Entscheidungsstichwort (Thema)
Schulgeld für die Sabelrealschule. Legasthenie. Selbstbeschaffte Hilfe. Teilhabebeeinträchtigung. Angemessene Schulbildung. Schulrecht. Eignung für den Bildungsweg der Realschule. Übertrittszeugnis
Leitsatz (amtlich)
Ein Träger der öffentlichen Jugendhilfe ist bei der Entscheidung über Eingliederungshilfe zu einer angemessenen Schulbildung grundsätzlich an die Feststellung im Übertrittszeugnis der Grundschule gebunden, für welche Schulart der Hilfeempfänger geeignet ist.
Normenkette
SGB VIII § 35a Abs. 1 S. 1 Nrn. 1-2, Abs. 3, § 36a Abs. 3 S. 1 Nr. 2; SGB XII § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; BayEUG Art. 44 Abs. 2 S. 1; RSO a.F. § 5 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
VG München (Urteil vom 25.02.2008; Aktenzeichen M 18 K 07.2489) |
Tenor
I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 25. Februar 2008 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Rz. 1
1. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger von der Beklagten die Übernahme der Kosten für seine Beschulung an der privaten Sabel-Realschule für das Schuljahr 2006/2007 als Maßnahme der Eingliederungshilfe gemäß § 35a Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) beanspruchen kann.
Rz. 2
Die Beklagte bewilligte dem am 29. Mai 1996 geborenen Kläger mit Bescheid vom 19. April 2006 im Rahmen der Eingliederungshilfe erstmals eine Legasthenietherapie in Form einer Funktionshilfe zur Lese- und Rechtschreibförderung mit 72 Förderstunden beim Forum Legasthenie für zunächst ein Jahr. Der Beklagten lagen insoweit eine kinderpsychiatrische Stellungnahme des Arztes für Kinder und Jugendpsychiatrie Dr. med. … vom 1. Dezember 2004 vor sowie Untersuchungsberichte der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Beratungsstelle beim Referat für Gesundheit und Umwelt der Beklagten vom 17. Januar 2006, eine Stellungnahme der Volksschule … vom 31. März 2006 und ein Therapieplan/Kostenvoranschlag des Forums Legasthenie im Sabelschulzentrum vom 10. April 2006.
Rz. 3
Das von der Volksschule … ausgestellte Übertrittszeugnis stellt, wie die Eltern des Klägers in der mündlichen Verhandlung angaben, fest, dass der Kläger (lediglich) für den Bildungsweg der Hauptschule geeignet ist, wobei Rechtschreibleistungen nicht berücksichtigt wurden und der Kläger mathematische Sachaufgaben mithilfe von unterstützendem Vorlesen bearbeitete. An einem Probeunterricht zur Aufnahme in die Realschule hat der Kläger nicht teilgenommen.
Rz. 4
Am 11. Mai 2006 teilte die Mutter des Klägers dem Sozialreferat der Beklagten telefonisch mit, der Kläger solle ab Herbst in die Sabel-Realschule wechseln; sie wolle insoweit einen Antrag auf Kostenübernahme stellen. Ein schriftlicher “Grundantrag” der Eltern folgte unter dem 20. Juli 2006. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 29. August 2006 ab.
Rz. 5
Der Kläger ließ im Rahmen des Widerspruchsverfahrens einen “Abschlussbericht … ” des Dipl. Psych. Dr. … vom 5. Juli 2006 sowie eine psychologische Stellungnahme des Dr. … vom 3. Dezember 2006 und eine fachärztliche Stellungnahme des Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Dr. med. … vom 18. Januar 2007 vorlegen.
Rz. 6
Die Regierung von Oberbayern wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24. Mai 2007 zurück: Aus den vorliegenden Unterlagen ergäben sich keine Anzeichen für ein soziales Integrationsrisiko, das den Besuch der privaten Sabel-Realschule als Eingliederungsmaßnahme erforderlich mache.
Rz. 7
Das Verwaltungsgericht München hat die Beklagte mit Urteil vom 20. Februar 2008 verpflichtet, dem Kläger Jugendhilfe in der Form der Übernahme des Schulgeldes (einschließlich Nachmittagsbetreuung) für das Schuljahr 2006/2007 zu gewähren. Eine Verpflichtung zu einer bestimmten Maßnahme durch das Gericht komme nur in Betracht, wenn diese die fachlich einzig geeignete Hilfeleistung sei, insbesondere wenn eine Hilfeleistung abgelehnt worden sei, ohne dem Hilfeempfänger eine fachlich vertretbare Alternative geboten zu haben. Das Sozialreferat habe nach dem Inhalt der Akten vor Erlass des angefochtenen Bescheids weder ein Hilfeplanverfahren noch eine Fachkräftekonferenz durchgeführt. Der Bescheid beschränke sich letztlich darauf, den Kläger auf die öffentliche Realschule zu verweisen; er verstoße damit gegen § 36 Abs. 2 und 3 SGB VIII. Die Hilfeplanung könne nicht durch einzelne Stellungnahmen oder eine verwaltungsmäßige Entscheidung ohne ein Zusammenwirken mit Fachkräften getroffen werden. Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung durchgeführten Beweisaufnahme sei die Kammer der Überzeugung, dass die Realschule eine dem Kläger angemessene Schulbildung sei und dass die vom Beklagten als einzige Alternative genannte staatliche Realschule keine Alternative für den Kläger gewesen sei.
Rz. 8
2. Die Beklagte begründet ihre mit Beschluss des Senats vom 30. November 2009 zugelassene Berufung wie folgt:
Rz. 9
Das Verwaltungsgericht habe i...