Entscheidungsstichwort (Thema)

Übernahme der Kosten eines Gutachtens durch die Staatskasse. Wesentliche Förderung der Sachaufklärung. Neue beweiserhebliche Gesichtspunkte. Anlass für weitere Ermittlungen von Amts wegen. Bedeutung für die gerichtliche Entscheidung oder den Ausgang des Verfahrens. Prüfungsumfang im Beschwerdeverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die erstinstanzliche Entscheidung zur Kostenübernahme auf die Staatskasse ist im Beschwerdeverfahren voll, d.h. nicht nur auf Ermessensfehler, überprüfbar. Die Befugnis zur Ausübung des Ermessens geht mit der Beschwerde in vollem Umfang auf das Beschwerdegericht über.

2. Eine nur teilweise Kostenübernahme ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen, aber bei einem einheitlichen Streitgegenstand regelmäßig nicht sachgerecht.

3. Von einer wesentlichen Förderung der Sachaufklärung, die die Kostenübernahme auf die Staatskasse begründet, ist regelmäßig dann auszugehen, wenn das Gutachten gemäß § 109 SGG weitere Ermittlungen von Amts wegen erforderlich gemacht hat. Nur dann, wenn in einem solchen Fall das von Amts wegen eingeholte Gutachten lediglich die Unrichtigkeit des Gutachtens nach § 109 SGG bestätigt, ohne wesentliche, darüber hinausgehende zusätzliche Erkenntnisse zu bringen, ist eine Kostenübernahme auf die Staatskasse nicht angezeigt

4. Über den Umfang der Kostenübernahme auf die Staatskasse kann keine Sanktionierung der Qualität eines Gutachtens in dem Sinn erfolgen, dass der Antragsteller die Kosten soweit selbst zu tragen hat, als die Ausführungen eines Gutachters bei der Erledigung nicht als zutreffende Bewertung zugrunde gelegt worden sind.

 

Normenkette

SGG § 109 Abs. 1

 

Tenor

1. Der Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 8. Februar 2012 wird aufgehoben.

2. Die Kosten für das gemäß § 109 SGG eingeholte Gutachten des Herrn Dr. K. vom 15. Dezember 2011 werden auf die Staatskasse übernommen.

3. Der Beschwerdeführerin sind die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I.

In dem am Sozialgericht Augsburg (SG) unter dem Az.: S 8 SB 545/10 anhängig gewesenen Rechtsstreit der Klägerin und jetzigen Beschwerdeführerin wegen der Höhe des Grads der Behinderung (GdB) - Ziel der Beschwerdeführerin war ein GdB von 50 - und der Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G erstellte unter dem Datum vom 28.03.2011 zunächst der Orthopäde Dr. D. ein Gutachten. Er kam dabei zu der Einschätzung, dass der Gesamt-GdB 30 betrage.

In dem von der Beschwerdeführerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beantragten Gutachten durch den Orthopäden und Allgemeinarzt Dr. K. vom 15.12.2011 bewertete dieser den Gesamt-GdB mit 40 bis zu seiner Untersuchung, danach mit 50, da die Wirbelsäulenbeschwerden deutlich zugenommen und zu einem Schmerzsyndrom geführt hätten, und sah die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens G als erfüllt an.

Das SG schloss sich im Gerichtsbescheid vom 08.02.2012, Az.: S 8 SB 545/10, der Einschätzung des Dr. K. nicht an und wies die Klage ab.

Mit Beschluss vom selben Tag hat es das SG abgelehnt, die Kosten für das Gutachten gemäß § 109 SGG auf die Staatskasse zu übernehmen.

Gegen beide Entscheidungen des SG hat die Beschwerdeführerin Rechtmittel eingelegt.

Im Berufungsverfahren (Az.: L 15 SB 26/12) sind Gutachten auf chirurgischem und - auch auf Anraten des chirurgischen Gutachters zur Klärung des Vorliegens eines chronischen Schmerzsyndroms - auf nervenärztlichem Fachgebiet eingeholt worden. Beide Sachverständige sahen einen GdB von 40 als zutreffend an. Nach der Beurteilung des nervenärztlichen Gutachters ist davon auszugehen, dass bei der Beschwerdeführerin seit Antragstellung beim Beklagten eine chronische Schmerzsymptomatik mit somatischen und psychogenen Faktoren und eine depressive Anpassungsstörung vorliegen. Obwohl der Bevollmächtigte der Beschwerdeführerin gegen beide Gutachten Einwendungen erhoben und teilweise eine aus seiner Sicht unqualifizierte Gutachtenserstellung gerügt hatte, hat er mit Schreiben vom 22.04.2013 die Berufung zurückgenommen, da die Beschwerdeführerin resigniert habe.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Die ablehnende Entscheidung des SG ist mit Blick auf die weiteren Ermittlungen und Erkenntnisse im Berufungsverfahren aufzuheben. Die Kosten für das gemäß § 109 SGG eingeholte Gutachten sind auf die Staatskasse zu übernehmen.

Nach § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG muss auf Antrag des behinderten Menschen ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann - wie dies im vorliegenden Fall auch erfolgt ist - davon abhängig gemacht werden, dass der Antragsteller die Kosten dafür vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts auch endgültig trägt (§ 109 Abs. 1 Satz 2 SGG). Eine "andere Entscheidung" in diesem Sinn hat die Beschwerdeführerin beim SG beantragt.

1. Kriterien für die Entscheidung über die Kostenübernahme

Die Entscheidung darüber, ob die Kosten eines gemäß § 109 SGG eingeholten Gutachtens auf die Staatskasse zu übernehmen sind, wird al...

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