Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. Europarechtskonformität. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II für Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, entspricht den europarechtlichen Vorgaben.
2. Ein Aufenthaltsrecht bzw ein Ausweisungsschutz nach Art 14 Abs 4 Buchst b der Richtlinie 2004/38 (juris: EGRL 38/2004) besteht, wenn ein Unionsbürger eingereist ist, um Arbeit zu suchen, solange er nachweisen kann, dass er weiterhin Arbeit sucht und eine begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden. Das ist aber genau der Fall, in dem Art 24 Abs 2 der Richtlinie 2004/38 eine nationale Regelung zum Ausschluss von Sozialhilfeleistungen gestattet (vgl EuGH vom 15.9.2015 - C 67/14 = NZS 2015, 784, Alimanovic ). § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II ist eine derartige Regelung.
3. Eine individuelle Prüfung, ob im konkreten Fall eine unangemessene Belastung der Sozialhilfesysteme verursacht wird, findet nicht statt (vgl EuGH vom 15.9.2015 - C 67/14, aaO).
4. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Normenkette
SGB II § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2; RL (EG) 38/2004 Art. 14 Abs. 4 Buchst. b, Art. 24 Abs. 1-2, Art. 6, 7 Abs. 1 Buchst. a, b, Abs. 3 Buchst. a, b, c; FreizügG/EU § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, S. 2; VO (EG) 883/2004 Art. 70 Abs. 2; SGG § 86b Abs. 2 S. 2
Tenor
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 30. Juli 2015 wird zurückgewiesen.
II. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
III. Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt Dr. H. beigeordnet.
Gründe
I.
Der Antragsteller und Beschwerdeführer begehrt Arbeitslosengeld II und wendet sich damit gegen den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ("Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche").
Der 1957 geborene alleinstehende Antragsteller ist bulgarischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland. Er reiste im Februar 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Für sein Einzelzimmer hat er monatlich 330,- € zuzüglich Stromkosten für die Heizung zu bezahlen.
Gemäß der vom Arbeitgeber vorgelegten Arbeitsbescheinigung war der Antragsteller vom 10.02.2014 bis 30.09.2014 als Gerüstbauer sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Am 21.06.2014 erlitt der Antragsteller einen Arbeitsunfall mit Verletzung des linken Fersenbeins. Nach Ende der Lohnfortzahlung erhielt der Antragsteller vom 04.08.2014 bis 21.09.2014 Verletztengeld. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis zum 30.09.2014.
Mit Bescheid vom 11.11.2014 bewilligte der Antragsgegner das beantragte Arbeitslosengeld II für die Monate Oktober 2014 bis einschließlich Februar 2015. Auf den Weitergewährungsantrag hin wurde mit Bescheid vom 10.03.2015 für den Monat März 2015 Arbeitslosengeld II in Höhe von 708,18 € bewilligt und Leistungen für die Folgezeit abgelehnt. Es habe aufgrund der Regelungen des Freizügigkeitsgesetzes EU (FreizügG/EU) lediglich ein Leistungsanspruch von sechs Monaten bestanden. Der dagegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 15.05.2015 (zugestellt am 18.05.2015) zurückgewiesen. Dagegen wurde am 18.06.2015 Klage erhoben.
Ebenfalls am 18.06.2015 stellte der Antragsteller, vertreten durch seinen Bevollmächtigten, beim Sozialgericht einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Der Antragsteller begehre ab sofort monatlich 708,18 € an Arbeitslosengeld II. Er bemühe sich intensiv um eine neue Arbeitsstelle. Er verfüge nicht über finanzielle Rücklagen und ihm drohe der Verlust seiner Wohnung. Der Antragsteller habe durch seine Vorbeschäftigung in Deutschland Arbeitnehmerstatus erlangt und er habe einen Bezug zum regionalen Arbeitsmarkt.
Mit Beschluss vom 30.07.2015 lehnte das Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft. Ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II sei gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen, weil sich das Aufenthaltsrecht des Antragstellers allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe. Eine Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU bestehe nicht, weil in Deutschland keine einjährige Erwerbstätigkeit vorgelegen habe. Nach der Entscheidung des EuGH vom 11.11.2014, C-333/13 (Dano), sei davon auszugehen, dass der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II europarechtskonform sei. Mit dieser Regelung sei Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG umgesetzt worden. Somit dürften Mitgliedstaaten einem Unionsbürger die Sozialhilfe versagen, wenn er zum Zwecke der Arbeitssuche eingereist sei. Der Beschluss wurde dem Antragsteller am 06. oder 08.08.2015 zugestellt.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers hat am Montag, den 07.09.2015, Beschwerde gegen den Beschluss d...