Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Regelungsanordnung. Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs. Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf. unabweisbarer laufender besonderer Bedarf. keine Übernahme von Kosten für gesundheitsbedingte Mehrbedarfe
Leitsatz (amtlich)
Wunschmedizin stellt keinen unabweisbaren Mehrbedarf dar.
Orientierungssatz
1. Die Übernahme von Kosten für gesundheitsbedingte Mehrbedarfe im Rahmen des § 21 Abs 6 SGB 2 kommt von vornherein nur dann in Betracht, wenn vor Beginn und während der Behandlungsmaßnahme eine hinreichende Indikation der betreffenden Intervention anhand der medizinischen Unterlagen nachvollziehbar festgestellt werden kann (vgl LSG Hamburg vom 19.3.2015 - L 4 AS 390/10 = juris RdNr 27).
2. Zur Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs auf Mehrbedarfsleistungen nach § 21 Abs 6 SGB 2.
Tenor
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 30. Dezember 2016 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Bf.) begehrt vom Antragsgegner und Beschwerdegegner (Bg.) im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Mehrbedarfsleistungen nach § 21 Abs. 6 SGB II im Zusammenhang mit ihrer cranio-mandibulären Dysfunktion (CMD).
Die Bf. bezieht seit 01.12.2015 vom Bg. laufend Leistungen nach dem SGB II, zuletzt aufgrund des Bescheides des Bg. vom 03.11.2016 in der Fassung des Bescheides vom 26.11.2016 für den Zeitraum vom 01.12.2016 bis 30.06.2017.
Bereits am 29.02.2016 beantragte die Bf. beim Bg. die Gewährung eines Mehrbedarfs für unabweisbare laufende Bedarfe in Härtefällen aufgrund ihrer CMD-Erkrankung. Es entstünden ihr aufgrund der Erkrankung Fahrtkosten zu Behandlungsterminen, Kosten für nicht erstattungsfähige Medikamente und höhere Kosten für die Kfz.-Versicherung wegen zu versichernder Fahrten einer notwendigen Begleitperson.
Mit Bescheid vom 29.03.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.09.2016 lehnte der Bg. den Antrag mit der Begründung ab, dass für medizinische Leistungen in erster Linie die Krankenkassen zuständig seien.
Am 04.10.2016 erhob die Bf. hiergegen Klage, die unter Az.: S 14 AS 1157/16 derzeit noch beim Sozialgericht Augsburg anhängig ist.
Am 14.12.2016 beantragte die Bf. beim Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung im Hinblick auf die Fahrtkosten, die höheren Kfz.-Versicherungskosten und die Medikamente.
Mit Beschluss vom 30.12.2016 lehnte das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Bei den geltend gemachten Bedarfen handele es sich - soweit sie überhaupt hinreichend glaubhaft gemacht seien - nicht um unabweisbare Bedarfe im Sinn von § 21 Abs. 6 SGB II.
Für Fahrtkosten zu einer ambulanten ärztlichen Behandlung seien vorrangig die Krankenkassen zuständig. Die Bf. habe nicht dargelegt, dass sie gegenüber der Krankenkasse Fahrtkosten geltend gemacht habe.
Soweit die Bf. höhere Beiträge für ihre Kfz-Versicherung für eine Begleitperson begehre, sei nicht ersichtlich, warum die Bf. nicht in der Lage wäre, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen; überdies weise der Schwerbehindertenausweis der Bf. nicht das Merkzeichen "B" auf.
Kosten für Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel, die nicht von der Krankenkasse erstattet werden, seien aus der Regelleistung des § 20 Abs. 2 SGB II zu decken.
Hiergegen hat die Bf. Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt.
Die Bf. habe die Fahrtkostenerstattung nicht zuerst bei der Krankenkasse geltend machen müssen, da § 60 SGB V eine Fahrtkostenerstattung bei ambulanter Behandlung nur in engen Ausnahmefällen vorsehe. Auch handle es sich hier bei der Behandlung von CMD ohnehin um keine Kassenleistung, so dass eine Erstattung von Fahrtkosten durch Krankenkassen schon deshalb ausscheide. Außergewöhnliche Fahrtkosten seien daher nach dem SGB II vom Jobcenter zu übernehmen (Sozialgericht Dresden Urteil vom 12.12.2016, Az.: 3 AS 5728/14).
Die Erstattung der Kosten für nicht verschreibungspflichtige Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel sei aus zwingenden medizinischen Gründen zur Vermeidung schwerwiegender gesundheitlicher Beeinträchtigungen medizinisch notwendig; die Dringlichkeit sei auch ärztlich bestätigt worden.
Die Bf. beantragt im Schreiben vom 09.02.2017,
den Bg. zu verpflichten, ihr "Mehrbedarfsleistungen nach § 21 Abs. 6 SGB II in folgendem Umfang zu gewähren:
1. Zahlung zu erwartender Fahrtkosten anlässlich der vorgesehenen CMD-Behandlung für durchschnittlich zu fahrende 600 km pro Monat a 0,20 EUR=120,00 EUR monatlich.
2. Übernahme der Kfz-Versicherung mit Vollkaskoversicherung und "Fremdfahrer"-Versicherung, entsprechend des jeweils günstigsten Angebots.
3. Übernahme nicht von der Krankenkasse erstattungsfähiger Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel anlässlich der Erkrankung der Antragstellerin in Höhe von 25,00 bis 30,00 EUR pro Monat gegen Nachweis."
Die Bg. beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die erstinstanzliche Entscheidung sei zutreffe...