden eine 1,28 m tiefe und etwa 2 m hohe Terrassentrennwand aus Holz.
Mit Ausgangsbescheid vom 23. März 1999 und Tekturbescheid vom 1. Juni 1999 erteilte die Antragsgegnerin den Beigeladenen die Baugenehmigung zur Errichtung eines erdgeschossigen, sich über die gesamte Gebäudebreite von 6,75 m erstreckenden Anbaus, durch den das Wohn-Esszimmer zum Garten hin vergrößert wird. An der gemeinsamen Grundstücksgrenze soll die Außenwand des Anbaus 1,28 m tief und – bezogen auf die Terrassenoberfläche – 2,9 m hoch werden. Die auf der Gartenseite geplante neue Außenwand soll – von der gemeinsamen Grenze aus gesehen – zunächst im rechten Winkel zu der Grenze verlaufen. In einem Abstand von rund 2,75 m ist ein 2 m tiefer dreieckiger Vorbau geplant, dessen südöstliche Außenwand in einem Winkel von 45° bzw. 135° zu der Grenze stehen und dessen Spitze von dieser 4,75 m entfernt sein wird. In dem grenznahen Bereich soll der Anbau ein Grasdach erhalten; im Übrigen soll auf dem Flachdach unter Einbeziehung des in der erwähnten Nische vorhandenen Balkons eine Dachterrasse mit einer 1 m hohen Umwehrung aus Gitterstäben errichtet werden. Die ursprüngliche Planung unterschied sich von der Tekturplanung dadurch, dass die Dachterrasse bis an die gemeinsame Grenze reichen sollte und mit einer massiven Umwehrung geplant war.
Die Antragsteller, die die Bauvorlagen nicht unterschrieben hatten, erhoben gegen den Bescheid vom 23. März 1999 am 23. April 1999 Widerspruch, über den noch nicht entschieden worden ist. Am 30. Juni 1999 stellten die Antragsteller beim Verwaltungsgericht Augsburg Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO, wobei sie die Tekturgenehmigung vom 1. Juni 1999 einbezogen.
Das Verwaltungsgericht ordnete mit Beschluss vom 9. Juli 1999 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Baugenehmigung in der Fassung des Tekturgenehmigungsbescheids an. Die Aussetzung sei veranlasst, weil der Widerspruch voraussichtlich zur Aufhebung der Genehmigung führen werde. Das Vorhaben verstoße gegen Art. 6 BayBO, weil es die erforderliche Abstandsfläche nicht einhalte. Zwar sei ein Doppelhaus auch bei offener Bauweise zulässig, jedoch dürfe die Errichtung einer Doppelhaushälfte nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs nicht (auf Dauer) zu einem einseitigen Grenzanbau führen. Da der Nachbar seine Mitwirkung verweigere, scheide die Anwendung des Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO aus. Der geplante einseitige Grenzanbau sei auch durch die Bebauungsplanfestsetzung B a 6.4 Satz 2 ausgeschlossen, wonach zusammenhängend errichtete Grenzbauten einschließlich Garagen hinsichtlich Fassaden- und Dachgestaltung sowie ihrer Situierung aufeinander abzustimmen seien. Außerdem verstoße der Grenzanbau gegen das Gebot der Rücksichtnahme, weil er nach summarischer Würdi...