Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Schiedsspruch über einen Vertrag über die hausarztzentrierte Versorgung. Umfang der gerichtlichen Kontrolle. Begründung. Gestaltungsfreiheit. Wesentliche Vertragsbestandteile. Regelungslücke. Ergänzende Vertragsauslegung. Freiwilligkeitsprinzip. Einstweilige Anordnung. Vorläufige Feststellung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Entscheidung der Schiedsperson nach § 73b Abs 4a SGB 5 unterliegt nur in eingeschränktem Umfang der gerichtlichen Kontrolle, wobei die inhaltliche Kontrolle darauf beschränkt ist, zu prüfen, ob der zugrunde gelegte Sachverhalt zutrifft und ob die Schiedsperson den ihr zustehenden Gestaltungsspielraum eingehalten, dh die maßgeblichen Rechtsmaßstäbe beachtet hat.
2. Die Schiedsperson hat die wesentlichen Gesichtspunkte, die aus ihrer Sicht für die Festsetzung des Vertragsinhaltes sprechen, in die Begründung zum Schiedsspruch einzubeziehen und gegeneinander abzuwägen, wobei die Anforderungen nicht überspannt werden dürfen.
3. Die Gestaltungsfreiheit der Schiedsperson ist nicht geringer als diejenige der Vertragspartner bei einer im Wege freier Verhandlung erzielten Vereinbarung (vgl BSG vom 25.3.2015 - B 6 KA 9/14 R = BSGE 118, 164 = SozR 4-2500 § 73b Nr 1).
Orientierungssatz
Zu Leitsatz 1 vgl BSG vom 9.4.2008 - B 6 KA 29/07 R = BSGE 100, 144 = SozR 4-2500 § 85 Nr 41, vom 29.11.2006 - B 6 KA 4/06 R = SozR 4-2500 § 83 Nr 3 und vom 16.7.2003 - B 6 KA 29/02 R = BSGE 91, 153 = SozR 4-2500 § 85 Nr 3).
Normenkette
SGB V § 73b Abs. 1, 3, 4a; SGG §§ 55, 86b Abs. 2 S. 2
Tenor
I. Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Sozialgerichts München vom 24.6.2015, Az. S 21 KA 620/15 ER, aufgehoben, soweit das Sozialgericht dem Antrag der Antragstellerin stattgegeben hat, und der Antrag der Antragstellerin auch insoweit abgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.
III. Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Umsetzung des Schiedsspruchs vom 19.12.2014 zur Festlegung des Inhalts des Vertrages zur hausarztzentrierten Versorgung gemäß § 73b SGB V zwischen der antragstellenden AOK Bayern und dem Bayerischen Hausärzteverband e.V. (im Folgenden: HzV-Vertrag). Die Antragstellerin (Ast.) ist eine gesetzliche Krankenkasse, der Antragsgegner (Ag.) ist ein Zusammenschluss von hausärztlich tätigen Ärzten in Bayern. Die Ast. begehrt die vorläufige Außerkraftsetzung des Schiedsspruchs, hilfsweise unter anderem die Feststellung, dass sie nicht zur Umsetzung des festgesetzten Vertrages verpflichtet sei, solange keine Einigung insbesondere über die Ausgestaltung bestimmter Anhänge erzielt worden sei.
Dem streitgegenständlichen Schiedsspruch voraus gingen Verträge zwischen den Beteiligten zur Durchführung hausärztlicher Versorgung nach § 73b SGB V vom 12.2.2009, von der Ast. gekündigt zum 31.12.2010, und vom 13.2.2012 (aufgrund Schiedsspruch; nachfolgend HzV-Vertrag 2012, Berufung der Ast. gegen das klageabweisende Urteil des SG München vom 16.7.2014, derzeit anhängig beim BayLSG unter L 12 KA 149/14), gekündigt von der Ast. zum 30.6.2014. Nachdem sich die Ast. und der Ag. nicht über den Abschluss eines Vertrages zur HzV einigen konnten, beantragte der Ag. die Einleitung eines Schiedsverfahrens. Für die Festlegung des Vertragsinhaltes eines neuen HzV-Vertrages zwischen den Beteiligten wurde am 19.12.2013 durch Bescheid des Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege (nachfolgend: StMGP) als Schiedsperson Dr. K. bestimmt, der am 5.5.2014 einen "Teil-Schiedsspruch" erließ, mit dem die Fortgeltung des zum 30.6.2014 gekündigten HzV-Vertrages 2012 bis zum Wirksamwerden eines neuen HzV-Vertrages angeordnet wurde. Die Ast. hat gegen diesen Teil-Schiedsspruch Klage zum Sozialgericht München erhoben, welche unter dem Aktenzeichen S 49 KA 1239/14 anhängig ist.
Mit Schiedsspruch vom 19.12.2014 setzte die Schiedsperson aufgrund mündlicher Verhandlungen den Inhalt des Vertrages zur hausarztzentrierten Versorgung gemäß § 73b SGB V fest. Der HzV-Vertrag trat zum 3.3.2015 nach Nichtbeanstandung durch das StMGP in Kraft und sollte zum 1.4.2015 finanzwirksam werden (§ 20 Abs. 3 HzV-Vertrag). Die Ast. hat gegen den Schiedsspruch Klage zum Sozialgericht München erhoben (Az. S 39 KA 228/15).
Zur Begründung des Schiedsspruchs führte die Schiedsperson u.a. aus, dass der Vertrag zur Erreichung des legislativen Ziels eines Primärarztsystems als Vollversorgungsvertrag ausgestaltet sei, in dem die gesamte hausärztliche Versorgung einschließlich aller Behandlungsabläufe, der Dokumentation, Koordination und Lotsenfunktion in der Hand des gewählten Hausarztes zusammengeführt werde und dieser zugleich besondere Qualitätsanforderungen erfülle (Ziffer 3.b. des Schiedsspruchs). Festgelegt wurde weiter, dass für die gesamte Vergütung aller im Ziffernkranz des EBM - Arztgruppen-EBM - Hausarzt - mit dem Stand 4. Quartal 2014 aufgeführten Leistungen, die zu dem Angeb...