Entscheidungsstichwort (Thema)
Klagebefugnis eines Sondereigentümers. kein gebietsübergreifender Gebietserhaltungsanspruch. Funktionslosigkeit eines Bebauungsplans. Gebot der Rücksichtnahme
Leitsatz (amtlich)
1. Der einzelne Wohnungseigentümer gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, § 21 Abs. 1 WEG ist nicht berechtigt, aufgrund seines ideellen Anteils am gemeinschaftlichen Eigentum wegen einer Beeinträchtigung dieses Eigentums Abwehrrechte gegen ein Bauvorhaben auf dem Nachbargrundstück geltend zu machen. Der einzelne Wohnungseigentümer (§ 1 Abs. 2 WEG) kann aber baurechtliche Nachbarrechte aus eigenem Recht nach § 13 Abs. 1 Halbsatz 2 WEG geltend machen, wenn eine konkrete Beeinträchtigung seines Sondereigentums im Raum steht.
2. Ein Nachbar, dessen Grundstück nicht im Plangebiet oder im faktischen Baugebiet liegt, hat grundsätzlich keinen von konkreten Beeinträchtigungen unabhängigen Anspruch auf Schutz vor gebietsfremden Nutzungen im Plangebiet oder faktischen Baugebiet (kein „gebietsübergreifender Gebietserhaltungsanspruch”).
Normenkette
VwGO § 42 Abs. 2; BauGB § 30 Abs. 1, § 34 Abs. 2; BauNVO 1962 § 7; BauNVO 1990 §§ 4, 15 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
VG München (Entscheidung vom 27.10.2008; Aktenzeichen M 8 K 08.369) |
Nachgehend
Tenor
I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 27. Oktober 2008 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kostenschuldnerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die jeweilige Vollstreckungsgläubigerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Nutzungsänderung eines China-Restaurants in ein Freizeitcenter und Billardcafe.
1. Die Klägerin ist Sondereigentümerin zweier Wohnungen auf dem Grundstück FlNr. 639 der Gemarkung S. (S.straße …). Das Grundstück ist mit einem Wohnhochhaus bebaut. Die von der Klägerin bewohnte Wohnung befindet sich in der Südwestecke des Gebäudes im 12. Stock. Die zweite Wohnung der Klägerin findet sich an der Nordostseite des Gebäudes und ist vermietet. Nördlich angrenzend liegen die Grundstücke FlNr. 635/1 der Gemarkung S. und FlNr. 375/1 der Gemarkung F. (Anwesen D.-Allee …). Auf diesem Anwesen befinden sich im Erdgeschoß gewerbliche Nutzungen sowie in den 18 Obergeschoßen mit Terrassengeschoß ca. 530 Wohnappartments. Die Beigeladene ist Sondereigentümerin zweier gewerblicher Einheiten im Erdgeschoß des Gebäudes.
Sowohl das Grundstück der Klägerin als auch das Baugrundstück befinden sich im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 71b F.-S. Teil II vom 31. März 1967. Im Bereich des Grundstücks der Klägerin ist ein reines Wohngebiet (WR 3), im Bereich des Baugrundstücks ein Kerngebiet (MK 1) festgesetzt.
Mit bestandskräftiger Baugenehmigung vom 21. Mai 2007 genehmigte die Beklagte der Beigeladenen eine Nutzungsänderung von einer Gaststätte zu einem „Freizeitcenter und Internetcafe”. Neben Internet-Terminals im Untergeschoß sollen hier im Erdgeschoß fünf Multi-Games Spielgeräte sowie in einem abgetrennten Bereich 12 Geldspielgeräte aufgestellt werden.
Die Beigeladene beantragte zudem für die danebenliegende Gaststätte am 15. November 2007 eine Nutzungsänderung des China-Restaurants zu einem „Freizeitcenter und Billardcafe”. Nach den eingereichten Bauunterlagen hat diese Gewerbeeinheit eine Nutzfläche von insgesamt 231,02 m². Im Untergeschoß befinden sich im unverändert bleibenden Bestand ein Lagerraum, ein Kühlraum, eine Kegelbahn sowie Toiletten. Im Erdgeschoß bleibt im Bestand die Küche samt Büro und Nebenräumen erhalten. Im vormaligen Gastraum ist ein 176,68 m² großes Billardcafe mit zwei Billardtischen, vier Sportster-Spielterminals sowie hinter Sichtschutzwänden 12 Geldspielgeräten geplant. Dazu kommt ein Aufsichtsbereich mit 10,44 m² Fläche. Mit Baugenehmigung vom 21. Dezember 2007 genehmigte die Beklagte die beantragte Nutzungsänderung.
Das Verwaltungsgericht München gab der gegen diese Baugenehmigung mit Schreiben vom 25. Januar 2008 eingelegten Klage mit Urteil vom 27. Oktober 2008 statt und hob den Bescheid der Beklagten vom 21. Dezember 2007 auf. Der Bebauungsplan sei zumindest für das Baugrundstück entweder unter dem Gesichtspunkt des Trennungsgrundsatzes nichtig oder jedenfalls aber vor dem Hintergrund der tatsächlichen baulichen Entwicklung funktionslos geworden. Das Baugrundstück sei daher nach § 34 Abs. 2 BauGB planungsrechtlich zu beurteilen und stelle sich als faktisches allgemeines Wohngebiet nach § 4 BauNVO dar, in welchem kerngebietstypische Vergnügungsstätten auch nicht ausnahmsweise zulässig seien. Die Klägerin sei in ihrem Anspruch auf Gebietserhaltung durch die...