Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende: Anspruch auf vorläufige Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. europarechtskonforme Auslegung
Leitsatz (amtlich)
1. Auch wenn die Leistungen nach dem SGB II als Sozialhilfeleistungen i.S.d. Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG einzuordnen sind, handelt es sich zugleich um Leistungen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen (Fortführung des Urteils des Senats vom 19. Juni 2013, L 16 AS 847/12).
2. Der Leistungsausschluss in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist daher europarechtskonform dahingehend auszulegen, dass in jedem Fall gesondert zu prüfen ist, ob ein Bezug zum inländischen Arbeitsmarkt besteht.
Tenor
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom 12.05.2014 wird zurückgewiesen.
II. Der Beschwerdeführer hat der Beschwerdegegnerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über die vorläufige Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) an die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin auf ihren Antrag vom 18.03.2014.
Die Antragstellerin ist polnische Staatsangehörige. Sie ist geschieden und alleinstehend und hat nach eigenen Angaben in Polen zuletzt als Lektorin gearbeitet. Am 01.03.2014 reiste sie nach Deutschland ein und lebt seither miet- und kostenfrei bei Bekannten in A-Stadt. Die Einreise erfolgte ausweislich der Aufenthaltsanzeige vom 09.04.2014 nach § 5 Abs. 3 Freizügigkeitsgesetz (FreizügG/EU) zur Arbeitsplatzsuche.
Am 18.03.2014 beantragte sie beim Antragsgegner und Beschwerdeführer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Sie gab an, dass sie sich bereits in den Jahren 2009 und 2011 zeitweise in Deutschland aufgehalten und in den Sommermonaten in der Gastronomie gearbeitet habe.
Der Antragsgegner ging in einem Fazit zum Entwicklungsprofil am 18.03.2014 davon aus, dass eine Integration in den ersten Arbeitsmarkt innerhalb von zwölf Monaten nicht realistisch sei, und lehnte den Antrag mit Bescheid vom 09.04.2014 unter Hinweis auf § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ab. Die Antragstellerin halte sich allein zur Arbeitsplatzsuche in der Bundesrepublik auf; in den ersten drei Monaten sei sie zudem nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Über den Widerspruch der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 14.04.2014 ist noch nicht entschieden worden.
Am 24.04.2014 beantragte die Antragstellerin einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Regensburg mit dem Ziel, ihr ab Antragstellung zumindest 70 % der üblichen Grundsicherung nach dem SGB II, hilfsweise nach Rechtsauffassung des Gerichts zu erbringen.
Die Ablehnung der Leistungen verstoße gegen höherrangiges Gemeinschaftsrecht. Sie sei in Polen selbstständig krankenversichert. An Eides statt werde versichert, dass sie bereits früher in Deutschland versicherungspflichtig gearbeitet habe und sich daher jetzt wieder im Hotel- und Gaststättengewerbe um einen Aushilfsjob bemühe, leider aber nur Absagen erhalten habe. Sie legte E-Mailverkehr vom Februar 2014 über Bemühungen zur Aufnahme einer Tätigkeit in der Gastronomie vor.
Der Antragsgegner vertrat die Auffassung, dass spätestens seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 19.09.2013 (C 140/12 in Sachen Brey) fest stehe, dass Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II Sozialhilfeleistungen im Sinne des Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 seien; auch das Bundessozialgericht (BSG) habe dies im Vorlagebeschluss an den EuGH vom 12.12.2013 (B 4 AS 9/13) so gesehen. Damit sei die Antragstellerin nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II zu Recht in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts und auch darüber hinaus nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Entsprechend würden von Obergerichten zunehmend Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz negativ verbeschieden, zumal eine Leistungsgewährung im einstweiligen Rechtsschutz im Hinblick auf die meist fehlende finanzielle Leistungsfähigkeit der Antragsteller regelmäßig zu einem endgültigen Leistungserhalt und damit zu einer Vorwegnahme der Hauptsache führe. So habe das LSG Berlin-Brandenburg in einem Beschluss vom 14.10.2013 (L 29 AS 2128/13 B ER) ausgeführt, dass die Nichtanwendung einer gesetzlichen Vorschrift wie die des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II einen Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers darstelle und damit die Gefahr eines Verstoßes gegen die Gewaltenteilung berge.
Mit Beschluss vom 12.05.2014 verpflichtete das Sozialgericht Regensburg den Antragsgegner, der Antragstellerin vorläufig für die Zeit vom 24.04.2014 bis 31.08.2014 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in Höhe von 70 % der jeweiligen gesetzlich zustehenden individuellen Regelbedarfe zu gewähren.
Ei...