Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Rentenversicherung: Berufung eines Rentenversicherungsträgers gegenüber dem Erstattungsanspruch eines anderen Sozialleistungsträgers auf die Erfüllungsfiktion. Berufungszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache
Leitsatz (amtlich)
1. Die Erfüllungsfiktion des § 116 Abs. 3 SGB VI bezieht sich nur auf den Anspruch des Versicherten und entfaltet auch nur diesem gegenüber Wirkung.
2. Einem Rentenversicherungsträger ist es nicht möglich, sich gegenüber dem Erstattungsanspruch eines anderen Sozialleistungsträgers auf die Erfüllungsfiktion des § 116 Abs. 3 SGB VI zu berufen.
3. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass die Streitsache eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage aufwirft und diese Rechtsfrage klärungsbedürftig ist.
4. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann nicht mehr, wenn sie schon entschieden ist oder durch Auslegung des Gesetzes eindeutig beantwortet werden kann (BSG, 30. September 1992, 11 BAr 47/92).
Tenor
I. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 07.07.2021 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.027,46 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
In dem Klageverfahren war die Erstattung von Übergangsgeld streitig.
Die Klägerin führte für den Versicherten G vom 04.03.2019 bis zum 03.09.2020 eine Maßnahme zur Förderung der Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben durch (Lernort: Werkstatt für behinderte Menschen). Mit Bescheid vom 27.02.2019 bewilligte die Klägerin dem Versicherten Übergangsgeld für die Zeit der Maßnahme. Nach der Anpassungsmitteilung vom 03.02.2020 betrug das Übergangsgeld für die Zeit vom 05.11.2019 bis 03.09.2020 monatlich 1.652,70 EUR. Der Bemessung des Übergangsgeldes lag das Arbeitsentgelt der vorbezogenen Leistung (Krankengeld) zugrunde.
Mit Bescheid vom 09.09.2020 bewilligte die Beklagte dem Versicherten Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01.05.2020 bis 30.04.2023. Auszuzahlen waren für Mai und Juni 2020 jeweils 1.204,93 EUR und ab Juli 2020 monatlich 1.246,48 EUR. Für die Zeit vom 01.05.2020 bis zum 03.09.2020 sei Rente nicht zu zahlen, weil der Anspruch auf die monatliche Rente durch das gezahlte Übergangsgeld als erfüllt gelte.
Die Klägerin machte bei der Beklagten mit Schreiben vom 24.09.2020 einen Erstattungs-anspruch in Höhe des für die Zeit vom 01.05.2020 bis 03.09.2020 geleisteten Übergangs-geldes geltend.
Dies lehnte die Beklagte unter Hinweis auf die Erfüllungsfiktion des § 116 Abs. 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) mit Schreiben vom 13.10.2020 ab.
Die Klägerin hat am 14.01.2021 Klage zum Sozialgericht Nürnberg erhoben und sich auf das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 22.05.2014 (L 10 R 5615/11, juris) bezogen. Danach stehe ihr bei rückwirkender Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung aufgrund der Anrechnungsregelung des § 52 Abs. 1 Nr. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung (a.F.) bzw. jetzt § 72 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX ein Erstattungsanspruch nach § 104 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu. Die Regelung des § 116 Abs. 3 Satz 1 SGB VI stehe nicht entgegen. Denn diese bewirke lediglich eine dem § 107 Abs. 1 SGB X entsprechende Erfüllungsfiktion und entfalte damit ausschließlich Wirkung gegenüber dem Versicherten und gerade nicht gegenüber dem nach § 104 SGB X erstattungsberechtigten Leistungsträger.
Nach Anhörung hat das Sozialgericht Nürnberg mit Gerichtsbescheid vom 07.07.2021 die Beklagte verurteilt, der Klägerin das für den Zeitraum vom 01.05.2020 bis 03.09.2020 gewährte Übergangsgeld, begrenzt auf den Zahlbetrag der Rente, in Höhe von 5.027,46 EUR zu erstatten. Es hat die Berufung nicht zugelassen. Die Voraussetzungen des Erstattungsanspruches nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X seien erfüllt. Denn die Klägerin sei im Verhältnis zur Beklagten nachrangig zur Leistung verpflichtet gewesen, weil bei rechtzeitiger Bewilligung (und Zahlung) der Rente wegen Erwerbsminderung von der Klägerin Übergangsgeld für den streitigen Zeitraum nur unter Anrechnung der Rente hätte gezahlt werden müssen. Gerade aus dem Regelungsgehalt des § 72 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX (Anrechnung bei rechtzeitiger Leistungsbewilligung und deshalb gleichzeitigen Bezuges) folge das Vorrang-/ Nachrangverhältnis zwischen den Leistungen Übergangsgeld und Erwerbsminderungsrente. Auf eine Erfüllungsfiktion nach § 116 Abs. 3 Satz 1 SGB VI könne sich die Beklagte im Verhältnis zur Klägerin nicht berufen. Diese Regelung bewirke lediglich eine dem § 107 Abs. 1 SGB X entsprechende Erfüllungsfiktion und entfaltet damit ausschließlich Wirkung gegenüber dem Versicherten. Hierfür spreche der Wortlaut des § 116 Abs. 3 Satz 1 zweiter Halbsatz SGB VI. Der dort genannte Anspruch ("dieser Anspruch") beziehe sich nur auf den in § 116 Abs. 3 Satz 1 erster Halbsatz SGB VI genannten Anspruch des Versicherten auf eine Rente wegen verminderter...