Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Rückforderung von zu viel gezahlter Vergütung nach antragsgemäßer und vorbehaltsloser Auszahlung an den beigeordneten Rechtsanwalt. Rechtsgrundlage. Vertrauensschutz

 

Leitsatz (amtlich)

1. Auf den verfassungsrechtlich gewährleisteten Vertrauensschutz kann sich auch der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt im Verhältnis zur Staatskasse berufen.

2. Die antragsgemäße Auszahlung der Vergütung an den beigeordneten Rechtsanwalt beinhaltet regelmäßig eine konkludente Regelung. Diese ist Rechtsgrund für die Zahlung und muss zuerst zurückgenommen werden, bevor eine Rückerstattung von zu viel gezahlter Vergütung verlangt werden kann.

3. Die Rücknahme der getroffenen Vergütungsregelung bedarf einer gesetzlichen Grundlage; ob es eine solche gibt, bleibt offen.

4. Bezüglich der Frage, unter welchen Voraussetzungen der entstandene Vertrauensschutz durchbrochen werden kann, können die Kriterien von Art 48 Abs 2 BayVwVfG (juris: VwVfG BY) entsprechend herangezogen werden.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers werden der Beschluss des Sozialgerichts München vom 8. Dezember 2010 - S 4 SF 897/10 E sowie die Kostenfestsetzung des Sozialgerichts München vom 12. Oktober 2010 aufgehoben, soweit sie den Beschwerdeführer betreffen.

 

Gründe

I.

Das Beschwerdeverfahren betrifft die Vergütung als beigeordneter Rechtsanwalt, die dem Beschwerdeführer gegen die Staatskasse zusteht.

Beim Sozialgericht München war ein Klageverfahren unter dem Aktenzeichen S 4 KN 20/08 anhängig. Der Beschwerdeführer war der seinerzeitigen Klägerin im Rahmen der Prozesskostenhilfe beigeordnet worden. Jedoch endete das Mandatsverhältnis vorzeitig; die Klägerin wurde danach von einer anderen, nicht über die Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwältin vertreten. Der Beschwerdeführer setzte mit Schriftsatz vom 28.07.2008 321,30 EUR als von der Staatskasse zu leistende Vergütung an. Das Sozialgericht erließ keine Kostenfestsetzungsentscheidung, überwies dem Beschwerdeführer jedoch Anfang August 2008 genau diesen Betrag. Eine Deklaration als Vorschuss erfolgte nicht.

Unter dem Datum 12.10.2010 setzte die Kostenbeamtin beim Sozialgericht München die von der Staatskasse zu erstattenden Kosten auf minus 207,06 EUR fest. Diesen Betrag wies sie als "zurückzufordernde Prozesskostenhilfe" aus. Auf die Erinnerung des Beschwerdeführers hat der Kostenrichter beim Sozialgericht München mit Beschluss vom 08.12.2010 die aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung auf 114,24 EUR festgesetzt und angeordnet, der Beschwerdeführer habe der Staatskasse 207,06 EUR zu erstatten. Dagegen richtet sich die Beschwerde; der Beschwerdeführer vertritt die Ansicht, er sei zur Erstattung nicht verpflichtet.

II.

Die Beschwerde hat in vollem Umfang Erfolg.

Zuständig für die Entscheidung über die Beschwerde ist zwar prinzipiell der Einzelrichter (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG). Jedoch entscheidet wegen grundsätzlicher Bedeutung der Angelegenheit gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG der Senat als Gesamtspruchkörper. Ehrenamtliche Richter wirken nicht mit (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 3 RVG).

Die Beschwerde ist zulässig. Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist gegeben. Denn die spezifischen Rechtsbehelfe des § 56 RVG gelten auch für den Fall, dass eine ergangene Kostenfestsetzung nachträglich zu Lasten des Rechtsanwalts aufgehoben wird. Das bedeutet letztlich, dass innerhalb der betroffenen Gerichtsbarkeit über den Rechtsbehelf zu entscheiden ist; die Auffangzuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten greift nicht. Die Erinnerung zum Kostenrichter und die Beschwerde zum Bayerischen Landessozialgericht sind damit die einschlägigen Rechtsbehelfe. Die Beschwerde ist statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG). Auch ist sie fristgerecht eingelegt worden (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG).

Die Beschwerde ist begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht nur 114,24 EUR als aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung festgesetzt und auch zu Unrecht die Erstattung von 207,06 EUR angeordnet. Vielmehr müssen die ausgezahlten 321,30 EUR dem Beschwerdeführer verbleiben. Dabei kann der Senat unerörtert lassen, ob die Entscheidung des Sozialgerichts vom 08.12.2010 mit dem materiellen Vergütungsrecht übereinstimmt. Jedenfalls hat keine rechtliche Möglichkeit bestanden, den Bestandsschutz, der durch die Auszahlung im August 2008 erwachsen war, zu überwinden und die Auszahlung rückgängig zu machen.

Der verfassungsrechtliche Grundsatz des Vertrauensschutzes gebietet, dass begünstigende Entscheidungen von Behörden und Gerichten, die bestandskräftig bzw. rechtskräftig geworden sind, grundsätzlich nicht mehr abgeändert werden, wobei letztlich eine Abwägung gegen das Prinzip der materiellen Richtigkeit zu erfolgen hat....

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