Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren: Entschädigung einer Partei wegen Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung. Bemessung eines Verdienstausfalls bei einer selbständigen Tätigkeit von geringem Umfang. Ersatzfähigkeit von Kinderbetreuungskosten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Um den Entschädigungsanspruch für Verdienstausfall bei einem selbständig Tätigen nicht ins Leere laufen zu lassen, darf das Gericht an die Beweisführung eines selbständig tätigen Antragstellers und seine eigene Überzeugungsbildung keine zu hohen Anforderungen stellen.

2. Kann nur von einer nicht regelmäßig oder nur mit zeitlich reduziertem Aufwand ausgeübten selbständigen Tätigkeit ausgegangen werden, wird ein Anspruch auf Entschädigung für Verdienstausfall regelmäßig scheitern. Es ist dann eine Entschädigung wegen Zeitversäumnis zu gewähren.

3. Bei Einkünften aus Gewerbebetrieb in Höhe von 257, EUR in einem Jahr kann nicht von einer regelmäßig ausgeübten selbständigen Tätigkeit, die eine Entschädigung für Verdienstausfall begründen würde, ausgegangen werden.

4. Bei einer nur gering ausgeprägten selbständigen Tätigkeit kommt eine Entschädigung für Kosten eines Vertreters nicht in Betracht.

5. Kosten für eine Kinderbetreuung sind für die Zeit der objektiv erforderlichen gerichtsterminsbedingten Abwesenheitszeit zu erstatten.

 

Orientierungssatz

1. Eine Entschädigung wegen Zeitversäumnis ist bei Fehlen der Voraussetzung zur Entschädigung eines Verdienstausfalls nur ausnahmsweise dann nicht zu gewähren, wenn ein Nachteil aus der Wahrnehmung des Termins zur mündlichen Verhandlung ersichtlich nicht entstanden ist. Davon ist nur auszugehen, wenn die betroffene Klagepartei die Zeit der Teilnahme am Gericht nicht anderweitig sinnvoll eingesetzt hätte und darum die Zeitversäumnis nicht angenommen werden kann.

2. Die Aufwendungen für eine Kinderbetreuung während der Wahrnehmung eines Gerichtstermins durch eine Partei können auch neben anderen Entschädigungstatbeständen (hier: Entschädigung wegen Zeitversäumnis) geltend gemacht werden, soweit im Einzelfall plausibel dargelegt werden kann, dass ohne den Gerichtstermin die Kinderbetreuung selbst vorgenommen worden wäre, ggfs neben einer anderen entschädigungsrelevanten Aktivität.

 

Tenor

Der Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom 10. Dezember 2014 wird dahingehend abgeändert, dass die Entschädigung für das Erscheinen beim Gerichtstermin am 26. Februar 2014 auf 123,95 €, festgesetzt wird. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Streitig ist die Höhe der Entschädigung nach dem Justizvergütungs- und -entschädiungsgesetz (JVEG) für das Erscheinen der Beschwerdeführerin bei einem Gerichtstermin.

In dem beim Sozialgericht (SG) Regensburg unter dem Aktenzeichen S 16 AL 239/13 geführten Klageverfahren wurde die Antragstellerin und jetzige Beschwerdeführerin (im Folgenden: Beschwerdeführerin) als Zeugin für eine mündliche Verhandlung am 26.02.2014 in Regensburg geladen. Die Beschwerdeführerin nahm an der auf 12.15 Uhr terminierten mündlichen Verhandlung teil, die von 13.10 Uhr bis 13.30 Uhr dauerte.

Am 01.03.2014 beantragte sie die Entschädigung wegen des Termins der mündlichen Verhandlung. Sie gab dabei Folgendes an: Sie sei um 8.00 Uhr von zuhause weggefahren und um 16.00 Uhr wieder zurückgekommen. Die Fahrtstrecke mit dem PKW habe insgesamt 80 km betragen. Zudem habe sie ein Ticket des RVV für 2,20 € erworben. Weiter machte sie Zehrkosten in Höhe von 9,80 € unter Vorlage einer entsprechenden Quittung geltend. Ihr sei für die Zeit von 8.00 Uhr bis 16.00 Uhr ein Verdienstausfall als selbständige Näherin entstanden, wobei sie für diese Tätigkeit einen Stundensatz von 15,- € angab. Zudem teilte sie mit, dass sie für 8 Stunden eine Aushilfe für ihre Änderungsschneiderei und ebenso für 8 Stunden eine weitere Person für Kinderbetreuung beschäftigt habe. Beiden Aushilfskräften habe sie 15,- € in der Stunde, also jeweils 120 €, gezahlt.

Die Kostenbeamtin des SG setzte mit Schreiben vom 17.04.2014 eine Entschädigung in Höhe von insgesamt 104,70 € (Entschädigung für Verdienstausfall von 5,5 Stunden - von 10.00 Uhr bis 15.30 Uhr - und von 20,- €, Fahrtkosten für die von der Beschwerdeführerin angegebenen 80 km sowie 2,20 € für das Ticket des RVV) fest.

Auf den anschließend von der Beschwerdeführerin gestellten Antrag auf gerichtliche Festsetzung der Entschädigung hat der Kostenrichter des SG mit Beschluss vom 10.12.2014 die Entschädigung wie zuvor die Kostenbeamtin auf 104,70 € festgesetzt. In den Gründen des Beschlusses ist erläutert worden, dass bei Berücksichtigung einer (mehr als) angemessenen Fahrt- und Wartezeit eine zeitliche Entschädigung von 5,5 Stunden nicht zu beanstanden sei. Eine weitere Entschädigung wegen Zeitversäumnis bei der Haushaltsführung (Kinderbetreuung und Kochen) könne nicht gewährt werden, da der Beschwerdeführerin bereits ein mehr als angemessener Verdienstausfall für ihre selbständige Tätigkeit bewilligt worden sei. Ein Nebeneinander von zwei Entschädigungstatbestän...

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