Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren: Erstellung eines Sachverständigengutachtens aufgrund einer Untersuchung des Klägers in den Räumen des Gerichts. Kostenübernahme für ein Gutachten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Verfahren, dass ein gerichtlich bestellter Sachverständiger ein Gutachten aufgrund einer in den Räumen des Gerichts stattfindenden Untersuchung des Klägers erstellt, begegnet nicht von vornherein Bedenken. Sichergestellt sein muss aber, dass die persönliche Untersuchung des Klägers nach ihrer Zeitdauer und der Möglichkeit apparativer Untersuchungsmethoden ein ausreichendes Bild über die gesundheitliche Situation des Klägers vermittelt (Fortführung LSG München, 4. Februar 2013, L 15 SB 8/12 B).

2. Einer Übernahme der Kosten für ein Gutachten auf die Staatskasse steht nicht entgegen, dass der Sachverständige bei der Beantwortung der Beweisfragen teilweise zu nicht überzeugenden Ergebnissen gelangt ist, wenn feststeht, dass durch die ausführliche und fundierte Begutachtung eine breitere Basis für die Beurteilung des Gesundheitszustands und des GdB des Klägers erreicht worden ist.Dabei kann jedoch nur eine wesentliche Förderung der Sachaufklärung zu einer Kostenübernahme führen.

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 18.11.2010 aufgehoben. Die Kosten für das gemäß § 109 SGG eingeholte Gutachten des Dr. U. S. vom 11.02.2010 werden auf die Staatskasse übernommen.

II. Dem Beschwerdeführer sind die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I.

In der Hauptsache war streitig, ob für den Kläger und jetzigen Beschwerdeführer (im Folgenden: Kläger) ein höherer Grad der Behinderung (GdB) als 40 festzusetzen ist.

In dem am Sozialgericht Nürnberg (SG) unter dem Az.: S 13 SB 138/09 anhängig gewesenen Rechtsstreit des Klägers gegen den Freistaat Bayern hat der Chirurg Dr. S. den Kläger am 16.09.2009 in den Räumen des SG untersucht und am selben Tag ein Gutachten erstellt. Zu diesem Gutachten, das zu einem Gesamt-GdB von 40 gekommen ist, hat der Kläger über seinen Bevollmächtigten darauf hingewiesen, dass die Untersuchung durch Dr. S. lediglich 20 Minuten gedauert habe und dass dem Gutachten nicht zu entnehmen sei, dass etwa Röntgenbefunde ausgewertet worden seien. Es habe nur eine oberflächliche Betrachtung gegeben. Daraufhin hat das Gericht auf Antrag des Klägers den Facharzt für Orthopädie, Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. S. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beauftragt. Dr. S. kam in seinem Gutachten vom 11.02.2010 zu einem Gesamt-GdB von 50; diesem Ergebnis sind der Beklagte und auch der daraufhin um ergänzende Stellungnahme gebetene Sachverständige Dr. S. nicht gefolgt. Dr. S. hat in einer ergänzenden Stellungnahme (28.06.2010) seine Auffassung eines Gesamt-GdB von 50 bekräftigt. Mit Urteil vom 15.09.2010 hat das SG die Klage abgewiesen; u.a. ist es der Bewertung von Dr. S. hinsichtlich der Knorpelschäden an den Kniegelenken des Klägers nicht gefolgt.

In dem sich anschließenden, vom Kläger angestrengten Berufungsverfahren vor dem Bayer. Landessozialgericht (LSG, Az.: L 15 SB 169/10) hat das LSG zur Sachverhaltsaufklärung ein Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. eingeholt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 16.03.2012 für den Kläger einen Gesamt-GdB von 50 festgestellt. Weiter hat Prof. Dr. I. im Auftrag des Senats ein HNO-fachärztliches Gutachten erstellt. In der mündlichen Verhandlung am 18.03.2013 haben die Beteiligten nach einem Hinweis des Gerichts auf die Überzeugungskraft des Gutachtens von Dr. H. den Rechtsstreit durch Abschluss eines Vergleichs beendet; der Beklagte hat sich verpflichtet, ab 22.09.2010 einen Gesamt-GdB von 50 festzustellen.

Am 17.11.2010 hat der Kläger beim SG beantragt, die Kosten für das Gutachten von Dr. S. auf die Staatskasse zu übernehmen, da das Gutachten für die Entscheidungsfindung des SG von wesentlicher Bedeutung gewesen sei. Der Antrag ist mit streitgegenständlichem Beschluss vom 18.11.2010 abgelehnt worden. Das SG hat ausgeführt, dass das Gutachten von Dr. S. (und Gleiches gelte für die ergänzende Stellungnahme) weder einen objektiven Beitrag zur ergänzenden Aufklärung des medizinischen Sachverhalts geleistet noch in sonstiger Weise den Fortgang des Rechtsstreits gefördert oder gar zu seiner Erledigung beigetragen habe.

Hiergegen hat der Kläger am 13.12.2010 Beschwerde erhoben. Diese ist damit begründet worden, dass das ausführliche, sorgfältig begründete und schlüssige Gutachten von Dr. S. bei richtiger Auslegung sehr wohl zur Sachaufklärung beigetragen habe.

Mit Beschluss vom 10.01.2011 ist das Ruhen des Beschwerdeverfahrens (zunächst unter dem Az.: L 15 SB 195/10 B) angeordnet worden. Am 22.04.2013 ist das Verfahren auf Antrag des Klägers unter dem verfahrensgegenständlichen Aktenzeichen fortgesetzt worden.

Im Übrigen wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte des SG im oben genannten Verfahren ...

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