Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft i. S. einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft
Orientierungssatz
1. Die Vermutung des § 7 Abs. 3a SGB 2 für das Bestehen einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft greift nur dann ein, wenn zwischen den Mitbewohnern eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft geführt wird. Eine reine Wohngemeinschaft ist nicht ausreichend.
2. Für das Vorliegen einer Wirtschaftsgemeinschaft müssen Anhaltspunkte gegeben sein, die über das Bestehen einer reinen Wohngemeinschaft weit hinausgehen. Das Bewohnen getrennter Räume, das nicht gemeinsame Einnehmen der Mahlzeiten und keine gemeinsame Freizeitgestaltung sprechen deutlich gegen die Annahme einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft.
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 07.07.2007 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers im Beschwerdeverfahren.
Gründe
Die zulässige Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Nichtabhilfebeschluss vom 14.08.2007), hat in der Sache keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat die Antragsgegnerin zutreffend im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 02.04.2007 bis zum 30.09.2007 ohne Anrechnung des Einkommens der Zeugin G. und der Mutter der Antragstellers zu zahlen.
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin liegt eine Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und G. nicht vor. Zur Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II gehören nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchstabe c) SGB II Personen, die mit dem Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenleben, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Dieser Wille wird unter anderem dann vermutet, wenn die Partner länger als ein Jahr zusammenleben (§ 7 Abs. 3a) Nr. 1 SGB II). Die Vermutung des § 7 Abs. 3a) SGB II greift nur dann ein, wenn zwischen den Mitbewohnern ein gemeinsamer Haushalt im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchstabe c) besteht. Denn sie betrifft nach dem eindeutigen Wortlaut lediglich das Merkmal des wechselseitigen Willens zur Verantwortung und zum Einstehen füreinander. Da in § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchstabe c) SGB II nicht nur von "einem", sondern von "einem gemeinsamen" Haushalt die Rede ist, muss daher das Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft im Sinne von § 9 Abs. 5 SGB II zwischen den Mitbewohnern feststehen (Senat, Beschluss vom 27.12.2006 - Az.: L 1 B 36/06 AS ER und Beschluss vom 07.02.2007 - Az.: L 1 B 45/06 AS ER, sozialgerichtsbarkeit.de). Eine Haushaltsgemeinschaft setzt eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft, mithin ein Wirtschaften "aus einem Topf" voraus. Eine reine Wohngemeinschaft ist nicht ausreichend. Bei der Prüfung sind sämtliche Gesichtspunkte im Rahmen einer Gesamtschau abzuwägen und zu würdigen (vgl. Brühl/Schoch in LPK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 9, Rn. 55, m.w.N.; Sauer in Haufe, SGB II, § 9, Rn. 27).
Allein der Umstand, dass der Antragsteller und G. unter einem Dach wohnen, vermag eine Haushaltsgemeinschaft nicht zu begründen. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Auch wenn darüber hinaus die Wäsche (abgesehen von der Unterwäsche des Antragstellers und der Wäsche seiner Mutter) in einer Waschmaschine gewaschen wird, die Küche sowie Küchengegenstände vom Antragsteller und G. genutzt und die Kosten für Basislebensmittel aus einer gemeinsamen Haushaltskasse - in die jedoch stets 100,00 Euro einzuzahlen sind - bestritten werden, sprechen diese Aspekte auch in ihrer Zusammenschau nicht zwingend für das Vorliegen einer Wirtschaftsgemeinschaft. Derartige Verhaltensweisen sind, wie bereits das Sozialgericht zutreffend herausgestellt hat, auch in reinen Wohngemeinschaften alltäglich. Gegen das Vorliegen einer Wirtschaftsgemeinschaft spricht insbesondere, dass der Antragsteller und G. getrennte Räume bewohnen, getrennte Badezimmer nutzen, Mahlzeiten nicht gemeinsam eingenommen werden, dass eine regelmäßige gemeinsame Freizeitgestaltung jedenfalls nach dem gegenwärtigen Sachstand nicht zu erkennen ist, weder der Antragsteller noch G. befugt sind, über Einkommen und/oder Vermögen des anderen zu verfügen (vgl. § 7 Abs. 3a) Nr. 4 SGB II), G. sich im Wesentlichen nicht an der Versorgung der pflegebedürftigen Mutter des Antragstellers beteiligt und der Antragsteller für die Nutzung des Pkw der G. eine Kilometerpauschale zu entrichten hat. Durchgreifende Anhaltspunkte dafür, dass G. - etwa durch finanzielle Zuwendungen - zum Lebensunterhalt des Antragstellers beiträgt, finden sich nicht.
Gegen das Vorbringen des Antragstellers mag sprechen, dass er im April 2007 einen unangekündigten Hausbesuch durch Mitarbeiter des Ermittlungsdienstes der Antragsgegnerin nicht zugelassen bzw. auf eine vorherige Terminabsprache bestanden hat. Diese Haltung ...