Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. beigeordneter Rechtsanwalt. Verfahrensgebühr. Anrechnung der Geschäftsgebühr für das Vorverfahren. Wahlrecht des Rechtsanwalts. Bindung der Staatskasse an die Ausübung des Wahlrechts

 

Leitsatz (amtlich)

Die Staatskasse ist an die Ausübung des Wahlrechts des Rechtsanwaltes, ob er die Anrechnung nach Vorbemerkung 3 Abs 4 VV RVG (juris: RVG-VV) auf die Geschäfts- oder die Verfahrensgebühr vornimmt, gebunden.

 

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 25.02.2022, S 1 SF 2/22 E, wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Rechtsanwaltsvergütung. Streitig ist die Höhe der Verfahrensgebühr sowie ob und in welcher Höhe eine Anrechnung nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG zu erfolgen hat.

Die Erinnerungsführerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden: Bf) erhob für die Kläger zu 1) bis 5) am 25.04.2019 Klage zum Sozialgericht Augsburg (SG) und beantragte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH). Streitig zwischen den Klägern und dem Beklagten waren höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) wegen Umgangskosten (Az. S 8 AS 525/19).

Mit Beschluss vom 19.07.2019 bewilligte das Sozialgericht allen fünf Klägern Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Bf. In der mündlichen Verhandlung vom 25.07.2019 schlossen sodann die Kläger und der Beklagte einen Vergleich, mit dem sich der Beklagte auch bereit erklärte, 1/4 der außergerichtlichen Kosten der Kläger zu tragen. In dem Termin war die Bf nicht anwesend.

Am 29.09.2019 beantragte die Bf, die von dem Beklagten zu erstattenden Kosten entsprechend der Quote von 1/4 insgesamt auf 431,18 Euro festzusetzen. Die Kostenbeamtin setzte abweichend vom Antrag Kosten in Höhe von lediglich 116,03 Euro fest (Kostenfestsetzungsbeschluss vom 09.07.2021), ohne den Mehrvertretungszuschlag nach Nr. 1008 VV RVG zu berücksichtigen. Zudem sei lediglich eine Verfahrensgebühr in Höhe von 200,- Euro und nicht - wie beantragt - in Höhe von 360,00 Euro angemessen.

Auf die dagegen eingelegte Erinnerung setzte das SG mit Beschluss vom 27.08.2021, S 6 SF 123/21 E, die vom Beklagten zu erstattenden Kosten auf 294,53 Euro fest. Insgesamt errechne sich nämlich für das Widerspruchsverfahren und für das Klageverfahren ein Erstattungsbetrag in Höhe von 1.178,10 Euro (Gebührenanspruch für das Widerspruchsverfahren: 809, 20 Euro und für das Klageverfahren: 368,90 Euro), wovon der Beklagte 1/4 zu tragen habe. Dass für das Klageverfahren ein Erstattungsanspruch in Höhe von 368,90 Euro entstanden sei, ergäbe sich daraus, dass die Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG in Höhe von 200,00 Euro angefallen sei, hiervon seien nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG 150,00 Euro entsprechend dem Vergütungsantrag der Bf vom 29.09.2019 abzusetzen. Weiter angefallen seien der Erhöhungstatbestand nach Nr. 1008 VV RVG in Höhe von 240,00 Euro sowie die Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG und die Umsatzsteuer.

Ebenfalls am 29.09.2019 beantragte die Bf, die vom Erinnerungsgegner und Beschwerdegegner (im Folgenden: Bg) zu erstattenden Kosten im Verfahren Az. S 8 AS 525/19 auf 724,71 Euro festzusetzen wie folgt:

Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG

360,00 Euro

Erhöhungsgebühr Nr. 1008 VV RVG

432,00 Euro

Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG

 20,00 Euro

Zwischensumme

812,00 Euro

abzgl. 25 %

609,00 Euro

Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG

115,71 Euro

Gesamt

724,71 Euro

Die zuständige Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle setzt die Vergütung mit Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 03.01.2022 auf 276,68 Euro fest:

Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG

200,00 Euro

Erhöhungstatbestand Nr. 1008 VV RVG

240,00 Euro

Anrechnung Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG

150,00 Euro

Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG

 20,00 Euro

Zwischensumme

310,00 Euro

Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG

58,90 Euro

Gesamt

368,90 Euro

abzgl. Quote 3/4 laut Vergleich

276,68 Euro

Die Festsetzung erfolge entsprechend dem Beschluss vom 27.08.2021 im Erinnerungsverfahren Az. S 6 SF 123/21 E. Auf die dortige Begründung werde verwiesen.

Hiergegen hat die Bf Erinnerung eingelegt. Zur Höhe der Verfahrensgebühr führte sie aus, die Berücksichtigung der unterdurchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Kläger dürfe nicht berücksichtigt werden. Die Angelegenheit sei für die Kläger infolge des geringen Einkommens von überdurchschnittlicher Bedeutung gewesen. Umfang und Schwierigkeit seien durchschnittlich gewesen. Die Synergieeffekte würden laut eines Beschlusses des BayLSG vom 22.08.2012, L 15 SF 57/11 B E lediglich 20 % betragen, wobei sich dies noch im Toleranzrahmen bewegen würde. Ferner sei die Erhöhungsgebühr entstanden. Die Anrechnung in Höhe von 150,00 Euro habe nicht zu erfolgen.

Das SG hat die Erinnerung mit Beschluss vom 25.02.2022 zurückgewiesen. Entgegen der Ansicht der Bf sei kein höherer Kostenerstattungsanspruch gegenüber dem Bg entstanden. Für das Klageverfahren errechne sich ein Erstattungsanspruch in Höhe vo...

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