Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialverwaltungsrecht: Erstattung von Leistungen zwischen Sozialleistungsträgern. Zulässigkeit eines Erstattungsanspruchs bei Fehlen eines rechtzeitigen Leistungsantrags durch den Leistungsbezieher beim vorrangig leistungspflichtigen Sozialleistungsträger. …. Grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache als Voraussetzung einer Berufungszulassung
Leitsatz (amtlich)
Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X erfordert eine rechtzeitige Antragstellung des Leistungsempfängers nur, wenn dessen Dispositionsfreiheit und Selbstbestimmungsrecht durch das Antragserfordernis geschützt wird.
Orientierungssatz
In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist hinreichend geklärt, dass ein nachrangiger Leistungsträger im Regelfall auch dann einen Erstattungsanspruch gegen den vorrangig zuständigen Leistungsträger hat, wenn der Empfänger der Leistung einen Leistungsantrag an den vorrangig zuständigen Leistungsträger nicht rechtzeitig gestellt hat. Insoweit kommt dieser Frage keine grundsätzliche Bedeutung zu, die eine Zulassung der Berufung begründen würde.
Normenkette
SGB X § 104; SGG § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1, § 145 Abs. 4 S. 4, § 197a Abs. 1 S. 1; SGB VIII §§ 95, 97; VwGO § 154 Abs. 1; GKG § 47 Abs. 1 S. 1, § 52 Abs. 3 S. 1, § 63 Abs. 2 S. 1
Tenor
I. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 14.01.2016 - S 1 AL 412/15 - wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 8.233,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Streitig ist der Anspruch auf Erstattung der von nachrangig verpflichteten Klägerin an die Leistungsempfängerin (A.) erbrachten Leistungen durch die Beklagte.
Die Klägerin hat an A. Hilfe zur Erziehung in einer Einrichtung (u.a. Unterkunft und Betreuung) gemäß §§ 27, 34 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) für die Zeit ab 27.10.2011 erbracht. Für die am 08.12.2014 beginnende Maßnahme "BvB Pro" bewilligte die Beklagte an A. aufgrund eines rechtzeitigen Antrages der A. Berufsausbildungsbeihilfe in Höhe von zunächst 879,00 € monatlich.
Am 04.02.2015 beantragte die Klägerin die Erstattung der während der Ausbildung der A. zur Fachlageristin Kfz-Teile-Großhandel (Ausbildungsdauer: 01.09.2013 bis zum Abbruch am 07.12.2014) von ihr an die A. erbrachten Leistungen bei der Beklagten. Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 10.02.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.11.2015 mit, dass eine Förderung für die Zeit bis 07.12.2014 mangels rechtzeitigen Antrages nicht möglich sei.
Mit der zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhobenen allgemeinen Leistungsklage hat die Klägerin die Erstattung erbrachter Leistungen für die Zeit vom 04.02.2014 bis 07.12.2014 in Höhe von 8233,30 € begehrt. Unter Beachtung der Ausschlussfrist des § 111 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 23.01.2014 - 5 C 8/13 - hänge der Erstattungsanspruch nicht von einer - rechtzeitigen - Antragstellung der A. gegenüber der Beklagten ab. Das SG hat mit Urteil vom 14.01.2016 die Beklagte verpflichtet, die von der Klägerin an A. geleistete Berufsausbildungsbeihilfe in der gesetzlichen Höhe unter Beachtung der Jahresfrist des § 111 SGB X für die Zeit vom 04.02.2014 bis 07.12.2014 zu erstatten. Darauf, ob A. einen Antrag an die Beklagte auf diese Leistungen - rechtzeitig - gestellt habe, komme es nach der Rechtsprechung des BVerwG nicht an. Die Berufung hat das SG nicht zugelassen.
Dagegen hat die Beklagte zunächst Berufung und nach Hinweis des Senats Nichtzulassungsbeschwerde zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) erhoben. Die Berufung hat die Beklagte zurückgenommen. Die Berufung sei jedoch wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Die Rechtsfrage, ob für einen Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X auch ein rechtzeitig gestellter Leistungsantrag erforderlich sei, sei zwar vom BVerwG entschieden worden. Diese Entscheidung werde aber vom LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 11.12.2015 - L 4 P 1171/15 - und von Kater (Kasseler Kommentar, SGB X, § 104 Stand 12/2015 Rn. 9 b) für nicht überzeugend gehalten. Die Rechtsfrage sei daher wegen ihrer Breitenwirkung klärungsbedürftig und auch klärungsfähig.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig. Der Wert des Beschwerdegegenstandes bei der vorliegenden Erstattungsstreitigkeit übersteigt nicht 10.000,00 € (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist jedoch nicht begründet. Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung b...