Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Kostenübernahme. Staatskasse. Gutachten gem § 109 SGG. verfahrensrechtlich unrichtige Sachbehandlung durch das Gericht

 

Leitsatz (amtlich)

Übernahme der Kosten für Gutachten nach § 109 SGG, wenn SG unzutreffende Fragen an den Sachverständigen gestellt hat

 

Orientierungssatz

Zur Frage der Übernahme der Kosten für ein Gutachten nach § 109 Abs 1 S 2 Halbs 2 SGG, wenn das SG unzutreffende Fragen an den Sachverständigen gestellt hat.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 25.06.2008 aufgehoben.

Die Kosten für die gemäß § 109 SGG erfolgte Begutachtung der Klägerin durch Dr. D. (Gutachten vom 29.05.2007) werden auf die Staatskasse übernommen.

 

Gründe

I.

Streitig ist die Übernahme der Kosten eines gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholten Gutachtens auf die Staatskasse.

Die Klägerin beantragte 2005 Rente wegen Erwerbsminderung. Dies lehnte die Beklagte ab. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen lägen nicht vor. Zuletzt seien Kinderberücksichtigungszeiten bis 30.01.1987 gegeben gewesen. Vor Februar 1989 aber hätte keine qualitative Leistungsminderung bestanden.

Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Würzburg erhoben. Gemäß § 106 SGG hat der Arzt für Neurologie und Psychiatrie K. ein Gutachten zur Erwerbsminderung der Klägerin im Januar 1989 erstattet. Die Klägerin habe damals noch eine vollständige Tätigkeit (8 Stunden täglich) ausüben können. Zu einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit sei es erst ab Juni 1989 gekommen. Auf Antrag der Klägerin hat die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie - Psychotherapie Dr. D. ein Gutachten nach § 109 SGG zur Frage der Erwerbsminderung erstattet. Dabei ist sie entgegen der richterlichen Verfügung weder nach dem Zeitpunkt Januar 1989 noch nach der damals erforderlichen Fähigkeit zur vollschichtigen Tätigkeit (8 Stunden täglich) befragt worden. Die Sachverständige sieht im Zeitpunkt ihrer Gutachtenserstellung keine quantitative Leistungseinschränkung bei der Klägerin. Das SG hat mit Urteil vom 19.02.2008 die Klage abgewiesen. Der Versicherungsfall hätte spätestens im Januar 1989 eintreten müssen. Dies sei jedoch nicht der Fall gewesen, wie dem Gutachten des Arztes K. als auch dem Gutachten von Dr. D., die auch jetzt noch die Klägerin für leichte ganztägige Tätigkeiten einsatzfähig halte, entnommen werden könne.

Den an das SG gerichteten Antrag auf Übernahme der Kosten für die Begutachtung durch Dr. D. auf die Staatskasse hat das SG mit Beschluss vom 25.06.2008 abgelehnt. Dr. D. habe ebenso wie der Sachverständige K. im maßgeblichen Zeitraum vor Februar 1989 keine zeitlich geminderte Erwerbsfähigkeit erkennen können. Das Gutachten von Dr. D. habe somit keine neuen entscheidungserheblichen, bis dahin nicht berücksichtigten medizinischen Gesichtspunkte aufgezeigt und nicht zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes beigetragen. Dass Dr. D. darüber hinaus auch im Begutachtungszeitpunkt keine geminderte Erwerbsfähigkeit gesehen habe, sei für die gerichtliche Entscheidung ohne Bedeutung gewesen.

Dagegen hat die Klägerin Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Dr. D. sei nie zu dem Leistungsvermögen im Januar 1989 befragt worden.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 SGG) ist zulässig und auch begründet. Der Beschluss des SG ist aufzuheben. Die Kosten der Begutachtung durch Dr. D. sind auf die Staatskasse zu übernehmen.

Die Übernahme der für ein Gutachten nach § 109 SGG verauslagten Kosten auf die Staatskasse im Wege einer "anderen Entscheidung" iS des § 109 Abs 1 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ist in der Regel dann gerechtfertigt, wenn das Gutachten in beträchtlichem Umfang beweiserheblich ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn es durch Aufzeigen bis dahin nicht berücksichtigter medizinischer Gesichtspunkte zur Aufklärung des Sachverhaltes wesentlich beigetragen oder die Erledigung des Rechtsstreites in sonstiger Weise wesentlich gefördert hat. Über die endgültige Kostentragung entscheidet das Gericht nach Ermessen durch Beschluss (Beschluss des Senates vom 24.04.2007 - L 20 B 82/07 R - mwN).

Die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme liegen vor. Das SG hat Dr. D. nicht mit der Erstattung eines Gutachtens zu den für den Rechtsstreit wesentlichen Beweisfragen beauftragt. Dies ist der Beweisanordnung vom 10.05.2007 zu entnehmen, die vom Vorsitzenden entgegen seiner entsprechenden Verfügung unterschrieben worden ist, obwohl hierin - nicht wie in der Beweisanordnung vom 09.10.2006 an den gerichtlichen Sachverständigen K. erfolgt - nach Gesundheitsstörungen im Januar 1989 und nach einer vollschichtigen Tätigkeit von 8 Stunden täglich bzw. einer halb- bis untervollschichtigen Tätigkeit (4 bis unter 8 Stunden täglich) bzw. nach einer weniger als halbschichtigen Tätigkeit (2 bis unter 4 Stunden täglich) oder nach einer geringfügigen...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?