Entscheidungsstichwort (Thema)
Existenzsichernde Leistungen für einen rumänischen Staatsangehörigen: Prüfung des Anordnungsanspruches im einstweiligen Rechtsschutzverfahren
Leitsatz (amtlich)
Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist der Prüfung des Anordnungsanspruches die Rechtsprechung des BSG vom 03.12.2015, B 4 AS 44/15 R und B 4 AS 59/13 R, vom 20.01.2016, B 14 AS 35/15 R und vom 17.03.2016, B 4 AS 32/15 R trotz aller Kritik zugrunde zu legen.
Tenor
I. Die Beschwerde der Beigeladenen gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 06.05.2016 - S 10 AS 435/16 ER - wird zurückgewiesen.
II. Die Beigeladene hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers auch für das Beschwerdeverfahren zu tragen.
III. Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt S., A-Stadt, beigeordnet.
Gründe
I.
Streitig ist im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II - Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bzw. auf Hilfe zum Lebensunterhalt (HLU) nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).
Der Antragsteller (Ast) ist rumänischer Staatsangehöriger und hält sich nach eigenen Angaben seit 06.11.2010 in der Bundesrepublik Deutschland auf. Er war lediglich vom 01.07.2015 bis 30.09.2015 geringfügig beschäftigt und bezog hernach für sechs Monate Alg II bis 31.03.2016 (Bescheide vom 22.10.2015, 29.11.2015, 03.12.2015 und 08.04.2016). Die restliche Zeit habe er ausschließlich mit Hilfe sozialer Einrichtungen bestritten. Aussicht auf eine weitere Beschäftigung habe er nicht.
Seinen am 25.02.2016 gestellten Weiterbewilligungsantrag lehnte der Antragsgegner (Ag) mit Bescheid vom 06.04.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.2016 ab. Nach Ausübung einer Beschäftigung von weniger als einem Jahr bestehe lediglich für sechs Monate ein Anspruch auf Alg II. Ein Daueraufenthaltsrecht stehe ihm mangels weniger als fünf Jahre dauernden, rechtmäßigen Aufenthaltes nicht zu. Dagegen hat der Ast Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben, über die noch nicht entschieden ist.
Bereits am 12.04.2016 hat der Ast beim SG einstweiligen Rechtsschutz begehrt. Das SG hat die Stadt A-Stadt (Beigeladene) mit Beschluss vom 25.04.2016 zum Verfahren beigeladen und diese nach deren Stellungnahme und nach Auslegung des Begehrens des Ast mit Beschluss vom 06.05.2016 verpflichtet, vorläufig HLU in der gesetzlichen Höhe für die Zeit vom 12.04.2016 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 30.09.2016, zu gewähren. Die Beigeladene habe die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu tragen.
Dagegen hat die Beigeladene Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) erhoben und die Aufhebung des Beschlusses des SG begehrt. Der Ast hätte aufgefordert werden müssen, eine Bescheinigung über sein Daueraufenthaltsrecht vorzulegen. Im Übrigen seien Leistungen nach dem SGB XII entgegen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ausgeschlossen. Diesbezüglich zitiert die Beigeladene über mehrere Seiten wörtlich einen Beschluss des LSG Nordrhein-Westfalen vom 07.03.2016 - L 12 SO 79/16 B ER. Im Übrigen habe die Beigeladene keinen Anlass zur Beantragung einstweiligen Rechtsschutzes gegeben und im erstinstanzlichen Verfahren auch keinen Antrag gestellt. Eine Entscheidung durch sie sei auch nicht ergangen. Mit der Auferlegung von Kosten durch das SG sei sie daher nicht einverstanden.
Für das Beschwerdeverfahren hat der Ast die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) begehrt.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Akte des Ag Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG) ist zulässig, aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG den Antrag des Ast auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung als einen Antrag nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG ausgelegt und diesem Antrag dahingehend stattgegeben, dass es die Beigeladene zur vorläufigen Leistung verpflichtet hat.
Rechtsgrundlage für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes in Bezug auf das geltend gemachte Begehren zur Regelung eines vorläufigen Zustandes stellt für den vorliegenden Rechtsstreit § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG dar, denn der Ast begehrt die Bewilligung von Leistungen. Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn den Ast ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998 BVerfGE 79, 69 (74); vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166 (179) und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel/ Herold-Tews, Der Sozialgerichtsprozess, 5. Aufl. Rn. 652). Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedü...