Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren: Recht auf Anwesenheit Dritter bei einer psychiatrischen Begutachtung. Zulässigkeit von Ton- und Filmaufnahmen durch den Betroffenen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein uneingeschränktes Recht auf Anwesenheit Dritter bei einer medizinischen Begutachtung besteht nicht.

2. Der Grundsatz der Parteiöffentlichkeit und des fairen Verfahrens erfordert eine Abwägungsentscheidung im Einzelfall.

3. Bei einer psychiatrischen Begutachtung haben nahe Angehörige (hier: Ehemann) kein Recht auf Anwesenheit während der Exploration, dem Prozessbevollmächtigten (hier: Rechtsanwalt), ist dagegen die Anwesenheit auf entsprechenden Wunsch der Betroffenen im Einzelfall zu gestatten.

4. Video- und technische Tonaufzeichnungen durch die Betroffenen und deren Prozessbevollmächtigten über den Ablauf der Untersuchung sind unzulässig.

 

Tenor

I. Die mit gerichtlichem Schreiben vom 25.10.2018 erfolgte Anweisung an die Gerichtssachverständige wird aufgehoben.

II. Die Beweisanordnung vom 12.9.2018 wird wie folgt ergänzt:

1. Dem Ehemann der Klägerin, Herrn C. A., ist es nicht gestattet, während der Exploration anwesend zu sein.

2. Hiervon abweichend ist es, wenn es die Klägerin zuvor ausdrücklich wünscht, dem Ehemann gestattet, die Anamnesefragebögen zusammen mit der Klägerin zu bearbeiten, zu Beginn der Exploration eigene Angaben zu machen und am Ende der Exploration an einem gemeinsamen Gespräch mit der Gerichtssachverständigen und der Klägerin teilzunehmen.

3. Wenn die Klägerin vorab ausdrücklich damit einverstanden ist, ist es der Gerichtssachverständigen gestattet, an den Ehemann fremdanamnestisch ergänzende Fragen zu stellen.

4. Wenn es die Klägerin vorab ausdrücklich wünscht, ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin, Herrn Rechtsanwalt B., der nach § 43a Abs. 2 Satz 1 Bundesrechtsanwaltsordnung zur Verschwiegenheit gegenüber Dritten verpflichtet ist, die Anwesenheit während des Untersuchungstermins gestattet. Das Recht auf Anwesenheit beinhaltet keine Beteiligungsrechte, insbesondere kein Fragerecht.

5. Die Erforschung des Willens der Klägerin und die vorherige Einholung des Einverständnisses der Klägerin zu Nrn. 2 bis 4 hat ohne Anwesenheit Dritter zu erfolgen.

6. Video- und technische Tonaufzeichnungen durch die Klägerin, deren Ehemann oder den Prozessbevollmächtigten über den Ablauf des Untersuchungstermins sind nicht zulässig.

III. Im Übrigen werden die Anträge des Bevollmächtigten vom 15.10.2018 und 31.10.2018 abgelehnt.

 

Gründe

I.

Streitig sind Leistungsansprüche aus der gesetzlichen Unfallversicherung aufgrund des Unfalls vom 10.12.2013.

Mit Beweisanordnung vom 12.9.2018 wurde die Dr. C. zur Gerichtssachverständigen ernannt. Das Gutachten ist nach ambulanter Untersuchung zu erstatten.

Mit Schriftsatz vom 15.10.2018 beantragte der Bevollmächtigte der Klägerin dieser zu gestatten, zur Untersuchung ihren Ehemann als Begleitperson mitzunehmen und die Sachverständige in Kenntnis zu setzen und anzuweisen. Dies gebiete der Grundsatz des fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs. Mit weiteren Schriftsätzen vom 31.10.2018 begründete er diesen Antrag damit, dass die Klägerin gesundheitlich schwer beeinträchtigt sei. Die Klägerin befürchte, eine erneute und zweifelsohne sehr belastende und anstrengende psychiatrische Begutachtung ohne die unterstützende Anwesenheit des Ehemannes nicht durchstehen zu können. Außerdem sei die Anwesenheit eines Dritten aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes erforderlich. Bei abstrakt immer denkbaren Wahrnehmungsfehlern des Sachverständigen erlaubt es die Hinzuziehung einer Begleitperson, mit Aussicht auf Erfolg einen Zeugenbeweis anzutreten. Falls der Sachverständige nach der Untersuchung zu der begründbaren Auffassung gelangen sollte, dass eine Beeinflussung erfolgt sei und das Untersuchungsergebnis deshalb eine geringere Aussagekraft habe, könne er das in seinem Gutachten darlegen. Die Würdigung hätte dann letztlich das Gericht vorzunehmen.

Die Gerichtssachverständige hat zur Anwesenheit des Ehemannes Stellung genommen (Schreiben vom 24.10.2018). Der Beklagten wurden die Schriftsätze zur Kenntnis gegeben.

II.

Zuständig für diese (Beweis-) Anordnung ist die Berichterstatterin nach §§ 103, 106 Abs. 3 Nr. 5, § 155 Abs. 4 SGG.

Eine bestimmte Form ist für die Anordnungen nach § 106 SGG nicht erforderlich. Ein förmlicher Beschluss ist gleichwohl unschädlich (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 12. Auflage 2017, § 106 Rn 8a).

Nach § 106 Abs. 2 SGG i.V.m. § 155 Abs. 4 SGG hat die Berichterstatterin bereits vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen. Welche Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts ergriffen werden, steht im Ermessen des Gerichts. Die Aufzählung in § 106 Abs. 3 SGG ist nicht abschließend (vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O., § 106 Rn 7).

In Ausübung des der Berichterstatterin eingeräumten Ermessens wird in Ziffer I die erfolgte Anweisung an die Gerichtssachverstä...

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