nicht rechtskräftig

 

Verfahrensgang

SG München (Entscheidung vom 12.07.2002; Aktenzeichen S 19 KR 435/02 ER)

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts München vom 12. Juli 2002 aufgehoben und die Aussetzung der sofortigen Vollziehung der Bescheides der Antragsgegnerin vom 8. Mai 2002 angeordnet.

II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.

III. Der Streitwert wird auf 4.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

Die Antragstellerin ist eine bundesunmittelbare Betriebskrankenkasse mit Sitz in München. Sie wies in ihrer Mitgliederzeitschrift "Gesundheit" (Nr.4, S.12) im Jahr 2001 auf die Möglichkeit des Bezugs von Arzneimitteln über die niederländische Internet-Apotheke "D." hin und stellte bei erstattungsfähigen Medikamenten die Übernahme der Kosten - wie bei jeder anderen Apotheke - in Aussicht. Die Antragsgegnerin nahm einen ihr bekannt gewordenen Einzelfall der Kostenerstattung für Medikamente, die aus dem Internet über Versandhandel bezogen worden sind, zum Anlass, die Antragstellerin mit Schreiben vom 31.08.2001 darauf hinzuweisen, dass der Versandhandel mit Arzneimitteln nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) rechtswidrig sei. Der Anspruch des Versicherten auf Erstattung der verauslagten Kosten sei aufgrund des nicht zulässigen Beschaffungsweges ausgeschlossen. Kostenerstattungen für Medikamente, die aus dem Internet über Versandhandel bezogen würden, seien daher zu unterlassen.

Am 21.09.2001 teilte die Bundesrepublik Deutschland der Kommission der Europäischen Union (EU) mit, dass unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) ein Anspruch der Versicherten auf Kostenerstattung für in Apotheken der Mitgliedstaaten aufgrund deutscher Rezepte erworbenen Arzneimitteln bestehe und dieser Anspruch nicht mehr unter Hinweis auf das geltende Sachleistungsprinzip abgelehnt werden dürfe. Der Bezug der von einem deutschen Arzt verordneten Arzneimittel im EU-Ausland gefährde die finanzielle Stabilität des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung nicht. Gravierende Auswirkungen habe der Bezug der Arzneimittel im Ausland aufgrund in Deutschland ausgestellter Verordnungen für das System der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung oder für die Gesundheit der Versicherten nicht. Weder dürfte in diesem Fall die Qualität der Krankenversicherung noch die Wirtschaftlichkeit ihrer Erbringung, noch die Übereinstimmung ihrer Erbringung mit dem geltenden Leistungsrecht in Frage gestellt sein. Aus diesem Grund müsse der Binnenmarktfreiheit nach dem EG-Vertrag der Vorrang vor ebenfalls nach dem EG-Vertrag den Mitgliedstaaten vorbehaltenen Verantwortung und Gestaltungskompetenz zur Organisation ihres jeweiligen nationalen Gesundheitswesens eingeräumt werden.

Die Antragsgegnerin wies mit Schreiben vom 11.10.2001 die Antragstellerin unter Bezugnahme auf einen Beitrag aus der Mitgliederzeitschrift der Antragstellerin darauf hin, dass die Kostenerstattung für über den Versandhandel bezogene Arzneimittel ausnahmslos unzulässig sei und forderte sie auf, bis 10.11.2001 eine entsprechende Unterlassungserklärung abzugeben, anderenfalls würde das förmliche Aufsichtsverfahren durchgeführt werden. In dem weiteren Schreiben vom 19.02.2002 wies die Antragsgegnerin auf die Unzulässigkeit der Kostenbeteiligung für Medikamente hin, die über das Internet und/über den Versandhandel bezogen würden. Die Antragstellerin habe innerhalb von drei Wochen nach Erhalt dieses Schreibens zu bestätigen, dass sie den gegen das AMG verstoßenden Versandhandel von Medikamenten künftig nicht mehr fördere und insbesondere keine Kosten für über den Versandhandel bezogene apothekenpflichtige Medikamente erstatte. Sollte bis zu diesem Zeitpunkt die Erklärung nicht oder nicht vollständig vorliegen, würde ein Verpflichtungsbescheid erlassen, der inhaltlich dem Beratungsschreiben entspreche. Die Antragstellerin müsse auch damit rechnen, dass die sofortige Vollziehung des Verpflichtungsbescheides angeordnet würde.

Die Antragstellerin entgegnete mit dem Schreiben vom 07.03. 2002, dass die Antragsgegnerin sich im Widerspruch zu der ständigen Rechtsprechung des EuGH und der Auffassung der Bundesrepublik Deutschland im Schreiben vom 21.09.2001 an die Europäische Kommission befinde.

Die Antragsgegnerin erließ am 08.05.2002 einen Bescheid, in dem sie die Antragstellerin verpflichtete, "I. Es zu unterlassen, ihre Versicherten auf die Möglichkeit des Bezuges von apothekenpflichtigen Arzneimitteln zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung hinzuweisen, die im Wege des Versandhandels durch fernmündliche, schriftliche oder Bestellung im Internet erworben werden, II. Für ihre Versicherten Kosten für apothekenpflichtige Arzneimittel, die über den Versandhandel erworben wurden, weder ganz noch teilweise zu tragen." Es wurde zugleich die sofortige Vollziehung des Bescheides angeordnet. In der Begründung gab die Antragsgegnerin an, der Bezug der Arzneimittel über die niederländische Internetapotheke vers...

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