Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Entschädigung eines Beteiligten. Teilnahme an der mündlichen Verhandlung ohne Anordnung des persönlichen Erscheinens. keine Gebotenheit des persönlichen Erscheinens. Rechtsmittelrücknahme. prozessleitende Verfügung. Bindungswirkung der vom Gericht der Hauptsache getroffenen Festlegungen
Leitsatz (amtlich)
1. Fehlen sowohl eine Anordnung des persönlichen Erscheinens als auch die Gebotenheit des persönlichen Erscheinens, kommt eine Entschädigung für das Erscheinen bei Gericht nicht in Betracht.
2. Die Festlegung des Gerichts der Hauptsache bezüglich der Frage der Gebotenheit des persönlichen Erscheinens ist für das Kostenverfahren grundsätzlich bindend.
3. Die Festlegung des Gerichts der Hauptsache bezüglich der Frage der Gebotenheit des persönlichen Erscheinens hat keines gerichtlichen Beschlusses bedurft. Vielmehr konnte die Ablehnung der Gebotenheit des persönlichen Erscheinens in Form einer prozessleitenden Verfügung erfolgen.
Orientierungssatz
Zur Frage, ob die Rücknahme eines Rechtsmittels in der mündlichen Verhandlung auf ein Gebotensein des persönlichen Erscheinens hindeutet.
Tenor
Dem Antragsteller steht keine Entschädigung für das Erscheinen bei der mündlichen Verhandlung am 30.04.2015 zu.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt eine Entschädigung nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) wegen einer mündlichen Verhandlung, bei der er erschienen ist, ohne dass sein persönliches Erscheinen angeordnet gewesen wäre.
In dem am Bayer. Landessozialgericht (LSG) unter dem Aktenzeichen L 18 AS 83/15 geführten Rechtsstreit des Antragstellers wurde auf den 30.04.2015 eine mündliche Verhandlung terminiert. Das persönliche Erscheinen des Antragstellers wurde nicht angeordnet; der Antragsteller wurde lediglich mit Terminsmitteilung vom 31.03.2015 über den Termin zur mündlichen Verhandlung in Kenntnis gesetzt.
An der mündlichen Verhandlung am 30.04.2015 nahm der Antragsteller teil. Das persönliche Erscheinen wurde auch im Termin nicht angeordnet.
Mit Schreiben vom 22.05.2015 beantragte der Antragsteller eine Entschädigung wegen des Gerichtstermins am 30.04.2015, da er knapp 300 km gefahren sei, um der "Ladung folge zu leisten".
Die Kostenbeamtin des LSG lehnte mit Schreiben vom 08.06.2015 eine Entschädigung ab, da das persönliche Erscheinen nicht angeordnet und auch nicht vom Gericht nachträglich für geboten erachtet worden sei.
Mit Schreiben vom 23.06.2015 hat sich der Antragsteller unter Androhung einer Strafanzeige gegen die Ablehnung der Entschädigung gewandt und anschließend mit Schreiben vom 01.07.2015 nochmals an die Erstattung der ihm entstandenen Fahrtkosten erinnert.
Auf Nachfrage des Kostensenats hat der Vorsitzende des 18. Senats am 09.09.2015 mitgeteilt,
"dass das Erscheinen des Klägers bei der mündlichen Verhandlung am 30.04.2015 nicht im Sinne des § 191 SGG geboten war."
II.
Die Festsetzung der Entschädigung erfolgt gemäß § 4 Abs. 1 JVEG durch gerichtlichen Beschluss, wenn wie hier der Berechtigte mit Schreiben vom 23.06.2015 (und 01.07.2015) sinngemäß die gerichtliche Festsetzung dadurch beantragt, dass er die Ablehnung der Entschädigung durch die Kostenbeamtin beanstandet.
Für die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung am 30.04.2015 steht dem Antragsteller keine Entschädigung zu, weil weder sein persönliches Erscheinen zur mündlichen Verhandlung am 30.04.2015 angeordnet worden ist noch das Gericht der Hauptsache sein Erscheinen für geboten gehalten hat.
1. Prüfungsumfang im Verfahren der gerichtlichen Festsetzung gemäß § 4 Abs. 1 JVEG
Die gerichtliche Festsetzung gemäß § 4 Abs. 1 JVEG stellt keine Überprüfung der vom Kostenbeamten vorgenommenen Ermittlung der Entschädigung oder Vergütung dar, sondern ist eine davon unabhängige erstmalige Festsetzung. Bei der Festsetzung durch den Kostenbeamten handelt es sich um eine lediglich vorläufige Regelung, die durch den Antrag auf gerichtliche Festsetzung hinfällig wird (vgl. Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.11.1968, Az.: RiZ (R) 4/68). Damit wird eine vorherige Berechnung der Beträge im Verwaltungsweg sowohl bei den Einzelpositionen als auch im Gesamtergebnis gegenstandslos. Das Gericht hat daher eine vollumfassende Prüfung des Entschädigungs- oder Vergütungsanspruchs vorzunehmen, ohne auf Einwände gegen die im Verwaltungsweg erfolgte Festsetzung beschränkt zu sein. Die vom Gericht festgesetzte Entschädigung oder Vergütung kann daher auch niedriger ausfallen, als sie zuvor vom Kostenbeamten festgesetzt worden ist; das Verbot der reformatio in peius gilt nicht (h.M., vgl. z.B. Beschluss des Senats vom 08.05.2014, Az.: L 15 SF 42/12; Meyer/Höver/Bach/Oberlack, JVEG, 26. Aufl. 2014, § 4, Rdnr. 12 - m.w.N.).
2. Grundvoraussetzung einer Entschädigung: Anordnung oder Gebotenheit des persönlichen Erscheinens
2.1. Allgemeines
Beteiligte eines gerichtskostenfreien sozialgerichtlichen Verfahrens im Sinn des § 183 SGG sind gemäß § 191 SGG wie Zeugen, d.h. nach den Vorschriften des JVEG, zu entschädigen, wenn...