Entscheidungsstichwort (Thema)
Gerichtliche Festsetzung der Entschädigung eines Beteiligten. Auftreten eines Rechtsanwalts in eigener Sache. Nachweis des Verdienstausfalls bei einem selbstständig Tätigen. Beweiswürdigung. Gleichbehandlung. Maßgeblicher Zeitpunkt. Dauer der Heranziehung. Abzug für eine fiktive Mittagspause. Arbeitszeit. Vereinfachung der Rechtsanwendung. Stundensatz. Regelmäßiger Bruttoverdienst. Fahrtkosten
Leitsatz (amtlich)
1. Das Recht der anwaltlichen Selbstvertretung schließt bei Selbstvertretung die Anwendung des JVEG nicht aus.
2. Um das Tatbestandsmerkmal des Verdienstausfalls im Sinn des § 22 JVEG bejahen zu können, bedarf es (nur) des Nachweises, dass überhaupt ein solcher Ausfall entstanden ist, nicht aber in welcher Höhe.
3. Um den Entschädigungsanspruch für Verdienstausfall bei einem selbständig Tätigen nicht ins Leere laufen zu lassen, darf das Gericht an die Beweisführung eines selbständig tätigen Antragstellers und seine eigene Überzeugungsbildung keine zu hohen Anforderungen stellen. Es wird regelmäßig ausreichend sein, wenn die gerechtfertigte Vermutung besteht, dass der Selbständige überhaupt einen Verdienst oder Gewinnausfall erlitten hat. Die Anforderungen bei der Überzeugungsbildung und damit an die Prüfpflicht der Kostenbeamten und Kostenrichter dürfen dabei nicht überspannt werden.
4. Bei anwaltlicher Selbstvertretung ist nur dann nicht von einem Verdienstausfall wegen der Teilnahme an einem Gerichtstermin auszugehen, wenn er bereits an diesem Tag einen Vergütungsanspruch für eine erbrachte anwaltliche Tätigkeit erworben hat. Dies ist nur dann der Fall, wenn der der Entschädigung zugrunde liegende Gerichtstermin mit einem Urteil oder Vergleich geendet und sich daraus ein Kostenerstattungsanspruch gegen die Gegenseite ergeben hat.
5. Maßgeblich für die Beurteilung, ob ein Verdienstausfall entstanden ist, ist die Beurteilung am Tag des Gerichtstermins, der den Entschädigungsanspruch nach dem JVEG zur Folge hat. Spätere Entwicklungen bleiben bei der Festsetzung der Entschädigung unberücksichtigt.
6. Zu entschädigen ist die nach objektiven Maßstäben zu ermittelnde gesamte Dauer der Heranziehung einschließlich notwendiger Reise und Wartezeiten, nicht mehr wie früher unter Geltung des ZuSEG die versäumte Arbeitszeit. Die konkret ausgefallene Arbeitszeit ist daher nicht zu ermitteln; eine fiktive Mittagspause kann nicht in Abzug gebracht werden.
Normenkette
JVEG § 19 Abs. 2, § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, Abs. 2 S. 1, § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 22; SGG § 128 Abs. 1 S. 1, § 191; ZPO § 91 Abs. 2 S. 3; GG Art. 3 Abs. 1
Tenor
Die Entschädigung der Antragstellerin für die Wahrnehmung des Termins vor dem Bayer. Landessozialgericht am 31.05.2011 wird auf 152,- € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt eine Entschädigung wegen der Wahrnehmung eines Gerichtstermins nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG), zu dem ihr persönliches Erscheinen angeordnet worden ist.
In dem am Bayerischen Landessozialgericht (Bayer. LSG) anhängig gewesenen rentenrechtlichen Rechtsstreit der Antragstellerin, die Rechtsanwältin ist und sich in diesem Verfahren selbst vertrat, fand am 31.05.2011 eine mündliche Verhandlung statt; das persönliche Erscheinen der Antragstellerin war angeordnet. Die mündliche Verhandlung dauerte von 14.15 Uhr bis 15.00 Uhr.
Mit Entschädigungsantrag vom 01.06.2011 beantragte die Antragstellerin die Entschädigung für das Erscheinen bei der mündlichen Verhandlung am 31.05.2011. Sie gab an, um 12.30 Uhr von der Arbeitsstelle losgefahren und um 17.00 nach Hause zurückgekommen zu sein. Sie sei mit dem PKW insgesamt 260 km gefahren und habe 2,- € Parkgebühr entrichtet. Sie machte bei einer angegebenen regelmäßigen Arbeitszeit von 8.00 bis 17.00 Uhr einen Verdienstausfall für 4,5 Stunden in Höhe von insgesamt 337,50 € geltend.
Mit Schreiben der Kostenbeamtin vom 08.06.2011 wurde die Entschädigung auf 135,- € festgesetzt. Dem lagen die Parkgebühren und Fahrtkosten entsprechend der Angaben der Antragstellerin zugrunde. Als Verdienstausfall wurden vier Stunden zu je 17,- € (Höchstbetrag) berücksichtigt, wobei für die Zeit von 12.00 bis 13.00 Uhr eine übliche Mittagspause (ohne Verdienstausfall) zugrunde gelegt wurde.
Mit Schreiben vom 14.06.2011 hat die Antragstellerin mitgeteilt, dass sie mit der Entschädigung nicht einverstanden sei. Es möge zwar sein, dass Mitarbeiter des Gerichts üblicherweise eine Mittagspause von 12.00 bis 13.00 Uhr hätten. Sie habe aber an diesem Tag keine Mittagspause machen können, da sie während dieser Zeit im Auto zum Gericht unterwegs gewesen sei.
Auch die Staatskasse hat mit Schreiben vom 12.09.2011 Antrag auf richterliche Entscheidung gemäß § 4 JVEG gestellt. Die Anwendbarkeit des JVEG sei - so die Staatskasse - fraglich, wenn ein Rechtsanwalt Klage in eigener Sache erhebe und sein persönliches Erscheinen angeordnet werde. Fraglich sei zudem, ob ein Verdienstausfall eintreten könne, wenn später möglicherweise eine Terminsgebühr entstehen sol...