Entscheidungsstichwort (Thema)
Akteneinsicht in die Jugendamtsakten außerhalb des Verwaltungsverfahrens. Einsichtnahme durch die Mutter
Normenkette
SGB VIII § 65; SGB X § 25; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1
Verfahrensgang
VG Regensburg (Beschluss vom 29.10.2010; Aktenzeichen 7 K 10.1030) |
Tenor
I. Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 29. Oktober 2010 wird der Klägerin für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt … …, …, beigeordnet.
II. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Rz. 1
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgericht Regensburg vom 29. Oktober 2010 ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 146 Abs. 1, § 147 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat ihr nicht abgeholfen (§ 148 Abs. 1 VwGO).
Rz. 2
Die Beschwerde ist auch begründet.
Rz. 3
Der Senat legt seiner Entscheidung im Beschwerdeverfahren die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts zugrunde, wonach unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein rechtliches Interesse auf Akteneinsicht auch außerhalb eines Verwaltungsverfahrens immer dann zu bejahen sei, wenn durch den Inhalt der Akte das Recht auf Selbstbestimmung und personale Würde des Einsichtsuchenden berührt sei (BVerfG vom 9.1.2006 NJW 2006, 1116 = SozR 4-1300 § 25 Nr. 1 und vom 16.9.1998 NJW 1777). Das Verwaltungsgericht hat darüber hinaus die von der Klägerin vorgetragenen Gründe dahingehend bewertet, dass die von ihr vermuteten Angaben in den Akten, die sie einsehen will, ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht beträfen.
Rz. 4
Folgerichtig hat das Verwaltungsgericht gleichwohl die Prozesskostenhilfe für die auf Akteneinsicht gerichtete Klage verneint, weil die Vorschrift des § 65 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) entgegenstehe. Nach dieser Vorschrift dürfen Sozialdaten, die den Mitarbeitern eines Trägers der öffentlichen Jugendhilfe zum Zweck persönlicher und erzieherischer Hilfe anvertraut worden sind, von diesen nur unter den in der Vorschrift genannten Voraussetzungen weitergegeben werden. Vorliegend, so das Verwaltungsgericht, fehle es insbesondere an der Einwilligung der Tochter der Klägerin, die dem Jugendamt Daten anvertraut habe.
Rz. 5
Im Beschwerdeverfahren hat die am 20. Dezember 1995 geborene Tochter der Klägerin mitgeteilt, sie sei damit einverstanden, dass ihre Mutter alle Akten einsehen könne. Ihr, der Tochter, sei das von großer Bedeutung, weil ihre Aussagen beim Jugendamt und beim Gericht nicht in allem der Wahrheit entsprächen. Sie sei von Dritten auf jeweilige Anhörungen beim Jugendamt und bei Gericht vorbereitet worden, alle ihre Briefe an das Gericht und an das Jugendamt seien ihr diktiert worden.
Rz. 6
Unter Berücksichtigung dieser und der weiteren Ausführungen ihrer Tochter in der Einverständniserklärung vom 5. Dezember 2010 hat die Klage der Klägerin hinreichende Erfolgsaussichten im Sinne des § 166 VwGO, § 114 Satz 1 ZPO, wofür es bereits genügt, dass der Ausgang des Verfahrens, wie es hier der Fall ist, bei der gebotenen summarischen Prüfung offen ist (vgl. Olbertz in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO Stand: Mai 2010, § 166 RNr. 29 m.w.N.). Der Zugang zur Prozesskostenhilfe darf, insbesondere bei schwierigen Rechtsfragen, nicht unverhältnismäßig erschwert werden (BVerfG vom 7.4.2000 NJW 2000, 1936 und vom 4.2.1997 NJW 1997, 2102).
Rz. 7
Es wird in einem Hauptsacheverfahren einerseits zu klären sein, welche Anforderungen im Einzelnen an die Zustimmungserklärung gemäß § 65 SGB VIII der vom Jugendhilfeverfahren betroffenen minderjährigen Tochter der Klägerin zu stellen sind (vgl. dazu Proksch in Frankfurter Kommentar SGB III, 6. Aufl. 2009, § 65 RdNr. 15; Mörsberger in Wiesner, SGB VIII, 3. Aufl. 2006, § 65 RdNr. 16) und ob auch Dritte schutzwürdig gemäß § 25 Abs. 3 SGB X sind oder aber in eine Einsichtnahme in die Behördenakten außerhalb eines anhängigen Verwaltungsverfahrens einwilligen müssen (§ 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII) und andererseits, wie das Informationsinteresse der Klägerin mit den Belangen des Jugendamtes und dessen Mitarbeiter abzuwägen (vgl. dazu BVerfG vom 9.1.2006 a.a.O.) und gegebenenfalls in welchem Umfang eine Akteneinsicht durch die Klägerin in die von ihr benannten Behördenakten zum Schutze ihrer eingangs beschriebenen Persönlichkeitsrechte nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geeignet und erforderlich ist.
Rz. 8
Auf der Grundlage der von der Klägerin dem Verwaltungsgericht vorgelegten Erklärungen und Belege und unter Berücksichtigung ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 3. Januar 2011 ist davon auszugehen, dass sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann. Die Beiordnung eines Rechtsanwaltes erscheint bereits aufgrund der Schwierigkeit der Rechtsmaterie als erforderlich gemäß § 121 Abs. 2 ZPO und auch sachdienlich.
Rz. 9
Gerichtskosten werden gemäß § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben. Nach § 166 VwG...