Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende: Zulässigkeit einer vorläufigen Zahlungseinstellung durch den Grundsicherungsträger. Höhe der Leistungen bei einer vorläufigen Leistungsgewährung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes
Leitsatz (amtlich)
1. Verweigert das Jobcenter die Fortzahlung des Arbeitslosengeld II wegen einer vorläufigen Zahlungseinstellung und ist der maßgebliche Bewilligungsbescheid noch nicht aufgehoben worden, so ist ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung statthaft.
2. Ergeht nach einer vorläufigen Zahlungseinstellung nicht binnen zwei Monaten ein Aufhebungsbescheid, besteht für das Jobcenter kein Recht zur Verweigerung der Zahlung von Arbeitslosengeld II aus einem erteilten Bewilligungsbescheid.
3. Ein zur Vermeidung der Vorwegnahme der Hauptsache im Rahmen einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich zulässiger Abschlag von den in Betracht kommenden Leistungen ist dann nicht vorzunehmen, wenn die Erfolgsaussicht einer Klage in der Hauptsache offensichtlich ist.
Tenor
I. Der Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 22.04.2015 wird abgeändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, der Antragstellerin ab 07.04.2015 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes längstens bis 30.09.2015 in Höhe von monatlich 399 € zu zahlen.
II. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin ihre außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Gründe
I.
Streitig ist die Fortzahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) nach einer vorläufigen Zahlungseinstellung.
Die Antragstellerin (ASt) bezog vom Antragsgegner (Ag) Alg II. Zuletzt wurden ihr mit Bescheid vom 10.09.2014 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 01.12.2014 Leistungen in Höhe von monatlich 391 € (Oktober bis Dezember 2014) bzw. 399 € (Januar bis September 2015) bewilligt. Mit Schreiben vom 11.12.2014 verfügte der Ag zunächst die vorläufige Einstellung der Zahlung von Alg II ab dem 01.01.2015, hob diese aber wieder auf und zahlte - ausweislich einer Zahlungsübersicht in der Verwaltungsakte - die Leistungen für Januar und Februar 2015 in Höhe von insgesamt 798 € am 09.02.2015 nach. Das Alg II für Dezember 2014 in Höhe von 391 € war danach bereits am 01.12.2014 ausgezahlt worden.
Mit Schreiben vom 02.02.2015 stellte der Ag erneut das Alg II ab 01.03.2015 vorläufig ein. Es habe sich der Verdacht erhärtet, die ASt lebe in einer Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft.
Am 07.04.2015 hat die ASt beim Sozialgericht Würzburg (SG) im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes beantragt, ihr sofort wieder Alg II zu zahlen. Sie lebe nicht mit Herrn K. (K) in einer Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft. Für die Tätigkeiten, die sie für ihn erledige, wohne sie mietfrei. Sonst verfüge sie über keine Einkünfte. Mit Beschluss vom 22.04.2015 hat das SG den Ag vorläufig zur Zahlung von Alg II in Höhe von monatlich 279,30 € bis längsten 31.07.2015 verpflichtet und den Antrag im Übrigen abgelehnt. Auch wenn die Zwei-Monats-Frist des § 40 Abs 2 Nr 4 SGB II iVm § 331 Abs 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) noch nicht abgelaufen sei, sei der Antrag im Wesentlichen begründet. Die offene Frage einer Bedarfsgemeinschaft mit K sei im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens zu klären. Zur Vermeidung einer Vorwegnahme der Hauptsache sei ein Abschlag von 30% des Alg II gerechtfertigt. Für die Vergangenheit sei eine Leistungsverpflichtung des Ag nicht vorzunehmen.
Dagegen hat die ASt Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt und die fehlende Unterschrift und das fehlende Amtssiegel auf der ihr übersandten Abschrift des Beschlusses des SG gerügt.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten des Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und begründet. Die ASt hat Anspruch auf vorläufige, ungekürzte Zahlung der ihr bewilligten Leistungen ab dem Zeitpunkt ihrer Antragstellung beim SG am 07.04.2015. Der Beschluss des SG vom 22.04.2015, dessen an die ASt zuzustellende Abschrift nicht persönlich zu unterschreiben (§ 202 SGG iVm § 317 Abs 1 Satz 1 Zivilprozessordnung -ZPO-) und lediglich von der Geschäftsstelle zu beglaubigen war (§ 109 Abs 2 Satz 1 ZPO), ist insofern abzuändern.
Streitgegenstand ist vorliegend die vorläufige Fortzahlung des Alg II ab dem 07.04.2015. Die ASt hatte am 07.04.2015 beim SG die sofortige Weiterzahlung ihrer Leistungen beantragt, so dass es ihr alleine um die Zahlung ab 07.04.2015 ging. Das Alg II für Dezember 2014, das nach einer Zahlungsübersicht in der Verwaltungsakte im Übrigen am 01.12.2014 zur Auszahlung gekommen ist, war damit nicht Gegenstand des Antrages der ASt. In ihrer Antragsbegründung merkte sie insofern auch die aus ihrer Sicht fehlende Zahlung für Dezember 2014 lediglich an. Ein entsprechender Antrag auf einstweiligen Rechtssch...