Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren: Vergütung für einen beigeordneten Rechtsanwalt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
Leitsatz (amtlich)
1. Der verringerte Gebührenrahmen nach Nr. 3103 VV RVG kann auch in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zur Anwendung gelangen, auch wenn Eilverfahren rechtlich kein Widerspruchsverfahren voraussetzen.
2. Bei der Verfahrensgebühr kann Nr. 3103 VV RVG nur dann anstatt Nr. 3102 VV RVG Anwendung finden, wenn eine Tätigkeit im Widerspruchsverfahren tatsächlich vorausgegangen ist.
3. Es ist nicht möglich, für Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes 70 v.H. der Mittelgebühr als fixen Orientierungspunkt für den durchschnittlichen Eilfall heranzuziehen.
Tenor
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 26. Januar 2012 wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Das Beschwerdeverfahren betrifft die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung nach §§ 45 ff. RVG.
Die Beschwerdegegnerin vertrat die damaligen Antragsteller - es handelte sich um eine zweiköpfige Bedarfsgemeinschaft - in einem grundsicherungsrechtlichen Eilverfahren vor dem Sozialgericht Landshut (Aktenzeichen S 13 AS 718/08 ER). Sie wurde den damaligen Antragstellern im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnet.
Gegenstand des Eilrechtsschutzes war die vorläufige Gewährung von Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld. Umstritten war, ob bei den damaligen Antragstellern die Leistungsvoraussetzung des gewöhnlichen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland erfüllt war. Nachdem die Grundsicherungsbehörde Leistungen abgelehnt hatte (Bescheid vom 23.10.2008), legte die Beschwerdegegnerin für die damaligen Antragsteller am 13.11.2008 Widerspruch ein und stellte zeitgleich den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Letzteren hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 02.03.2009 abgelehnt.
Nach Beendigung des Eilverfahrens veranschlagte die Beschwerdegegnerin in ihrem auf den 10.03.2009 datierten Kostenerstattungsantrag eine Verfahrensgebühr in Höhe von 325 EUR (Nr. 3102 VV RVG, einschließlich Erhöhung nach Nr. 1008 VV RVG), was der Mittelgebühr entsprach. Unter dem Datum 03.06.2009 setzte die Urkundsbeamtin beim Sozialgericht Landshut eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV RVG (einschließlich Erhöhung nach Nr. 1008 VV RVG) von 221 EUR fest.
Auf die Erinnerung der Beschwerdegegnerin hat der Kostenrichter beim Sozialgericht die Verfahrensgebühr (einschließlich Erhöhung nach Nr. 1008 VV RVG) mit Beschluss vom 26.01.2012 auf die von der Beschwerdegegnerin beantragten 325 EUR taxiert und einen entsprechend höheren Gesamtvergütungsbetrag errechnet. Anders als die Urkundsbeamtin hat der Kostenrichter den höheren Betragsrahmen nach Nr. 3102 VV RVG für einschlägig erachtet. Der Fall sei, so der Kostenrichter sinngemäß, von durchschnittlicher Wertigkeit, so dass die Mittelgebühr angemessen sei.
Am 02.02.2012 hat der Bezirksrevisor für die Staatskasse Beschwerde eingelegt, mit der er die Honorarfestsetzung wie von der Urkundsbeamtin vorgenommen beantragt. In der Tat, so der Bezirksrevisor zur Begründung, sei Nr. 3103 VV RVG einschlägig. Darüber hinaus vertritt er die Ansicht, für Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sei für den Durchschnittsfall generell nicht die Mittelgebühr, sondern eine "Drittelgebühr" heranzuziehen.
Der Senat hat die Akte des Sozialgerichts S 13 AS 718/08 ER beigezogen.
II.
Zuständig für die Entscheidung über die Beschwerde ist zwar prinzipiell der Einzelrichter (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG). Jedoch entscheidet wegen grundsätzlicher Bedeutung der Angelegenheit gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG der Senat als Gesamtspruchkörper; die grundsätzliche Bedeutung resultiert aus der hier vorzunehmenden Auslegung von Nr. 3103 VV RVG. Ehrenamtliche Richter wirken nicht mit (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 3 RVG).
Die Beschwerde der Staatskasse ist zulässig. Sie ist statthaft, da das Sozialgericht sie im angefochtenen Beschluss zugelassen hat. Die Beschwerde ist auch fristgerecht eingelegt worden.
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.
Der Streitgegenstand im Beschwerdeverfahren umfasst die Höhe der Verfahrensgebühr, soweit diese den Betrag übersteigt, den die Urkundsbeamtin bestimmt hat. Soweit der Bezirksrevisor eine Begründung nachgeschoben hat, bei deren unterstellter Richtigkeit man möglicherweise zu einem noch niedrigeren Betrag käme, bewirkt dies keine Modifikation des Beschwerdegegenstands.
Der Kostenrichter hat die Verfahrensgebühr in zutreffender Höhe festgesetzt.
Auch der Senat geht davon aus, dass der Gebührentatbestand Nr. 3102 VV RVG einschlägig ist. Jedoch teilt er nicht die Ansicht des Kostenrichters, bei Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes dürfe Nr. 3103 VV RVG generell nicht zur Anwendung kommen, weil diese Eilverfahren rechtlich kein Widerspruchsverfahren voraussetzten. Der Wortlaut von Nr. 3103 VV RVG verlangt diese Interpretation zwar keineswegs, lässt sie aber zu. Die Auffassung des Kostenrichters ve...