Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bedarfsgemeinschaft. Einstehensgemeinschaft nach § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst c SGB 2. Voraussetzungen für die Anwendung der Vermutungsregelung
Leitsatz (amtlich)
Für die Annahme einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft nach § 7 Abs 3a SGB 2 ist auch das Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt iS einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft erforderlich.
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Antragstellerinnen und des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 6. Oktober 2009 abgeändert und die Antragsgegnerin verpflichtet, den Antragstellerinnen für die Zeit vom 10.09.2009 bis 31.01.2010 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich 525 EUR als Darlehen zu gewähren. Im Übrigen werden die Beschwerden zurückgewiesen.
II. Die Antragsgegnerin hat den Antragstellerinnen ein Drittel der notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Instanzen zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab August 2009.
Die 1964 geborene Antragstellerin (Ast. zu 1) bezieht für sich und ihre 1993 geborene Tochter (Ast. zu 2) seit April 2005 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II). Die Leistungszeiträume ab 01.08.2008 sind nach Lage der Akten strittig. Der mit im Haushalt lebende Sohn hat seit 01.07.2007 keine Leistungen mehr beantragt, da er mit seinem Einkommen aus einem Lehrverhältnis seinen Bedarf decken kann. Die Familie wohnt seit dem Jahr 2003 im Haus des Herrn S. (S.) zur Miete. Sie bewohnt die Räume im Obergeschoss (3 Zimmer und Bad), während das Erdgeschoss (Wohnzimmer und Küche) mit S. gemeinsam benutzt wird und S. im Untergeschoss ein Zimmer, Büro und Bad bewohnt. Die Anträge der Ast. vom 25.02.2009 und 23.06.2009 auf Weiterbewilligung der Leistungen für sich und ihre Tochter lehnte die Antragsgegnerin (Ag.) mit Bescheiden vom 16.09.2009 ab. Die Ast. zu 1 bilde mit S. eine Bedarfsgemeinschaf gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 4 iVm Abs. 3a Nr. 1 SGB II. Das Einkommen und Vermögen von S. reiche aus, um den Lebensunterhalt der Bedarfsgemeinschaft zu decken, Hilfebedürftigkeit liege daher nicht vor. Gegen diese Bescheide erhob die Ast. zu 1 Widerspruch. Sie machte geltend, dass keine Einstandsgemeinschaft vorliege.
Mit Schreiben vom 08.09.2009, eingegangen am Sozialgericht Augsburg (SG) am 10.09.2009 beantragte die Ast. zu 1 für sich (S 9 AS 1159/09 ER) und die Ast. zu 2 (S 9 AS 1160/09 ER) die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ab 01.08.2009. Das SG verband beide Verfahren und vernahm S. am 06.10.2009 als Zeugen. Mit Beschluss vom 06.10.2009 verpflichtete das SG die Ag. den Ast. ab Antragstellung bis zum 30.11.2009 vorläufige Leistungen nach dem SGB II ohne Anrechnung des Einkommens von S. als Darlehen zu gewähren. Es bejahte sowohl Anordnungsgrund als auch Anordnungsanspruch. Das Zusammenleben mit S. rechtfertige nach den im Rahmen des Eilverfahrens gewonnenen Erkenntnissen nicht die Versagung von Leistungen. Die Ast. hätten glaubhaft gemacht, dass zumindest derzeit die Voraussetzungen des § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II nicht erfüllt seien. Danach gehörte S. nur dann zur Bedarfsgemeinschaft, wenn er mit den Ast. in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenleben würde, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen wäre, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Ein solcher Wille müsse vermutet werden, wenn das Zusammenleben bereits länger als ein Jahr andauere. Voraussetzung für diese Vermutung sei aber, dass die Ast. und S. in einem Haushalt zusammenleben. Nach der Gesetzesbegründung zu § 9 Abs. 5 SGB II liege eine Haushaltsgemeinschaft dann vor, wenn Personen im selben Haushalt leben und aus einem Topf wirtschaften. Damit gingen die Anforderungen an das gemeinsame Wirtschaften über eine gemeinsame Nutzung von Bad, Küche und Gemeinschaftsräumen hinaus. Selbst der in einer Wohngemeinschaft häufig anzutreffende gemeinsame Einkauf von Grundnahrungsmitteln, Reinigungsmitteln und Sanitärartikeln aus einer von allen Mitbewohnern zu gleichen Teilen gespeisten Gemeinschaftskasse begründe noch keine Wirtschaftsgemeinschaft (BSG, Urteil vom 29.01.2009, Az. B 14 AS 6/08 R). Nach den insoweit übereinstimmenden Schilderungen der Ast. und S. finde zumindest derzeit kein gemeinsames Wirtschaften statt. Abgesehen von gelegentlichen gemeinsamen Frühstücken nehme S. seine Mahlzeiten unabhängig von den Ast. ein. Die Lebensmittel hierfür kaufe er selbst ein oder lasse sie von seiner Mutter besorgen. Die Ast. kümmern sich um ihre eigenen Bedürfnisse. Eine Gemeinschaftskasse existiere nicht. S. übernehme auch keine Aufwendungen der Ast. für deren täglichen Bedarf. Die Nichterweislichkeit einer Haushaltsgemeinschaft gehe zu Lasten der Ag.. Die in § 7 Abs. 3a SGB II normierte gesetzliche Vermutung, deren gesetzliche Voraussetzung vorliegend gegeben wäre, erstrecke sich nicht auf das Vorliegen einer Haushalts- ...